Читать книгу Kitty und Augusta - Helga Hegewisch - Страница 10

DAS, WAS ERZÄHLBAR IST

Оглавление

Kitty läßt sich noch tiefer in die Kissen sinken. Sie fühlt sich jetzt ruhig und entspannt, ein wenig traurig noch und mit einem Rest von Tränen hinter den Augen, doch kaum mehr Erinnerung an Schuld und Depressionen. Wie schnell die Stimmungen kommen und gehen, eben noch meinte sie Augusta verstoßen zu haben, jetzt hat sie sie wieder in ihr Leben hineingeholt, umschließt sie mit ihrer festen, sicheren Liebe, die von außen nicht zu durchbrechen ist. Die Schmerzen sind verschwunden, statt dessen durchzieht der Whisky mit seinem freundlichen Brennen ihren Magen und von dort aus den ganzen Körper bis hinunter in die Zehenspitzen, gelobt sei der Teufel Alkohol.

Augusta und Kitty, die damals noch Luise hieß, gemeinsam auf der Schulbank. Zwei kleine Mädchen, so verschieden in Aussehen, Auftreten und Herkunft, daß die Platzierung an einem gemeinsamen Schultisch wohl doch nicht so ganz grundlos geschehen war. Vielleicht hatte sich die Lehrerin nur einen Spaß machen wollen oder freundlich provozierend vorausgesetzt, daß sich Gegensätze anziehen. Und das taten sie dann auch. Jedenfalls fühlte sich Kitty-Luise, ein schwarzhaariges, mageres, häßliches, zappeliges Kleinbürgerskind, von der ersten Sekunde an überwältigt von neugieriger Zuneigung zu dem rundlichen, weißhäutigen, feinen, kleinen Mädchen, das nach Seife roch und am ersten Schultag nicht aufhören konnte zu weinen. »Ich weiß eigentlich nicht, warum sie so andauernd weinte. Sie machte dabei kaum ein Geräusch, sie saß nur still da, die Hände vor sich gefaltet, und ließ die Tränen hinunterrollen. Vermutlich hatte sie sich zuvor ausgedacht, daß dies das rechte Benehmen für den ersten Schultag wäre. Wie ich später erfuhr, hatte ihr Kindermädchen sie mit entsprechenden Geschichten eingedeckt, und so spielte sie eben eins dieser traurigen, einsamen, hilflosen kleinen Mädchen, denen die Welt übel mitspielen würde, und der erste Schultag war bekanntlich der erste Schritt in diese feindliche Welt.«

Die Lehrerin forderte Kitty-Luise dringend auf, sich ihrer Banknachbarin anzunehmen, was sie zwar ohnehin getan hätte, doch die Aufforderung der Autoritätsperson gab Kittys anfänglich abgelehnten Bemühungen Zähigkeit und Überzeugungskraft. Augusta wollte die Rolle des einsamen, bedauernswerten Außenseiters nicht so ohne weiteres aufgeben, wollte weder Freundin noch Beschützerin haben und schon gar nicht dieses ruppige, unbekümmerte, aggressive Ding, das den ganzen Weg von der Schule bis nach Hause plappernd neben Augusta und dem Kindermädchen herrannte. »Laß mich in Ruhe«, schluchzte Augusta, die sich krampfhaft überlegte, wie sie Kitty in ihr Waisenkind-Drama einordnen könnte. »Laß sie in Ruhe«, sagte auch das Kindermädchen. »Das darf ich nicht«, beteuerte Luise honigsüß, »die Lehrerin hat gesagt, ich soll mich kümmern.«

Zu Hause bei Augusta saß die Mutter im prächtigen Wohnzimmer. So eine absolut hervorragend wundervolle Mutter, befand Kitty-Luise auf den ersten Blick, so schön und zart und elegant! Die Mutter sagte, ohne daß sie sich die Mühe näherer Erkundigungen machte, sie freue sich sehr, daß Augusta so schnell eine Freundin gefunden habe, und die beiden Kinder mögen doch ins Kinderzimmer spielen gehen. Da hockten die beiden dann und wußten sich nichts zu sagen. Zuerst einmal inspizierte Kitty gründlich alle Möbel, Spielsachen, Kleidungsstücke, Bücher.

