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Die Ausbildung in Grammatik und Rhetorik

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Der Ausbildungsgang des Hieronymus folgte den traditionellen Vorgaben, an denen auch die Christen der Spätantike festhalten konnten, nachdem ihre Theologen die in vorkonstantinischer Zeit verbreitete Ablehnung von Bildung und Wissenschaft relativiert hatten. Wie für die heidnische Antike von alters her wurde dadurch auch für die Christen ein im Wesentlichen auf sprachliche und literarische Aspekte konzentrierter Unterricht zur Grundlage für jegliche spätere Tätigkeit, ob in den Diensten der Kirche oder des Staates.

Nach der Einführung in die Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens, die beim Elementarlehrer erfolgte, diente schon der Grammatikunterricht auch zur Beschäftigung mit den Klassikern der griechischen und lateinischen Literatur, wobei die Zweisprachigkeit noch in der Spätantike mehr ein Gebot für die Kinder des Westens als für die des Ostens war. Die griechische Kultur konnte aufgrund ihres Alters und ihrer Vorbildhaftigkeit noch immer eine Vorrangstellung beanspruchen, und manche Gelehrte des Ostens scheuten sich nicht, ihre Unkenntnis der lateinischen Sprache mit Hinweisen auf die Zweitrangigkeit der römischen Kultur zu rechtfertigen.61 Wenn dagegen Gebildete des Westens kein Griechisch konnten, empfanden sie dies als Makel. Augustinus ist ein gutes Beispiel dafür.62

Die letzte Stufe des dreiteiligen Ausbildungsganges war erreicht, wenn der Schüler in den Unterricht eines Rhetors kam, um hier sowohl die Klassiker zu studieren als auch die erworbenen sprachlichen und literarischen Kenntnisse praktisch anzuwenden. Zu den Standardübungen beim Rhetor gehörten Reden aller Art, fingierte Gerichtsreden ebenso wie Übungen in Festvorträgen. Zur Verfestigung eines großen Repertoires an rhetorischen Kunstgriffen mussten die Schüler mitunter abstruse Themen bearbeiten und vor dem Lehrer und ihren Mitschülern präsentieren. Dabei hatten sie trotz ihres Alters von bereits sechzehn oder mehr Jahren auch mit körperlicher Züchtigung zu rechnen, sollte der Lehrer mit ihren Leistungen nicht zufrieden sein. Hieronymus hatte noch Jahrzehnte später Albträume, in denen er sich wieder der Gewalt seines früheren Rhetoriklehrers ausgesetzt sah; aufwachend stellte er dann erleichtert fest, dass diese Zeiten weit hinter ihm lagen (S. 45).

Sowohl der Grammatik- als auch der Rhetorikunterricht konnten innerhalb von Hochschulen erfolgen, deren Professoren dann nicht nur Honorare vonseiten der Eltern, sondern auch städtische oder staatliche Gehälter bezogen.63 Waren die Professoren im Römischen Reich seit Caesar privilegiert worden, indem man sie von den öffentlichen Lasten freistellte, so legte der Kaiser Vespasian (69–79) den Grundstein zu einer Hochschule in Rom, indem er mehreren griechischen und lateinischen Rhetoren ein Gehalt zahlen ließ. Hadrian (117–138) baute diese Anfänge zu einer Bildungseinrichtung aus, die den Namen Athenaeum erhielt. Hochschulen dieser Art, in denen neben den genannten Fächern auch Philosophie, Rechtswissenschaft und Medizin gelehrt werden konnten und in denen eine größere Anzahl von Dozenten tätig war, gab es während der Spätantike in den großen Städten wie Rom und Konstantinopel, Alexandria, Karthago oder Antiochia und auch in Athen, das über die längste und bedeutendste Tradition verfügte, wurde hier doch seit der Zeit Platons Philosophie gelehrt. Andere Inhalte der „freien Künste“ (artes liberales) wie Arithmetik oder Astronomie wurden nicht eigens angeboten; ihre theoretischen Ansätze konnten Teil des rhetorischen Unterrichts sein, falls sich der Professor für die entsprechenden Fragen interessierte. Das galt auch für die Naturkunde. Ganz außerhalb des Curriculums standen dagegen praktisch orientierte Lehrstoffe wie die Architektur oder Mechanik, für die man eine Lehrzeit bei den entsprechenden Fachleuten absolvierte.64

