Читать книгу Kitty und Augusta - Helga Hegewisch - Страница 5
AUGUSTA, KITTY UND SERAFINO
ОглавлениеAls Kitty zurückkommt in ihr Atelier, sitzt Augusta dort und unterhält sich mit Serafino. Vor den beiden auf dem polierten Stahltisch steht eine geöffnete Champagnerflasche, dazu mehrere Gläser, in einer Jugendstilschale liegen sogar japanische Ricecrackers, bravo, Mary, daneben ein großes Buch mit vielfarbigem Schutzumschlag: »Gustav Klimt und Emilie Flöge«. Kitty entschuldigt sich, sie wäre nur rasch zur Post gegangen, ein dringendes Paket. Serafino windet seinen schweren Körper aus dem Korbsessel und küßt Kitty die Hand. Soviel Kitty bekannt ist, hat Serafino nie länger in Wien gelebt, doch besteht er auf gewissen Gepflogenheiten, die als besonders wienerisch gelten. So liebt er es auch, sein erstaunlich gutes Deutsch, das normalerweise nach Goethe-Institut klingt, gelegentlich mit einigen knarrenden Prater-Untertönen zu durchziehen, was Kitty jedesmal eine Gänsehaut über den Rücken jagt. »Ich habe Ihnen das versprochene Buch mitgebracht«, sagt Serafino zu Kitty, »es wird Sie anregen.«
»Du bist spät«, sagt Kitty zu Augusta, »ich hab’ schon bei Manuel nachgefragt.«
»Hättest ihn schlafen lassen sollen«, murrt Augusta.
»Schön, daß Sie da sind«, wendet sich Kitty an Serafino, »ein paar Erfahrungen aus dem Buch habe ich schon vorweggenommen.«
»Wie konnten Sie das?«
»Siebter Sinn«, lächelt Kitty und läßt ihren Blick forschend über Augusta gleiten. Diese hat ihre Haare fest unter einem schwarzen Tuch verpackt, trägt ihre älteste hochgeschlossene Jacke über Jeans und ausgetretenen flachen Schuhen. Eine dunkle Sonnenbrille verdeckt ihr die Augen. Das Sektglas vor ihr scheint sie kaum angerührt zu haben, während das von Serafino bereits leer ist. Kitty gießt ihm nach.
»Und was haben Sie bei den Punks gemacht?« fragt Serafino, wobei sich sein weicher Mädchenmund zu einem Lächeln verzieht. Kitty starrt auf das feuchte Rosa unter dem borstigen Schnurrbart und kann sich nicht entscheiden, ob sie das Lächeln als schüchtern oder als maliziös einstufen soll.
Sie zuckt die Schultern. »Ach, lassen wir das«.«
Serafino nickt bedächtig. »Selbstverständlich. Jeder muß für sich selbst entscheiden, wo er sich seine Anregungen holt.«
»Wieso Punks?« fragt Augusta.
»Als ästhetisches Phänomen sind sie ja weiß Gott nicht uninteressant«, redet Serafino weiter, »allerdings bin ich überzeugt, daß...«
»Ich weiß«, unterbricht ihn Kitty ungeduldig, »ich weiß, was Sie sagen wollen. Und ich bin ja auch ganz Ihrer Meinung. Sonst würde ich meine Arbeit anders angesetzt haben. Die Punk-Kultur ist am Ende, hat sich selbst überlebt. Das war nicht anders zu erwarten, zuerst stellen sie Zerstörung nur dar, dann zerstören sie sich selbst, das wollten Sie doch sagen...?« (Was rede ich hier für einen Unsinn. Welcher von meinen Banknachbarn heute wird schon sich selbst zerstören? Über kurz oder lang werden die ihre sozial abgesicherte Kehrtwendung vollziehen und ewig von ihrer schönen Jugend träumen. Bin ich denn verrückt, Serafino so über den Mund zu fahren?)
»Was hast du bei den Punks gemacht?« fragt Augusta.
Kitty wirft ihr einen scharfen Blick zu. »Kannst du mir einen Gefallen tun, Augusta, Liebste?«
Augusta zuckt zusammen. Kittys Blick und das affektierte »Augusta, Liebste« wirkt auf sie wie das Knallen einer Dressurpeitsche.
»Komm mit mir nach nebenan«, fährt Kitty fort, »das erste Objekt für die Ausstellung ist fertig. Ich habe die halbe Nacht daran gesessen, um heute Serys Meinung zu hören. Ich weiß selbst noch nicht, was ich davon halten soll, sei ein Schatz und zieh es für uns an, bitte...!«
»Ich...?« fragt Augusta kläglich.