»Kannst du etwa schon lesen?«

»Nein.«

»Warum hast du dann so viele Bücher?«

»Bücher sind meine einzigen Freunde«, sagte die einsame Augusta.

»Jetzt hast du auch noch mich«, befand daraufhin Kitty-Luise. »Und wenn du willst, kann ich dir ja mal aus deinen Bücherfreunden vorlesen.«

»Kannst denn etwa du schon lesen?«

»Nein, aber zum Vorlesen ist das ja auch nicht nötig.«

Kitty griff sich ein großes Buch mit wunderschönen bunten Bildern und wenig Text, setzte sich neben Augusta und begann, für die neue Freundin eine atemberaubende Geschichte zusammenzuspinnen. Anfänglich wehrte sich Augusta noch, hatte Schwierigkeiten beim Rollenwechsel. Sie war ein durch äußere Ereignisse wenig gefordertes Einzelkind, das um seine wuchernden, schweifenden Stimmungen in den langen Stunden vor dem Einschlafen sorgfältige Dramaturgien herumbaute, Richtlinien, die ihr Sicherheit gaben und an die sie sich darum möglichst korrekt hielt. Das Schweifen, Suchen, das Ungeformte in ihrer Seele bereitete ihr Angst. Hatte sie es erst einmal angefangen und in Erklärungen und Motivationen festgelegt, so wollte sie es nicht wieder hergeben, denn der dadurch entstehende Freiraum würde sich sogleich mit neuen Berührungen füllen, die wiederum erst mühsam entängstigt werden müßten.

Und nun war da plötzlich dieses unbekümmerte, flinke, übersprudelnde andere Kind, aus dem die phantastischsten Definitionen nur so herausplatzten, das einen unerschöpflichen Vorrat davon zu haben schien, das sich, aus schierer Spielfreude, fortgesetzt selbst widerrief und dabei über eine so ausdrucksreiche, schillernde, bunte Sprache verfügte, daß sich Augusta bald ergab und forttragen ließ von einem nie zuvor erfahrenen Optimismus.

Dies war das erste Spiel gegen die Wand, und Augusta wurde süchtig danach, sie wollte immer mehr und immer Intensiveres davon haben, doch die kleine Kitty war klug genug, ihre Gaben sorgsam zu dosieren.

»Jetzt ist Schluß.«

»Hab’ keine Lust mehr.«

»Jetzt wollen wir doch radfahren.«

»Schularbeiten sind noch nicht fertig.«

Und vor allem schien Kitty es sich im Laufe der Zeit mehr und mehr zur Aufgabe gemacht zu haben, nun ihrerseits die Freundin zum Gegenspiel anzuregen. »Jetzt bin ich dran, jetzt erzählst du mir was.« Wodurch sie Augusta zu einer leichteren, selbstbewußteren Formulierung ihrer Phantasien brachte und sie so von dem mutlosen Festhalten an eine einmal gefundene Rolle abzubringen versuchte.

So ganz gelungen ist Kitty dieser Freundschaftsdienst nicht, bis zum heutigen Tage. Augusta neigt immer noch zum trägen Verharren, und ihre Ängste vor dem Verlust einer Rolle sind nach wie vor wahre Existenzängste. Und daß sie sich zu Recht ängstigt, beweisen die schweren Krisen in Augustas Leben, während derer sie nahe daran war, mit ihrer gesamten Existenz einem plötzlich entstandenen Widerruf ihrer Phantasie zum Opfer zu fallen.

Kitty liegt mit geschlossenen Augen auf dem weichen Sofa unter der Wolldecke. Ihre Gedanken kreisen um Augusta, um die Freundin, die Blutsschwester, zu der sie eine Nähe fühlt, die ihr nie zu einem anderen Menschen gelungen ist. Man könnte es wohl auch Liebe nennen. Kitty weiß nicht, was sie in dieser letzten halben Stunde nur gedacht und was sie tatsächlich gesagt, an einen fast fremden Menschen weitergegeben hat. Sie öffnet die Augen und schaut Serafino fragend an. Dieser lächelt ihr beruhigend zu.

