Читать книгу Die Bluterbin - Hildegard Burri-Bayer - Страница 10

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Katharinas entzückter Schrei holte sie wieder in die Gegenwart zurück. Stolz hielt diese einen wunderschönen Ring mit einem blauen Stein in die Höhe, damit ihn jeder in dem kleinen Raum sehen und gebührend bewundern konnte. Martha und Agnes hatten jeweils ein kleines, liebevoll geschnitztes Pferd aus Jade erhalten und Eleonore kostbare chinesische Seide für ein neues Gewand.

Elsa hatte ihnen gerade den Würzwein gereicht, als Jean zur Türe hereinkam und seinen Gast begrüßte.

Jacques überreichte ihm eine silberne Gürtelschnalle mit Emaileinlagen. Damit blieb nur noch ein Geschenk übrig. Ein wenig enttäuscht hob Jacques es hoch und meinte dann bedauernd: »Eine Tochter fehlt noch.«

Er konnte sich noch gut an das Mädchen erinnern, deren Gesicht ungewöhnlich hellhäutig, fast schon weiß gewesen war. Ihre Augen hatten die seinen für einen Moment getroffen und ihn tief in seinem Innersten berührt.

Auch nach ihrer Begegnung hatte er noch oftmals an sie denken müssen und deshalb insgeheim darauf gehofft, sie an diesem Abend wiederzusehen, um feststellen zu können, ob er sich das Ganze nicht nur eingebildet hatte.

Eleonore warf ihrem Mann einen erschrockenen Blick zu. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Jacques es bemerken würde, wenn eines der Mädchen fehlte. Ob er vielleicht schon von den Gerüchten über Marie erfahren hatte? »Die Hitze hat ihr zu schaffen gemacht, weshalb ich ihr erlaubt habe, sich in der Kammer auszuruhen«, gab sie rasch zur Antwort.

Jacques verbarg die leise Enttäuschung, die in ihm hochstieg.

Doch da trug Elsa auch schon das Essen auf. Es gab Brathuhn in Rotweinsoße, Schweinebraten mit Speckkraut, Gepfeffertes, Aalrutte und Äpfel mit Honig. Dazu wurde frisch gebackenes Weizenbrot gereicht, so viel jeder mochte.

Die Hochzeit wurde während des Essens im gegenseitigen Einvernehmen auf den Tag des heiligen Nikolaus festgelegt, dem Schutzheiligen der Seeleute, von dem die Legende erzählte, dass er einmal drei Kinder aus sturmgepeitschter See gerettet hatte.

Die Speisen waren hervorragend, und so rülpste Jacques zum Abschluss laut und vernehmlich, um seinen Gastgebern zu zeigen, dass es ihm geschmeckt hatte.

Elsa füllte noch einmal die Weinbecher.

»Habt Ihr schon gehört, dass jetzt auch auf den Flüssen immer mehr Zollstationen errichtet werden?« Jean Machaut sah seinen zukünftigen Schwiegersohn an, um seine Meinung zu dieser neuen Plage zu erfahren. »Es wird tatsächlich immer schwieriger, reich zu werden«, erwiderte Jacques fröhlich. »Bald wird es mehr Zollstationen als Sterne am Himmel geben, und wir werden unsere Preise weiter erhöhen müssen, wenn wir überhaupt noch etwas verdienen wollen. Dabei lohnt es sich jetzt schon kaum noch, Tuch in Flandern einzukaufen, nachdem wir es selbst in die verschiedenen Baronien einführen müssen.«

Eine steile Falte erschien auf Jean Machauts Stirn.

»Ich habe gehört, dass sich die Flamen mit ihrem Qualitätstuch auf den Messen in der Champagne angekündigt haben, und bin schon sehr gespannt darauf, was sie dafür verlangen werden. Wir sollten uns tatsächlich mehr auf den Handel mit Seide spezialisieren, da können wir die Preise noch selbst bestimmen und haben weniger Konkurrenz.«

»Ihr habt ganz recht«, stimmte ihm Jacques nachdenklich zu. »Was war es doch noch für ein Vergnügen, durch China zu reisen und dort Geschäfte zu machen.«

Sofort richteten sich die Augen der ganzen Familie in der Hoffnung auf eine spannende Geschichte erwartungsvoll auf ihn. Und sie wurden nicht enttäuscht. Jacques war ein guter Erzähler, und schon bald tat sich vor den Machauts eine fremde Welt voller Wunder auf.

