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SERAFINO UND DIE SCHÖNHEIT

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Serafino ist ein sachlicher Mann, jemand, der bei seinen Kalkulationen dazu neigt, die etwaigen Profite zu niedrig und die Verluste zu hoch anzusetzen, der vernünftig kauft und verkauft, der schlau und oft vor allen anderen Trends begreift und ausnutzt, der sich selbst fest in der Hand hält.

Aber Serafino ist auch ein Mann, der gewissen ihm eigenen Vorstellungen von absoluter Schönheit hoffnungs- und hemmungslos verfallen ist. Serafinos gierige, unbeherrschte Jagd nach deren Erfüllung ist vollkommen subjektiv und von niemandem außer Serafino selbst zu erkennen.

Was ihn an diesem Mittwochmorgen so schockiert, hier in der Jubilee Street in Chelsea, London, in dem Atelier der begabten, wenn auch keineswegs genialen Textilkünstlerin Kitty Kalien, mit deren Objekten er vielleicht – vielleicht auch nicht – eine Ausstellung machen wollte, das ist eine doppelte Ereigniswucht: nämlich die Tatsache der blaugoldenen Augusta-Emilie, die Serafinos Realität der absoluten Schönheit unabdingbar verkörpert; und die Erkenntnis der schwarzen Schlange Kitty, die offenbar um Serafinos hilflose Leidenschaft gewußt hat und dieser, sei es aus freundlichem Spiel, sei es aus schlauer Kalkulation, entgegengekommen ist. Serafino ruft sich in diesem Augenblick zu extremer Vorsicht auf und weiß doch, daß er bereits verloren ist, verloren an die Schlange, die ihn durchschaut und eingewickelt hat, und an die blaugoldene Schönheitsillusion, die sich hier plötzlich greifbar und sehr körperlich manifestiert.

Serafino stößt einen so qualvollen Seufzer aus, daß Emilie erschrocken wieder zu Augusta wird.

»Was ist, Mr. Baker, haben Sie Schmerzen, kann ich etwas für Sie tun?«

Serafinos Gesicht verzieht sich zu einer schrägen Grimasse, die ein Lächeln ausdrücken soll.

»O dear Lady...«, flüstert er.

Kitty springt auf. »Ganz ruhig bleiben, Sery, ich hole Ihnen etwas Wasser. Haben Sie schon jemals Herzprobleme gehabt?« Sie läuft in die Küche, kommt mit Wasser zurück. Serafino hat den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen. Er ist sehr blaß. Augusta kniet sich neben ihn, fühlt ihm den Puls. Kitty hält ihm das Glas Wasser an die Lippen. Das hätte mir gerade noch gefehlt, denkt sie, mein perspektiver Ruhmbringer stirbt in meinem Atelier an einem Herzinfarkt. »Mary«, schreit sie, »Mary...«

»Geht’s nicht etwas leiser?« flüstert Serafino und schlägt die Augen auf. Direkt vor sich, zum Greifen, Küssen, ja zum Verschlingen nahe, sieht er Augustas kaum vom dünnen Chiffon verhüllten rechten Busen und ganz nahe daneben die kräftige, kluge Hand von Kitty, die ihm das Wasser reicht. Serafino durchströmt ein nie gekanntes Glücksgefühl. Das werde ich nun für immer in mir festhalten, denkt er, was es auch bewirken mag, Gutes, Böses, Großartiges oder Häßliches, einmal erfahren, gehört es mir, auf immer und ewig, Amen. Serafino richtet sich auf. »O bitte, bitte, meine Damen, machen Sie sich keine Sorgen. Nicht das Herz, nur eine kleine Kreislaufschwäche, die mich gelegentlich überkommt. Ich kenne das schon, es ist nichts, überhaupt nichts, außer daß ich mich anschließend immer besonders heiter, ja nahezu euphorisch fühle.«

Voller Bedauern sieht Serafino den bebenden Busen Abstand nehmen und Kittys Hand das Wasserglas mit hartem Stoß auf den Metalltisch setzen.

»Na um so besser«, sagt Kitty, die sich schnell faßt, »und was fangen wir denn nun an mit der schönen Euphorie?«

»Wir gehen zum Beispiel alle drei zusammen zum Lunch«, antwortet Serafino, »und dabei werden wir dann die Ausstellung besprechen.«

»Ich habe keinen Hunger«, sagt Augusta.

»Aber ich«, sagt Kitty.

»Na gut, dann geht ihr beiden allein. Es ist ja ausschließlich euer Geschäft, mit der Ausstellung habe ich nichts zu tun.«

»O doch«, sagt Serafino leise und bezwingend.

Kitty schaut zwischen dem Kunsthändler und der Freundin, die sich gegenseitig anstarren, aufmerksam hin und her.

»O doch«, sagt dann auch sie.

Kitty und Augusta

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