Читать книгу Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990 - Heinz Scholz - Страница 13
Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder
ОглавлениеSorge und Skrupel bereitete mir, besonders in jenen ersten harten Jahren der DDR, die gerechte Bewertung von Leistungen, Charakter und Persönlichkeit eines Schülers unter Berücksichtigung seines sozialen Milieus. Denn die Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder, ein vom Staat dem Lehrer vorgegebener politisch-ideologischer Erziehungsauftrag, hatte höchste Priorität!
Diesem Prinzip wollte ich, selbst aus dem Arbeiterstand kommend, auf vernünftige Weise gern nachkommen, wenn man bedenkt, dass bei Kindern aus unbemittelten Arbeiterfamilien Bildungsvorlauf und -unterstützung geringer war als bei Kindern in Familien des Bildungsbürgertums. Und es ist unter demokratischen Verhältnissen selbstverständlich, den Unbemittelten zu gleichen Bildungschancen zu verhelfen und sich solcher benachteiligten Schüler in der Schule entsprechend anzunehmen.
Aber die Vorschrift, Arbeiterkinder aus rein politischen Gründen zu privilegieren, sie anderen tüchtigen und ebenso charakterlich wertvollen Kindern vorzuziehen, das hat in Einzelfällen zur Gewissensbelastung des Lehrers geführt. Da wurde beispielsweise ein „bürgerlicher“ Schüler mit einem Leistungsdurchschnitt von 1,7 abgelehnt, während ein Arbeiterkind mit 2,3 zum Oberschulbesuch zugelassen wurde. Besonders, wenn es sich bei dem Kind „bürgerlicher Eltern“ um einen leistungsfähigen, sozial positiv eingestellten, charakterlich anständigen jungen Menschen handelte, war eine Zurückstellung und Ablehnung von Seiten der Schule kaum zu unterstützen. Man hätte beiden Schülern zu gern die Chance eines Oberschulbesuchs eingeräumt. Wahrscheinlich hätte der Junge mit 2,3 auch fleißig gearbeitet, hätte seine sozial begründeten Defizite ausgleichen können und wäre gut bis ins Abitur gekommen. Aber den bis dato Leistungsfähigeren einfach ausschließen, das konnte man ebenso nicht vertreten. Infolge dieser Förderungsbedingungen durfte jede „Grundschule“ bei den Abgängern nach der 8. Klasse ein vorgegebenes Limit von Oberschulzulassungen nicht überschreiten. Und der Anteil der Arbeiter- und Bauernkinder sollte, wenn ich mich recht erinnere, etwa 60 % betragen. Dafür gab es kein Gesetz, lediglich verbindliche Direktiven für Lehrer und Schulleitung. Die Anträge der Eltern mussten zunächst dem „Pädagogischen Rat“ (Lehrerkollegium) vorgelegt werden. Wir Lehrer sondierten und prüften, welche Anträge der Kategorie „Arbeiterkind“ zugeordnet werden können. Dabei bemühten wir uns, wenn angebracht, beruflich bzw. sozial nicht eindeutig zu definierende Elternhäuser unter die Rubrik „Arbeiterfamilie“ einzuordnen.
In manchen Fällen wurden Zustimmungen der Schule von der „Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises“ (Schulamt) zurückgewiesen. Dann erinnere ich mich eines Falles, wo wir Lehrer an der Schule einen Schüler mit „bürgerlicher Herkunft“ auf Grund seines Leistungsdurchschnitts von 2,3 und nachlässiger Lernhaltung abgelehnt hatten, der dann aber, nachdem die gewichtigen Eltern vor dem Schulrat starken Protest eingelegt hatten, gegen unsere Entscheidung doch noch zur Oberschule zugelassen worden war.
In diesen ersten Jahren meiner Löfflerschulzeit hatten wir Jahr für Jahr die gleiche schwere Aufgabe, möglichst gerecht zu entscheiden, wer es verdiente, eine weiterführende Schule besuchen zu dürfen. Erst später, im Laufe der 60er Jahre wurde das verordnete Kriterium „Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder“ einem zweiten ähnlichen politischen Kriterium etwa gleichgestellt.