Читать книгу Die Bluterbin - Hildegard Burri-Bayer - Страница 9

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Elsas Hoffnung wurde jedoch enttäuscht, denn Katharina erschien plötzlich an der Tür der Kammer. Jacques, ihr Verlobter, hatte sich für den heutigen Tag angemeldet, er wollte mit ihrem Vater den anstehenden Hochzeitstermin besprechen, und Katharina war nach oben gekommen, um sich noch ein wenig herauszuputzen und vor allem das kostbare, mit Almandinen verzierte Fibelpaar anzulegen, das er ihr zur Verlobung geschenkt hatte.

Als sie Marie nun von Krämpfen geschüttelt auf dem Bett liegen sah, verzog sich ihr Gesicht vor Abscheu. Es dauerte nur einen Moment, bevor sie zu begreifen anfing.

»Sie ist nicht in der Kammer geblieben, wie Mutter es befohlen hat«, bemerkte sie kühl und überlegte, ob diese Erkenntnis von Nutzen für sie sein könnte. Doch dann wurde ihr einmal mehr bewusst, dass sie sich selbst ins eigene Fleisch schneiden würde, sobald sie Marie verpetzte. Denn wenn Jacques auch nur das Geringste davon erfuhr, würde er sie nicht mehr heiraten, das stand fest.

Aufgeregt drehte sie sich um und rannte die steile Treppe hinunter, um mit ihrer Mutter zu beratschlagen, wie man verhindern konnte, dass er etwas von Maries Krankheit erfuhr.

Eleonore blickte Katharina missbilligend entgegen, als diese mit hochrotem Kopf in den Lagerraum gestürmt kam, wo sie mit Argusaugen über die Angestellten ihres Mannes wachte, die gerade dabei waren, die von verschiedenen Kunden bestellten Stoffballen zusammenzustellen und auf einen Wagen zu schaffen.

»Dein Benehmen entspricht nicht dem, was ich dich gelehrt habe«, wies sie Katharina in scharfem Ton zurecht.

Aber Katharina ließ sich dadurch nicht einschüchtern und sah ihre Mutter entschlossen an.

»Ich muss sofort mit Euch reden«, forderte sie und bedachte die beiden Männer, die ihre Arbeit unterbrochen hatten und sie neugierig anstarrten, mit einem hochmütigen Blick.

»Zuallererst werden wir die Bestellungen hier fertig machen. Du weißt, wie ungeduldig dein Vater sein kann, wenn es Verzögerungen gibt und nicht alles nach seinem Plan verläuft«, erwiderte Eleonore kühl.

Henry, ein gut aussehender Bursche, grinste Katharina daraufhin schadenfroh an. Es war noch nicht lange her, dass sie seine bewundernden Blicke genossen hatte, doch seit ihrer Verlobung mit dem Grafen sah sie durch ihn hindurch, als wäre er Luft. Henry konnte zwar nicht lesen und schreiben, aber immerhin war er sehr geschickt im Umgang mit Zahlen. Und so war es ihm im Laufe der Jahre gelungen, sich zur rechten Hand seines Herrn hochzuarbeiten, der zu seinem großen Kummer keinen leiblichen Sohn besaß.

Bis zur Verlobung Katharinas hatte er die stille Hoffnung gehegt, sie eines Tages heiraten zu dürfen.

Katharina war eine Schönheit, auch wenn sie in seinen Augen ein wenig zu hochnäsig war. Ihr langes, dunkelblondes Haar hatte sie ebenso wie die glänzenden, goldbraunen Augen von ihrer Mutter geerbt, und nachts, wenn er in seiner Kammer auf dem Stroh lag und sich vorstellte, wie sich ihr weicher Mädchenkörper mit dem festen Busen wohl anfühlen würde, schoss ihm jedes Mal das Blut in die Lenden, und seine sündigen Gedanken begannen sich zu verselbstständigen. In Gedanken ritt er sie dann so lange, bis sich ihre Hochnäsigkeit in wilde Leidenschaft verwandelte und sie sich stöhnend vor Lust unter ihm zu winden begann, genauso wie Emma, die Magd des Gewürzhändlers, es tat, die er des Öfteren an seinen freien Abenden traf.

Anfangs hatte er wegen seiner lüsternen Gedanken an den darauf folgenden Tagen immer ein schlechtes Gewissen gehabt und einen großen Bogen um die Kathedrale geschlagen.

Aber sein Gewissen hatte sich im Laufe der Zeit beruhigt, und er tröstete sich damit, dass Gott ganz sicher anderes zu tun hatte, als sich um einen so unwichtigen Mann wie ihn zu kümmern. Gewiss waren seine Verfehlungen nicht einmal von Ihm bemerkt worden.

