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Abschied von Opa
ОглавлениеMärz 1972. Ein nasskalter, windiger, grauer Sonntag. Wie immer hatte ich mit meinen beiden Brüdern Holger und Nils am Abend vorher erst gebadet und dann die ZDF Hitparade mit Dieter Thomas Heck geschaut. Die musste man sehen. In der 32. Folge sang Juliane Werding „Am Tag, als Conny Kramer starb“. Es war die Zeit, in der es an der Esso-Tankstelle ein tolles Sammelalbum mit bunten Abziehbildern gab. Meistens waren Fische drauf: Hans Hass Vorstoß in die Tiefe. Das Album besitze ich noch heute.
Wir waren inzwischen umgezogen und wohnten in Groß Grönau, einem kleinen Dorf im Süden von Lübeck, ebenfalls nahe der Wakenitz gelegen. Statt Kuhkoppel gab’s hier einen Bolzplatz.
Zu Weihnachten hatte ich ein Bonanzarad bekommen. Und mit diesem Bonanzarad – mit Bananensattel und Fuchsschwanz – war ich schon vor Sonnenaufgang unterwegs zu Opa. Zehn Minuten Radtour, dann war ich da. Der erste Angelausflug in diesem Jahr, der Hecht hatte noch Schonzeit. Wie immer hinten raus durch den Garten, über die Koppel, am Feld entlang, über den Graben und durch den Erlenbruchwald. Ich ging voraus, aber als ich mich nach einiger Zeit umdrehte, war Opa ein ganzes Stück hinter mir. Merkwürdig. An der Rotaugenstelle angekommen, fing ich gleich an zu angeln. Inzwischen hatte ich eine kleine Bambusrute, etwa drei Meter lang. Auch Opa machte mit ein paar Griffen seine Stipprute aus Bambus einsatzbereit. Auch nach drei Stunden hatte sich nichts getan. Kein Zuppeln, keine Bewegung an der Pose. Wir beschlossen, wieder zurück zu Oma zu gehen. Und wieder quälte sich Opa, wurde immer langsamer. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
Oma hatte Eierpfannkuchen gemacht und eingeheizt. Opa setzte sich aufs Sofa, trank seinen Haferschleim, setzte sich seine Brille auf und blätterte in Der vielseitige Angler von Max Pieper.
Nach dem Mittagessen packte ich meine Sachen zusammen und rauschte mit meinem Bonanzarad davon Richtung Groß Grönau.
Der nächste Morgen. Normalerweise drückte meine Mutter immer mehrmals den Lichtschalter zum Kellerabgang, um mir zu signalisieren: Frühstück ist fertig. Das gab dann immer ein merkwürdiges Surren bei mir im Kellerzimmer.
Diesmal aber kam sie persönlich runter, öffnete die Tür, stand wortlos neben meinem Bett und schaute mich mit ernster Miene an. Dann, nach ein paar Sekunden des Schweigens, sagte sie: „Opa ist tot.“ – Nein, das konnte nicht sein. Ich war doch gestern noch mit ihm unterwegs …
Opas Tod traf mich tief. Später erzählten mir meine Eltern, dass er Krebs hatte. Unheilbar. Vielleicht spürte er, dass seine Zeit zu Ende geht. Nur reden konnte oder wollte er nicht darüber. Aber diese eine, letzte Angeltour mit seinem Enkel Heinzi, die wollte er sich nicht nehmen lassen. Ich denke oft an diesen grauen, nassen und kalten Märztag zurück. Gut, dass wir losgegangen waren!
Opas Angelbuch und die alte Nottingham-Rolle besitze ich noch heute.