Читать книгу Kitty und Augusta - Helga Hegewisch - Страница 9
SERAFINO, HILFREICH
ОглавлениеNach dem Lunch besteht Augusta energisch darauf, nun endlich nach Hause zu gehen. Kitty schaut Serafino an. Dieser zuckt resignierend die Schultern. Kitty ahnt, daß es auch jetzt noch besser wäre, Augusta bei sich zu behalten, doch der Vertragsvorschlag von Serafino steht, das Gröbste ist geschafft, und Kitty hat Augusta nun zur Genüge ausgenutzt.
Während Serafino im Meridiana die Rechnung zahlt, stehen Kitty und Augusta draußen auf der Fulham Road und warten auf ein Taxi. Anstatt jetzt wegen ihres Erfolges zu triumphieren, läßt Kitty ihrem schlechten Gewissen freien Lauf.
»Verzeih, Gusta, aber ohne dich wär’s nicht gegangen.«
»Schon gut.«
»Ich mag mich selber nicht, wenn ich dich so vorwärtsziehe, aber weißt du...«
»Weiß ich. Du hast mich auch weniger vorwärts als rückwärts gezogen.«
»War es schlimm?«
»Eigentlich ganz glimpflich. Man kann ja nicht immer drüberweg leben. Manchmal muß es also sein.«
»Muß es?«
»Allerdings. Ob es nützt, ist eine zweite Frage.«
Ein Taxi stoppt. Augusta gibt ihre Adresse an. Im Einsteigen dreht sie sich noch einmal zur Freundin um. »Hattest du irgendwelche Schmerzen vorhin?«
»Ja, das hatte ich. Aber jetzt geht es wieder.«
»Wo?«
»Weiß nicht so recht, Magen, Unterleib.«
Augusta runzelt die Stirn. »Paß auf deinen Körper auf, Kitty. Und auch auf diesen neuen Vampir. Der scheint besonders gefräßig zu sein.«
Kitty lächelt. »Beide sind gut gezähmt.«
»Na, hoffen wir’s.«
Die Tür klappt zu, und das Taxi fährt an. »Und vergiß heute abend nicht die Gruppe«, ruft Kitty hinter der Freundin her, bezweifelt jedoch, daß diese die Mahnung noch gehört hat.
Serafino, der inzwischen unbemerkt aus dem Restaurant gekommen ist, fragt neugierig: »Welche Gruppe?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Alkoholikerin?«
»Ganz bestimmt nicht.«
Serafino reicht Kitty mit etwas steifer Gebärde seinen Arm. »Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause. Sie sehen entsetzlich müde aus.«
Kitty registriert erstaunt, daß sie diesen langen, schweren Affenarm jetzt gut gebrauchen kann. Schweigend läßt sie sich die Pont Street entlangschieben, läßt sich den Schlüssel abnehmen, die kleine Treppe hinauf ins Atelier führen und schließlich sogar aufs Sofa betten. Umsichtig findet Serafino eine Wolldecke, wickelt sie ein, bringt ihr dann aus der Küche einen großen Whisky mit Soda. »Tatsächlich nicht die beste Sorte«, brummt er, »aber für heute mag es gehen.«
»Sind Sie ein guter Vater, Serafino?« fragt Kitty.
»Wie soll ich das wissen. Ich habe nie Kinder gehabt, habe mir allerdings immer welche gewünscht. Söhne natürlich. Doch, ich glaube, ich wäre ein guter Vater geworden.«
Schweigen. Dann rafft sich Kitty auf zu der Frage: »Warum wollen Sie die Ausstellung machen, Sery?«
»Da Sie das sowieso schon wissen, können wir uns die Antwort und damit Energien sparen.«
Serafino versorgt auch sich selber mit einem Whisky-Soda, viel schwächer als jener, den er für Kitty bereitet hat. Er setzt sich, greift nach dem Buch: »Gustav Klimt und Emilie Flöge« und beginnt, gedankenverloren darin zu blättern.
