Читать книгу Kitty und Augusta - Helga Hegewisch - Страница 3
MAMA AUGUSTA
ОглавлениеNoch während Augusta schlief, hat sie vergeblich versucht, ihren Traum zu denunzieren und ihn dadurch loszuwerden. Jetzt, da sie halb wach ist, hängt er ihr immer noch um die Seele wie ein rauhes Fangnetz, aus dem sie sich mühsam herausarbeiten muß, um den Tag beginnen zu können. Es ist einer dieser üblichen Nichtmitmachen-Träume, Danebenstehen-Träume, die Variationen sind geringfügig, und Augusta kennt nahezu jedes Detail bis zum erschöpften Überdruß. Sie weiß auch, daß das lebensmüde Gefühl schließlich irgendwann vergeht, daß der Tag auch nach einem solchen Aufwachen gelegentlich optimistische Momente bieten kann. Gut wäre es jetzt, wenn sie bereits im Bett um sich schlagen könnte, eine wirksame Zauberformel sprechen, vielleicht auch schreien, sich den Kopf irgendwo anstoßen, damit ihr Hörner wachsen oder Schlangenhaare, und mit den Pantoffeln nach etwas werfen, theatralisch, aber was wäre schon solch ein dilettantisches Realitätenspiel gegen die tödliche Profidramatik ihrer Träume?
Übermorgen wird Augusta siebenunddreißig Jahre alt. Sie ist sehr hellhäutig, rotblond und üppig. Sie lächelt viel und sagt selten nein. Die meisten Menschen halten Augusta für einen starken Felsen, an dem man sorglos festmachen kann. Es gibt allerdings auch Leute, die in Augusta etwas Hexenhaftes sehen. Grundsätzlich ist sie nicht dagegen, aber da sie sich vor den eigenen Möglichkeiten mehr fürchtet als vor allem andern, versinkt sie meist schon in melancholische Ungläubigkeit, bevor sie noch ihre zweifellos vorhandenen Kräfte nutzen kann.
Augustas Kopf ist benommen, und ihr Herz ist schwer. Der Unfähigkeit, ihr Traumnetz zu zerreißen, gibt sie wie üblich nach und zieht es enger um sich, stellt sich dem harten Druck, indem sie sich weich macht: Ja, ich gehöre nicht dazu, ja, ich stehe nur daneben, ja, ich lebe nicht, liebe nicht, leide nicht, alles ist ein Spiel, man muß nur darauf achten, daß man die Rollen nicht durcheinanderbringt.
Auf diese Weise wirst du dich eines Tages selbst ersticken, würde Augustas Freundin Kitty hierzu anmerken. Doch obgleich Kitty nahezu alles Mitteilbare über sie weiß, muß Augusta in diesem Moment seufzend denken: Kitty, was weiß denn die...!
Neben Augusta in dem breiten Doppelbett liegt ihr Ehemann Manuel, ein langer, schmaler Jüngling von vierundzwanzig Jahren, nackt und schön. Seine blonden Haare kringeln sich schlaffeucht im Nacken, über den Augen trägt er eine schwarze Binde, und aus den Ohren schauen ihm rosaweiße Ohropaxpfropfen. Manuel liegt auf der Seite, seine beiden Arme umschlingen locker Augustas Oberkörper. Manuels Geist ist unerreichbar, und seine fünf Sinne sind auf drei reduziert. Sollte es Augusta darum nicht möglich sein, ihren Körper dem seinen zu entziehen, um sich, wenn schon nicht mit Pantoffelwerfen und Hexengeschrei, so doch mit Kniebeugen und heißem Kaffee in den Tag hinüberzuretten? Doch leider leidet Manuel, so autark er sich auch mit seiner audiovisuellen Abschirmung gibt, an Verlassensängsten, und alle seine verbliebenen Sinne reagieren, kaum bewegt sich Augusta geringfügig seitwärts, in aggressivem Selbstschutz.
»Laß mich los, Manu«, sagt Augusta scharf. »Ich will aufstehen«.
Natürlich verhindert das Ohropax, daß Manuel ihre Worte aufnimmt, ja daß er überhaupt erwacht. Seine Träume sind im Gegensatz zu denen von Augusta mild leuchtend und wonniglich, Kinderträume, in denen ihm sanfte, selbstlose Mütter zum ewigen Gelingen verhelfen.
