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Jorges Vater

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Am Abend nach dem Dienst im Krankenhaus, war Jorge mit Familie bei seinen Eltern zum Essen eingeladen. Seine Frau Elena und die beiden dreizehnjährigen Mädchen, Mia und Carmen waren mit der Großmutter in der Küche und bereiteten das Essen vor, während die Männer im Wohnzimmer saßen und sich unterhielten. Jorge brannte es schon längst unter den Nägeln, endlich mit seinem Vater allein reden zu können. Sein Vater fragte ihn wie üblich zuerst, wie es in der Klinik lief. Jorge erzählte von seinen Fällen auf der gynäkologischen Abteilung. Da gab es allerdings nicht gerade viel Neuigkeiten. Er hatte alles im Griff. Dann fragte der Vater ganz nebenbei nach Carmen. „Gibt es etwas Neues bei ihr? Tut sie es noch?“ Jorge räusperte sich und sagte: „Ja, erst vorgestern wieder. Und weißt du was? Mia fängt jetzt auch damit an. Viel harmloser, noch. Bei ihr ist es anders, ganz anders, aber es scheint zu funktionieren. Carmen zeigt es ihr. Sie üben beide meistens heimlich, doch manchmal werde ich unerwartet Zeuge davon. Und dann schämen sie sich dafür. Ich weiß echt nicht, was ich machen soll. Es ist ja eigentlich nicht weiter schlimm, aber mir persönlich etwas unangenehm wenn ich sie dabei sehe, und ich glaube ihnen beiden auch, wenn jemand bemerkt, dass sie es getan haben. Ich hoffe nur, dass nie etwas passiert, wenn sie es tun. Vielleicht gibt es sich wenn sie älter werden. Der Vater sagte nichts mehr dazu und sie schwiegen nun eine kleine Weile, jeder in seine Gedanken vertieft. Irgendwann kam Jorge auf den Fall Inas zu sprechen. Der Vater sagte: „Ja, was für ein Drama. Ich habe davon gelesen. Eine junge, talentierte Frau und nun so etwas Unglückliches. Da stehen wir mit all unserer Medizin und Heilkunst wieder mal voll im Regen.“ „Jorge druckste irgendwie herum bis sein Vater schließlich genug davon hatte. „Jetzt sag schon, was los ist. Seit wann hast du Geheimnisse vor mir, das wäre ja ganz was Neues?“, sagte er. Endlich gestand Jorge seinem Vater, dass Jan sich in seine Patientin verguckt hatte.“ Und jetzt leide er wie ein Hund, weil er ihr nicht helfen kann. „Ich selber leide ebenfalls darunter, lass es ihn aber nicht so wissen.“ „Er ist mehr als mein Freund, und ich würde etwas darum geben, ihm helfen zu können.“ „Tja, sagte der Vater. Ab und zu passieren genau diese Dinge, die einen dann fast völlig aus der Bahn werfen. Da ist auch ein Arzt nicht gefeit davor. Ich mag Jan wie meinen eigenen Sohn, wie du weißt. Auch ich würde ihm sehr gerne helfen. Aber ich fürchte, dass wir da alle zusammen nur daneben stehen. Mein Gott, wie oft hab ich euch schon Mittelchen gegeben, die dem einen oder anderen weiterhalfen. Egal um was es ging. Ob zur Beruhigung ohne Medizin oder gegen Sodbrennen. Sogar gegen die Katzenallergie deiner Frau konnte ich helfen. Oder die Migräne bei deiner Mutter. Gegen so vieles gibt es einfache Dinge aus der Natur. Aber gegen unerfüllte Liebe und zerstörte Nervenbahnen gibt es nichts.“ „Oh man, dazu fällt mir jetzt glatt eine Geschichte aus meiner Jugend ein.“ Trotz des Ernstes des Gesprächs lächelte er. „Mein Vater erzählte mir vor vielen, vielen Jahren einmal eine Geschichte aus dem Dschungel Brasiliens. Mein Gott, wie komme ich gerade jetzt darauf? Daran habe ich ja schon ewig nicht gedacht.Wie du weißt, war er ja einer der ersten und eifrigsten Homöopathen des Landes. Er hatte irgendwann bei einer seiner Expeditionen in den Urwald einen Indio kennengelernt, der ihm wiederum im Vertrauen etwas Merkwürdiges erzählt haben soll. Dieser Indio hatte wohl als junger Mann auf einer Jagdreise mit zwei anderen Männern einen Unfall. Er brach sich dabei ein Bein, so erzählten ihm seine Stammesbrüder. Wie es der Zufall wollte, kam ihnen ein Trupp Jäger eines ihnen völlig unbekannten Volkes unerwartet zu Hilfe. Das ist wohl im Dschungel eine absolut seltene Ausnahme gewesen. Normalerweise gehen sich die Indianer allesamt aus dem Weg. Im Urwald vermeidet man das Zusammentreffen mit anderen, man bleibt besser unter sich. Aber der Zufall wollte es wohl, das sich an diesem Tag die beiden Jagdgruppen begegnen sollten. Jedenfalls behandelte einer dieser Fremden den jungen Indio wohl mit etwas ebenfalls völlig unbekanntem. Der Indio wusste anschließend genau so wenig wie seine Stammesbrüder, was es für ein Mittel war, dass ihm da so grandios half. Er bekam es anscheinend auch nie zu Gesicht, und wusste später nur zu berichten, das es seinen Bruch in vier Tagen geheilt haben soll. Das allein klingt heutzutage natürlich schon absolut lächerlich. Einen Bruch in vier Tagen heilen, vollkommen unmöglich. Siehst