Kitty trinkt langsam, Schluck für Schluck, ihren Whisky. Ich sollte zum Arzt gehen, denkt sie flüchtig, natürlich nicht gleich heute, vielleicht morgen, irgendwann einmal. Aber vermutlich war es doch nur Nervosität. Und natürlich auch das schlechte Gewissen Augusta gegenüber. Ich habe sie zurückgeschoben in eine äußerst gefährliche Zone ihres Lebens. Damals in Wien, als sie sich von Ramon loslöste, als sie mit geschwächten, zittrigen Gliedern in diesem Dickicht aus Wahn und Wirklichkeit herumirrte, damals habe ich gedacht, ich müßte sie verlieren, ich wäre ganz einfach nicht stark und geduldig und phantasievoll genug, ihr immer wieder eine begehbare Bresche zu schlagen. Ohne mein langes Training und unsere alten Kinderspiele, die uns beiden so fest in Leib und Seele eingewachsen sind, hätte ich es wohl nicht geschafft. Habe ich etwa heute Augustas Gesundung aufs Spiel gesetzt? Und wie weit ist sie zurückgegangen? Ich kann schließlich nicht in sie hineinsehen. Ihr Innenleben hat sie schon immer vor mir verborgen, und so war auch das, wonach ich heute urteilen kann, ausschließlich ihre äußere Haltung. Zuerst war sie wieder im Dickicht unterwegs, weit weg, und ich hoffe bei Gott, daß sie dort nicht dem unseligen Ramon begegnet ist. Nach einer Weile ist sie jedenfalls bei der Emilie gelandet, ich weiß nicht, auf welchem Weg. Sie will doch Rollen spielen, sie will fremdes Leben leben. Wenn sie dabei nur nicht immer wieder sich selbst verpassen würde. Aber was ist das eigentlich, sie selbst? Solch ein merkwürdig verschwommenes Anlaufziel, viel schwieriger zu definieren und auszumachen als alle ihre Rollenspiele.
Ich darf mich nicht verrückt machen in meiner Sorge um Augusta. Ich sollte an mich selber denken. Ich sollte zum Arzt gehen. Ich sollte weniger trinken. Ich sollte mich freuen über die Ausstellung. Ich sollte mich näher mit Serafino beschäftigen.
Wenn ich nur sicher sein könnte, daß Augusta heute abend in die Gruppe geht. Sie wirkte so zerfahren und ungeschützt. Das Kind Manuel war eben doch keine gute Idee. Ich dachte, er könnte ihr beide ersetzen, Ramon und Carlos, und nun stellt sich heraus, daß er zu nichts zu gebrauchen ist, weder zum Gatten noch zum Sohn. Ein Zwischending, das sich nicht engagieren mag. Wir sollten uns von ihm trennen.
Ich bin froh, daß sich Carlos endlich abgenabelt hat und daß wir Ramon wieder losgeworden sind. Bis zum heutigen Tag habe ich nicht herausfinden können, was zwischen den beiden damals in Wien im Palais Schwarzenberg passiert ist. Ramon hat Augusta nie geliebt, jedenfalls nicht so, wie damals der Doktor Wendehals, dessen bin ich sicher. Aber er hat sie wohl lieben wollen. Er hatte sich vorgenommen, von sich aus, ganz alleine, die Versöhnung der arischen und der semitischen Rasse zu leben – ich glaube tatsächlich, daß er genau in diesen Worten gedacht hat –, und zwar mit allem, was er zu bieten hatte, Leib, Seele und Geist, und mit all seinem beträchtlichen Hab und Gut. Gipfeln sollte diese tapfere Demonstration – die gar so tapfer nicht war, denn in Augustas Familie gab es auch ein paar Tröpfchen jüdisches Blut, so ganz pur hätte er es wohl doch nicht ertragen können –, also gipfeln sollte das Ganze in einem Kind. Der zarte, kleine Jude, der Intellektuelle, der Theoretiker, Mitglied einer geschundenen Rasse (obgleich er persönlich in seinem reichen südamerikanischen Exil ganz sicher nicht geschunden worden ist), beglückt, in einer Geste unvergleichlicher Großzügigkeit, das vollbusige Germanenweib, Mitglied des deutschen Verbrechervolkes, mit seinem Samen. Wunderbar. Und er hat es nicht geschafft, er konnte seinen Haß nicht überwinden.