Hexen, so hat Augusta begreifen müssen und als tristes Prinzip formuliert, sind im Grunde ihres Wesens unfruchtbar. Sie können zwar etwas anrichten, vorzugsweise Böses, aber sie können nicht produzieren. Deshalb kriegen die meisten Hexen auch keine Kinder, und wenn, dann sind dies Krielkröpfe und Kretins, mißgestaltete Wechselbutten, die sie dann anderen Wöchnerinnen unterschieben, um sich deren schöner Kinder zu bemächtigen. Augusta hat sich lange, obgleich ihr die Angst vor dem Krielkropf dabei immer im Nacken saß, um den Gegenbeweis bemüht. Inzwischen hat sie wohl aufgegeben und sich ihren schönen Ehemann Manuel zum Kind gemacht, ob ihm dies nun gefiel oder nicht. Aber es gefällt ihm, verdammt noch mal, es hat ihm zu gefallen, zumal sie so ungemein großzügig mit ihm ist. Sie tut als aufopfernde Mutter alles für ihn und immer nur das, was er will. Doch natürlich sorgt sie dafür, daß er gar nicht mehr anders kann, als das zu wollen, was sie will, was er will, und auch hierbei muß man sehr auf der Hut sein, daß man die Rollen nicht durcheinanderbringt.
Nein. Es stimmt nicht, daß Augusta aufgegeben hat. Sie würde es wohl gerne tun, würde um des lieben Friedens willen ihr Verlangen endlich zur Ruhe betten, doch das ist ihr unmöglich. Augusta sehnt sich nach Mutterschaft, so schmerzlich und verzweifelt, daß sie gelegentlich ausweichen muß in seelisches Niemandsland, dorthin, wo die Phantasie zur Realität wird und die Realität nicht mehr schmerzt. Es ist Kittys größte Angst, daß Augusta eines Tages von einem solchen Ausflug nicht mehr zurückfinden wird.
Manuels gerade zuvor noch schlaff entspannte Arme werden, durch Augustas Bewegung alarmiert, zu eisernen Reifen, die sich fest um den weichen Frauenkörper schließen, er wird sich seine Mutter nicht nehmen lassen! Hilflos hängt Augusta, nun doppelt gefangen, in seinem und in ihrem Traum. Manuels halb offener Schlafmund gleitet an ihrem Hals herunter, zielstrebig wie ein blindes Zicklein auf der Suche nach Nahrung. Augusta kann sich nicht rühren, denn so schmal und kindlich mager Manuels Körper wirkt, so muskelhart ist er – dreimal wöchentlich eine Stunde Bodybuilding.
Schon hat der Babymund die Brust erreicht und saugt sich fest, während das knochige Bubenknie sich zwischen Augustas Schenkel drängt, nicht, wie Augusta wohl weiß, aus sexuellem Verlangen, sondern aus Besitzanspruch. Augusta versucht mit aller Kraft, an etwas anderes zu denken, etwa an den heißen Kaffee, der sie erwartet, an die Verabredung mit Kitty, ja sogar an ihre buchhalterischen Arbeiten, die sie sich für diesen Morgen vorgenommen hat. Doch Manuel mit seinem Kindermund und seinen Stahlarmen zwingt sie zurück in sich selbst und ihre Träume. Ach, lieber Gott, gib mir den grauen Alltag, die Zahnbürste, die volle U-Bahn, den Ärger mit dem Vermieter, ach, lieber Gott, bewahre mich vor meiner Innenwelt!
