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Kapitel 1 Mit Weidenrute und Sektkorken – Kindheit und Jugend als Angler in Lübeck
ОглавлениеSieht man mal von den ständigen Mandelentzündungen ab, hatte ich eine wunderbare Kindheit. Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Siedlung am Stadtrand von Lübeck. Kaum einen Kilometer weiter östlich begann die „Ostzone“, wie die DDR in dieser Zeit im Westen genannt wurde.
Einmal in der Woche kam der Milchmann, Briketts gab es einmal im Monat. Und wenn der Fahrer vom Kohlenauto gut drauf war, durfte ich mit ihm eine Runde durch die Siedlung fahren. Das war schon etwas Besonderes, denn ein Auto war in dieser Zeit ein Luxusgegenstand.
Mein Opa Richard war eigentlich immer da. Bastelte im Schuppen, fütterte die Kaninchen oder wühlte im Garten. Der war riesig. So groß wie ein halbes Fußballfeld. Mit Stangenbohnen, einem großen Misthaufen, Plumpsklo, Kartoffeln, Gemüsebeeten und einem knorrigen Pflaumenbaum. Ganz am Ende war eine kleine Holzpforte und dahinter die Kuhkoppel. Hier habe ich stundenlang gewartet, bis Opa von seinen Angelausflügen an der Wakenitz zurückkam.
Die Wakenitz ist ein etwa 14 Kilometer langer Fluss, der vom Nordzipfel des Ratzeburger Sees bis vor die Tore der Stadt fließt und dann über den Düker durch ein Rohrsystem unter dem Elbe-Lübeck-Kanal durch in den Krähenteich und in die Lübecker Innenstadt. Was viele nicht wissen: Ursprünglich mündete die Wakenitz in die Obertrave. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts begann man, den Fluss zu stauen, um in Kriegszeiten Wassermühlen innerhalb des Stadtgebiets betreiben zu können.
Opas Lieblingsfisch war Hecht. Wenn er einen gefangen hatte – und das passierte häufig –, sah man ihm das schon von Weitem an. Freudestrahlend kam er über die Wiese gelaufen, im Mundwinkel eine Weiße Eule – sein Lieblingszigarillo.
Der Raubfisch mit seinen 700 messerscharfen Zähnen wurde Oma Lisbeth übergeben, die umgehend den Speiseplan änderte. Zwei Stunden später standen Stampfkartoffeln und Hecht mit Speckstippe in Butter gebraten auf dem Küchentisch. „Gute Butter“ – wie meine Oma stets betonte.
Montags gab es „Bonanzasuppe“. Ich glaube, Oma tat alles in einen Topf, was vom Wochenende übriggeblieben war: Bohnen, Kartoffeln, Speck, Möhren, Erbsen, Sellerie. Und manchmal war auch noch ein bisschen Hecht dabei.
Es war so Mitte der 1960er-Jahre, als ich mit meinen Freunden aus der Siedlung loszog, um selbst einen Fisch zu fangen. Treffpunkt war ein Weltkriegsbunker am Ende der Siedlung, unser Lieblingsspielplatz. Von dort waren es noch ein paar hundert Meter, und dann standen wir an einem kleinen Wiesenbach. Und tatsächlich fingen wir auch was. Ohne Angel. Nur mit der Hand. Aber der Fisch, den wir für einen Aal hielten, stellte sich hinterher als Blindschleiche heraus. Auweia!
Opa war sauer. „Du bist wohl unklug!“ Das sagte er immer, wenn ich etwas ausgefressen oder Mist gebaut hatte.
Fische und die geheimnisvolle Welt unter Wasser haben mich schon immer fasziniert. Von den Abenteuern des Fernsehtauchers Jaques Costeau, der mit seiner Calypso auf den Weltmeeren unterwegs war, durfte ich keine Folge verpassen. Zum Fernsehpflichtprogramm gehörte auch Flipper. Porter Ricks und seine Söhne Sandy und Bud – das waren meine Helden. Die Küste Floridas und der schlaue Delfin waren wie eine Droge. Schon bei der Erkennungsmelodie bekam ich eine Gänsehaut: „Man ruft nur Flipper, Flipper, bald wird er kommen, jeder kennt ihn – den klugen Delfin …“
Vielleicht lag es auch daran, dass ich als kleiner Junge häufig Probleme mit den Mandeln hatte. Im Wartezimmer unseres HNO-Arztes stand ein großes Aquarium mit Afrikanischen Buntbarschen und Prachtschmerlen aus Südostasien. Ich klebte mit der Nase an der Scheibe, bis der große dünne Mann im weißen Kittel und dem silbernen Blechauge mich in den Behandlungsraum holte.
Als kleiner Butscher bin ich mit meinem Opa häufig losgezogen, um Butterstecker und frisches Gras für die Karnickel zu holen. Die beste Stelle dafür war neben einem kleinen Wiesenbach. Da fingen wir dann auch noch ein paar Stichlinge mit dem Eimer. Ein perfekter Fisch fürs Aquarium, dachte ich. Ein bisschen Kies in eins von Omas Weckgläsern, eine kleine Muschel dazu, ein paar Bachflohkrebse und eine Wasserpflanze – fertig war mein erstes Aquarium. Fassungsvermögen etwa drei Liter.
Begeistert beobachtete ich die Fische, wie sie ihre Runden drehten. Am nächsten Morgen waren alle Stichlinge tot, erstickt. Unter Tränen begrub ich die armen Stichlinge im Garten unter dem Pflaumenbaum.
Wenn ich heute mit meinen Kindern am Schweriner See auf dem Steg neben dem Bootshaus stehe, muss ich oft an meine eigene Kindheit zurückdenken. Ich versuche, an sie weiterzugeben, was mich selbst so geprägt hat: die Liebe zur Natur und meine Faszination fürs Angeln.