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Carmen I

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Es fing an, als Carmen und Mia fünf Jahre alt waren. Jorges Zwillinge waren bis dahin absolut normale, unauffällige Kinder. Sie spielten wie kleine Mädchen, sie lachten wie kleine Mädchen, und sie verhielten sich auch sonst in allem wie es kleine Mädchen tun. Jorge und seine Frau Elena waren mit ihnen eines schönen Sommertags am einsamen Strand von Staberhuk auf der Ostsee Insel Fehmarn. Sie hatten in Burg ein Ferienhäuschen gemietet und wollten vierzehn wundervolle Tage nur entspannen und mit den Kindern genießen. Die vier gingen viel spazieren und fuhren oft mit den Fahrrädern über die schöne, flache Insel. In der Regel wurde der Strand immer von einigen Anglern aufgesucht, die hier ihre Boote umständlich zu Wasser brachten, da er als Geheimtipp zum Dorsch und Meerforellen Angeln in der Ostsee galt. Aber an diesem schönen Tag waren sie bis auf ein paar gemütlich dahin schlendernde Strandwanderer ganz allein. Die Angler waren schon längst draußen auf dem Meer. Links hinter ihnen stand der große Wach- und Radarturm der Bundeswehr. Ein mittelgroßer, blonder Mann stand wie ein Nordlicht auf einer Plattform und schaute sonderbar lange mit seinem Fernglas auf das Wasser und die draußen treibenden Anglerboote. Elena hatte morgens schnell alles zu einem Picknick am Strand vorbereitet. Die Mädchen sausten schon am Wasser hin und her, und bewarfen sich mit den angeschwemmten Tangfetzen. Dann suchten sie auf einmal nach Bernstein. Groß war aber ihre Freude, als sie stattdessen im feuchten Tang ein noch lebendes Seepferdchen fanden. Sie brachten es gleich zu ihren Eltern. Der Vater musste ihnen leider mitteilen, dass das Seepferdchen gerade im Sterben lag. Es war schon zu lange ohne den nötigen Sauerstoff, den es im Wasser hatte. Die Mädchen weinten beide hemmungslos, als es bald darauf tot war und sich nicht mehr rührte. Sie legten es auf einen flachen Stein und drapierten Blumen, die sie im Gras am Hang fanden, um das arme Tierchen. Dann saßen sie nur davor und schauten es an. Die Eltern ließen sie dort in Ruhe sitzen und zogen sich auf ihre Decke zurück. Die Sonne stieg höher und es wurde wärmer. Sie fingen eine halbe Stunde später, nachdem sich die Mädchen wieder beruhigt hatten, mit dem Essen an. Die Mutter hatte in einer Kühlbox einen ihrer beliebten Eiersalate mitgebracht und frische Brötchen hatte Jorge beim Bäcker besorgt. Als alle beim Essen waren, kamen bald die ersten Wespen als ungebetene Gäste, natürlich angezogen vom unwiderstehlich leckeren Geruch des Salates. Jorge hatte in seinem Auto eine alte Fliegenklatsche entdeckt und sie vorsichtshalber mitgenommen. Er hatte keine Ahnung, wieso diese Klatsche gerade hier am Strand in seinem Kofferraum zum Vorschein kam. Aber wenn sie schon so unerwartet auftauchte, dann konnte sie sich ja auch eventuell auch bezahlt machen. Er nahm sie mit. Und die passende Gelegenheit kam schneller, als er erwartet hätte. Kaum das Elena die Kunststoffschüssel mit dem Salat aufgemacht hatte summten schon die ersten fliegenden Mitesser herum. Der Geruchssinn einer Wespe steht dem eines Hundes wahrscheinlich in nichts nach. Kein Windhauch regte sich, aber die gelb schwarz gestreifte Strandpatrouille war auf der Hut. Zum Glück hatte Jorge den schlagenden Beweis, wie er die Klatsche nannte, im Wagen