Читать книгу Die Bluterbin - Hildegard Burri-Bayer - Страница 17

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Elsa hatte lange nachgedacht und sich dann dazu entschlossen, alles zu tun, um Marie zu helfen. Ein Gedanke war in ihr herangereift, der sie nicht mehr losließ, und schließlich machte sie sich an seine Umsetzung. Sie wartete bis zum nächsten Sonntag.

Gleich nach dem Kirchgang, nachdem sich Eleonore und die anderen Familienmitglieder zurückgezogen hatten, schlich sie sich leise aus dem Haus. Unter ihrem Umhang trug sie einen kleinen Beutel, in dem sie ihre gesamten Ersparnisse aufbewahrte.

Ihr Herz klopfte ihr ungestüm in der Brust, und ihr Mund war vor lauter Aufregung ganz trocken, als sie durch die engen Gassen hindurch zum Nordtor eilte. Düster ragte der hohe Wachturm vor ihr auf und warf seinen langen Schatten auf die farbenprächtigen Kleider der jungen Leute, die, wie jeden Sonntag, das Bild um die Stadttore herum beherrschten.

Die jungen Mädchen waren eine willkommene Abwechslung für die Wachposten, die ihnen derbe Sprüche nachriefen und sich an ihrem Anblick erfreuten.

Niemand behelligte Elsa, als sie durch das Tor lief, hinter dem sich eine weite Sumpflandschaft auszubreiten begann. Elsa bog in einen schmalen Pfad abseits der trockengelegten Wege ein. Der gefrorene Boden verhinderte, dass sie in dem knöcheltiefen Matsch versank, der den Weg vom Frühjahr bis zum Herbst normalerweise schwer passierbar machte. So schnell sie konnte, lief sie weiter. Ab und zu blieb sie keuchend stehen und schnappte nach Luft. Sie musste sich beeilen, wenn sie wieder zurück sein wollte, bevor die schweren Stadttore am Abend wieder geschlossen werden würden.

Die Sonne stand schon tief am Himmel, als sie endlich die tiefer gelegenen Sümpfe erreichte.

Unberührt von den Schaufeln der Mönche glänzte die tiefschwarze Erde hier tückisch wie der Abgrund der Hölle und war bereit, jeden zu verschlingen, der unvorsichtig genug war, vom schmalen Pfad abzukommen. Nur wenige verzweifelte Menschen verirrten sich hierher.

Aber Elsa hatte keine Augen für die eigenartige Schönheit der unberührten Natur um sich herum, sondern konzentrierte sich ganz auf ihren gefährlichen Weg. Endlich sah sie die knorrigen Weiden vor sich auftauchen, die sich gebückt wie drei alte Frauen aneinanderzuklammern schienen, und wusste: Von hier aus war es nicht mehr weit.

Aus der kleinen windschiefen Hütte, die sich wie ein Kuhfladen in eine kleine Kuhle schmiegte und von hoch wachsendem Schachtelhalm geschützt war, stieg eine kaum sichtbare Rauchwolke in den klaren Himmel auf.

Elsa schnappte nach Luft. Die Aufregung schnürte ihr beinahe die Kehle zu. Vorsichtig trat sie näher an die aus Lehm gebaute Hütte heran.

Das verwitterte, mit Gras gedeckte Dach reichte bis weit über die schief in den Angeln hängende Türe herab. Eine fette Katze lag träge in der untergehenden Sonne. Als sie Elsa bemerkte, öffnete sie ihre grünen Augen einen Spalt weit, machte sich aber nicht die Mühe aufzustehen. Nur ihr Schwanz bewegte sich leise drohend auf und ab.

Die Augen der Katze folgten ihr, als sie durch die halb geöffnete Türe trat.

Elsa brauchte einen Augenblick, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel des niedrigen Raumes gewöhnt hatten. Über dem Feuer in der Mitte der Hütte hing ein großer eiserner Kessel, dem einige undefinierbare Gerüche entströmten.