Während der Zeit des Zusammenlebens, besonders während der letzten Jahre, scheint er eine wahre Leidenschaft für die Jagd nach Naziverbrechern entwickelt zu haben. Augusta hat davon zwar gewußt, hat es aber nicht ernst genommen, wäre natürlich auch nicht im Traum auf die Idee gekommen, sich selbst in den Kreis der Verdächtigen einzubeziehen. Auch sie hatte sich, genau wie Ramon, eine Geschichte ihrer Verbindung zusammengesponnen, Liebe, Hingabe, Versöhnung – ja, es muß wohl auch ihr um Versöhnung gegangen sein, weniger präzise und intellektuell, dafür weicher, breiter, weniger verbalisiert, jedoch hingebungsvoller. Sie hätte alles für diesen Mann getan, für die schöne Geschichte und ihre Rolle darin: Zwei Menschen führen die Vergangenheit ad absurdum, schlagen eine Brücke mit ihren eigenen Körpern, setzen Liebe gegen Haß, produzieren neues Leben als Antwort auf den Tod.
Nein, sie hat nicht an ihrer Einzigartigkeit gezweifelt. Oder etwa doch ganz zum Schluß? Warum eigentlich hat sie mich nie nach dem Inhalt der schwarzen Mappe gefragt, die Ramon damals bei seiner Flucht aus dem Hotel im Safe liegengelassen hatte? Wußte sie, daß hier plötzlich sie selbst durch ihre Familie der Gruppe der Feinde, der Gejagten, der Auszutilgenden zugeschlagen wurde? Hatte sie eine Ahnung davon, daß sich ihr geliebter Gatte offenbar tagelang durch Material im Wiesenthal-Institut durchgearbeitet hatte, immer auf der Suche nach der Beziehung zwischen Naziverbrechern und der Familie seines geliebten Versöhnungssymbols? Wußte sie, daß der wunderbare Ramon ganz kläglich an sich selbst gescheitert war, daß Haß immer noch Haß und Liebe nie Liebe gewesen ist?
»Kitty, meine Schöne«, sagt Serafino, »woran denken Sie?«
»An Augusta. Und Sie?«
»An Augusta.«
»Dachte ich mir’s doch. Nur sind unsere Augusta-Gedanken vermutlich sehr verschieden.«
»Vermutlich. Die meinen voller Neugier, Ihre voller Wissen. Könnten wir nicht das eine mit dem andern befriedigen.«
»Das kommt drauf an. Allerdings werde ich Ihnen Augusta nicht zum Fraß vorwerfen, auch nicht, wenn Sie dadurch ein für allemal gezähmt sein würden.«
»Das haben Sie doch schon getan.«
»Was, Augusta verraten oder Sie gezähmt?«
»Beides.«
Kitty schließt die Augen. Sie fühlt sich plötzlich sehr müde und deprimiert, mit einem Stausee voller Tränen in der Kehle. Leise sagt sie: »Ich glaube leider, Sie haben recht. Das war nicht fair, das war...«
»Das war in Ordnung so«, unterbricht Serafino, »machen Sie sich keine Sorgen, Sie haben mich als Pfand, nicht wahr, sollte ich je über die Stränge schlagen, dann brauchen Sie nur mit der Peitsche zu knallen. So, wie Sie es vorhin mit Augusta getan haben.«
»Habe ich?«
»Allerdings. Augusta, Liebste... haben Sie gezischt, und es hat sofort gewirkt. Serafino, Liebster, wird von jetzt ab mein Zurückpfiff heißen.«
»Zurückpfeifen von was?«
Serafino steht auf und reckt die großen schweren Glieder. Nachdenklich schaut er auf Kitty herunter. Dann zuckt er die Schultern: »Wir werden sehen.«
Serafino geht zu Kitty, setzt sich an den Rand des Sofas und legt ihr die Hand auf die Stirn. »Da braut sich irgend etwas zusammen. Virusgrippen überall. Soll ich Ihnen noch einen Drink machen, oder wollen Sie Tee?«
»Am liebsten beides.«
Serafino verläßt das Zimmer. Eine Weile hört Kitty ihn in der Küche hantieren, dann die Treppe hinaufgehen und sich im Bad zu schaffen machen. Merkwürdig, wie wenig mich seine Anwesenheit stört, denkt Kitty, dabei kenne ich ihn doch kaum, finde ihn nicht sonderlich sympathisch, mag weder seinen Körper noch sein Gesicht und fürchte immer noch, daß er Augusta nicht guttun wird. Aber es stimmt schon: Wenn der Köder Augusta ihm tatsächlich so fest in Körper und Seele steckt, immerhin tief genug, daß er fast einen Herzanfall gekriegt hat, dann habe ich ihn in der Hand. Er wird tun, was ich will, vorausgesetzt, daß ich stark genug bleibe, dieses Dramolett in allen Szenen nach meinen Vorstellungen zu inszenieren. Wir spielen für Augusta, und Augusta spielt für uns.