Jedenfalls geschah es Katharina ganz recht, wenn einmal etwas nicht nach ihrem Willen lief.

Noch immer vor sich hin grinsend, warf er sich einen Ballen kostbaren Tuches über die Schulter und schaffte ihn zum Wagen, der sich aus Sicherheitsgründen in dem von einer hohen Brandmauer umgebenen Hof direkt hinter dem Haus befand.

Pierre, der Knecht mit dem dümmlichen Gesichtsausdruck, folgte ihm.

Katharina war jetzt mit ihrer Mutter allein.

»Marie hat heimlich die Kammer verlassen und wieder einen ihrer Anfälle bekommen. Was sollen wir nur tun? Wenn Jacques davon erfährt, wird er mich ganz sicher nicht mehr heiraten«, jammerte sie. Ihre Stimme wurde flehend. »Ich bitte Euch, unternehmt etwas, Mutter.«

Eleonore seufzte gedankenverloren und nickte dann. Katharinas Angst war durchaus berechtigt. So konnte und durfte es nicht weitergehen. Dass Marie die Kammer entgegen ihrer Anordnung verlassen hatte, war schon schlimm genug, und sie würde mit aller Härte durchgreifen müssen, um sich wieder den nötigen Respekt zu verschaffen.

Aber Maries Krankheit wurde ihr langsam unheimlich. Bereits als kleines Kind hatte sie unter diesen merkwürdigen Anfällen gelitten, und weder Bader noch Magister hatten einen Rat gewusst, sondern Eleonore nur an einen Priester verwiesen, der jedoch ebenso ratlos gewesen war. Der Geistliche hatte Marie mit Weihwasser besprengt, wobei er sorgfältig darauf achtete, sie nicht zu berühren, und den Dämonen in ihrem Körper befohlen, im Namen des Herrn wieder daraus zu verschwinden. Anschließend hatte er den Machauts empfohlen, ihre Gebete durch das Spenden von Wachskerzen zu unterstützen, und sie alle ermahnt, ein tugendhafteres Leben zu führen.

Danach war Marie tatsächlich für eine Weile von den Krämpfen verschont geblieben, und Eleonore hatte schon gehofft, dass es endgültig mit ihnen vorbei wäre, doch ihre Hoffnung hatte sich als trügerisch erwiesen.

Abgesehen von ihren vereinzelt auftretenden Anfällen, verhielt sich Marie allerdings vollkommen normal und zeigte keinerlei Anzeichen von geistiger Verwirrtheit, wie sie besessene Menschen sonst oft aufwiesen.

In ihrer Familie hatte es, soweit sie wusste, niemals Krankheiten dieser Art gegeben, und ihr Mann sprach mit ihr nicht über seine Familie, die sie nie kennengelernt hatte. Das Einzige, was ihr Jean jemals erzählt hatte, war, dass seine Eltern verstorben waren, als er noch ein Kind gewesen war. Danach war er bei seinem Onkel aufgewachsen, einem strengen, gottesfürchtigen Mann, der ihn jeden Tag geschlagen hatte und ihn von morgens bis abends in seiner Färberei hatte schuften lassen.

Einmal nur hatte sie es dennoch gewagt, ihn nach seiner Familie zu fragen, damals, vor sechs Jahren, als Marie das erste Mal Anzeichen ihrer merkwürdigen Krankheit gezeigt hatte, woraufhin Jean mit einer solch abweisenden Kälte auf ihre Fragen reagiert hatte, dass sie ihn nie wieder darauf angesprochen hatte.

Doch Maries Krankheit war zu einem ernsthaften Problem geworden, für das sie bald eine Lösung finden mussten.

Katharina war jedoch noch immer nicht zufrieden, sie wollte, dass Marie für das, was sie ihnen allen antat, bezahlen musste.

»Sicher hat sie es mit Absicht gemacht, weil sie mir Jacques nicht gönnt und mein Leben zerstören will«, hetzte sie weiter. »Ihr müsst sie einsperren und ihr verbieten, das Haus zu verlassen, wenigstens bis zur Hochzeit«, drängte sie.

»Ich werde heute noch mit deinem Vater darüber sprechen«, beschwichtigte Eleonore ihre Tochter. »Doch jetzt geh wieder an deine Arbeit. Dein Vater wird sehr wütend sein, wenn wir nicht fertig werden und er morgen früh nicht pünktlich aufbrechen kann.«

Sie gab Henry, der zurückgekommen war, noch einige Anweisungen. Dann erhob sie sich, um mit Elsa noch einmal die Speisenfolge für das bevorstehende Nachtmahl durchzugehen; immerhin hatten sie heute Abend einen wichtigen Besucher bei sich zu Gast.