Eine alte Frau saß zusammengesunken an einem grob zusammengezimmerten Tisch. Sie schien eingeschlafen zu sein. Vorsichtig trat Elsa näher. Die Decke und die Wände der Hütte waren mit unzähligen zu Sträußen zusammengebundenen Kräutern und Pflanzen übersät, deren intensiver Duft Elsa den Atem zu nehmen drohte. Ihre Nase wehrte sich, indem sie heftig zu jucken begann und sich schließlich in einem befreienden Niesen entlud.

Die alte Frau schreckte auf. Strähnige graue Haare hingen ihr wirr um den Kopf bis auf die Schultern herab. Sie trug einen aus Flicken zusammengesetzten schmuddeligen Umhang, der ihr bis hinunter auf die dürren Knöchel reichte, und ihre bloßen Füße waren mit ein paar Lappen umwickelt.

Schnüffelnd hob sie ihren Kopf.

»Wer ist da?«, schnarrte sie.

»Ich bin gekommen, um dich um Hilfe zu bitten«, erwiderte Elsa, deren Hals vor lauter Aufregung ganz ausgetrocknet war. Ob es wirklich stimmte, dass sich die Sumpf-malfica*, wie sie allgemein genannt wurde, tatsächlich in einen Raben verwandeln und in die Lüfte erheben konnte? Sie hatte schon die verschiedensten Gerüchte darüber gehört, und die Frauen erzählten sich unter vorgehaltener Hand die unglaublichsten Dinge über sie.

Viele von ihnen waren schon heimlich von ihren Herrinnen in die Sümpfe geschickt worden, um dort das eine oder andere Mittel von ihr zu erwerben, das seine Wirkung bei Problemen mit dem Ehemann oder gegen andere den Frauen vorbehaltene Leiden tun sollte.

So förderte Menstruationsblut, dem Mann heimlich ins Essen gemischt, dessen Potenz. Blüten von Weiden oder Pappeln führten hingegen unweigerlich zur Dämpfung seines Verlangens. Wenn man sich jedoch vor dem Ehemann und seinen Gelüsten ekelte, beraubten vierzig Ameisen, im Saft einer Narzisse gekocht, diesen für immer seiner Manneskraft.

Die Sumpfmalfica wusste auf alles einen Rat und hielt für jeden die passenden Kräuter oder ein Töpfchen mit Salbe bereit.

Die geröteten Augen in dem faltigen Gesicht musterten Elsa prüfend. »Kannst du bezahlen?«

Elsa nickte eifrig und zog den kleinen Beutel unter ihrem Umhang hervor. Sie öffnete ihn und brachte sieben Silberpfennige zum Vorschein, die sie vor der Alten auf den Tisch legte.

Die Sumpfmalfica nickte zufrieden.

»Setz dich.« Mit ihrer knochigen, von Gicht verkrümmten Hand wies sie auf einen dreibeinigen Schemel.

Elsa kam ihrer Aufforderung nach und ließ sich auf dem Schemel nieder.

»Es geht um meine kleine Marie. Sie ist zart und sanft wie ein Engel und hat noch nie in ihrem Leben jemandem etwas zuleide getan. Doch Gott hat sie mit einer merkwürdigen Krankheit gestraft. Von jetzt auf gleich wird ihr zarter Körper von schrecklichen Krämpfen geschüttelt, dass es einem das Herz zerreißt. Die Leute sagen, sie wäre von Dämonen besessen, aber das stimmt nicht. Meine Marie ist so rein und unschuldig wie die Heilige Jungfrau selbst.«

Erwartungsvoll sah sie der Alten in die rot geränderten Augen. Ob sie ihr helfen konnte?

Die Augen der Sumpfmalfica wurden dunkel vor Erregung. Ein scharfer Windstoß fuhr in die Hütte und drückte den Rauch des Feuers, der durch eine kleine Öffnung im Dach entwich, in den Raum zurück.

Ängstlich blickte Elsa zu der Alten hinüber. Der Qualm breitete sich wie eisiger Nebel in der ganzen Hütte aus, beinahe als ob der Atem des Leibhaftigen sie streifen würde, und Elsa wurde es unheimlich zumute.