Augusta sinkt zurück in das Versagen, Nichtmitmachenkönnen, Danebenstehen. Ein Liebesverlangen, mit dem sie doch nichts anzufangen weiß, durchwandert sie ohne Hoffnung. Der Knabe an ihrer Brust ist kein Kind mehr, ist ein erwachsener Mann, der sich früher einmal auch als solcher zu gebärden wußte. Doch dann hat Augusta ihn verzaubert, hat ihn hilflos und abhängig gemacht, zum Knäblein klein an der Mutterbrust; er hat sich nicht gewehrt. Augusta liegt da und träumt. Plötzlich kommen ihr die Tränen über die Ergebnisse ihres faulen Zaubers, über dieses knochenharte, fremde Wesen, groß oder klein, das sich zwar von ihr nährt, sie aber doch nie zur Mutter hat machen können. Augusta will nicht mehr. Sie faßt plötzlich Mut, schreitet zur Tat. Sie reißt Manuel die Binde von den Augen und die Stöpsel aus den Ohren und fährt ihn an: »Verdammt, Manu, hör auf mit den Spielchen, sei doch endlich einmal ein Mann!«
Der Knabe an ihrer Brust zuckt zusammen. Noch halb im Schlaf befangen, richtet er sich auf, starrt seine Mutterfrau an, und plötzlich dehnt er sich, sprengt die enge Kinderhaut entzwei, wächst und wächst und wird tatsächlich zum Mann, zu einem vierundzwanzigjährigen, voll ausgewachsenen, gesunden, mit normalen Bedürfnissen versehenen Mann, der genau das tut, wozu er gerade aufgefordert worden ist. Er wirft sich auf seine Gattin und vollzieht die Ehe, sozusagen. Augusta ist anfangs schreckensstarr. Doch dann kommt sie zu sich, erkennt plötzlich ihren Irrtum und beginnt zu schreien, grell und laut, worüber Manuel sich so sehr erschrickt, daß er von ihr abläßt und zurückzuckt, als wäre sie ein gefährliches, wildes Tier. Augusta macht sich seinen Schock zunutze und springt aus dem Bett. Immer noch laut schreiend, trommelt sie gegen die Wand. So löst sie sich aus dem Traum und stürzt, plötzlich nicht mehr gehalten, kopfüber hinein in die Realität; und mit ihr Manuel. Der weiß nicht, was ihm passiert ist und starrt die trommelnde Furie an:
»Augusta...?«
»Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr«, schreit Augusta. Woraufhin Manuel gekränkt bemerkt: »Jetzt hast du mich aufgeweckt. Das war sehr unfair von dir. Du weißt schließlich, wie nötig ich meinen Schlaf brauche.«
Augusta läuft in die Küche und holt nun endlich ihren Kaffee. Entsprechend Manuels Bedürfnissen, trägt auch sie kein Nachtkleid, doch hat sie an mehreren Stellen der Wohnung leichte seidene Kimonos in Ostereierfarben aufgehängt, in deren einen, den blauvioletten, sie sich hüllt. Augusta ist fast einsachtzig groß und (meistens) entschieden zu dick, wie sie selber meint; (meistens) kein Gramm zuviel nach Kittys Expertenurteil. Eine Maillol-Figur, marmorglatt und trotz der Fülle leichtfüßig und perfekt proportioniert. Dazu schmale, sehnige Hände und überlange Füße. Ein Wunder, sagt Kitty, Giacometti-Füße an Maillol-Beinen, so etwas kann tatsächlich nur dem Schöpfer einfallen. Kitty hat Augustas Füße und Unterschenkel oft gezeichnet, radiert, auf die Leinwand gebannt und schließlich sogar in Bronze gegossen. Ein solches Bein steht im Bücherbord im Wohnzimmer. Manuel ist nie auf die Idee gekommen, daß es sich etwa um Fuß und Bein seiner Frau handeln könnte, und er benutzt es gerne als Türstopper.
Als Augusta in Blauviolett den ersten Schluck glühendheißen Kaffee getrunken hat, überkommt sie die Angst. Sie kann es nicht ertragen, wenn Manuel beleidigt ist, ein langer, leerer Tag steht ihr bevor, in dem sich die Traumreste vermischen werden mit Manuels kühler, hochmütiger Mißbilligung. Gleich wird er aufstehen, wird schweigend an ihr vorbeigehen, die Tür zu dem großen, salonähnlichen Badezimmer hinter sich verriegeln und dort eine Stunde lang sich selbst hingegeben sein, einsam und trotzig, wird Gymnastik machen, Radio hören und Teile seiner nächsten Rolle repetieren. Er wird verzückt in sein Spiegelbild schauen, wird das Jacuzzi sprudeln lassen und seinen Bubensex befriedigen, mit sich selbst, dem Jacuzzi, seiner Rolle, seiner Phantasie. Wenn Manuel im Bad ist, kann Augusta nicht ins Bad. Und da die Wohnung nicht über zwei Bäder verfügt, muß Augusta warten, bis Manuel fertig ist. Ohne Morgendusche ist es für Augusta unmöglich, den Tag zu beginnen. Abends das Gebet und morgens die Dusche – so ist das nun einmal. Seit jeher neigte Augusta dazu, Regeln, denen sie sich ursprünglich wegen geplanter Daseinshilfe leichtfertig unterworfen hatte, zu eisernen Barren zu verformen.