Lustlos begab sich Katharina in den dunklen Lagerraum zu ihren Schwestern, in dem es aus Sicherheitsgründen keine Fenster, sondern lediglich einen nach außen hin offenen, schmalen Lichtschacht gab, der die Luftzufuhr gewährleistete.

Ihr Vater hatte ihnen aufgetragen, ein purpurfarbenes Kreuz auf einen kostbaren, golddurchwirkten Schal zu sticken, der von einem Baron in Flandern für den Altar seiner Kapelle bestellt worden war. Allein der Stoff kostete schon ein kleines Vermögen.

Aus diesem Grund mussten sie nun auch in dem nur von Kienspänen beleuchteten Kontor sitzen, damit Eleonore besser darauf achten konnte, dass ihnen kein Fehler unterlief. Wenn sie mit dem Schal fertig wären, würden sie endlich wieder in der Stube nähen können, wo man immerhin ab und zu einen Blick aus dem Fenster werfen konnte und sich nicht ganz so vom Leben ausgeschlossen fühlte.

Während ihre Finger geschickt die feine Knochennadel führten, die aus dem hinteren Wadenbein eines Schweins hergestellt worden war, glitten ihre Gedanken für einen Moment lang zu ihrer gemeinsamen Zukunft mit Jacques ab.

Seine Familie war entfernt mit der von Johanna von Toulouse verwandt, der Gemahlin Alfons von Poitiers, der seinerseits wiederum ein Bruder König Ludwigs IX. war. Jacques besaß drei Tagesreisen von Bourges entfernt, in der Nähe von Poitiers, eine kleine Burg mit bescheidenen Ländereien. Er war der jüngste von drei Söhnen und hatte sich im Gegensatz zu seinen Brüdern erfolgreich dagegen gesträubt, ein Ritter zu werden oder ins Kloster zu gehen.

Von klein auf hatte es ihn in die Ferne gezogen, und mit einigem Geschick und etwas Glück war es ihm schließlich durch den sich ständig weiter ausbreitenden Fernhandel gelungen, ein Vermögen zu verdienen.

Jahrelang war er quer durch ganz Asien gereist und hatte dort kostbare Seidenstoffe erstanden, die er nun, wieder nach Frankreich zurückgekehrt, teuer weiterzuverkaufen gedachte.

Seine Ware transportierte er, soweit es möglich war, auf dem Seeweg, um so die immer zahlreicher werdenden Zollstationen zu umgehen. Nachdem er außerdem mehrere Niederlassungen von Marseille über Damaskus bis hin zu Shanghai aufgebaut hatte, konnte er es sich nunmehr leisten, seine Güter auf die beschwerliche Reise nach China zu schicken und nur noch an Großhändler zu verkaufen.

Einer dieser Großhändler war Jean Machaut, der sich auf edles und ausgefallenes Tuch wie Seide, Brokat, Damast, Baldachin und Scharlach spezialisiert hatte, mit dem er wiederum kleinere Händler belieferte, die ihrerseits die Stoffe anschließend an reiche Bürger und Adlige weiterverkauften.

Bereits bei seinem ersten geschäftlichen Besuch hatte Jacques beschlossen, Jean Machauts Tochter Katharina zu heiraten.

Ihre kühle Schönheit gefiel ihm, und er konnte sie sich gut als Mutter seiner zukünftigen Söhne vorstellen. Sein Vater war vor einiger Zeit verstorben, und sein ältester Bruder hatte seinen Platz als Graf und Burgherr eingenommen. Durch sein Vermögen war Jacques unabhängig, und seine Mutter versuchte erst gar nicht, ihn zu einer standesgemäßen Heirat zu zwingen, nachdem er ihr mehr als deutlich klargemacht hatte, dass er lieber wieder auf Reisen gehen würde, als sich dieser Forderung zu beugen.

Und so hatte er sich ein großes Steinhaus am Rande der Stadt bauen lassen, von dem aus er auch seine Geschäfte tätigte, und beschlossen, dass es nun an der Zeit wäre, seine eigene kleine Familie zu gründen und den ersehnten Erben zu zeugen.

Zwar war es durchaus möglich, dass er früher oder später durch seinen Beruf als Kaufmann seine Privilegien als Adliger verlieren würde, doch das nahm er billigend in Kauf.