Kalte Schauer liefen ihr über den Rücken, und ihre Nackenhaare stellten sich auf.

Aber die Alte schien sie nicht mehr wahrzunehmen. Ihr Blick war seltsam leer.

Schlotternd vor Angst wartete Elsa ab, was weiter geschehen würde.

Plötzlich fing die Sumpfmalfica zu singen an. Ihre Stimme stieg hell und klar wie die eines Kindes in die Luft, und sie sang in einer fremden Sprache aus einer längst vergessenen Zeit. Mitten im Lied brach sie jedoch ab und begann wie wild zu kichern. Es war ein krächzendes Lachen, das Elsa die Haare zu Berge stehen ließ. Mit trüben Augen starrte die Alte sie an.

»Der Teufel sitzt in der Kathedrale. Er wird sich deine Marie holen.«

Elsa graute es. Voller Furcht und Entsetzen bekreuzigte sie sich.

Die Augen der Sumpfmalfica wurden klarer. Sie strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht und richtete sich auf.

Der verwirrte Eindruck, den sie eben noch gemacht hatte, wich einer grimmigen Entschlossenheit.

»Ich habe das Mädchen auf dem Markt gesehen. Es gibt nur wenige wie sie, und immer tauchen sie dort auf, wo sich das Böse befindet.«

Elsa begriff nicht, was die Sumpfmalfica meinte. Ihre Augen fielen auf den grünlich schimmernden runden Anhänger der Alten, auf dem sich merkwürdig ineinander verschlungene Linien befanden.

»Gott schickt die Unschuld, um das Böse aufzuwiegen.« Die Stimme der Sumpfmalfica wurde kalt vor unterdrücktem Zorn. »Diese verblendeten Kirchenfürsten und Pfaffen begreifen nicht, dass der Heilige Berg den Göttern der Biturigen gehört, einem untergegangenen Volk aus der alten Zeit. Niemals hätten sie die Kathedrale auf diesem Berg errichten dürfen.«

Sie hob den Kopf und sah an Elsa vorbei.

»Vor langer Zeit haben die Christen die Biturigen mit Feuer und Schwert bekehrt. Jeder von ihnen, der sich weigerte, vor dem Kreuz zu beten, wurde umgebracht. Männer, Frauen und Kinder. Dunkle Mächte erhoben sich, und der Berg färbte sich rot vor Blut. Es ist ein Kampf der alten Zeit gegen die neue. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Doch erst dann, wenn es einmal niemanden mehr geben wird, der die Namen der alten Götter noch kennt, wird ihre Macht gebrochen sein.«

Prüfend sah sie Elsa an, die entsetzt und blass auf ihrem Schemel hockte. Feine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn.

Sie verstand nicht, was das alles mit Marie zu tun haben sollte, und konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Dann aber tauchte Maries trauriges Gesicht vor ihr auf, und sie nahm all ihren Mut zusammen.

»Wirst du Marie helfen?«, fragte sie die Alte tapfer, wurde jedoch enttäuscht.

»Niemand kann ihr helfen. Denn sie ist diejenige, die Hoffnung in diese armselige Welt bringt, indem sie die Schmerzen anderer auf sich nimmt.

Es wird erst vorbei sein, wenn sie ihre Unschuld verliert, und auch nur dann, wenn ihr eine Tochter bestimmt ist, die ihr Erbe weitertragen wird. Deine Marie wird sehr viel Kraft brauchen, bis es so weit ist.« Sie zog ein kleines Leinensäckchen unter ihrem Umhang hervor und reichte es der verstörten Elsa.

»Zerstampfe immer nur ein Blatt davon und gib es ihr in den Wein, wenn ihre Kräfte nachlassen. Mehr kann ich nicht für dich tun. Geh jetzt.«

Elsa erhob sich und machte sich auf den Weg durch die Dunkelheit zurück in die Stadt.

* malfica, lat. Übeltäterin

Die Bluterbin

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