Sie kann nur dasitzen und warten, bis Manuel schließlich herauskommt, wortlos seinen Orangensaft herunterkippt und sich zum Joggen in den Hydepark begibt. Nun wird zwar das Bad frei und die Wohnung leer sein, doch Augustas Seele wird mauern, unter der Dusche, beim Schminken, Ankleiden, Kämmen ihrer langen roten Kräuselhaare. Ein steinerner, fremder Phantasiemanuel wird auf dem Badewannenrand sitzen und seine hilflose Gattin in ihre Einzelteile zerlegen, in ihre Lebensunfähigkeit, Trägheit, Freßsucht, Verlogenheit, in ihre Falten, ihr Doppelkinn, ihre schiefen Zähne, ihre Kurzsichtigkeit, ihre breiten Hüften, ihre großen Füße.
Augusta stürzt den Rest des Kaffees herunter und läuft mit flatterndem Blauviolett zurück ins Schlafzimmer.
»Manu ...?«
Er starrt an die Decke.
»Manu, Liebster, ich habe es nicht so gemeint.« (Was eigentlich?) »Willst du Kaffee oder Saft?« Sie weht noch einmal in die Küche zurück, kommt mit einem Glas Orangensaft in der einen Hand und Kaffee ohne Milch und Zucker in der andern zurück.
»Du mußt doch heute fit sein, lange Proben, abends Vorstellung.« Manuels Blick fährt kühl über ihr Gesicht, scheint von dem, was er sieht, gelangweilt und wandert auf das Glas in ihrer linken und von dort zum Kaffee in ihrer andern Hand. Dabei muß der Blick kurz vor ihrem Hals passieren und das Dekolleté, über das sich die dünne blauviolette Seide spannt. Augusta kennt den Blick ihres Mannes nur allzu gut. Sie seufzt verstohlen. Mit einer unmerklichen Bewegung ihrer Schultern schiebt sie den Kimono zur Seite, beugt sich über Manuel. Nach wir vor hält sie rechts und links die Getränke fest in den Händen. »Manu«, sagt sie ernsthaft, »ich habe darüber nachgedacht, daß du die fragliche Szene mit Ophelia noch einmal überdenken solltest. Du spielst das gar zu knochentrocken.«
»Das ist ja auch trocken gemeint.«
»Glaube ich nicht. Das ist eine Sexszene. Schließlich ist Hamlet ein junger Mann und sehr heißblütig. Should I lie in your lap?«
Manuel runzelt die Stirn. »Nicht ›should‹«, sagt er, »shall, shall I lie in your lap.«
Augusta stellt vorsichtig die beiden Getränke auf den Nachttisch. »Und Ophelia hat eine sehnsüchtige Phantasie. No, my Lord.«
Manuel kann nicht anders, er muß den Text aufnehmen: »I mean, my head upon your lap?«
»Ay, my Lord.«
Augusta schiebt sich zurück auf das Ehebett und zieht ihren Mann zu sich. »Do you think I meant country matters?« murmelt Manuel.
»I think nothing, my Lord, that’s a fair thought to lie between maids’ legs.«
»Natürlich«, sagt Augusta, »einer der besten.«
»What is, my Lord?«
»Nothing.«
»You are merry, my Lord.«
»Who, I?«
»Ay, my Lord.«
»O God, your only jig-maker. What should a man do but be merry? For, look you, how...«
Augusta verhindert den weiteren Text, denn jetzt würde Prinz Hamlet wieder auf seine Mutter zu sprechen kommen, und darauf kann Augusta verzichten.