du, und deswegen lächele ich. Es hat wohl scheinbar in allen Kulturen und zu jeder Zeit, und zudem überall auf der Welt, den Glauben an etwas Überirdisches, etwas Zauberhaftes gegeben. Also auch im Regenwald. Ich erinnere mich an meine Studienzeit. Da sprachen wir alle vom heiligen Gral, von der sagenumwobenen, verschwundenen Bundeslade. Keiner wusste, um was es da eigentlich ging, aber alle redeten wir davon, dass es unheimlich wichtig sein müsse. Denke nur an die griechische Mythologie, das goldene Vlies, Troja, die Zerberusse. Zeus, die Heldensagen. Aber Sagen, Legenden und Mythen werden immer das bleiben, was sie darstellen sollen. Mysteriöses, gewünschtes. Und dieses lockende unerreichbare, hat noch viele weitere Namen: Der Apfel der Erkenntnis, das Füllhorn, Tischleindeckdich, der Trank der ewigen Jugend, der Stein der Weisen, der Jungbrunnen, Excalibur, El Dorado, Atlantis. Sternschnuppen, vierblättrige Kleeblätter, Wünschelkraut. Alles Gedankengebilde der Menschen mit Wünschen versehen. Die Druiden, die Alchemisten, die Priester, die Schamanen und Gurus, das waren schon immer diejenigen, die weiter sehen konnten als der normale Mensch in seiner Unkenntnis der Zusammenhänge. Das waren allesamt Betrüger am Menschen. Und so wird es immer weitergehen. Die einen wünschen sich in ihrer Schlichtheit und vielleicht aus einer Not heraus etwas, und die anderen streuen Gerüchte und angebliche Wahrheiten, um daraus Kapital zu schlagen und sie in Wirklichkeit zu manipulieren. Jetzt bekommt die Galerie diese wundersamen, komischerweise nie erreichbaren Dinge Zuwachs durch dieses angebliche Wundermittel der Indios, an die ich schon so lange gar nicht mehr gedacht hatte. Die unbekannten Indios nannten es nämlich: „Tränen der Götter“. Was für ein gewaltiger Name! Der passt aber gut in die Reihe der anderen frommen Wünsche und Märchen. Wenn wir so was hätten, ja, dann gäbe es Hoffnung für viele. Vielleicht sogar für Fälle wie Ina Stephan.“ Jorge ließ seinen Vater komplett aussprechen, ohne ihn auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Als er merkte, dass der im Moment dazu nichts mehr zu sagen hatte, sprach er. „So weit, so gut, Papa. Du hast dabei nur ein paar unwesentliche Kleinigkeiten ausgelassen. Und zwar die Kräfte, die niemand so richtig erklären kann. Telekinese, Telepathie, Teleportation und die ganzen anderen unbewiesenen, aber vorhandenen Kräfte. Kryokinese, das plötzliche einfrieren von Dingen, Pyrokinese, das plötzliche entflammen von Dingen, Omnilingualismus, das Verstehen und Beherrschen aller Sprachen und Dialekte. Replikation, das selber Vervielfältigen an verschiedenen Orten. Ich kann mich an meine Jugend erinnern. Ich las immer die Romane über Perry Rhodan. Dort gab es immer Mutanten, die alle möglichen Kräfte in dieser Art besaßen. Und auch heute gibt es genug Zeugnisse von all diesen Dingen, Kräften und Vorkommnissen. Es gibt Menschen mit fotografischen Fähigkeiten, lebende Magnete, mathematische Superhirne die jedem Computer beweisen können, das er einen Tritt verdient hat. Alles Mögliche an Kräften und Fähigkeiten gibt es. Ist das nicht auch immer alles als Scharlatanerie abgetan worden? Das alles hat es nach Meinung derer, die es ja angeblich wissen müssen, nie gegeben und gibt es heute noch nicht. So wie du gerade über die anderen mysteriösen Dinge gesprochen hast. Wer sagt uns denn, dass es dieses Mittel wirklich nie gegeben hat? Nur weil es kein anderer kennt? Vielleicht ist es verschollen, aber dann könnte man doch danach suchen, oder nicht? Troja war auch nur eine Legende und erwies sich nach tausenden Jahren als real. An Penicillin glaubte auch erst niemand. Ein Mittel wie Viagra galt als unmöglich. Erst ein Robert Koch musste uns den Zusammenhang von Krankheiten und Bakterien nahebringen, bevor man daran glaubte. Fliegen war vor hundertfünfzig Jahren ein Unding für den Menschen. Und die Erde war für die Menschheit lange Zeit eine Scheibe, bevor mutige Männer endlich das Gegenteil bewiesen. Wie würdest du das denn nennen, was meine beiden Töchter machen? Kindliche Fantasie oder pubertäre Spinnerei vielleicht? Oder willst du das auch leugnen? Wach auf Vater, bitte. Es gibt mehr Dinge, von denen auch Gelehrte wie du keinerlei Ahnung haben, als uns allen vielleicht lieb sein kann. Dinge die hilfreich sein können oder das genaue Gegenteil bedeuten. Verschließe bitte nicht die Augen vor der Wahrheit, die eventuell unmittelbar vor dir steht. Gerade du als mein Vater nicht. Und jetzt erzähl mir bitte nochmal haarklein, was genau damals alles passiert sein soll, soweit du dich noch daran erinnern kannst.“

Der Mann, der den Teufel zweimal traf

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