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MANCHMAL SPRICHT AUGUSTA
NOCH MIT RAMON

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Da stürzt sie also in ein neues Abenteuer, Kitty-mein-liebes-Herz, na, mir soll’s recht sein, denn ich schau’ zu. Ein seltsamer Vampir ist dieser Serafino, so riesengroß und schwer, so kurzhalsig und ungelenk, von wessen Blut will der sich hier ernähren? Meines jedenfalls ist ihm nicht verfügbar, und es würde ihm ohnehin nichts nützen, angstvoll träges Melancholikerblut; und das von Kitty, meiner Blutsschwester, ist zu schade für ihn, zu schade für jedermann, ich muß selbstverständlich wünschen, daß sie sich nicht wieder aussaugen läßt, obgleich dieser Wunsch, an dessen Erfüllung ich sowieso nicht glaube, nurmehr eine Alibifunktion hat. Kitty läßt sich immer aussaugen, nicht nur von mir, die ich ja von ihr und durch sie lebe, die ich ein Erstrecht, das ich auch einfordern muß, an ihr habe. Aussaugen von jedem dahergelaufenen Kunsthändler, von Polen und von all den andern Männern und Frauen, denen meine Kitty zu ganz frischen Illusionen verholfen hat.

Kitty ist ein Teil von mir. Ich lebe durch sie, und sie lebt für mich. Weiß sie das eigentlich, daß alles, was sie tut, alles, was sie erfährt und erleidet, alles, was sie betrauert und verlacht, ausschließlich für mich geschieht? Und daß all jenes, was äußerlich mit mir passiert, diese Bauzäune und Wegschilder, die meinen Lebensweg behindernd bestimmen, ohne Kittys Interpretation beziehungslose Zeichen blieben, gleich einer fremden Sprache, die ich ohne Übersetzung nicht zu verstehen vermag? Nur mit meiner Innenwelt muß ich selbst fertig werden, und das ist schon schlimm genug. Die Außenwelt lebt Kitty für mich. Ich stehe daneben und schaue zu. Ich liefere ihr meine mageren Fakten, und sie gibt um so üppiger von sich selbst. Darum soll mir ja jedes neue Abenteuer, in das sich Kitty-mein-liebes-Herz stürzt, recht sein, obgleich es mich auch wiederum mit bitterer Eifersucht belasten wird. Aber schmerzliche Gefühle sind immer noch besser als gar keine. Ich ahne schon, daß ich mich diesmal einmischen werde, daß auch ich, um hier bestehen zu können, ein paar äußere Fakten beitragen muß.

Meinen ersten Mann habe ich vergessen, und das ist gut so, er würde mich sonst nur zu noch mehr Selbstmitleid verführen. Den zweiten, den ich liebte, den einzigen Menschen, der meine Innenwelt trotz ungezählter Umlagerungen sofort erkannt und sie durch all diese wabernde, wogende Weiblichkeit hindurch erfaßt, ergriffen und mit der seinen verschmolzen hat, diesen Mann also, mit dem ich sechs Jahre lang verheiratet war, habe ich aus meinem Leben eliminieren müssen. Abgewürgt, geschlachtet, umgebracht. Das ist inzwischen eine Weile her, ich wurde geschieden, habe wieder geheiratet, habe, wie man so sagt, ein neues Leben begonnen, und weiß immer noch nicht, was eigentlich mit dem alten geschehen ist. Ich kann Kitty nicht fragen, weil ich nicht will, daß die Katastrophe meines Aufbruchs in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Ich kann es ihr gegenüber nicht einmal andeuten, denn Kittys Unverständnis würde mich zu sehr betrüben. Und den schleichenden Verdacht, daß sich hier vielleicht plötzlich das Innen mit dem Außen unbotmäßig vermischt hätte, daß also doch ausgerechnet mein Kitty-Leben die Antwort für mich parat hielte, den Verdacht will ich gar nicht erst Gestalt annehmen lassen.

Ramon, mein Liebster. In unserer Hochzeitsnacht hast du ein Tuch über mein Gesicht gebreitet, ein hauchzartes, doch konsequent undurchsichtiges Seidentuch. Ich habe dich nie gesehen, Ramon, und als schließlich der Gewittersturm das Tuch zur Seite riß und ich dir gezwungenermaßen in die Augen sah, da schrieb ich auch schon dein Todesurteil. Denn in deinen Augen lag tiefer, unwiderruflicher Haß. Und gerade du, mein Lieber, mein Liebster, der du so eng mit mir verschmolzen warst, der alles in mir begriffen hat, du wirst nicht erwarten oder gar verlangen, daß ich sehenden Auges den Haß auf mich selbst mir innewohnen lasse. Denn ich bin trotz allen Wahnsinns, trotz aller Unstimmigkeiten in der Definition meiner Realität eigentlich ein methodischer Mensch, nicht wahr, auch das weißt du, Ramon. Und darum gab es keine andere Lösung, als dich abzutreiben, dich aus mir herauszubluten und dich zur Sicherheit auch noch zu erwürgen, zu schlachten, zu eliminieren. Ach, Caro, Carissimo, ich bin so leer ohne dich, da schlingert nur noch ein müdes Vakuum, etwa in der Größe eines aufgeblasenen Uterus, kein Haß darin, keine Liebe, eben nichts. Kein Vergleich mit solch einem Nichts-Nichts-Nichts wie dem von Kitty, denn das ist gefüllt mit strammer Aktion – lächelst du, Ramon? –, bei mir ist es die träge, dumpfe Öde. Ach, Liebster, warum kommst du nicht zu mir zurück? Wir werden die Jahre dazwischen ungeschehen machen. Ich weiß, ich weiß... Nein, ich werde nicht wieder krank, und ich werde auch dich nicht krank machen.