»Ich würde es ja sonst selber tun, aber dann könnte ich’s nicht von außen betrachten.«
»Aber doch nicht ausgerechnet ich.«
»Augusta...!« Ein weiterer Peitschenknall. Serafino blickt aufmerksam von einer zur andern. Er kennt Augusta kaum, hat nur gehört, daß sie mit diesem schwulen Engel von der New Original Shakespeare Company verheiratet ist und daß Kitty und Augusta alte Freundinnen sind. Freundinnen – die Domina und ihre ergebene Gefährtin, oder was? Wenn Kitty tatsächlich ihr »Objekt« wirkungsvoll vorführen will, denkt Serafino, dann sollte sie es doch wohl besser selber tun, als ihre mürrische Freundin damit zu belästigen. Kitty, schmal, dunkel, knochig, ganz der moderne Typ, so, wie jede Frau heute aussehen möchte. Wenn ich die Ausstellung wirklich mache, was ich noch sehr bezweifle, dann wird sie sich doch vor allem an diese sehr trendbewußten, reichen Frauen wenden, die zwar meist keineswegs so schön sind wie Kitty, denen man Schönheit deshalb jedoch um so intensiver vorgaukeln muß.
»Warum nicht doch Sie selber, Kitty, und ich sage Ihnen dann, was Sie von Ihrem Werk zu halten haben?«
»Shut up, Serafino«, faucht Kitty ihn an.
»O dear«, seufzt Serafino glücklich.
Kitty weiß, daß sie sich jetzt durchsetzen muß, jetzt sofort. Wenn sie noch einen Augenblick länger wartet, wird das Mitleid mit Augusta wieder einmal Oberhand gewinnen. Sie greift nach dem Arm der Freundin. »Also komm jetzt«, sagt sie betont ruhig, »du wirst doch nicht verlangen wollen, daß Mary Emiliens Rolle spielt?«
Tatsächlich steht Augusta auf und läßt sich von Kitty ins Nebenzimmer ziehen.
Serafino wartet.
»Was soll das?« fragt Augusta, als die Tür hinter ihnen geschlossen ist.
»Tut mir leid, du mußt das für mich tun. Ich will auch nicht darüber reden, nicht jetzt. Nachher kannst du mich anschreien. Mary... Mary, würdest du mal bitte kommen und Augusta beim Anziehen helfen? Ich hab’ dir alles genau erklärt, das Vorbild klebt am Spiegel. Und vergiß auch die Haare nicht.«
Kitty stürzt nach hinten aus dem Zimmer, durch die Küche, dann nach oben in ihr Bad. Die Schmerzen im Magen sind wieder da, und sie hat das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sie läßt sich auf den Wäschepuff fallen und versucht, tief durchzuatmen. Wenn sie jetzt nur das Übelkeitsgefühl so weit unterdrücken kann, daß die Tabletten nicht sofort wieder hochkommen. Erst der Whisky, ein halbes Zahnputzglas voll. Wenn der drei Minuten drinnenbleibt, ist es geschafft. Hoffentlich läßt Augusta mich nicht im Stich. Aber nein, das würde sie nicht tun, sie hat mich noch nie im Stich gelassen, vorausgesetzt, ich behandele sie richtig. Ich hätte mir rechtzeitig eine passende Geschichte für sie ausdenken müssen, dann wäre es leichter gewesen, und sie hätte ihre Rolle perfekt gespielt. Aber dafür war keine Zeit. Warum habe ich sie nicht schon längst an das alte Bild erinnert, an unsere Zeit in Wien damals? Habe ich mich etwa geschämt, oder habe ich es vielleicht sogar selbst vergessen, ich meine die Geschichte? Bei Bedarf füreinander aufzuopfern... Kinderspiele. Den Whisky hübsch langsam, Schluck um Schluck. Das scheint ja zu klappen. Achtgeben, daß es nicht zuviel wird, sonst verwischt sich die Kontrolle.
Ein paar Minuten später geht Kitty langsam die Treppe hinunter. Sie duftet nach Zahnpasta und nach einem herben Männerparfüm. Ohne noch einmal nach Augusta und Mary zu schauen – jede Diskussion muß jetzt vermieden werden –, geht sie zurück ins Vorzimmer zu dem wartenden Serafino, der inzwischen die Champagnerflasche fast leer getrunken hat. Sie bleibt hinter seinem Sessel stehen und legt ihm die Hände auf die Schultern.
»Alles in Ordnung?« fragt er.