Staunend vernahmen sie, dass es in China öffentliche, warme Bäder für alle gab und Schiffe, deren Kabinen einen eigenen Abort besaßen. Breite, steinerne Brücken und gepflasterte Straßen, die von Schatten spendenden, hohen Bäumen gesäumt waren, machten das Reisen zu einem wahren Vergnügen, genau wie die Gasthäuser, deren weiche Betten mit kostbarer Seide überzogen waren und in denen es keine Flöhe und Wanzen gab.

Ein Führer überwachte die Sicherheit der Reisenden, die geschützt vor Überfällen unbesorgt größere Geldsummen mit sich führen konnten. Die Menschen waren gastfreundlich, und im ganzen Land herrschte Sauberkeit und Ordnung.

Der Name eines jeden Gastes wurde neben der Haustüre eingeritzt, und so wusste man stets, wer wann an welchem Ort gewesen war.

»In goldenen Tempeln beten sie zu Buddha, ihrem glatzköpfigen, dickbäuchigen Gott, der für jeden ein offenes Ohr hat, der ihm Räucherwerk oder Münzen opfert. Die Luft ist so warm und weich wie chinesische Seide und mit Düften von seltenen und kostbaren Blüten erfüllt, deren Schönheit nur schwer zu beschreiben ist. Selbst der Himmel leuchtet dort in einem anderen Blau«, schloss er seinen Bericht ab.

Die Glocken läuteten die zehnte Stunde ein. Höchste Zeit für einen ehrbaren Bürger, um aufzubrechen, und so verabschiedete sich Jacques von der Familie seiner Braut.

Der Knecht stand schon mit dem gesattelten Pferd und einer Fackel in der Hand bereit, um ihm heimzuleuchten, und die laute Stimme des Nachtwächters schallte durch die schwüle Nacht. Mit monotoner Stimme rief er die nächste Stunde aus und ermahnte die Leute, auf das Feuer in ihren Häusern Acht zu geben.

Die Mädchen begaben sich in ihre Kammer, und Eleonore blieb mit ihrem Mann allein zurück. Fragend sah sie ihn an, doch er wich ihrem Blick aus. Seufzend begab sie sich daraufhin in das gemeinsame Schlafzimmer, wo sie sich auszukleiden begann.

Jean würde das Haus im Morgengrauen verlassen und erst mehrere Wochen später wieder nach Hause kommen. Er wollte in die Champagne nach Troyes, zur so genannten Heißen Messe, die von Johanni bis Mitte September dauerte, um dort weitere Geschäfte abzuschließen und neue Verbindungen aufzubauen. Nachdem die Marktpolizei die Gläubiger unterstützte und Alleinreisenden Schutz gewährte, stellte der Besuch der Messen auch kein sonderlich großes Risiko dar.

Eleonore wusste, dass Jean vor seiner Reise noch zu ihr kommen würde, um sein Verlangen an ihr zu stillen, und griff deshalb vorsorglich nach einem kleinen Talgtöpfchen unter ihrem Bett. Seufzend verrieb sie etwas von dem Talg zwischen ihren Beinen, denn Jean hasste es, wenn sie zu trocken war, und sie wusste aus schmerzlicher Erfahrung, wie grob er werden konnte, sobald ihn der Zorn übermannte. Schon des Öfteren hatte er sie geohrfeigt und ihr vorgeworfen, eine schlechte Ehefrau zu sein.

Gleichgültig ließ sie demzufolge das Unvermeidliche über sich ergehen und war froh, als es endlich vorüber war.

Pflichtbewusst blieb sie am nächsten Morgen noch in der Türe stehen und winkte ihrem Mann nach, bis er verschwunden war. Sie war gereizt und hatte Kopfschmerzen. Rasch schloss sie die Türe, um den unerträglichen Gestank, den der Wind aus der Gerbergasse herübertrug, nicht länger ertragen zu müssen.

Eine fette Ratte versuchte im letzten Moment an ihren Füßen vorbei ins Haus zu schlüpfen, doch Eleonore gelang es, sie im Türrahmen einzuklemmen und mit einem nicht sehr weiblichen Tritt zurück auf die Gasse zu befördern.

Als Eleonore in die Küche kam, saßen ihre Töchter bereits am Tisch und aßen ihren Gerstenbrei. Die dunklen Ringe um Maries Augen riefen ihr die Ereignisse des gestrigen Tages zurück. Sie bedachte ihre Tochter mit einem strengen Blick.

