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Unser Schulhaus und seine Ausstattung

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In den ersten fünfziger Jahren waren die Wunden und Folgen des Krieges überall noch zu spüren. Sie zeigten sich ringsum in den mangelhaften materiellen Lebens- und Arbeitsbedingungen, vor allem in der großen Wohnungsnot, im Mangel an Lebensmitteln, Kleidung und Schuhen und in der allgemeinen Knappheit an allen notwendigen Bedarfsgütern für das tägliche Leben. Normalverbraucher oder „weniger produktive“ Berufstätige erhielten auf Lebensmittelkarte die minimale bzw. normale Zuteilung an Lebensmitteln. Dagegen bekamen privilegierte Helfer des neuen Regimes oder entsprechend eingestufte Berufsgruppen (z. B. Funktionäre, Schwerstarbeiter, Ärzte und wir Lehrer) etwas höhere Lebensmittelrationen zugesprochen. Natürlich gab es im Unter- oder Hintergrund des öffentlichen Lebens immer noch Schwarzhandel und Tauschgeschäfte, durch die sich manche Leute zusätzlich Lebensmittel oder andere begehrenswerte Güter zu verschaffen wussten. Die Städte sahen noch trostlos aus. Der Schutt war zwar inzwischen aus Straßen und Häuserlücken geräumt, aber Neues längst nicht aufgebaut. Wenigstens an einigen wichtigen öffentlichen Gebäuden waren die Bombenschäden behoben worden.

So auch am Gebäude unserer Löfflerschule. Mancher hat geklagt über den kasernenartigen Klinkerbau aus der Gründerzeit, über die engen, dunklen Korridore und die ölig stinkenden Holzfußböden.

Das hat mich nicht gestört, kannte ich doch kaum bessere, schönere Schulgebäude dieser Größe. Immerhin hatten wir eine schuleigene Turnhalle, eine Aula und einen großflächigen Pausenplatz. Zum anderen wussten wir alle, dass das Gebäude im Krieg durch Bomben beschädigt und erst 1948/​49 wieder aufgebaut und als Schule notdürftig eingerichtet worden war. Da mussten wir Unzureichendes in Kauf nehmen. Eine dieser Unzulänglichkeiten war der schlechte Zustand der im flachen Hofgebäude befindlichen Toiletten – mit hölzernen Reihen von Plumpsklos. Hygienisch kaum vertretbar. Aber von wo hätte man in den Nachkriegsjahren eine neue, metallene Sanitärtechnik für Wasserspülung hernehmen sollen? So blieb nichts anderes übrig, als für akkurate Reinigung zu sorgen. Und die Kinder damals waren weder verwöhnt noch sehr wählerisch. Das mit den übel riechenden Pissrinnen oder Gruben, das war nun mal so; man kannte es nicht anders und richtete sich auf die Gegebenheiten ein.

Eine erhebliche Beeinträchtigung unseres Unterrichtsbetriebes war auch die völlig unzureichende Beheizung der Klassenräume während der Winterzeit. Dies lag zum einen an den 50 Jahre alten, schlecht heizenden Kachelöfen und an den mit ungeeignetem Material neu gebauten Ersatzöfen, hauptsächlich aber am Mangel an Brennstoffen. Zum größten Teil wurde Rohbraunkohle angeliefert, meistens noch feucht. Braunkohlenbriketts, die für diese Kachelöfen besser geeignet waren, gab es nur in geringen Mengen. Herr Knapp, unser Hausmeister, musste die tägliche Kohlenmenge für 24 Klassenräume in Eimern bis in die 3. Etage hoch tragen! Große Jungen halfen, so gut das möglich war. In den Wintermonaten war es üblich geworden, die Eltern zu bitten, ihren Kindern, wenn möglich, ein paar Kohlen mitzugeben in die Schule. Da lagen des Morgens zu Beginn des Unterrichts zwei, drei oder mehr Briketts in Zeitungspapier eingewickelt vor dem Ofen im Klassenzimmer oder ein Scheit Holz, was wir dann zusätzlich ins Feuer warfen. Trotzdem saßen die Kinder in Mänteln oder dicken Jacken in ihren Bänken.

In harten Frosttagen, wenn in den Räumen kaum 8 Grad Wärme erreicht wurden, durfte die Unterrichtszeit verkürzt werden. Bei anhaltendem Frost bestellten wir die Kinder zu einer bestimmten Uhrzeit, um ihnen lediglich Hausaufgaben zu erteilen. Herrschten längere Frostperioden, musste jeglicher Unterricht ausfallen, oder die Schulbehörde verfügte, besonders schlecht zu beheizende Schulen über Wochen ganz zu schließen. Das betraf auch die Löfflerschule. Unser Unterricht fand dann in einer Nachbarschule statt – nachmittags und natürlich verkürzt, so dass eine Zeit lang zwei Schulen, in einem Gebäude zusammengelegt, im Wechsel vormittags oder nachmittags Unterricht hatten. – Die Einführung der dreiwöchigen Winterferien im Februar ist damals auch damit begründet worden, dass auf diese Weise Brennstoffe und Energie gespart würden. So waren die Wintermonate, die unter normalen Bedingungen eine intensive Schul- und Lernarbeit begünstigten, für die Löfflerschule in Schuljahren mit kalten Wintern weniger effektiv. Gefroren während des Unterrichts haben wir zu Winterszeiten fast immer – Schüler wie Lehrer.