Auf seinen Reisen hatte er viel gelernt, und er betrachtete es als Glück, in einer Zeit zu leben, in der alles möglich war. Unfreie und Leibeigene konnten mittlerweile ihre Freiheit und sogar das Bürgerrecht erlangen, indem sie in die Städte zogen. Mit etwas Glück konnten sie es dort darüber hinaus zu so viel Reichtum bringen, dass manch ein Adliger, der hochnäsig in seiner Burg saß und sich weigerte, die vielen Veränderungen, die in seinem Land vor sich gingen, wahrzunehmen, blass vor Neid wurde.

Menschen wie Jean Machaut gehörte sein ganzer Respekt und seine Bewunderung, denn sie hatten es aus eigener Kraft heraus geschafft, Besitz zu erlangen, und waren für viele ihrer Zeitgenossen, die sich bis dahin ergeben in ihr Schicksal gefügt hatten, zu Hoffnungsträgern geworden.

Die Reisen, die Jacques unternommen hatte, hatten seinen Horizont erweitert und ihm neue, aber auch gefährliche Denkanstöße geliefert, die, hätte die Kirche Kenntnis von ihnen erhalten, mit Sicherheit von ihr als ketzerisch verdammt worden wären. Schade war nur, dass er in den Ländern, die er bereist hatte, nur selten auf jemanden gestoßen war, mit dem er sich hatte austauschen können, auf jemanden wie den Großkahn, dem er in China begegnet war und der ihn eingeladen hatte, sein Gast zu sein.

Mangu Khan war in der Tat ein ungewöhnlicher, wenn auch grausamer Mann, der von dem Gedanken besessen war, alles, was in der Welt vor sich ging, zu erfahren. Aus diesem Grund hatte er auch regelmäßig Angehörige der verschiedensten Religionen zu gelehrigen Disputationen an seinen Hof eingeladen, in der Hoffnung, dadurch zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

Jeder der Geladenen war überzeugt davon gewesen, dass seine Religion die einzig wahre wäre. Mangu Kahn hatte nur gelächelt, sobald die Dispute immer hitziger geworden und zuletzt in wüste Beschimpfungen ausgeartet waren.

Erst dann hatte er seinen Gästen mit lauter Stimme zu schweigen befohlen und so lange gewartet, bis Stille in den prunkvollen Saal eingekehrt war. Mit mahnenden Worten hatte er sodann die Debatte abgebrochen.

»So wie Gott der Hand verschiedene Finger gab, so gab Er den Menschen verschiedene Wege. Euch gab Gott die Heilige Schrift, aber ihr Christen richtet euch nicht danach. Uns aber gab Er Weissager, und wir tun, was sie uns sagen, und wir leben in Frieden.«

Wie oft hatte Jacques schon darüber nachgedacht, ob seine Landsleute wohl anders gewesen wären, wenn sie wie er das Glück gehabt hätten, ferne Länder und Menschen mit fremden Religionen kennenlernen zu können. Anfangs waren diese alle Heiden und Ungläubige für ihn gewesen, doch dann hatte ihn die demütige Inbrunst ihres Glaubens beeindruckt, mit der die Chinesen ihren Buddha verehrten und die Sarazenen und Mauren ihren Mohammed. Sie hatten ihre eigene Religion und würden niemals einen anderen Glauben annehmen.

Die Chinesen erschienen ihm geheimnisvoll und fremd, und je länger er sich in ihrem Land aufgehalten hatte, umso mehr war er zu der Überzeugung gelangt, dass Buddha bei Weitem besser zu ihnen passte als sein eigener christlicher Gott.

Seine Gedanken waren ketzerisch, und er wusste, dass er sie niemals laut aussprechen durfte. Aus demselben Grund war er auch froh darüber, dass China viel zu weit von Frankreich entfernt lag, um von dem religiösen Wahn, der den Kreuzzügen vorausging, in Mitleidenschaft gezogen werden zu können.

Nur wenigen Menschen war bekannt, dass dieses Land überhaupt existierte, und nochmal weniger kannten den Weg dorthin, zumal er von den Eingeweihten strengstens gehütet wurde.

Jacques packte die Geschenke zusammen, die er für die Familie seiner Verlobten ausgewählt hatte, und ließ den Diener sein Reitpferd satteln. Aus dem Haus der Machauts schlug ihm bereits der köstliche Duft von Schweinebraten entgegen, als ihm Elsa die schwere Eichentüre öffnete und ihn aufs Freundlichste begrüßte. Mit lauter Stimme rief sie nach dem Knecht, dem sie befahl, sich um das Pferd ihres Gastes zu kümmern.

