Читать книгу Die Bluterbin - Hildegard Burri-Bayer - Страница 12

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Nach langem Hin und Her hatte Katharina sich schließlich für einen sanft schimmernden goldgelben Samt entschieden, und Eleonore beauftragte die besten Näherinnen der Stadt damit, Katharinas Hochzeitskleid zuzuschneiden und anzupassen. Anschließend befahl sie Marie, das Kleid und die dazugehörige Schleppe zu säumen und den Schleier zu besticken. Für sich und ihre Töchter ließ sie ebenfalls aus dem gleichen kostbaren Samt etwas schlichtere Kleider anfertigen.

Die Hochzeit sollte in der Burgkapelle der Montreuis stattfinden, und sie wollte sich auf keinen Fall vor der zukünftigen adligen Verwandtschaft eine Blöße geben.

Marie nähte, ohne zu murren, von morgens bis abends und erwartete jede Woche sehnsüchtig den Sonntag, an dem sie gemeinsam mit ihrer Familie die Kathedrale besuchen konnte. Es war die Pflicht eines jeden Gläubigen, ob jung oder alt, reich oder arm, mindestens einmal in der Woche zum Gottesdienst zu gehen, in dessen Höhepunkt das Hochheben der Hostie stand.

Endlich war es wieder so weit. Marie sprang als Erste aus dem großen Bett und legte ihr Festtagsgewand an, das zusammen mit den Kleidern ihrer Schwestern in einer großen Truhe neben der Türe aufbewahrt wurde. Danach lief sie in die Küche, wo sie ungeduldig auf ihre Mutter und ihre Schwestern wartete.

Elsa hatte ihre Schürze abgelegt und sich eine saubere Haube umgebunden. Genau wie Marie liebte sie den Gottesdienst, der eine willkommene Abwechslung in den eintönigen Tagesablauf der Woche brachte.

Maries Herz begann wie immer schneller zu schlagen, als sie durch das Goldene Tor die Heilige Stadt betrat, die sich wie ein Ring um die Kathedrale zog und die obere Stadt von der unteren trennte.

Das große Portal war übersät mit eng nebeneinanderstehenden Skulpturen von Heiligen.

Die Kathedrale war schon gut gefüllt, als Marie ihrer Mutter und den Schwestern durch das äußere Seitenschiff zur Familienkapelle folgte.

Ihr Vater hatte sie im letzten Jahr für viel Geld von einem Grafen erworben, dessen gesamtes Vermögen vom König eingezogen worden war.

Die anderen Kapellen befanden sich überwiegend im Besitz des Adels, der, begleitet von seinen Eskorten, in die Kirche einzog und ein farbenprächtiges Bild abgab.

Sie hatten gerade ihren Platz eingenommen, als die Mönche in geschlossener Prozession die Kathedrale betraten. Hinter ihnen folgten die Kathedralschüler.

Der Bischof selbst hielt an diesem Sonntag die Predigt. Mit geschmeidigen Bewegungen und wallender schwarzer Kukulle erklomm er die steile Wendeltreppe der kunstvoll geschnitzten hölzernen Kanzel, um aus lichter Höhe mit lauter Stimme auf die Gläubigen herabzudonnern. Die Wirkung seiner Worte wurde noch dadurch gesteigert, dass die Morgensonne just in diesem Augenblick durch eine Rosette des sechsbahnigen Triforiums schien und die Kanzel in goldenes Licht tauchte.

Die Menschen schlossen für einen Moment geblendet die Augen und lauschten dem Bischof, der ihnen wortgewandt ihre Sünden vor Augen führte und sie dazu aufforderte, diese zu bekennen und sich zu bekehren.

»Der König von Frankreich war sterbenskrank und von seinen Ärzten bereits aufgegeben, als er sich auf Asche betten ließ und alle seine Vasallen zu sich rief und zu ihnen sprach:

»Sehet! Ich, der reichste und edelste Herr der Welt, der ich mächtiger war als alle anderen Menschen, ihnen überlegen an Rang, Vermögen und Anzahl meiner Freunde, kann doch dem Tod nicht den geringsten Aufschub noch der Krankheit eine einzige Stunde der Linderung abtrotzen! Was also sind all diese Dinge wert?«

Indem sie ihn so sprechen hörten, brachen alle Anwesenden in Schluchzen aus. Doch entgegen jeder Erwartung ließ der Herrgott ihn in diesem Moment, da man ihn schon tot wähnte, genesen. Er stand auf, dankte Gott und nahm das Kreuz infolge dessen, was sich zugetragen hatte.

Das irdische Leben ist nur eine Exilstation auf dem Wege zur ewigen Seligkeit. Kehrt um, ihr sündigen Seelen, denn Gott kennt eure Missetaten und wird euch nicht verlassen, wenn ihr euch ihm zuwendet. Oder wollt ihr ewig in der Hölle schmoren?

Salvandorum paucitas, damnandorum multitudo, extra ecclesiam nulla salus: Wenige gerettet, viele verdammt. Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil«, schloss er.

Einen Moment lang blieb es still, und die Menschen nahmen sich, eingeschüchtert von den Worten des Bischofs, fest vor, sich zu ändern und künftig ein gottgefälligeres Leben zu führen. Wer wollte schon in der Hölle schmoren, wenn es doch die Möglichkeit gab, ins himmlische Jerusalem einzuziehen, wo man für immer von jeder Mühsal und irdischen Sorge befreit sein würde? Es war zumindest die einzige Hoffnung, die sie hatten.

Die Mönche erhoben ihre Stimmen zum gemeinsamen Gesang und ließen den Gläubigen Zeit, über ihre Sünden nachzudenken.