Von der spätantiken Universität in Rom ist bekannt, dass es hier Lehrstühle für Grammatik, lateinische und griechische Rhetorik, Philosophie, Medizin und Rechtswesen gab.65 Konstantinopel verfügte, wie aus einem Gesetz des Kaisers Theodosius II. aus dem Jahr 425 hervorgeht, im 5. Jahrhundert über insgesamt 31 Professuren und damit über die größte Bildungseinrichtung dieser Art.66 Für die ehemalige Hauptstadt wie für die neue am Bosporus sind zahlreiche Professoren namentlich bekannt, wobei Hieronymus selbst in seiner Chronik einige Gelehrte anführt, die mit ihrer Lehrtätigkeit in Rom hervorgetreten sind. „Auf ruhmvollste Weise erteilte er seinen Unterricht“, heißt es etwa über den Rhetor Pater (zum Jahr 336) und ähnlich über Minervius (zum Jahr 353), deren Leistungen auch von Ausonius in einem langen Gedicht über die aus Burdigala (Bordeaux) stammenden Rhetoren gelobt werden.67 Etwas ausführlicher ist der Eintrag, den Hieronymus zum Jahr 354 n. Chr. geschrieben hat:

„Der Rhetor Victorinus und der Grammatiker Donatus, der mein Lehrer gewesen ist, erlangten größtes Ansehen in Rom. Victorinus wurde sogar mit einer Statue auf dem Trajansforum geehrt.“68

Andere Städte hatten weniger oder keine Berühmtheiten zu bieten. Während in den Residenzstädten wie Trier oder Mailand einige städtische Lehrer mit dem einen oder anderen Professor konkurrierten, dessen Lehrstuhl durch kaiserliche Förderung entstanden war, konnten andere, kleinere Städte nur selten eine überregionale Anziehungskraft auf dem Feld der höheren Bildung entfalten. Das dürfte auch für Aquileia gegolten haben, das in der Spätantike durchaus eine ökonomische Bedeutung hatte; es gibt aber keine einzige Nachricht über den Unterricht eines berühmten Gelehrten.69

Für den jungen Hieronymus bedeutete dies, dass ihn sein Bildungsweg nach Mailand oder Rom führen musste, da seine Eltern über genügend Geld verfügten, um Studien fern der Heimat zu finanzieren. Während Aquileia auf dem Feld der Bildung wenig zu bieten hatte, waren in Mailand oder Rom nicht nur gute Lehrkräfte zu finden, sondern vielleicht auch solche, die ihren Einfluss später für die Schüler nutzen und ihnen den Einstieg in eine staatliche Laufbahn erleichtern konnten. Spätantike Professoren haben sich nicht gescheut, sich in dieser Weise für ihre Schüler einzusetzen, denn im Erfolgsfall stärkte dies noch ihr Renommee.

Viel älter als zwölf Jahre wird Hieronymus nicht gewesen sein, als er Stridon verließ,70 sicher nicht allein, sondern in Begleitung eines Pädagogen und zudem gemeinsam mit dem Freund Bonosus, der ebenfalls aus einem wohlhabenden Haus stammte. Bis dahin waren Hieronymus und Bonosus vermutlich von Hauslehrern unterrichtet und über den Elementarunterricht bis zu den Anfangsgründen der Grammatik geführt worden. Dafür, dass er bereits die erste Ausbildungsstufe in Rom absolviert hätte, wohin er dann im Alter von nur sechs Jahren gekommen sein müsste, gibt es keinen Beleg.71 Eher sollte man annehmen, dass der Pädagoge, den Hieronymus mit dem von Horaz übernommenen Namen Orbilius belegt, zu Hause in Stridon auch als Elementarlehrer gewirkt hat. Dann aber wäre schon dieser erste Abschnitt der Ausbildung mit viel Schrecken verbunden gewesen, denn „Orbilius“ ist der Typus des oft strafenden Lehrers, der dafür gern zum Rohrstock greift: Horaz nennt ihn den „Hiebe austeilenden Orbilius“.72