Auch die Ausstattung der Unterrichtsräume entsprach dem Mangelzustand in der Nachkriegszeit. Die Möbel in den Klassenräumen stammten vorwiegend aus vergangenen Jahrzehnten. Da standen in den Klassenräumen der Unterstufe noch die alten Viersitzer aus wilhelminischer Zeit, bei den größeren Schülern ramponierte Klappsitzer aus den zwanziger Jahren. Nach und nach kamen neue feststehende Bänke, danach auch zweisitzige Tische mit Stühlen dazu. Insgesamt aber blieb das Mobiliar in schlechtem Zustand; denn das neue Gestühl, aus Materialmangel leider zu leicht gebaut, musste immer wieder repariert oder zu früh ausgesondert werden.


Lehrerin Lotte Schmidt-Berger in ihrer Klasse 1950.

An den kahlen Wandflächen der Klassenräume wurden Bilder aufgehängt – Abbildungen von Dichtern und, wo es hinpasste, von Wissenschaftlern oder anderen bedeutenden Persönlichkeiten, vorzugsweise aber von zeitgenössischen Politikern und bekannten Funktionären aus der Arbeiterbewegung. Die Klassenlehrer, dafür verantwortlich gemacht, versuchten die Auswahl der Bilder zu beeinflussen. Mir gelang es, mich am Ulbricht-Bild vorbeizudrücken und auf Wilhelm Pieck auszuweichen oder am ehesten Karl Marx an die Wand zu hängen. Wir Deutschlehrer rückten natürlich bedeutende Dichter und Schriftsteller in den Vordergrund unserer Auswahl. Doch kein verantwortlicher Klassenlehrer kam daran vorbei, wenigstens einem der obligaten „Führer“ aus Staat oder Revolution einen würdigen Platz an der Wand einzuräumen. Mein Kollege P. hängte sogar an seiner hinteren Klassenwand in einer ganzen Reihe Marx, Lenin, Stalin und Ulbricht nebeneinander und sagte mir, das sei doch für kontrollierende Schulfunktionäre der beste Beweis für seine unverbrüchliche Parteilichkeit und politische Zuverlässigkeit. Zudem könne er als unterrichtender Lehrer vor so einem bekennenden Aushängeschild innerhalb seiner vier Wände getrost reden und differenzieren, wie er es persönlich für richtig halte.

Besonders in den ersten fünfziger Jahren verlangten Partei- und Schulfunktionäre solch einen Bilder-Personen-Kult, und die Schule wurde für diesen Zweck auch ausreichend mit politischem Bildmaterial versorgt. Daher sah man, obgleich es sonst an vielem Notwendigem fehlte, in Klassenzimmern, in der Aula wie auch in den anderen Räumen der Schule übermäßig viele Porträtdarstellungen von Marx, Engels, Lenin, Stalin, Thälmann, Wilhelm Pieck, Ulbricht oder Grotewohl. Ich erinnere mich auch an übergroße Kopien, die unser Zeichenlehrer Wolfram für die Aula-Wände oder auf große Transparente für die Außenfassade des Schulgebäudes malen musste.

Eine beträchtliche Behinderung jeglichen Schul- und Unterrichtsbetriebes war die miserable Beleuchtung in den Klassenräumen wie auch in fensterlosen Korridoren! Diese einfachen, kleinen Kugellampen, hoch droben an der Decke, gaben ein völlig unzureichendes Licht her, zumal bei der absinkenden Stromspannung im Winterhalbjahr. Es war auch nicht möglich, stärkere Glühlampen einzusetzen. Erst Ende der 50er Jahre konnte durch teilweise neu installierte Beleuchtungskörper schrittweise eine Besserung erzielt werden. –

In jenen Jahren gab es in der Löfflerschule nur einen Fachunterrichtsraum; das war ein hörsaalähnlicher Unterrichtsraum für Physik und Chemie im Erdgeschoß. Gleich angeschlossen an diesen war der Lehrmittelraum, in dem neben den Lehrmitteln für Physik und Chemie auch weiteres Lehr- und Anschauungsmaterial für andere Unterrichtsfächer untergebracht war. Der dürftige Bestand entsprach den ärmlichen Bedingungen der Nachkriegszeit. Die Schulleitung bestellte Jahr für Jahr nach dem Angebot in einem Lehrmittelkatalog, aber oft konnte das Bestellte nicht geliefert werden, selbst wenn das Geld zur Verfügung stand. Nur langsam kam das eine oder andere hinzu. Unsere Lehrer mussten erfinderisch sein; manche einfachen Lehrmittel haben sie eigenhändig hergestellt.


Schulgebäude der ehemaligen Löfflerschule in den 80er Jahren. Auf dem Transparent: „Wir sind Mitgestalter der sozialistischen Gegenwart und Kommunistischen Zukunft“.

Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990

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