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Hilferufe in die Heimat
ОглавлениеStridon kann auch deshalb nicht allzu weit von Aquileia (bei Venedig) und dem antiken Emona, dem heutigen Ljubljana, gelegen haben, da sich Hieronymus von seinen Freunden in den genannten Städten Unterstützung in einer familiären Angelegenheit verspricht. So bittet er in einem aus der Wüste von Chalkis nach Aquileia gesandten Brief den Diakon Julian darum, sich auch weiterhin um seine Schwester zu kümmern, die gerade, wie er aus einem Brief Julians erfahren hat, von diesem zum christlichen Glauben zurückgeführt oder sogar in ihrem Glauben so bestärkt worden war, dass auch sie sich zum asketischen Leben entschlossen hat:
„Es freut mich, von Dir zuerst zu erfahren, daß meine Schwester, Deine Tochter in Christus, in ihrem neuen Entschluß ausharrt. Wo ich jetzt lebe, da weiß ich nicht, was in meiner Vaterstadt vorgeht. Ja ich weiß nicht einmal, ob sie noch besteht.“40
Die Bemerkung über die Vaterstadt Stridon ist wohl so zu verstehen, dass sich Hieronymus’ Schwester noch immer dort aufhält; folglich wird Julian sein christliches Werk auch dort, in einer gewissen Entfernung von Aquileia, vollbracht haben. So könnte man auf dieser Grundlage annehmen, dass Stridon unter der Aufsicht des Bischofs von Aquileia stand und dieser Bischof seine Diakone auf Visitationsreisen gelegentlich nach Stridon schickte.41 In Emona dagegen gab es in den siebziger Jahren des 4. Jahrhunderts noch keine kirchliche Autorität, an die Hieronymus hätte appellieren können, ihm bei der christlichen Leitung seiner Schwester beizustehen. Die Stadt wurde erst wenige Jahre später Sitz eines Bischofs; darauf verweist die Nennung des Bischofs Maximus im Zusammenhang mit einem Konzil, das 381 in Aquileia stattfand.42
Noch einen weiteren Brief aus der Wüste hat Hieronymus abgeschickt, um Unterstützung für seine Schwester zu gewinnen, wieder nach Aquileia. Jetzt beschwört er seine dort lebenden Freunde Chromatius, Jovinus und Eusebius, sich um sie zu kümmern und das von Julian begonnene Bekehrungswerk fortzusetzen: „Er hat gepflanzt, Ihr sollt begießen!“ Die Freunde sollen regelmäßig Briefe an die Schwester schicken, um sie auf ihrem guten Wege zu halten, und noch besser wäre es, wenn sie auch den Bischof Valerian dazu überreden könnten, einen bestärkenden Brief an die Schwester zu schreiben. Hilfreich erscheint Hieronymus dies auch deshalb, weil seine Heimat durch ländliche Einfachheit geprägt und einer recht bescheidenen religiösen Führung unterstellt ist:
„In meiner Heimat, wo bäuerisches Wesen zu Hause ist, da ist der Bauch Gott. Man lebt nur so in den Tag hinein. Der ist am heiligsten, der am reichsten ist. Und zu dieser Schüssel hat sich auch, wie man zu sagen pflegt, ein passender Deckel gefunden, nämlich der Priester Lupicinus. […] Wie ein hilfloser Kapitän führt er das leckgewordene Schiff, und selbst ein Blinder, stürzt er die Blinden in die Grube. Wie der Herr, so die, welche ihm unterstehen.“43
Hieronymus hat sonst nichts Näheres über die Lebensweise der Einwohner von Stridon zu erzählen. In seinem Œuvre findet sich nur der Hinweis darauf, dass die Einwohner Pannoniens einen eigenen, „barbarischen“ Ausdruck für Bier benutzten.44 Als Biertrinker entsprechen sie der antiken Ethnologie zufolge den Barbaren, denen die Weinkultur fremd ist.
Neben den Briefen, die nach Aquileia gingen, hat Hieronymus während seines Wüstenaufenthaltes auch zwei Schreiben nach Emona gesandt. Seine Adressaten waren eine Gruppe von Jungfrauen sowie ein Mönch namens Antonius.45 Diesmal geht es um Hieronymus selbst: Bei den frommen Jungfrauen beklagt er sich darüber, dass sie wohl die guten Dienste vergessen hätten, die er ihnen einst erwiesen habe; sonst hätten sie ihm doch bestimmt schon einen Brief geschrieben. Unklar bleibt, an welche Dienste Hieronymus erinnern will, während das Schweigen möglicherweise aus einer üblen Nachrede resultierte, von der Hieronymus in seiner Heimat betroffen war. Auch Antonius wird dringend aufgefordert, endlich einmal einen Brief abzusenden, nachdem Hieronymus schon zehn Schreiben an ihn geschickt haben will.46
Wenn Antonius konsequent gegen die antike Grußpflicht verstoßen hat, muss in Emona ein dunkler Schatten auf dem Ruf des Hieronymus gelegen haben, anders als in Aquileia, wo Hieronymus nicht mit solchen Vorbehalten rechnet. Was aber war der Grund für die Vorwürfe, gegen die er sich wehren musste? Es kann dazu nur Spekulationen geben, da sich Hieronymus zu dieser Frage ausschweigt. Eine mögliche Antwort könnte in den Folgen liegen, die seine Hinwendung zum asketischen Leben für seine Geschwister, den Bruder und die Schwester, und damit für die Zukunft der Familie gehabt hat: Indem sich auch Paulinianus und die Schwester, deren Name nicht überliefert ist, für das mönchische Leben entschieden, wurde die Generationenfolge in ihrer Familie beendet. Damit war absehbar, dass nicht nur der von Vorfahren und Eltern erarbeitete Wohlstand zerfallen, sondern auch die Erinnerung an sie erlöschen würde. Diese für antike Menschen beklemmende Perspektive hat in vielen christlichen Familien der Spätantike, deren Kinder sich zur radikalen Umsetzung ihres Glaubens entschlossen, zu schweren Konflikten geführt47 und ein solcher könnte auch zwischen Hieronymus und seinen Eltern ausgebrochen sein.48 Diese Erklärung, die von der Sache her schlüssig erscheint, kann jedoch das Schweigen von Hieronymus’ Briefpartner nicht gut erklären. Denn gerade vonseiten frommer Frauen oder eines Mönches hätte Hieronymus eher Unterstützung für sein entschiedenes Christentum als Ablehnung erwarten können.