Danach führte sie Jacques in die Stube, wo Eleonore gemeinsam mit Katharina, Martha und Agnes bereits auf ihn wartete. Alle drei hatten ihre Festtagsgewänder angelegt, und eine jede für sich bot einen entzückenden Anblick.

Katharinas Wangen hatten sich bei seinem Erscheinen gerötet, und sie sah schöner aus denn je. Sie war in ihren Verlobten verliebt, obwohl er in ihren Augen fast schon ein wenig zu alt für sie war. Doch seine Bewegungen wirkten noch immer jugendlich, und sein gut geschnittenes Gesicht strahlte sowohl Intelligenz als auch Großzügigkeit aus.

In der Stube war es warm und gemütlich. Öllampen hingen von dem mächtigen Deckenbalken herab, der sich der Länge nach durch den ganzen Raum zog, und verbreiteten zusammen mit dem auf dem Tisch stehenden Kerzenleuchter ein warmes, angenehmes Licht.

Der Hausherr hatte sich noch nicht zu ihnen gesellt, würde aber sicher gleich eintreffen. Jacques gab Eleonore und den Mädchen die Hand und überreichte gleichzeitig einer jeden von ihnen ein in Seide gewickeltes Geschenk. Dann legte er seinen Überrock und seinen Hut auf der Bank ab und ließ sich auf dem für ihn vorgesehenen Klappstuhl am Kopfende der Tafel nieder.

Während die Mädchen neugierig ihre Geschenke auswickelten, musterte ihn Eleonore nachdenklich. Sie dachte an das wenig erfreuliche Gespräch zurück, das sie heute Nachmittag mit ihrem Mann geführt hatte: »Marie hat heute Morgen wieder diese seltsamen Krämpfe bekommen, und ich mache mir große Sorgen, denn die Nachbarn reden seit Maries letztem Anfall in der Kathedrale mehr denn je über uns. Wenn das so weitergeht, wird es nicht mehr lange dauern, bis sie mit dem Finger auf uns zeigen.«

Jeans Miene hatte sich bei ihren Worten verdüstert. Ärgerlich begann er nun mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln.

Eleonore kannte diesen Blick nur zu gut und musste all ihren Mut zusammennehmen, um fortzufahren: »So kann es unmöglich weitergehen, ich bitte Euch, unternehmt endlich etwas, sonst werden unsere Töchter noch als alte Jungfern enden. Die Frau des Salzhändlers hat außerdem behauptet, dass aus unserem Haus Schwefelgeruch aufsteigen würde, und Ihr wisst, wohin das führen kann«, hielt sie ihm mit fester Stimme vor, obwohl sie innerlich aufgewühlt war.

Überrascht sah Jean seine Frau an. In diesem Ton hatte sie noch nie mit ihm gesprochen. Doch der heutige Vorfall hatte Eleonore endgültig die Augen geöffnet, und sie hatte Angst vor dem, was möglicherweise passieren konnte. Auf keinen Fall wollte sie noch mehr ins Gerede kommen. Allein der neu erworbene Reichtum, den Jean durch das Einbauen der Fenster und die Anschaffung eines teuren Reitpferdes demonstrierte, hatte den Neid der Nachbarn schon zur Genüge geweckt. Hinzu kam noch, dass sie erst seit wenigen Jahren in der Stadt lebten und dort immer noch als Zugereiste galten, denen man voller Misstrauen begegnete.

Das waren die Voraussetzungen, unter denen Maries merkwürdige Krankheit den Nachbarn nurmehr eine willkommene Handhabe lieferte, um ihnen allen das Leben schwer zu machen, und das, obwohl sich Eleonore die größte Mühe gab, ihrer Wohltätigkeitspflicht gegenüber den Armen nachzukommen, und mildtätige Gaben verteilte, wann auch immer sich Gelegenheit dazu bot.

Jean schwieg jedoch noch immer, und Eleonore entdeckte bestürzt einen Anflug von Unsicherheit in seinem markanten Gesicht. Es war das erste Mal, seitdem sie ihn kannte, dass sie eine Form von Schwäche an ihm feststellen konnte.

Sie bekam es mit der Angst zu tun, und ihr Magen klumpte sich schmerzhaft zusammen. Konnte es sein, dass er ihr die ganze Zeit über etwas verschwiegen hatte?

Doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt und wirkte kühl und unnahbar wie immer.

»Ich werde darüber nachdenken«, beschied er ihr barsch und erhob sich. Mit großen Schritten verließ er den Raum und stapfte schwerfällig die Holztreppe in den Keller hinunter.

Die Bluterbin

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