Читать книгу Der Mann, der den Teufel zweimal traf - Herman Old - Страница 9
Dr. Jan Jäger
ОглавлениеJan Jäger saß an Inas Bett und schaute ihr in die Augen. Er ertrank fast in diesen großen, gequält blickenden, grünen Augen. In seinem Kopf kreiste unaufhörlich der Gedanke. Mein Gott, da liegt ein Engel. Ein Engel ohne Flügel. Er tat sehr professionell bei ihrer Untersuchung, wollte auf keinen Fall Mitleid zeigen, konnte es aber nicht so ganz vermeiden. Sie hatte wieder ein leichtes Sedativa bekommen, da sie sehr unruhig war, bevor der Arzt kam. Es war besser sie noch eine Weile ruhig zu halten, als das man sie gleich mit der grausamen Wahrheit überfiel. Sie war durch das Beruhigungsmittel natürlich nicht komplett stillgelegt wie in einer Narkose, aber immerhin soweit beruhigt, dass ihre Vitalfunktionen nicht beeinträchtigt waren, und sie trotzdem ihre Umwelt wie durch einen leichten Schleier wahrnahm. Es machte die Sache einfach für eine Weile für alle Beteiligten leichter. Nicht nur sterbenden gab man heutzutage Sedativa, sondern auch leidenden. Das Schicksal dieser jungen Frau ging ihm gewaltig an die Nieren. Er nahm immer wieder Anteil am Schicksal seiner Patienten. Das war für ihn als Menschen normal, aber manchmal traf es ihn extrem, so wie hier. Im letzten Jahr hatte die Klinik zwei junge Menschen an den Krebs verloren. Ein kleines Mädchen von acht Jahren und einen zehnjährigen Jungen. Sie starben beide nacheinander innerhalb weniger Wochen, nachdem ihre Therapien in keinster Weise angeschlagen hatten. Der Tod wollte sie scheinbar haben. Alle in der Klinik, die mit den beiden vertraut waren und sie in der letzten Zeit betreut hatten, waren sehr niedergeschlagen, aber dann doch erleichtert, als es endlich vorbei war. Davon erholt man sich als Klinikpersonal in der Regel relativ unproblematisch, das Leben muss schließlich weitergehen. Aber manchmal fällt es einem eben schwerer als ein andermal. Und komplett vergessen konnte solche Vorgänge keiner der Beteiligten jemals. Aber es ging ja immer nur um das weitermachen können. Sein Kollege Albert Klein dagegen war ein Klotz. Ein Arzt, der auch hätte Schlachter oder gar Henker sein können. Er redete mit seinen Kollegen und den Schwestern nicht von dem Patienten soundso, sondern nur von der Niere, der kaputten Pumpe oder dem Kolokarzi, dem kolorektalen Karzinom, dem Darmkrebs. Er sprach nicht abfällig darüber, beileibe nicht, aber eben kalt. Herzlos. So, als wäre die Patienten eine Nummer und nicht Individuen. Er war nicht gerade beliebt bei seinen Patienten, eher geduldet. Aber er war ein hervorragender Mediziner und seine Diagnosen trafen immer zu, und konnten dementsprechend gut behandelt werden. Das war die andere Seite des Doktors. Vielleicht hatte er sich ja nur so eine dicke Haut zugelegt, damit er das viele Elend nicht so nahe an sich heran ließ, wurde gemunkelt. Wer wusste das schon? Jedenfalls berührte diese junge, unbekannte Frau, an deren Bett Jan saß, ihn bis ins Herz. Er fragte sich, warum er eigentlich nie eine Frau gefunden hatte. Er wusste die Antwort nicht. Mit seinen fünfunddreißig Jahren, war das alles irgendwie bisher an ihm vorbeigegangen. Nicht, das es nicht mal ein paar Abenteuer gegeben hätte. Allein während seines Studiums hatte er hier und da mal eine Freundin gehabt. Aber es war von ihm aus nie etwas ernstes geworden. Er war der Meinung, dass er keine Frau brauchte. Bis jetzt jedenfalls.