»Du wirst das Haus bis zur Hochzeit deiner Schwester nicht mehr allein verlassen«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Marie sah erschrocken von ihrer Tonschüssel auf. Die Kälte, die in der Stimme ihrer Mutter lag, war für sie schlimmer als der soeben über sie verhängte Hausarrest. Was sie zu Beginn ihrer Krankheit immer nur befürchtet hatte, war mit jedem ihrer Anfälle mehr zur Gewissheit geworden. Sie würde niemals wirklich in den Kreis ihrer Familie aufgenommen werden und dazugehören. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie war anders als die anderen und löste damit Abwehr und Furcht bei den Menschen aus, die sie liebte, sodass ein unüberwindlicher Abgrund zwischen ihr und ihren Angehörigen lag.

Traurig sah sie ihre Mutter an, suchte vergeblich ihren Blick, doch Eleonore wandte sich Katharina zu, die ununterbrochen über ihre bevorstehende Hochzeit plapperte.

Sie konnte den anklagenden Ausdruck in den dunklen Augen ihrer jüngsten Tochter nicht länger ertragen.

»Darf ich mir heute den Stoff für mein Hochzeitskleid aussuchen?«, fragte Katharina ihre Mutter.

Eleonore nickte gleichgültig.

Katharina hielt Marie das Geschenk ihres Verlobten hin. Ihre Augen glitzerten boshaft.

»Das ist für dich«, sagte sie.

Marie sah überrascht auf, als sie auf einen wunderschön geschnitzten Vogel aus gelber Jade sah. Die Augen des daumengroßen Kunstwerkes bestanden aus zwei schimmernden Kristallen. Nie zuvor hatte sie solch ein kostbares Geschenk erhalten.

Sie streckte die Hand aus, um den Vogel entgegenzunehmen, doch in dem Moment, als sie zugreifen wollte, zog Katharina blitzschnell ihre Hand zurück und ließ den kleinen Vogel auf den Boden fallen.

»Wie ungeschickt von mir«, säuselte sie mit gespieltem Bedauern und bückte sich rasch, um den Vogel aufzuheben, bevor Marie ihn erreichen konnte.

Einer der beiden winzigen Kristalle hatte sich gelöst und war über die Holzdielen in eine Ritze hineingekullert.

In Maries Augen glänzten Tränen, doch es kam kein Wort über ihre Lippen.

Katharina sah sie böse an. Sie war neidisch auf das kostbare Kleinod, das Jacques ihrer Schwester mitgebracht hatte, genauso wie sie auf Maries Schönheit und ihre zarte Haut neidisch war. Die ganze Nacht über hatte sie überlegt, ob es Absicht gewesen war, dass gerade Marie den Vogel erhalten sollte, was bedeuten würde, dass sie Jacques besser gefiel als ihre beiden anderen Schwestern. Vor lauter Neid hatte sie kein Auge zubekommen und überlegt, wie sie es Marie heimzahlen könnte.

Sicher hatte Marie Jacques, als sie selbst einen Moment lang nicht aufgepasst hatte, mit ihrem traurigen Blick angesehen.

Katharinas ohnehin schon schrille Stimme wurde noch einmal greller, als sie sich nun vorbeugte und Marie einen herausfordernden Blick zuwarf.

»Du hast doch nicht etwa geglaubt, dass ich dir den Vogel überlasse? Ich weiß genau, dass du mir meinen Verlobten neidest. Wahrscheinlich bekommst du deine komischen Zuckungen extra, weil du nicht willst, dass er mich heiratet.« Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Wut.

Sie hatte schnell und laut gesprochen und musste einen Moment innehalten, um Luft zu holen.

»Vielleicht gebe ich dir den Vogel nach der Hochzeit«, fuhr sie langsamer fort. »Doch zuerst musst du mir helfen, mein Hochzeitskleid zu nähen, und dabei wirst du dich besonders anstrengen.«

Alle vier Mädchen hatten von klein an gelernt, mit Nadel und Faden umzugehen, und konnten sticken, weben und spinnen, doch keine war so flink und geschickt wie Marie.

Mitleidig hatte Elsa das Gespräch mit angehört. Sie konnte nicht verstehen, dass alle auf der sanften Marie herumhackten, die niemandem etwas zuleide tat und alle Gemeinheiten ohne Widerrede und Gegenwehr über sich ergehen ließ. Sie konnte nicht ahnen, dass Marie sich schuldig fühlte und ihren Schwestern die ständigen Boshaftigkeiten nicht einmal nachtrug. Zugleich bedachte sie ihre Herrin mit einem vorwurfsvollen Blick, weil diese Katharina mit keinem Wort in ihre Schranken wies, doch Eleonore war tief in Gedanken versunken und hatte nicht auf das Geplapper der Mädchen geachtet.