»Ich glaube schon«, sagt Kitty und beginnt, ihm mit ihren kräftigen, trotz der neuerlichen Verzärtelung durch Chiffon und Seide immer noch bildhauerharten Fingern den Nacken zu massieren. Außer beim Ritual der Begrüßung ist sie noch nie mit diesem Mann in körperliche Berührung gekommen, sie ist noch nie Arm in Arm mit ihm eine Straße entlanggegangen, ist nie in einer dichten Menschenmenge gegen ihn gedrückt worden oder hätte gar seinen unbekleideten Körper, etwas schweißnaß in der Sauna, betrachten können. Woher soll ich denn wissen, wie dieser Mensch reagiert, denkt sie, worum es bei ihm geht, was ihn anzieht, was er verabscheut, was er zum Beispiel von seinem Besuch hier erwartet, ob es ihm überhaupt ernst ist mit der Ausstellung, ob ich ihm nicht ganz umsonst Augusta als Köder vorwerfe. Letztlich wird es mir auch nicht allzuviel nützen, wenn ich herausfinde, ob seine Halssehnen angespannt sind und ob er es klaglos ertragen kann, wenn ich ihm die Nerven an der Schädelbasis abdrücke. Aber ich werde doch ein wenig mehr von ihm wissen.
»Auf was wollen Sie mich vorbereiten?« fragt Serafino.
»Geduld, Geduld«, antwortet Kitty und konzentriert sich auf ihre Hände. Seine Rückenmuskulatur ist weniger schlapp, als sie dachte, und der Hals ist trocken, der Hemdkragen sauber, die Sehnen ausgeprägt. Seine Haare sollte er sich lieber voller wachsen lassen, das würde seiner nicht eben schönen Kopfform zugute kommen.
»Meine Durchblutung ist bestens in Ordnung«, sagt Serafino, »Sie brauchen sie nicht noch extra anzuregen.«
Kitty beugt sich zu ihm hinunter. »Was ist das für ein Parfüm?« fragt sie.
»Keine Ahnung. Welche Sorte Whisky trinken Sie?«
»Ebenfalls keine Ahnung. Ich tue es wegen der Wirkung. Auf die Sorte kommt es mir nicht an.«
»Darauf kommt es aber doch an. Wegen nachher. Ich werde Ihnen ein paar Flaschen schicken lassen, garantiert magenfreundlich.«
»Das ist nett«, sagt Kitty, »auf Sie kann man sich verlassen.«
»Und wie geht es nun weiter?«
»Mary... Mary!« schreit Kitty so laut, daß Serafino zusammenzuckt. »Wie lange wollt ihr uns noch warten lassen? Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«
»Gleich«, kommt Marys Stimme zurück, »wir sind gleich soweit.«
»Vergiß nicht den Schal.«
»Geht’s nicht etwas leiser«, bittet Serafino.
»Und die Schuhe«, schreit Kitty mit unverminderter Kraft.
Mary steckt den Kopf durch die Tür, ein blasses Gesichtchen mit hochgebleichter Punkfrisur und schwarzgeränderten Augen. »Da sind keine Schuhe«, sagt sie.
»Ich meinte auch nur, daß sie ihre Latschen ausziehen soll«, flüstert Kitty.
»Barfuß?«
»Wie denn sonst?«
Mary verschwindet.
Schweigen.
»Es ist gut«, sagt Serafino schließlich und hält Kittys Hände fest. »Sie haben mich doch längst weichgeklopft. Nehmen Sie lieber etwas Abstand, die Geister, die ich rief... usw.«
»Besen, Besen, sei’s gewesen...«, sagt Kitty, nimmt ihre Hände zurück und setzt sich auf den andern Sessel. Dann geht die Tür wieder auf. Augustas Blick sucht unsicher den der Freundin. Kitty nickt ihr zu. »Du weiß doch, wir haben das Bild gesehen, damals in Wien. Unsere Geschichte war viel besser, als sie in dem Buch hier stehen könnte, auch wenn es, zugegeben, ein schönes Buch ist. Weiß du noch, weißt du noch, Augusta?«
Serafino starrt verblüfft auf das »Objekt«.
»Großer Gott, Emilie«, sagt er.