In Rom gehörten Hieronymus und Bonosus zu den Schülern des Aelius Donatus, dessen Ruhm als Grammatiker weit über seine Lebenszeit andauern sollte. Denn Aelius Donatus (ca. 320–380), dessen Erläuterungen zu Terenz und Vergil nur fragmentarisch überliefert sind, verfasste auch zwei Lehrbücher der Grammatik, die während des Mittelalters als Standardwerke so verbreitet waren, dass der Begriff „Donat“ für jede Grammatik verwendet werden konnte. Die beiden Lehrbücher zeigen, wie der Unterricht in seinem Fach aufgebaut war. Der Anfänger musste sich zunächst mit den Wortarten auseinandersetzen, während der Fortgeschrittene den rechten Sprachgebrauch des Redners erlernen sollte. Hier ging der Grammatikunterricht bereits in den Rhetorikunterricht über.73

Dass sich Hieronymus im Unterricht des Donatus wohlfühlte und er ihm viel zu verdanken meinte, kann man aus dem literarischen Denkmal schließen, das er seinem Lehrer in seiner Chronik gesetzt hat. In dem kurzen autobiographischen Hinweis liegt viel Anerkennung für den berühmten Meister, dessen Schüler inzwischen ein erfolgreicher christlicher Schriftsteller geworden war. Das Nachleben auch eines Professors hing davon ab, ob man seinen Namen fortschreiben würde. Verschwieg man ihn dagegen, so wie Hieronymus mit dem Namen seines Rhetoriklehrers verfuhr, so lief dies auf eine damnatio memoriae, eine Auslöschung der Erinnerung, hinaus:

„Noch heute, wo mein Kopf kahl und grau geworden ist, sehe ich mich oft im Traum, wie ich mit frisierten langen Haaren und mit der Toga bekleidet vor dem Rhetor stehe und über meinen Streitgegenstand deklamiere; wenn ich dann erwache, dann gratuliere ich mir dazu, aus dieser gefährlichen Situation befreit zu sein, solche Reden halten zu müssen.“74

Dient auch dieser Bericht Hieronymus’ in seiner Auseinandersetzung mit Rufin dazu, sich für die Verwendung heidnischer Zitate zu rechtfertigen, die er noch nach seinem Eid, keine Autoren wie Cicero mehr zu lesen, in seine Schriften einfließen ließ,75 so gibt er an anderer Stelle seiner Apologie einen Einblick in das Lektüreprogramm, das im Grammatik- und Rhetorikunterricht absolviert wurde. Wie kann man mir, so fragt Hieronymus, einen Vorwurf daraus machen, dass ich als Kommentator der Heiligen Schriften vielfältige, auch widersprüchliche Interpretationen früherer Autoren zusammenstelle? Nur so wird es doch dem Leser ermöglicht, sich selbst ein Urteil zu bilden.

„Und auch Du hast doch als Junge die Kommentare gelesen, die Asper zu Vergil und Sallust geschrieben hat, die Vulcatius zu den Reden Ciceros verfasst hat oder Donatus, mein Lehrer, zu den Komödien des Terenz wie auch zu Vergil, und was andere Autoren zu anderen Texten geschrieben haben, wie zu Plautus, Lukrez, Horaz, Persius und Lucan.“76

