Читать книгу Freundschaft - Helm Stierlin - Страница 17

Freundschaft ist etwas Mittleres

Оглавление

Freundschaft gilt in der heutigen Zeit als eine besonders stabile, befriedigende Beziehungsform – vielleicht als die befriedigendste Beziehungsform überhaupt. Da wundert es einen nicht, dass heutige Menschen viele Freunde und Freundinnen haben. Natürlich ist es schön, dass Menschen dankbar zur Kenntnis nehmen, dass viele Menschen ihnen gegenüber freundlich gesinnt sind – nicht feindlich –, dass sie gerne miteinander Zeit verbringen, sich immer einmal auch elektronisch kontaktieren. Aber ist das schon Freundschaft? Und wie viele Freundinnen und Freunde kann man haben? Vielleicht doch nur ganz wenige? Warum?

Freundin zu sein, sich zu befreunden, sich als Freundin in der Praxis zu erweisen durch die Zeitläufte hindurch, ist eine anspruchsvolle, befriedigende Beziehungsform, die gepflegt werden muss. Es ist eine Lebensform, die man freiwillig eingeht und die die wechselseitige Beziehung in den Mittelpunkt stellt: Menschen, die wohlwollend, wechselseitig verlässlich und daher vertrauensvoll miteinander umgehen, die Vertrauen wiederherstellen wollen, wenn es verloren geht, die Einseitigkeiten wieder ausgleichen wollen, wenn die Beziehung über eine gewisse Zeit aus triftigen Gründen einseitig sein musste.

Ich möchte die Freundin von einer bestimmten Frau sein. Sie gefällt mir, wir bringen einander Wohlwollen entgegen, wir wissen das voneinander, es ist ausgesprochen. Unser Wunsch, einander Freundinnen zu sein, ist aus freiem Willen erfolgt. Gewiss, wir gefallen einander, aber sind nicht so sehr voneinander angezogen wie von einem Liebespartner. Vielleicht ist das ja überhaupt das Wesentliche an einer Freundschaft: Sie hat etwas Ausbalanciertes, »Mittleres«. Liebe ist vorhanden, aber nicht zu viel, und auch nicht zu wenig, vor allem nicht eine alles bestimmende Leidenschaft. Abgrenzung ist selbstverständlich, aber nicht zu viel und nicht zu wenig. Jede Menge Wohlwollen macht indes die Freundschaft aus: Freundinnen wollen einander wohl, möchten das Beste für die jeweils andere; sie neiden nicht, oder nur vorübergehend – denn die Freundin, sie ist wie das andere Selbst. Natürlich können sie vorübergehend zerfallen sein miteinander, so wie man es auch mit sich selbst sein kann, aber nur vorübergehend, sonst zerbricht die Freundschaft oder man entfremdet sich. Wohlwollen, das Beste wollen für die andere, auch dafür sorgen, dass das Beste sich ereignet, muss wechselseitig sein. Der Wunsch, sich zu befreunden, kommt aus dem Wunsch, für diesen Menschen verlässlich da sein zu wollen, sich verlässlich binden zu wollen – freiwillig, weil es Freude macht –, weil Freundinnen einander herausfordern, inspirieren, anregen, Interessen teilen, sich miteinander freuen, einander beistehen, einander die Menschen sein können, auf die sie sich vertrauensvoll beziehen, wenn sie in Angst geraten, wenn sie gerade spüren, dass sie das Leben allein jetzt gerade nicht bewältigen können; Freundinnen und Freunde geben einander Geborgenheit. Das ist wohl einer der Gründe, warum es heute so attraktiv ist, viele Freunde zu haben – da wäre man auf der sicheren Seite. Das schafft man aber nicht so locker: Freundschaft ist Beziehungspraxis, erweist sich im praktischen Vollzug.

Freundschaft

Подняться наверх