»Keine Sorge, bei mir ist das alles gut aufgehoben. Sorgen sollten Sie sich aber um sich selber machen. Diese Schwachen werden bekanntlich unter gewissen Vorbedingungen zu den eigentlich Starken. Ist es nicht jetzt schon so, daß diese Vorbedingungen erfüllt sind, daß Sie sich von Augustas ›Schwäche‹ korrumpieren lassen und immerfort Sachen machen, will sagen, Situationen herstellen, die eigentlich nicht die Ihren, sondern Augustas sind?«

»Und vorhin haben Sie behauptet, ich hätte Ihnen Augusta zum Fraß vorgeworfen!«

»Allerdings. Die Frage ist jetzt nur: War dieses kannibalische Opfer eigentlich Ihre oder war das Augustas Sache?«

»Ach, Serafino, Engelchen, machen Sie’s nicht so kompliziert.«

»Ich werde mich bemühen. Und nun erzählen Sie mir weiter. Nächste leichte Fragen: Wer waren die Eltern?«

»Meine oder Augustas?«

»Beide.«

»Meine hatten einen kleinen Laden für Haushaltsbedarf, am Rande von dem feinen Wohnviertel, in dem Augustas Eltern residierten und in dem aus ästhetischen Gründen natürlich keine Geschäfte gestattet waren. Übrigens habe ich mich trotz der ganz offensichtlichen Diskrepanz zwischen Augustas Background und dem meinen nie in irgendeiner Weise sozial minderwertig gefühlt. Vielleicht hätte dies geschehen können, wenn meine Eltern arme Leute gewesen wären, aber das waren sie nicht, und während unserer Kinderzeit verfügte ich immer über mehr Geld als Augusta, die aus erzieherischen Gründen sehr kurzgehalten wurde. Später, nach dem Abitur, als Augusta ihr Kunstgeschichtsstudium begann und ich auf die Kunstschule ging, da bekam Augusta zwar ein weit größeres Monatsgeld als ich, aber dafür hatte ich meinen Bohème-Kredit, diesen gewissen Künstler-Anspruch und -Anstrich, der viel mehr wert war als jedes Monatsgeld.

Mein Vater stammte aus Ostpreußen. Er hatte im Krieg an der Ostfront einen Fuß verloren, was er Hitler ebenso wie den Russen verübelte, obgleich es ihn nicht zu behindern schien. Er lief mit seiner Prothese schneller als die meisten Menschen mit zwei Füßen aus Fleisch und Blut. ›Am Holzfuß kriegste keine Blasen‹, war seine liebste Redensart. Meine Mutter, lang, dürr und sangesfroh, war Frankfurterin. Den kleinen Laden hatte sie von ihrem Vater geerbt. Sie fühlte eine große, wenn auch etwas vage Liebe zur Schönheit, vielleicht, weil man sie ihr persönlich allgemein absprach. In mein Poesiealbum schrieb sie mir erst nach tagelangem Kampf, weil sie nie genügend Zeit fand: ›Angedenken an das Schöne ist das Heil der Erdensöhne. Deine Mutter.‹

Meine beiden Brüder waren erheblich älter als ich und wußten weder mit mir noch mit dem Schönen auf dieser Welt sehr viel anzufangen. Der eine ist Zahnarzt geworden, der andere bohrt in Kanada nach Öl. Beide verdienen soviel Geld, daß sie nach dem Tode meiner Eltern zu meinen Gunsten auf ihr Erbe verzichtet haben. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß mit dem ›Angedenken an das Schöne‹ ein Lebensunterhalt zu verdienen sei, und fühlten sich irgendwie verpflichtet, mich vor der Gosse zu retten. Außerdem hatten sie den Wert unseres schäbigen Ladens weit unterschätzt. Der Verkauf ersparte mir nicht nur die Gosse, sondern verhalf mir auch zu einem Haus in London.

Das ist also meine Familie, stets überbeschäftigt, geschickt, freundlich, unpolitisch, unaggressiv und für mich ziemlich uninteressant. Nette Leute, die mich in Ruhe ließen, auf die ich mich jedoch im Notfall verlassen konnte.

Augustas Familie war da schon erheblich komplizierter. Der Vater Banker und immerfort bemüht, seine festen Vorstellungen von Moral, Status, Haltung und so weiter nicht nur selber zu leben, sondern auch seiner Umwelt aufzudrücken. Die Mutter schön, zart, gelassen und gelangweilt, ein Mensch, von dem ich bis heute nicht sagen könnte, ob sie immer nur so abgehoben unselbständig tat oder ob sie ganz einfach dumm war. Der Vater ist während des Krieges als Major in der Verwaltung tätig gewesen, angeblich mit reiner Weste. Und in der Familie der Mutter soll es, etwas zurück, einmal ein paar echte Juden gegeben haben, die man während der Nazizeit geschickt unter den Teppich gekehrt hatte, auf daß sie im ersten Nachkriegsjahr von Augustas Vater unversehrt und gut erhalten wieder hervorgezaubert wurden.