Hieronymus hat offensichtlich kein Problem damit, dass sein Lehrer Donatus, anders als der in der Chronik auch erwähnte Marius Victorinus, Zeit seines Lebens Heide blieb. Überhaupt war das Bildungswesen der Spätantike eine Bastion der alten Religion und allen Versuchen der Kaiser zum Trotz, das christliche Bekenntnis in der Gesellschaft durchzusetzen, hat man noch bis in die Zeit Justinians (527–565) hinein akzeptieren müssen, dass viele Gelehrte und Professoren am traditionellen Glauben, der so eng mit ihrer Literatur verbunden war, festhielten. Nur einmal ist im 4. Jahrhundert, allerdings von heidnischer Seite aus, der Versuch unternommen worden, das Bildungswesen auf die Linie der staatlichen Religionspolitik zu verpflichten. Das geschah unter Kaiser Julian, der während seiner kurzen Herrschaft (361–363) die ‚konstantinische Wende‘ rückgängig zu machen suchte und den im ganzen Reich beschäftigten Lehrern nicht nur einen tadellosen Lebenswandel abverlangte, sondern sie auch mit der Frage konfrontierte, wie sie sich zu den Inhalten ihrer Lehrstoffe stellen wollten. Diese im sogenannten Rhetorenedikt und in einem langen „Sendschreiben an die Lehrer im Römischen Reich“ von Julian entwickelte Bildungspolitik lief darauf hinaus, dass nur solche Professoren mit den Texten eines Homer, Sophokles oder Thukydides, eines Vergil, Plautus oder Sallust arbeiten sollten, die auch die in diesen Texten angerufenen oder auftretenden Götter verehrten. Seine Kraft sollte dieses Argument in der Anwendung auf christliche Grammatiker und Rhetoren entfalten, die ihren Unterricht in Ermangelung eigener christlicher Schultexte mit den genannten Autoren und mehr noch mit Demosthenes und Cicero bestritten, ohne deshalb deren Glauben teilen zu wollen. Julian zufolge mussten solche Lehrer angesichts der Widersprüchlichkeit ihrer Haltung als moralisch disqualifiziert gelten. Der Ausweg, auf der Grundlage der Heiligen Schriften Grammatik und Rhetorik zu vermitteln, erschien abwegig, entsprachen doch die Bücher des Alten und Neuen Testamentes mit ihrer einfachen Sprache in keiner Weise den Ansprüchen der hochliterarisierten römischen Gesellschaft.77

Nur wenige Professoren des 4. Jahrhunderts lassen sich als Christen identifizieren.78 Und nur ein Fall ist bekannt, bei dem ein christlicher Gelehrter auf das antichristliche Rhetorenedikt Julians mit seinem Rücktritt reagierte. Diesen aufsehenerregenden Schritt ging jener Marius Victorinus, den man in Rom 354 mit einer Statue geehrt hatte. Damals war er noch ein Anhänger des Neuplatonismus, doch ist er kurz danach zum Christentum übergetreten.79 Nachdem er in früheren Jahren Kommentare zu Cicero und Aristoteles verfasst und Schriften Plotins ins Lateinische übersetzt hatte, widmete er sich nach seiner Taufe den Briefen des Paulus. Außerdem verfasste er Hymnen, mit denen er die christliche Trinitätslehre zu verbreiten suchte, sowie eine Widerlegung des Arianismus, auf die Hieronymus in seinem Verzeichnis christlicher Schriftsteller mit kritischem Unterton hinweist: Dieses Werk sei ziemlich undurchsichtig und nur für Gelehrte verständlich.80 Über Victorinus’ Rücktritt von der Professur, der 362 erfolgte, verliert Hieronymus kein Wort, während Augustinus die Lebensgeschichte des Victorinus, die ihm vorbildhaft erscheint, in seinen „Bekenntnissen“ ausführlich und mit großer Anerkennung schildert.81

Sowohl Augustinus als auch Hieronymus bezeugen, dass Victorinus ein alter Mann war, als er sich zum Christentum bekannte. Seine Geburt fällt wohl in die Jahre um 290, gestorben sein dürfte er bald nach Julian, 363 oder 364. In dieser Zeit studierte Hieronymus bei Donatus in Rom, er wird hier sicher einiges über Victorinus gehört haben, auch wenn er ihn vielleicht nicht persönlich kennengelernt hat. Seinen Unterricht, den Victorinus 362 einstellte, hat Hieronymus jedenfalls sicher nicht besucht, auch wenn in der mittelalterlichen Überlieferung, die von Jacobus de Voragine (1229–1298) in seiner „Legenda Aurea“ gesammelt worden ist, das Gegenteil behauptet wird: „Als Grammatiklehrer hatte Hieronymus den Donatus, als Lehrer in der Rhetorik den Victorinus.“82 Für den frommen Leser war es plausibel, dass der große Kirchenlehrer Hieronymus in seiner Jugend Schüler eines berühmten und durch Augustinus bekannten christlichen Gelehrten gewesen sein sollte.

Hieronymus

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