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… oder hier bleiben?

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Irgendwann in dieser für mich ereignis- und arbeitsreichen Zeit hatte mein schlesischer Schulfreund Walter aus Hanau in einem Brief angefragt: Was ist nun mit Euch? Was wird mit den Büchern, die du an mich geschickt hast? Wann kommt Ihr endlich …? Das war also wieder die Frage: ob oder wann ich mich nun endgültig entschließen könne, in den Westen zu gehen?

Meine Frau und ich, wir hatten jedoch inzwischen aus mancherlei Gründen unseren einstigen Plan zurückgestellt. Es war indessen so viel passiert. 1956 hatten wir anstelle der bisherigen Teilwohnung eine eigene Wohnung zugewiesen bekommen; jetzt familiär zu dritt, bald zu viert, fühlten wir uns in dieser wohler. Mein Deutsch-Fernstudium hatte ich „gut“ hinter mich gebracht, und in der Schule fühlte ich mich derweil so gut wie unabkömmlich. Was ich dort tat und schaffte, das schien mir – trotz allem politischen Gerangel – sinnvoll und notwendig.

Zum anderen hatten die politischen Geschehnisse der letzten Jahre, die Reaktionen auf den XX. Parteitag innerhalb der Kommunistischen Parteien auch in Italien und Frankreich sowie die revolutionären Erhebungen in Polen und Budapest, meine Gedanken in eine neue Richtung gelenkt. Durch das mutige Aufbegehren oppositioneller Kommunisten und Sozialisten war in mir so eine Haltung des Hoffens und des geduldigen Abwartens aufgekommen. Es muss wohl auch mein Misstrauen gegenüber der Adenauer-Politik, insbesondere gegen sichtbar gewordene restaurative Vorgänge und die Wiederbewaffnung in der Bundesrepublik, dazu beigetragen haben. Zum großen Teil aber waren persönlich-familiäre Gründe ausschlaggebend.

1958 war mein Vater endgültig in Rente gegangen, und man hatte ihm die Eisenbahner-Dienstwohnung in Döllstädt kündigen müssen. Zu diesem Zeitpunkt ergab sich die Möglichkeit, dass meine Eltern nach Gotha ziehen konnten. Es gelang mit Hilfe eines befreundeten Ehepaares, in dessen Gartengrundstück am Rande der Stadt ein altes Gartenhaus zu einer notdürftigen, aber immerhin nutzbaren Wohnung auszubauen. Da kein Anspruch auf eine vom Wohnungsamt verwaltete Wohnung gestellt werden musste, erhielten meine Eltern die Zuzugsgenehmigung nach Gotha. So hatten wir sie jetzt in unserer Nähe. Und was ganz wichtig war: Anfang 1959 erwarteten meine Frau und ich unser zweites Kind! – Denkt man da ans Abhauen in den Westen?

Aber wie es so kommt: Eines Abends klopfte es an unsere Tür, und vor mir stand mein befreundeter Kollege H. Ich nenne ihn hier Hermann. „Ich muss dich unbedingt sprechen!“ Dann, hereingekommen, teilt er mir vertraulich und mit verhaltener Stimme mit, dass es nun für ihn eine endgültige Sache sei, er gehe in den Ferien mit aller Bestimmtheit „nach drüben“, und zwar über Westberlin – ins Ruhrgebiet. Dort brauche man Lehrer. Und er wüsste doch, ich hätte mich ja auch schon lange mit diesem Gedanken getragen. „Komm doch mit, gehen wir zusammen, dann können wir drüben alles gemeinsam angehen und uns gegenseitig helfen!“ 77 Mein Kollege Hermann war enttäuscht über meine Absage. Alle Gründe, die ich vorbrachte, hatte er zu entkräften versucht. – In den darauf folgenden Osterferien ist er „drüben geblieben“ … und danach in Dortmund Lehrer geworden.

Meine Frau wie auch ich, wir sahen uns zu dieser Zeit außerstande, einfach wegzugehen. Einen Monat zuvor war unsere Tochter geboren worden! Dann waren wir – wie schon gesagt – eben im Begriff, unsere Eltern nach Gotha zu holen …!

Wir wollten ein „Weggehen“ nicht unbedingt ausschließen. Man wusste ja nie, was auf einen zukommt. Wenn es sein müsste, blieb einem womöglich nichts anderes übrig. – Aber zu jenem Zeitpunkt sahen wir weder eine Möglichkeit noch einen Zwang „wegzugehen“.

Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990

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