Das Tragikomische an der Geschichte ist, daß Augustas erster Mann, ein Jude reinsten Wassers, der mit seinem schlechten Gewissen, weil er überlebt hatte, nicht zurechtkam, später bei seiner Amateurnazijagd scheinbar versehentlich auf irgendwelche brüchigen Stellen in Augustas Familienanalen gestoßen ist, und zwar ausgerechnet auf der Mutterseite. Ein Onkel – oder vielleicht war es auch Augustas Großvater, jedenfalls einer, der in direkter kurzer Linie von dem Alibijuden abstammte – soll ein ganz besonders sadistischer Schinder in Buchenwald gewesen sein, unter falscher Identität und angenommenem Namen. Einer von denen, die nach dem Krieg spurlos verschwunden sind, vermutlich nach Südamerika, vielleicht sogar nach Buenos Aires, wo Ramons Familie den Krieg so komfortabel und gewinnbringend überlebt hatte. Den armen Ramon scheint dies fast um den Verstand gebracht zu haben. Jedenfalls habe ich mir die Geschichte aus dem wenigen, was ich erfahren konnte, so zusammengereimt. Augusta weiß übrigens nichts davon. Oder vielleicht doch. Nach der Trennung von Ramon wurde sie sehr krank, die Ärzte faselten von schizoiden Störungen, Persönlichkeitsspaltungen, Angstneurose, weiß der Himmel, niemand wollte sich festlegen. Es dauerte auch nicht sehr lange, knapp neun Monate, dann hatte sie scheinbar die böse Frucht ausgetragen und ausgespien.«

»Ausgespien und endgültig losgeworden?« fragt Serafino.

»Wie endgültig, weiß ich nicht.«

»Haben Sie mit Augusta nie darüber gesprochen?«

Kitty schüttelt den Kopf. Sie schweigt, starrt mißmutig ins Leere, trinkt dann in einem einzigen großen Schluck den Rest Whisky. »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle.«

»Weil es bei mir gut aufgehoben ist.«

»Doch, ja, das glaube ich schon. Aber es sind eben alles nur Mutmaßungen, und die sollte man für sich behalten. Es ist auch nicht mehr so wichtig. Abgelebt, abgeschoben, hoffe ich.«

Serafino steht wieder auf. Er geht mit leisen Schuhen im Zimmer hin und her, läßt seine Finger die Wände entlanggleiten, betrachtet die Skizzen an den beiden großen Pinnbords, schaut eine Weile aus dem Fenster. »Ihre Freundin scheint mir nicht die Person zu sein«, sagt er schließlich, »die etwas so einfach abschiebt.«

»Einfach ohnehin nicht. Aber wenn man ihr genügend neues Leben zusammenspinnt, dann vergißt sie schließlich das alte. Augusta ist neugierig – mit Betonung auf gierig. Diese Gier muß befriedigt werden. Ich sage Ihnen das nur als Warnung, falls Sie tatsächlich beschlossen haben sollten, sich zu involvieren.«

Serafino stößt einen kurzen Lacher aus. »Beschließen klingt wohl etwas zu sehr nach Freiwilligkeit.«