Augusta seufzt. Resigniert nimmt sie den schweren linken Busen in die rechte Hand und stopft damit ihrem kindlichen Hamlet den Mund. Und der ist es zufrieden, denkt nicht mehr an seine Rolle – oder vielleicht doch, wer weiß das? – und nährt sich von Augustas Kraft, bis er schließlich matt und satt von ihr ab und sogleich in den zuvor so rüde unterbrochenen Schlaf zurückfällt.
Augusta steht in dem großen Badezimmer und betrachtet sich traurig im Spiegel. Das da bist du, könntest du nicht versuchen, dich mit dir selber etwas besser abzufinden? Dieses ewige Gezanke nutzt doch nichts, es stößt höchstens ab. Der Gegenstand meines Mißfallens ist meine wabernde Weiblichkeit, diese siebzig Kilo schwere Last, nicht einmal zur Fortpflanzung zu gebrauchen. Hat eigentlich noch nie jemand ein Stück geschrieben über solch einen Weiberkörper wie den meinen, der sich nach Kindern sehnt und immer nur Männer anzieht? Ich könnte einmal Aykbourne fragen, Allan. Der schreibt ohnehin soviel, und vielleicht ist er ganz froh über eine Anregung, ich kenne ihn zwar nicht, aber das ließe sich einrichten. Vielleicht schreibt er mir solch ein Stück. Und beim Anschauen würde mir ein Licht über mich selber aufgehen. Die Schauspielerin müßte aussehen wie ich, wenn man das jemandem zumuten könnte, Sommersprossen, hellrote Haare überall, also zugegeben, die Haare könnte ich mir wieder abrasieren, Schamhaare und Achseln und Kopf, habe ich schließlich schon einmal getan, damals mit achtzehn Jahren, als sie mir den armen kleinen Carlos wegnahmen. Genützt hat es nichts. Nach drei Monaten Edelklapsmühle war das Haar nachgewachsen und ich geheilt. Niemand hat begriffen, warum ich mir ausgerechnet an die Haare gegangen bin, ich selbst eigentlich auch nicht.
Das Telefon klingelt. Ohne hinzusehen, greift Augusta zum Badewannenapparat.
»Was ist denn los, um Gottes willen«, sagt Kitty, »du wirkst schon wieder deprimiert.«
»Ich habe doch gar nichts gesagt.«
Kitty zieht hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein. »Ach, Augusta«, sagt sie, »ach, du armer Idiot. Wann kommst du?«
»Während der Abendvorstellung.«
»Keine Gruppe heute?«
»Doch, eigentlich schon...»
»Na und?«
»Mir ist heut nicht danach.«
»Dann ist es um so wichtiger, daß du gehst. Was hast du zu essen im Haus?«
»Hör auf, mich herumzukommandieren.«
»Ich kommandiere dich nicht herum, ich interessier’ mich nur für dich. Was macht Manuel heut Mittag?«
»Probe, nehm’ ich an.«
»Dann komm doch so gegen ein Uhr. Ich bin im Atelier. Ein paar von den neuen Klimt-Stoffen sind da, und auch das Emilien-Kleid ist fertig. Und nachher kommt dieser Kunsthändler, der Serafino Baker von der Vienna Fine Art, erinnerst du dich an ihn, also, der will vorbeischauen. Es könnte eine wichtige Verabredung werden. Aber falls du jetzt bereits Hunger hast, kommst du besser sofort. Bitte, Augusta! Augusta?«
Augusta ist der Hörer aus ihren Händen gerutscht, an der blauen Spiralschnur wippend, schlägt er gegen die Badewanne. Als Augusta sich hinunterbeugt, den Hörer samt der energischen Freundinnenstimme wieder hoch- und an ihr Ohr zu heben, kommen ihr plötzlich die Tränen.
»Was ist denn«, dröhnt Kitty aufgebracht, »hast du wieder schlecht geträumt?«
»Mir ist nur der Hörer weggerutscht«, schluchzt Augusta, »ich bin im Badezimmer.«
»Und wo ist Manuel?«
»Der schläft noch, es war spät gestern.«
»Aha. Und bekanntlich brauchen kleine Kinder viel Schlaf. Also laß ihn und komm am besten rüber. Wirklich gleich, Augusta, ich mache mir sonst Sorgen. Bye, bye, sweetheart, see you in half an hour.«