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Kapitel 2

Vom Hansa-Reporter zum NDR-Angler


Irgendwie habe ich mich im Leben immer durchgeangelt. In der Schule, beim Studium oder später im Berufsleben. Hauptsache irgendwie das Ziel erreichen. Nicht immer auf direktem Weg. Manchmal über holprige Umwege. Wie ein Aal, der auf seinem 5000 Kilometer langen Weg von den norddeutschen Seen und Flüssen zurück in die geheimnisvollen Tiefen der Sargassosee auch schon mal eine Strecke über Land wandern muss.

Im Sommer 1992 wurde allerdings ich geangelt. Vom NDR bekam ich das Angebot, in die Sportredaktion in Schwerin einzutreten. Ich sagte sofort zu. Die Aussicht dort, in Mecklenburg-Vorpommern, als Sportjournalist beim Fernsehen zu arbeiten, betrachtete ich als Glücksfall, denn hier gab es ja nicht nur jede Menge Spitzensportler, sondern auch fantastische Angelreviere. „Meckpomm“ – Deutschlands Angelbundesland Nummer eins.

Als Bundesligareporter beim FC Hansa Rostock verband ich das Schöne mit dem Angenehmen und ging mit den Profis angeln!

Mit Hansa-Profi Christian Beeck war ich zum Stippen an der Warnow, Nationalspieler Christian Rahn überredete ich am Rostocker Stadthafen zum Heringsangeln und Trainer Andreas Zachhuber glänzte mit sauberer Technik beim Brandungsangeln am Strand von Kühlungsborn. Das waren gute Gelegenheiten, um mit den Profis abseits des hektischen Bundesligaalltags ganz entspannt über Siege oder Niederlagen oder sonstige Dinge zu plaudern. Während eines Trainingslagers in Österreich gelang es mir, die sechs schwedischen Hansaspieler mit Angelruten auszustaffieren und für eine Filmaufnahme an einen Forellenbach zu schleusen. Sechs durchtrainierte, angelnde Schweden an einem wilden Gebirgsbach – ein wirklich tolles Bild. Spätestens, als ich auch noch ein Alphorn anschleppte, um ihr Lungenvolumen zu testen, hielt mich Trainer Armin Veh für vollkommen bekloppt.

Im Januar 1993 hatte ich Trainer Horst Hrubesch vorm Mikrofon, HSV-Legende, Kopfballungeheuer: „Manni Flanke, ich Kopf, Tor!“ Kein Dressman im Ferrari wie Günter Netzer, eher ein rustikaler Kumpeltyp, der in seiner Freizeit mit Parka und Schlapphut am Angelteich sitzt. Horst Hrubesch ist Verfasser eines legendären Angelbuchs: Dorschangeln vom Boot und an den Küsten, erschienen 1980 im Paul Parey Verlag und mittlerweile so selten, dass man dafür bis zu 100 Euro berappen muss. Ich spekulierte darauf, mit ihm die guten Tipps aus seinem Buch auf einer Kuttertour in die Tat umzusetzen. Leider ereilte Horst Hrubesch das Schicksal so vieler Hansa-Trainer. Bereits nach einem halben Jahr durfte er wieder gehen. Schade! Aber vielleicht holen wir die Angeltour ja irgendwann nach.

Versteckspiel mit Meeräschen: Peter und die dicke Lippe

Das Regionalmagazin des NDR in Mecklenburg-Vorpommern – das NORDMAGAZIN – ist seit Jahren das erfolgreichste Landesprogramm in Deutschlands Fernsehlandschaft. Im Laufe der Jahre drehte ich immer mal wieder kürzere Reportagen zum Thema Angeln.

An eine erinnere ich mich besonders gut. Mir war ein Foto in der Ostsee-Zeitung aufgefallen: Ein Angler mit Rauschebart, stolz eine große Meeräsche präsentierend: Peter Rinow, Mecklenburgs Antwort auf Billy Gibbons von ZZ Top. Ein Angeloriginal.

Ich verabredete mich mit Peter Anfang Juli im Warnemünder Yachthafen. Mit Tarnanzug und Basecap sah er aus, als hätte er den Goldrausch am Klondike noch selbst miterlebt. Aber was ihn antreibt, ist das Meeräschenfieber. In Anglerkreisen gilt dieser Fisch als weitgehend unfangbar. Angesichts der Erfolgsquote lieber eine Kuttertour auf Dorsch buchen! Wer Meeräschen fangen will, benötigt schon sehr feines Gerät, eine spezielle Angelschnur, äußerst scharfe Haken, die richtige Futtermischung, eine spezielle Sonnenbrille. Und sehr viel Geduld.