Lieber wäre mir ja ein leichthändiges Spiel gegen die Wand, nur aus der Phantasie, ohne all diese Lasten und Folgen des Tatsächlichen. Die Organisation von realen Personen und Ereignissen fällt mir immer schwerer, vermutlich eine erste Alterserscheinung, während Augusta immer süchtiger danach wird.
Schließlich kommt Serafino zurück. Auf einem Tablett hat er artig das Teegeschirr arrangiert, dazu den Whisky, ein Glas Wasser und eine Schachtel Aspirin.
»Etwas Stärkeres konnte ich in Ihrem Medizinschrank nicht finden. Statt dessen eine weitere Whiskyflasche. Wenn es tatsächlich so ist, wie es zu sein scheint, dann sollten wir etwas dagegen unternehmen.«
Kitty lächelt harmlos. »Der Schein trügt. Alkohol ist für mich ein Mittel zum Zweck, keine Sucht. Ich fühle mich heute nicht gut, hatte tatsächlich ganz fremdartige Magenschmerzen, war wohl auch etwas aufgeregt. In solchen Fällen greift man eben zur Flasche, ganz problemlos, ich schwöre.«
»Na gut. Morgen gehen Sie zum Arzt.«
»Also, Sery, wirklich!«
»Ich habe mich verpflichtet, eine große Summe Geld in Sie zu investieren. Entsprechend liegt es in meinem ureigensten Interesse, daß Sie gesund sind und nicht saufen, klar?«
»Nicht klar«, antwortet Kitty scharf. »Es liegt in Ihrem Interesse, daß ich die Ausstellung verabredungsgemäß zusammenbringe, und das werde ich. Ob ich dabei krank bin oder saufe oder etwa drei Liebhaber auf einmal beglücke, geht Sie nichts an.«
Serafino reicht Kitty den Whisky, schaut zu, wie sie gierig trinkt. Er seufzt.
»Haben Sie drei Liebhaber, Kitty?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Schlafen Sie mit Augusta, Kitty?«
Kitty läßt sich auf die Kissen zurückfallen. »Ach, Serafino«, sagt sie, »ich hätte Sie für einsichtsvoller gehalten.«
»Dann müssen Sie mir erst einmal die Chance geben, etwas einzusehen. Bislang war in meinem Blickfeld nur eine mürrische, unwillige graue Maus, die sich allein durch Ihr Peitschengeknalle in das herrlichste Weib verwandelte, das ich in meinem Leben je gesehen habe. Welchen Vers soll ich mir darauf machen?«
»Mürrisch war sie, weil sie sich damit gewohnheitsgemäß gegen zudringliche Männer abschirmt. Und verwandelt hat sie sich, weil ihr eine alte Geschichte eingefallen ist, die wir vor vielen Jahren einmal gemeinsam um die Emilie gesponnen haben, eine Lügengeschichte.«
»Würden Sie ihr bitte ausrichten, daß ich nicht zu der aufdringlichen Sorte gehöre und auch nicht die Absicht habe, sie je anzurühren.«
»Okay. Das dürfte hilfreich sein.«
»Und daß ich darüber hinaus so oft mit ihr Zusammensein will und soviel von ihr wissen möchte wie irgend möglich.«
»Das dürfte weniger hilfreich sein.«
»Dann sagen Sie es ihr eben nicht, arrangieren Sie es einfach. Zuerst das Wissen. Erzählen Sie mir, wo und wie Sie sich zuerst begegnet sind. Das ist doch eine leichte Frage?«
»Das ist es, und darum kann ich sie auch beantworten. Aber machen Sie sich keine Illusionen, die schweren Fragen werden ignoriert. Es war im Alter von sechs Jahren in Frankfurt am ersten Tag unseres ersten Schuljahres. Ohne besonderen Grund hatte uns die Lehrerin nebeneinandergesetzt. Und da sind wir geblieben, dreißig Jahre lang, immer eng nebeneinander, auch bei gelegentlicher lokaler Trennung. Eine leichte Frage, eine leichte Antwort.«
»Gut so, das schafft den Rahmen. Nun malen Sie mal das Bild hinein. Immer noch sehr einfach, zwei kleine Mädchen in einer Schule in Frankfurt.«