Zwar ist dein Seidentuch auf und davon geweht, und Kitty hat es mir obendrein noch fortgenommen, aber es hat sich doch längst schon wieder auf seinen alten Platz begeben, hat sich vor mein Gesicht gelegt und mir die Außenwelt unsichtbar gemacht. Dadurch wird Kitty für mich nun vollends unentbehrlich. Sie führt mich mit ihrer klugen Hand, wobei sie nicht einmal ahnt, wie blind ich tatsächlich bin. Die Aktionen, die sie mir streng verschreibt, sind lebenserhaltende Medizin. Ich mag sie nicht, fühle mich irritiert von ihrem bitteren Geschmack, will sie ausspucken, aber ich schlucke sie doch brav herunter. Und ich ahne auch schon, daß ich Kitty, falls diese eines Tages der ewigen therapeutischen Verabreichungen müde wäre, persönlich dazu zwingen müßte, mir die Droge zu besorgen und sie mir in den Mund zu schütten.

Soll ich dir, Ramon, erzählen, was weiter an jenem Morgen geschah, als der neue Vampir in unser Leben trat, vier Jahre nach unserer Scheidung, zwei Jahre nach meiner Heirat mit dem Kind Manuel? Kitty hatte mich also in dieses Klimt-Kleid gezwungen, diese blaugoldende Robe der Emilie Flöge, die du und ich damals leider nicht mehr gemeinsam im Museum haben anschauen können – ach, hätten wir doch, Ramon, dann wäre alles andere und vor allem das Unbegreifliche, das du statt dessen an jenem Nachmittag getrieben hast, nicht geschehen – was hast du getrieben, Ramon? – und ich war in der Robe vor dem Kunsthändler auf und ab paradiert, war schließlich nicht nur in das Kleid, sondern auch in die Emilie selbst hineingeschlüpft, und der arme Mann erlitt darob fast einen Herzinfarkt, was kann es gewesen sein, das ihn so irritierte? Ich persönlich – und du weißt, daß ich mir für meine Magisterarbeit auch einiges über Klimts Affären und Beziehungen angelesen habe – fand die Schneidermeisterin Emilie Flöge nie so besonders attraktiv, eher dieser tüchtige, vernünftige, gut organisierte Typ, eine Frau, mit der der flotte Gustav übrigens, soweit man das heute sagen kann, nie ins Bett gegangen ist. Aber den Serafino-Vampir haute die Emilie vollkommen um. Anschließend hat er uns zum Lunch ins Meridiana geschleppt, ich wollte nicht, aus den verschiedensten Gründen – ja, auch aus der bewußten Angst, denn das Kind Manuel war entgegen meinem Anfangsoptimismus keine so perfekte Lösung –, aber dann hat Kitty mich doch überzeugt. Wieder einmal die bittere Medizin. Scheinbar brauchte Serafino für seinen Superkick uns alle beide. Und er war in seinem Bemühen so energiegeladen, so überzeugt von der absoluten Notwendigkeit unserer Dreierkombination, daß man sich nicht wehren konnte. Kaum schaffte ich es, wieder in meine normale Alltagskleidung zu steigen. Am liebsten hätte er es gesehen, wenn ich tatsächlich in dem Emilien-Kleid mit ihm und Kitty über die Straße und ins Meridiana gerauscht wäre. Was ich natürlich ablehnte. Aber er hat es geschafft, daß ich mir kein Tuch um die Haare band und auch die Jacke nicht hochknöpfte. Letzteres allerdings mußte ich später doch noch nachholen, als ich bemerkte, daß mir sein Blick wie die bekannte Schlange in den Ausschnitt hineinzüngelte.

Als die Jacke geschlossen war und ich auch noch die Arme vor dem Oberkörper verschränkte, wandte Serafino sich Kitty zu, deren Hand er übrigens immer wieder in die seine genommen und galant – was der so für galant hielt – geküßt hatte, und bot ihr einen Vertrag für eine große Ausstellung an. Mal eben so, es war eine vollkommene irrwitzige Situation. Er hatte doch nur dieses eine Objekt gesehen, wie war es möglich, daß ein Galerist, der als clever, kühl und obendrein noch als geizig galt, sich hier ohne jede Rückendeckung verpflichtete? Ich sah Kitty an. Die war sehr ruhig. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß es ihr körperlich nicht gutging, daß sie vielleicht sogar Schmerzen hatte. Sie atmete etwas schwer, und ihre Augen schienen zu flattern. Aber vielleicht war es auch nur die Aufregung. Sie stellte mit einer nahezu selbstmörderischen Dreistigkeit – Kitty hat schließlich noch nie eine große Ausstellung in London gehabt – ihre Bedingungen, und Serafino ging auf alles ein. Er würde ihr ein Jahr lang Zeit geben, ihr alle erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen, Material, Hilfskräfte, Reisespesen, und ihr darüber hinaus noch ein monatliches Salär zahlen, damit sie sich frei von anderen materiellen Verpflichtungen nur auf die Arbeit für Serafino Baker konzentrieren konnte. Was würde er als Gegengabe verlangen? Ein verrückter Mensch, unheimlich, besessen, ein Vampir eben, dachte ich, und Gott geb’s, daß Kitty das heil übersteht.

Kitty und Augusta

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