Peter setzte seine Polbrille auf, die die Reflexionen auf der Wasseroberfläche herausfiltert. „Da sind sie“, murmelte er durch seinen Rauschebart. Und tatsächlich. Drei stattliche Exemplare der silbrigen Sommergäste knabberten kurz unter der Wasseroberfläche Algen von den Steinen. Jetzt hatten wir sie im Visier.

Meeräschen leben in Schwärmen und lieben warmes Wasser. In den Mittelmeerländern steigen sie die Flussläufe oft mehrere Kilometer hoch. Bei uns im Norden kommen sie als Sommergäste überwiegend in Küstennähe vor. Sie ernähren sich von Muscheln, kleinen Meerestieren und Algen. Und sie sind sehr misstrauisch.

Es gibt zwei Arten von Meeräschen, dickklippige und dünnlippige. Wir hatten es auf die „Dicklippen“ abgesehen, die bis zu einem Meter lang werden. Um sie zu überlisten, müssen sie erst mal angelockt werden. Die Futtermischung: Ein wie Paniermehl aussehendes grünliches Lockpulver, dessen genaue Zusammensetzung uns Peter nicht verraten wollte. Es roch nach Marzipan. Vermischt mit Warnemünder Hafenwasser ergab das Pulver eine grün-braune Masse.

Daraus formten wir mehrere etwa tennisballgroße Klumpen, die Peter mit der Eleganz eines Bocciaspielers in die Mitte des Yachthafenbeckens schleuderte. Plumps! Beim Sinken bröselten die Kugeln langsam auseinander.

Nun mussten wir nur noch darauf warten, dass sich die Meeräschen zur Henkersmahlzeit verleiten ließen. Dazu platzierten wir unseren Köder an freier Leine. Wir benutzten eine etwa drei Meter lange, leichte Rute mit kleiner Stationärrolle. Keine Pose, kein Blei und keine Karabiner. Unsere Schnur mit einer Stärke von 0,20 Millimeter war laut Herstellerangabe nahezu unsichtbar – Hauptsache, die Fische wissen das auch. Das wichtigste Utensil: ein Minihaken, Größe 16. Daran befestigten wir etwas von dem grünlichen Teig.

Die Meeräschen schnappen zu, wenn der Köder zu Boden sinkt. Und dabei erwischen sie – so die Theorie – mitunter auch das Häppchen mit dem Häkchen.

Aber man sollte auf jeden Fall einen Grundsatz beherzigen, der für fast alle Angelarten gilt: Fische, die man sieht, fängt man nicht, denn die Fische können einen auch sehen. Also gilt: Ganz klein machen, hinkauern, hinter einem Poller verstecken oder sich am besten ganz flach wie eine Flunder auf den Boden legen.

Ich ging neben einem großen Poller in Kauerstellung. 24 °C im Schatten. Vom anderen Ufer des Stroms wehte der Geruch von Backfischbrötchen zu uns rüber, eine Jugendgruppe vom Warnemünder Yachtclub kehrte von einer Trainingsfahrt in den Hafen zurück.

Nach zehn Minuten begannen meine Knie zu schmerzen, vom stechenden Ziehen in der Hüftgegend ganz zu schweigen. Also wälzte ich mich auf den Bauch, die Angelrute in der rechten Hand, den Blick immer starr auf die Futterstelle gerichtet, neben der mein Köder platziert war. Ich musste hin und wieder mit den Augen plinkern, sonst wäre mir eine Kontaktlinse rausgefallen. Peter hockt 50 Meter weiter an der Kaikante und sah mit seiner Polbrille einfach cool aus.

Nach einiger Zeit steuerte tatsächlich ein Trupp Meeräschen auf die Futterstelle zu. Es wurde ernst. Ich spürte meinen Pulsschlag, presste mich ganz flach auf den Boden und versuchte, nicht zu atmen und möglichst regungslos zu verharren. In diesem Moment steuerte eine Blondine mit Dackel auf mich zu. „Ist irgendwas? Kann ich helfen?“ Ich schüttelte hektisch den Kopf.

Fünf Minuten später, ich war kurz vorm Einnicken, riss mich das Signal der Schwedenfähre aus allen Anglerträumen. Aber ich erkannte drei große Meeräschen ganz nah an meinem Köder. Hatten sie den Haken genommen? Ich beobachtete angestrengt meine Schnur, die in einem Bogen schlaff von der Rutenspitze Richtung Wasseroberfläche taumelte. Plötzlich bewegte sie sich, wurde straff. Mit einem entschlossenen Anhieb riss ich die Rute hoch: Der Fisch hing! Ich sprang auf und versuchte, ihn durch das Hafenbecken zu dirigieren. Eine kräftige Flucht nach links, dann wieder nach rechts Richtung Poller. Dann verschwand er unter dem Steg. Wenn er sich jetzt um den Poller wickelte, war es aus. Einige Touristen blieben stehen und auch die Blondine mit Dackel war wieder da. Peter angelte stoisch weiter.