Trotz der Hitze, die draußen herrschte, war es im Inneren der Kathedrale angenehm kühl. Glücklich lauschte Marie dem Chor der Mönche. Sie hätte alles dafür gegeben, wenn sie einfach für immer hier hätte bleiben dürfen, ganz nah bei Gott und Seinen Heiligen, umhüllt vom Duft des Weihrauchs und dem Gesang der Mönche. Weit weg von den Menschen, die sie ablehnten, obwohl sie ihnen nie etwas zuleide getan hatte. Ihre Gedanken wanderten zum König von Frankreich, den sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte und dessen Gesicht sie sich vergeblich vorzustellen versuchte, um sich wenigstens annähernd ein Bild von ihm machen zu können. Wie sehr musste Gott ihn lieben, wenn Er ein solches Wunder an ihm vollbracht hatte.

Doch wie immer ging der Gottesdienst auch dieses Mal viel zu schnell vorüber, und Marie blieb nichts anderes übrig, als die Kathedrale gemeinsam mit ihrer Mutter und den Schwestern wieder zu verlassen.

Als sie durch das Portal lief, löste sich der Riemen an ihrer linken Sandale, ohne dass sie es bemerkte, und sie geriet ins Stolpern. Noch bevor sie auf die harten Pflastersteine stürzte, kam ihr jedoch einer der Kathedralschüler zu Hilfe und fing sie auf.

Er war höchstens achtzehn Jahre alt, doch der stille Ernst, der auf seinen feinen Zügen lag, ließ ihn älter wirken, als er tatsächlich war.

Für einen kurzen Moment trafen nun seine hellen Augen auf die ihren, und der junge Mann lächelte das Mädchen freundlich an.

»Das ist ja gerade noch einmal gut gegangen«, meinte Robert de Forez mit einem Blick auf den gerissenen Riemen ihrer Sandale. »Ihr solltet ihn reparieren lassen.« Und mit diesen Worten und einem letzten höflichen Nicken wandte er sich um und folgte seinen Kameraden, die einzeln oder in kleinen Gruppen durch das große Portal strömten, um den Rest des Sonntags in der Stadt oder auch an den grünen Wiesen des Flussufers zu verbringen.

Marie sah ihm dankbar nach, sie war es nicht gewohnt, dass sich jemand ihr gegenüber so zuvorkommend verhielt.

Katharinas schrille Stimme riss sie unsanft aus ihren Gedanken.

»Du bist ein ungeschickter Trampel und wirst nie einen Bräutigam finden«, bemerkte sie gehässig. Marie senkte traurig den Kopf, erwiderte aber wie immer nichts, um Katharina nicht noch mehr gegen sich aufzubringen.

Auf dem Weg nach Hause dachte sie wieder an den liebenswürdigen, gut aussehenden jungen Mann, der ihr so bereitwillig geholfen hatte.

Katharina hat unrecht, dachte sie und presste die Lippen fest zusammen. Er hat mich nicht für ungeschickt gehalten, sonst hätte er mich nicht so freundlich angesehen.

Doch sie behielt ihre Gedanken für sich. Zu Hause angekommen begab sie sich in ihre Kammer und gab sich ihren Tagträumen hin, die sich abwechselnd um König Ludwig und Robert de Forez drehten.

Bis zum Tag des heiligen Nikolaus war es nicht mehr lange hin, und dann dürfte sie endlich wieder das Haus verlassen und die Kathedrale so oft besuchen, wie sie wollte und die tägliche Arbeit es ihr erlaubte.

Martha und Agnes hatten sich entschlossen, zum Fluss hinunterzugehen, wo sich am Sonntag stets die Jugend traf, um ein wenig Abwechslung zu genießen. Dort konnte man den jungen Männern beim Bogenschießen zusehen und sich von ihnen bewundern lassen, den Schülern der Kathedrale bei ihren hochgeistigen Disputen lauschen oder einfach über die von Kanälen durchzogenen, trockengelegten Sümpfe und vorbei an blühenden Obstbäumen und Gemüsegärten spazieren, die vom Gesang der Vögel erfüllt waren. Und immer wieder konnte man dabei beobachten, wie Liebespaare heimlich zwischen Weiden und Pappeln verschwanden, um sich dort einem Schäferstündchen hinzugeben. Eleonore begab sich hingegen in den kleinen Garten hinter ihrem Haus, wo sie sich auf eine Bank neben ihren Rosensträuchern setzte, die sie pflegte, so oft sie die Zeit dazu fand. Eine Weile lauschte sie dem Gesang der Vögel und genoss die Wärme der Sonne, die nicht mehr ganz so heiß schien wie noch vor wenigen Wochen.

Aus dem hinteren Teil des Gartens, zwischen Brunnen und Abort, drang der Duft von unzähligen Kräutern zu ihr nach vorne. Liebstöckel und Fenchel standen dort in Reih und Glied neben Minze, Salbei, Petersilie und Kreuzkümmel.

Nach der Hochzeit ihrer ältesten Tochter würde es Zeit, sich auch nach einem Bräutigam für Martha und Agnes umzusehen. Da sie keinen Sohn hatten, war es naheliegend, eine der beiden mit Henry zu verheiraten. Henry war ein tüchtiger junger Mann und könnte die Geschäfte später einmal in ihrer aller Sinn weiterführen.

Sie wunderte sich, dass Jean noch kein Wort darüber verloren hatte, und beschloss, ihn nach seiner Rückkehr darauf anzusprechen. Und was Maries Zukunft betraf, war es ebenfalls langsam an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

Ihre Gedanken ließen sie schläfrig werden. Eleonore fielen die Augen zu, und sie erwachte erst wieder, als die Sonne längst hinter den Häusern verschwunden war.

Die Bluterbin

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