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Felipe Reimbaldos
ОглавлениеDer Großvater Jorges, Felipe Reimbaldos, war noch in den dreißiger Jahren des jungen zwanzigsten Jahrhunderts auf Expeditionen in den Regenwald am Rio Negro, Orinoko und am Amazonas gewesen, um Indios kennenzulernen, seltene Tiere, und vor allem für ihn als Homöopathen persönlich wichtig, seltene Pflanzen zu finden und zu bestimmen. Pflanzen und Tiere bekam er mehr als genug zu Gesicht, mit den Indios war es schon um einiges schwieriger. Außer dem wenige hundert Menschen zählenden Stamm der Awas bekam er keine weiteren Indios direkt in ihrem Lebensraum zu Gesicht. Man wusste von Stämmen, die von Weißen drangsaliert, um ihr Land gebracht und verfolgt wurden. Einige wanderten ab und versteckten sich daraufhin noch viel tiefer im Regenwald. Andere stellten sogar die Kinderproduktion ein, da sie auf der Flucht nur hinderlich, und im Endeffekt somit die leichtesten Opfer waren. Goldsucher, Holzfäller, Gummizapfer und Glücksritter aller Art machten in den letzten hundert Jahren vielen Stämmen das Leben und damit das Überleben schwer. Es gab eine Menge Massaker an den Indios, und mancher kleine lokale Stamm wurde dadurch auch komplett ausgerottet. Die Indios hatten keine Lobby gegen Großgrundbesitzer, Farmer und Piraten aller Couleur. Niemand, inklusive der Regierung, war auf ihrer Seite. Und dennoch überlebten etliche Stämme in den Weiten des Regenwaldes. Die Organisation FUNAI wurde für sie ins Leben gerufen. In den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde ein weiteres unbekanntes Volk entdeckt. Die Yanomami. Das war eine Sensation, als die ersten Bilder eines Volkes auftauchten, die in ihrem Leben noch nie einen weißen Menschen gesehen hatten. Es dauerte auch nur ein paar Jahre, und diese armen Menschen litten und starben bereits an den Folgen ihrer Entdeckung. Meistens an simplen eingeschleppten Zivilisationskrankheiten, gegen die sie einfach keine Abwehrmechanismen hatten. Die FUNAI sorgte nach diesen Erkenntnissen dafür, das der Lebensraum aller Indios noch mehr vor den Weißen geschützt wurde. Bereits kultivierte Indios aller Art, liefen mittlerweile überall in den Städten des Landes herum. Aber unentdeckte, oder andere, die sich der Anwesenheit der Weißen bewusst waren und sich gerade deswegen im Dschungel vor der Außenwelt versteckende Indios, die ließen sich in der Regel erst blicken, wenn man in ihren Lebensraum eindrang. Dann wurde die Sache allerdings Ernst. Man hielt sich hier nicht mit Begrüßungsformalitäten auf. Stattdessen bohrte sich auf Felipes letzter großen Expedition ein vierzig Zentimeter langer, gefiederter Pfeil eine Handbreit über seinem Kopf in eine Staude, und ein weiterer in die Seitenschnalle seines Lederstiefels, die wohl beide als erste und zugleich letzte Warnung zu verstehen waren. Es kamen keine weiteren Pfeile geflogen. Aber die Warnung war unmissverständlich. Felipe verstand und respektierte sie. Einen der wahrscheinlich vergifteten Pfeile bewahrte er seitdem in einer Glasvitrine auf. Daraufhin begab er sich später nie mehr tiefer in den Dschungel, als bereits erschlossen war. Selbst dort gab es noch genug zu entdecken. Oftmals waren es lokale Tier- oder Pflanzenpopulationen, die nur hier an bestimmten Stellen gediehen und lebten. Felipe lernte einen Indio namens Pao kennen. Pao war vom Volk der Korobos, die seit den neunziger Jahren des auslaufenden neunzehnten Jahrhunderts bekannt waren. Dieser erzählte ihm einige verrückte Dinge aus dem Dschungel. Felipe glaubte nur die Hälfte von dem was er hörte, und das war genug um sich ein Bild zu machen. Ein Bild von Wildnis, Abenteuer, wuchernden Pflanzen und unentdeckten Schätzen, in Form von Kultstätten, Tieren und Pflanzen, Tod und Teufel. Davon gab es im Dschungel tatsächlich mehr als reichlich. Von plötzlichen Angriffen wilder Tiere, Kaimane, Piranhas und Schlangen aller Art. Eine dabei giftiger als die andere. Unter anderem erzählte er auch ausführlich von der Riesenschlange Anakonda, die zwar nicht giftig war, dafür aber bis zu zehn Meter lang und der tödlichste Würger im Wald war, der auch ausgewachsene Männer als Nahrung betrachtete und deswegen umbrachte. Der Herrscher des Dschungels aber, der Jaguar, war überall der König. In den Bäumen genauso lautlos und tödlich wie am Boden. Selbst die Anakonda machte einen Bogen um ihn. Ein Jaguar konnte jeden Gegner mit einem einzigen, fürchterlichen Prankenhieb töten. Alle Indios verehrten und fürchteten ihn. Pao zeigte Felipe die Pflanzen, die die Indios seit ewigen Zeiten als Medizin benutzten. Der Jaborandibaum war so ein kostbares Exemplar. Substrate aus seinen Blättern ergaben ein wirksames Mittel gegen den Biss der Buschmeisterschlange, die im Dschungel überall anzutreffen war. Das Gift dieser Schlange zersetzte das Blut und führte schnell zu einem elenden Tode, wenn man kein Serum dagegen besaß. Bevor man starb, lief einem das Blut aus den Augen. Das war stets ein sicheres Zeichen des nahen Todes. Das Schlangengift wiederum war aber als ein wirksames Gegengift bei manchen Beschwerden bekannt. Als ein Mittel gegen Blutvergiftung, Stichwunden und Liebeskummer etwa. So ergab sich oft das eine aus dem anderen in der Natur des Waldes. Diese Verbindungen veranlassten Felipe, den Regenwald die größte Apotheke der Welt zu nennen. Der Regenwald würde wahrscheinlich für jede Krankheit eine Medizin bereithalten. Man müsse sie eben nur finden. Über neunzig Pflanzenarten aus dem Regenwald konnten sie durch ihre Arbeit in wenigen Jahren der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Und weitere, geschätzte mindestens zweitausend Arten würden vermutlich noch auf ihre Entdeckung warten. Der Regenwald war und blieb geheimnisvoll. Mit Pao als seinem unermüdlichen Helfer und Dolmetscher für die Sprache Tupi und anderer Dialekte an seiner Seite, erforschte Felipe im Laufe der Jahre sehr große Gebiete. Sie waren nahezu unzertrennlich und richtige Freunde geworden. Pao erzählte ihm einmal eine fantastisch anmutende Geschichte von einem Jagdausflug, an dem er als heranreifender Junge teilgenommen und auf dem er wohl beinahe gestorben war. Die Geschichte klang absolut unglaubwürdig und endete mit einem Märchen, wie Felipe vermutete.