Ein Angler rief vom anderen Ufer: „Stramm halten!“ Im gleichen Moment gab es ein Geräusch wie von einer Peitsche: Zing, Peng! Peter, der inzwischen mit Kescher neben mir Position bezogen hatte, klopfte mir auf die Schulter: „Das ist mir auch schon passiert. Kopf hoch, Heinz!“

Ein schwacher Trost. Ich hatte sie dran, war auf Tuchfühlung mit einer leibhaftigen Meeräsche gewesen! Es war später Nachmittag geworden, wir packten unsere Sachen, warfen das restliche Lockfutter ins Hafenbecken und wandten uns zum Gehen. Da tauchten sie wieder auf, ein ganzer Schwarm. „Ihr könnt mich mal“, murmelte Peter und zottelte mit seinem Angelgerät zu seinem bunt bemalten VW-Bus. Es gibt Tage, da ist auch der Meeräschenpapst mit seinem Latein am Ende.

Nachgehakt bei Horst: Expertentipp zum Thema Meeräschen


Plätze und Aktivitätszeiten der Äschen herausfinden – ihre Schuppen blitzen auf und verraten sie. Polbrille benutzen, damit erkennt man die Fische besser. Dünne Schnüre nehmen (0,20er Vorfach / 0,25er Hauptschnur), als Wurfgewicht Wasserkugel (Spirolino) verwenden.

Aus der Deckung werfen! Keine schnellen Bewegungen, das verschreckt die scheuen Fische. Mit Brot an der Oberfläche anfüttern (aber nicht, wenn Möwen da sind). Brot grün färben, dann fällt es den Möwen nicht auf. Beim Angeln mit Kunstködern wie Fliegen einen harten Anhieb sofort setzen; wenn Äschen was merken, lassen sie sofort los (Raspelmaul).

Als Köder grün gefärbten Brotteig, um Algen zu imitieren, oder kleine grüne Fliegen/Streamer einsetzen.

Rute raus nach Mitternacht!

Immer mehr kristallisierte sich die Idee einer eigenen Angelsendung heraus. Das Kind musste einen Namen haben. Einen, der sich sofort einprägt. Der neugierig macht. Auf los geht’s los, Dalli Dalli, Der goldene Schuss – so hießen Fernsehsendungen, mit denen ich groß geworden war. Und da stand der Satz im Raum: „Rute raus, der Spaß beginnt!“ Meinem Kollegen im Landesfunkhaus des NDR in Schwerin Andreas fiel fast die Kaffeetasse aus der Hand, als ich ihn als Sendungsnamen vorschlug. Auch alle anderen schüttelten nur den Kopf. „Was hat der Galling da gerade gesagt, ‚Rute raus, der Spaß beginnt‘? Nein, das geht gar nicht.“ – Doch! Genau so stand es ein paar Wochen später in der Programmzeitschrift: Rute raus, der Spaß beginnt! Fischalarm in Mecklenburg-Vorpommern.

6. Dezember 2007. NDR Fernsehen. 1.17 Uhr! Die Geburtsstunde einer ganz besonderen Angelsendung. Die Erstausgabe von Rute raus. Die Einschaltquote lag bei 9,8 Prozent, bundesweit verfolgten gut 130.000 Zuschauer die Sendung. Hatten sie hinter dem Titel vielleicht etwas anderes vermutet und waren dann irgendwann eingeschlafen? Es bleibt ein Rätsel.

Die Rahmenhandlung dieses 45-Minüters: Eine Bootsangeltour vor Rügen. Thema: Hechtangeln. Ich moderierte gemeinsam mit meinem Kollegen Andreas. Ältere Angelbeiträge aus dem Nordmagazin wurden ein bisschen aufgehübscht und als Beifang präsentiert. Wie Opa Richard immer sagte: So aus der Lameng heraus.

Das Ergebnis war ein buntes Potpourri verschiedener Angelgeschichten, und zwischendurch Heinz und Andreas in lustigen Aktionen. Das klappte auch deshalb sehr gut, weil Andreas nicht die geringste Ahnung vom Angeln hatte. In dieser Sendung fingen wir wieder mal keinen einzigen Fisch. Aber es war der Beginn einer eigentlich unfassbaren Erfolgsgeschichte …

Rute raus, der Spaß beginnt

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