Elsa betrachtete Marie, die still und blass auf ihrem Stuhl saß. Ihre weiße Haut und die dunklen Augen verliehen ihr etwas Fremdartiges, trotzdem oder gerade deshalb würde sie eines Tages eine Schönheit werden.

Noch dazu eine gefährliche Schönheit, die das Begehren der Männer und den Neid der Frauen auf sich ziehen würde, ein Umstand, der Elsa schon jetzt große Sorgen bereitete. Und die Ablehnung, die selbst Maries Eltern ihrer Tochter gegenüber an den Tag legten, verstärkte Elsas Verdacht noch einmal mehr, dass Marie mit einem düsteren Geheimnis behaftet sein musste, das weit zurück in der Vergangenheit liegen musste.

Sie kannte Marie von Geburt an und war die Einzige in der Familie, die ihr Zuneigung entgegenbrachte, fast so, als wäre sie ihr eigenes Kind.

Elsa war erst sieben Jahre alt gewesen, als ihre Eltern sie als Magd in der nahe gelegenen Burg des Grafen untergebracht hatten, ganz wie es bei armen Leuten üblich war, die nicht in der Lage waren, alle Kinder zu ernähren.

Nur noch dunkel erinnerte sie sich an die kleine zugige Kate, in der sie mit ihren Eltern und ihren Geschwistern die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Anfangs hatte sie viel geweint. Der Verwalter der Burg, ein Mann mit spitzem Gesicht und harten Augen, ließ sie von morgens bis abends arbeiten, bis ihre Hände von der vielen Arbeit und dem kalten Wasser mit dicken Schwielen überzogen waren.

Im Laufe der Jahre hatte sie sich jedoch an das harte Leben gewöhnt und war zufrieden damit, denn sie bekam stets genug zu essen und brauchte im Winter nicht zu frieren. Wenn sie abends in die kleine Kammer ging, die sie mit vier anderen Mägden teilte, war sie todmüde und schlief sofort ein.

Aber dann hatte sich mit einem Schlag alles geändert. Ihre Brüste begannen sich zu wölben, und die erste Blutung stellte sich ein. Sie hatte sich nicht weiter um die begehrlichen Blicke der Männer gekümmert, die ihr von nun an gefolgt waren, und als sie deren Bedeutung endlich begriffen hatte, war es schon zu spät gewesen.

Der älteste Sohn des Grafen war ihr, ohne dass sie es bemerkte, in den kleinen Schuppen hinter der Burgküche gefolgt.

Sogar noch heute erschien ihr sein höhnisches Grinsen, wenn sie nachts nicht schlafen konnte, vor den Augen, und sie konnte seinen von Wein geschwängerten Atem riechen.

Mit brutaler Gewalt war er über sie hergefallen und hatte sich rücksichtslos genommen, was er begehrte. Mehr tot als lebendig war sie noch am gleichen Abend von der Burg geflohen, bevor der Burgfried verschlossen und die Zugbrücke hochgefahren worden war.

Während der langen, einsamen Wanderschaft, die danach für sie begonnen hatte, war ihr Bauch immer dicker geworden.

Irgendwann hatte sie die Stadt erreicht und war erschöpft vor dem Hause der Machauts zusammengebrochen. Während die Herrin des Hauses ein gesundes, wenn auch zartes Mädchen zur Welt brachte, hatte sich ihr Sohn bei dem Versuch, auf die Welt zu gelangen, mit seiner eigenen Nabelschnur stranguliert und war nach langem Kampf tot zur Welt gekommen.

Elsa hatte es als gerecht empfunden und Gott von ganzem Herzen dafür gedankt. Sie hatte dieses Kind nicht gewollt, das sie nur immer wieder an das schlimmste Erlebnis ihres Lebens erinnert hätte.

Das kleine Mädchen der Hausherrin trank aus ihren überquellenden Brüsten und füllte die Leere, die das ungewollte Kind dennoch in ihr hinterlassen hatte.

Elsa hatte nie wieder die Nähe eines Mannes gesucht. Seit ihrer Vergewaltigung traute sie ihnen nicht mehr und war ihrem Interesse und ihren Nachstellungen erfolgreich aus dem Weg gegangen.

Alle Liebe, zu der sie fähig war, hatte sie Marie geschenkt, die von ihrer eigenen Familie vom ersten Atemzug an nur Ablehnung erfahren hatte.

Die Bluterbin

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