Kitty beißt sich auf die Lippen. Steif vorgebeugt sitzt sie im Sessel, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Hände unter dem Kinn verschränkt. »Ein wenig auf und ab gehen könntest du schon, Augusta, Liebste. Ich muß sehen, wie der Stoff die Bewegung verkraftet.«
Augusta scheint sich endgültig mit der Situation abgefunden zu haben. Auf bloßen Füßen beginnt sie auf und ab zu gehen, sich schließlich in Klimts Bild hineinzuleben, auch in das Spiel gegen die Wand, das die Freundin damals für sie betrieben hatte, Kittys Phantasiegeschichte von der strengen, herrschsüchtigen Emilie, der der arme, kleine Maler total ergeben war. Emilie, die alles von ihrem Klimt verlangen konnte, und es auch tat, die ihn gefangenhielt in einem Glaskubus, auf den von überall her grelles Tageslicht fiel. Dort hockte er und pinselte seine Stoffentwürfe für Emilie Flöges Modesalon. Und erst am Abend, wenn das Tageslicht verging, durfte er herauskommen, dann wurde er gefüttert und gebadet und ins Bett gebracht. Und manchmal durfte er sich sogar etwas Schönes wünschen, nicht etwa von Emilie – wie käme denn die zu so etwas! –, doch da waren genug andere Weibchen, die sich für ein kleines Beigeld und manchmal auch für ein blaugüldenes Flatterband dem geilen Gustav wärmend zur Seite legten. Das ging so eine ganze Weile, bis dem Klimt in seinem Glaskubus nichts Rechtes mehr einfiel und die Fürstin Metternich meinte, daß ein Maler erst einmal malen lernen sollte, bevor er Maler würde, und da hat dann eines Tages die Emilie den Klimt erwürgt, mit dem blaugoldenen Seidenschal, den sie auf dem Bild bereits um den langen schlanken Hals trägt.
Augusta greift sich an die Kehle und lockert die vielfach geschlungene Seide. Die roten Haare stehen ihr um den Kopf wie eine Drahtwolke, so kräftig hat Mary gegen den Strich gebürstet. Augusta verhält vor Serafino und gleitet nun endgültig in die vorgestellte Emilien-Rolle, sie stützt den linken Arm, dessen Haut durch den Chiffon hindurchschimmert, auf die Hüfte, sie dehnt die schlanken Finger, reckt den Hals, wendet den Kopf schräg und schaut den Mann, der da vor ihr im Korbsessel hockt, herausfordernd an. Möchtest wohl gern etwas Schönes haben, ein Bonbon, ein Zärtelchen, ein Gutsle, möchtest wieder mal ein Babylein zeugen, eines von den vierzehn kleinen Gustavlein, die sich später einmal um dein Erbe raufen sollten, irgend etwas von der ganz besonderen Art. Man wird es sich überlegen, Herzi-Pinki, Schnicki-Schnacki, Hände abschmatzender Praterdepp, schon möglich, daß man letztendlich nicht abgeneigt war, aber erst kommt die Arbeit und dann das Spielchen, ab in den Kubus und Leistung zeigen, solange das Tageslicht noch währt, danach bleibt immer noch Zeit für den Würgegriff.
Das Kleid ist sehr tief ausgeschnitten, tiefer, als eigentlich beabsichtigt, denn Augustas Formen gehen über die normalen Maße weit hinaus. Zwischen dem strengen Schal und dem Miederansatz rechts und links, begrenzt von den durchsichtigen Vorderteilen der langärmeligen Robe, bietet sich dem Mann im Korbsessel ein weißes pulsierendes Halsrechteck, ein Brustansatz, wie er ihn, das weiß er in diesem Moment ganz genau, noch nie gesehen hat. Unwillkürlich muß auch er jetzt an die erotisierende Wirkung der Strangulierung denken, die einige Kunstkritiker dem Gustav Klimt bei seinem Emilien-Bild als Absicht untergeschoben haben und die er, Serafino, zuvor immer als exzentrisch abgelehnt hat.
Augusta, hoch aufgerichtet, steht und starrt den Mann an, läßt ihr Herz gegen die warme Haut pulsieren, nimmt sich nicht zurück wie gewohnt, dehnt sich gar noch und reckt sich und fordert heraus, denn sie ist ja nicht Augusta, sie ist die Geschichte, die Kitty ihr damals in Wien zusammengesponnen hatte als Schutz gegen die tödliche Ramon-Melancholie. Du bist stark und stolz, hatte Kitty gesagt, du hast den Homunkulus in seinem Glaskasten lange genug seine Pseudo-Leistungen vollbringen lassen, du bist sehr geduldig gewesen mit ihm. Doch genug ist genug. Nimm deinen Schal und erwürge ihn, wirf ihn in die Donau, da schwimmt er weg, wird kleiner und kleiner, bis du ihn schließlich aus dem Herzen verlierst.