gefunden. Sollten sie ruhig kommen, die Biester mit den stichhaltigen Argumenten zum Abräumen des Eigenanteils an der Mahlzeit. Denen würde er es schon besorgen. Und es dauerte bis zum ersten Angriff auch nicht allzu lange. Eine Wespe landete prompt genau an der Seite der Schüssel mit dem Eiersalat und kroch flink nach oben auf den Rand zu. Dort wollte sie gerade nach Wespenart herum wuseln, als Jorge sie zielgenau mit der Klatsche erschlug. Der Schlag war so geschickt von ihm geführt, dass die Schüssel nicht mal wackelte. Elena murrte trotzdem empört. Die Wespe fiel tödlich getroffen auf die Tischdecke und zuckte noch ein paarmal, bis sie völlig still da lag, ähnlich wie das Seepferdchen vorhin. Das sahen die beiden Mädchen gleichzeitig. „So“, sagte Jorge zufrieden. „Du nicht mehr.“ „Die nächste, bitte.“ Mia fing an zu weinen und Carmen riss nur stumm die Augen weit auf. Schon landete die nächste Wespe an fast der gleichen Stelle, an der die erste gestorben war. Jorge nahm Maß und schlug zu. Der Schlag ging knapp daneben, die Wespe flog davon. Kurz darauf kamen gleich zwei Wespen und umschwirrten den Salat. Jorge schlug zu, als die erste landete. Daneben. Er schlug erneut zu, und wieder daneben. „Ja, sage mal, bin ich jetzt schon zu dämlich eine Wespe zu treffen?“ Sagte er sauer. „Halt still, du...“ Den Zusatz „Mistviech“ hatte er schon auf den Lippen, bremste sich aber wegen den Kindern. Er schlug noch weitere vier Male zu, ohne einen Treffer zu landen. Er konnte es nicht fassen. Dann schaute er in die Gesichter seiner Familie. Elena saß kreidebleich und wie versteinert da und beobachtete Carmen, Mia schluchzte leise, und Carmen saß mit weit aufgerissenen Augen da und schaute ihren Vater durchdringend an. Ihr Blick schien ihn hypnotisieren zu wollen. Er brannte regelrecht. Eine Wespe krabbelte jetzt auf der Decke genau auf ihn zu. Er sah es aus den Augenwinkeln. Er schaute zu ihr, nahm die Klatsche in die rechte, die Wespe aufs Korn, und schlug zu. „Volltreffer, aber hallo“, dachte er innerlich grinsend, doch der Schlag ging in Wirklichkeit daneben. Daneben? Er schlug zu, wieder und wieder. Daneben, daneben, daneben, daneben. Nach fünf vergeblichen Schlägen in Richtung krabbelnder Wespe gab er es endlich auf. Die Wespe erhob sich und flog nach einer Umkreisung der Familie davon. Jorge war genauso bleich wie Elena. „Was, zum Henker war das?“ Fragte er. Er schaute Elena direkt ins Gesicht und sagte zu ihr. „Hast du das auch gesehen?“ Sie nickte stumm. Carmen stand auf und griff vorsichtig mit spitzen Fingern nach einem der dunklen Flügel der toten Wespe. Sie ging mit ihr zum toten Seepferdchen und legte sie dazu. Dann setzte sie sich in den Sand und schaute stumm zu den beiden toten Tieren. Mia kam zu ihr, setzte sich neben sie und legte den Arm um sie. Elena und Jorge waren erschüttert. Am frühen Nachmittag, als alle wieder im Auto saßen und die Mädchen sofort in ihren Kindersitzen eingeschlafen waren, sagte Jorge zu Elena. „Ich glaube, diese Geschichte behalten wir wohl besser für uns, die nimmt uns nämlich keiner ab. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es auch nicht glauben, dass uns so was passiert ist.“ Elena sagte. „Das war richtig gruselig, wie sie dich angesehen hat. Ich hatte auf einmal eine Angst, das kannst du dir gar nicht vorstellen.“

Der Mann, der den Teufel zweimal traf

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