Kitty schaut ihn nachdenklich an. »Aha«, sagt sie. »Also dann will ich Ihnen auch noch den erzählbaren Rest mitteilen, damit wir diese langweilige Vergangenheit endlich ad acta legen können. Vierzehn Jahre lang blieb Augusta Einzelkind. Die Mutter war immer da, jedoch nie recht vorhanden. Normalerweise saß sie still im Wohnzimmer, schön und schlank wie am ersten Tag, und Augusta, und mit ihr auch ich, hatte jederzeit Zutritt bei ihr. So kann man also in der Tat nicht behaupten, daß Augusta an Muttermangel gelitten hätte. Kamen wir hinein, schaute die Mutter sogleich zu uns her, mit großen, hellen, leeren Augen, die sich nie veränderten und die auch erstaunlicherweise nie zwinkerten. Wie bei einer griechischen Göttin. Sie hörte zu, unterbrach nicht, kommentierte kaum. Zu mir sagte sie immer nur: ›Aha, Luise (und später: aha, Kitty), da bist du ja.‹ Sonst nichts. Sie wirkte wie eine lebensgroße Puppe. Als Augusta und ich vierzehn Jahre alt waren, wurde die Mutter plötzlich noch einmal schwanger. Wie dies überhaupt hatte geschehen können, war für uns unvorstellbar. Nie hatten wir beobachtet, daß Augustas Vater auch nur seine Hand auf den Arm der Mutter gelegt hätte. Da wir uns in der Schule in der achten Klasse ausgiebig mit den griechischen Göttersagen, die Augusta und ich sehr liebten, befaßt hatten, einigten wir uns nach intensivem Nachdenken auf eine Analogie mit Danae und dem goldenen Regen. Das gefiel uns sehr. So wie Danae im Kellergewölbe, saß die Mutter eingemauert in ihrem schönen, kühlen Wohnzimmer, wohin man sie verbannt hatte wegen jenes Orakelspruches, demzufolge ihr Sohn eines Tages dem alten Vater Unglück bringen würde. Einsam, schön und kühl, ohne Eigensinn, nur von außen bestimmt, wartete sie geduldig, bis eines Tages Zeus in Form eines goldenen Regens durch die undichte Decke auf sie niederging. Der Regen sammelte sich in ihrem Kleid und befruchtete so ihren Leib. ›Paßt genau‹, befand Augusta befriedigt, ›nicht mal das schöne Kleid braucht sie auszuziehen. Zeus und der goldene Regen. Mit Papa hat das natürlich überhaupt nichts zu tun.‹

›In Ordnung‹, sagte ich, konnte mich aber dennoch nicht enthalten, hinzuzufügen: ›Und wer war denn nun der Zeus?‹

Ich werde es nie vergessen, wie Augusta mich daraufhin angeschaut hat, wortlos, ernst, mit den gleichen großen, hellen, blicklosen Augen, die ich von der Mutter gewohnt war, ohne Reaktion, einfach nur geschaut, und ich war nicht mehr vorhanden. Diese Sorte Blick habe ich in Zukunft meiden gelernt.

Also irgendwer oder – was hatte jedenfalls die Mutter geschwängert, und der Sohn Carlos wurde geboren. Kurz nach der Geburt starb die Mutter, ganz im Gegensatz zu der unverwüstlichen Danae, an einer inneren Blutung, die man in der feinen, kleinen Frankfurter Privatklinik übersehen hatte. Augusta nahm sich den Tod sehr zu Herzen und des Brüderchens leidenschaftlich an; Carlos wurde ihr erstes und bislang einziges Kind.

Für mich selbst entwickelte er sich zu einem Problem, weil sich zwischen ihm und Augusta ein Leben abzuspielen begann, zu dem ich keinen Zutritt fand. Ich glaube tatsächlich, daß Augusta nie wieder so glücklich gewesen ist wie damals mit Carlos. Sie befand sich in einem Rausch, den ich ihr zwar im Prinzip gönnte, doch verwirrte es mich tief, daß ich den Inhalt dieses Rausches nicht begriff. Sie zog sich innerlich von mir zurück. Ich war nur immer wieder gut genug, für sie die Scherben zusammenzukehren, wenn in ihrem Carlos-Leben irgend etwas schiefging.«

»Was konnte da schon schiefgehen? Große Schwester, Babybruder, ein guter Weg, das Mutterbedürfnis rechtzeitig auszuleben.«

»Oh, so einfach war das alles nicht. Es muß Augusta ganz neue, beängstigende Aspekte über sich selbst eröffnet haben, die sie nicht einmal mit mir teilen wollte. Vieles glaube ich inzwischen begriffen zu haben. Aber das gehört zu den schwierigen Fragen, die ich geschworen habe, Ihnen nicht zu beantworten.«

»Ist der Ehemann Nummer zwei etwa als Ersatz für den kleinen Bruder gedacht?«

Kitty fährt unwillig hoch. »Wie kommen Sie denn darauf?«

»Stimmt es, oder stimmt es nicht?«

Kitty und Augusta

Подняться наверх