Читать книгу Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums - Horst-Joachim Rahn - Страница 61
2.5.9 Völlerei
ОглавлениеVöllerei ist üppiges und unmäßiges Essen und Trinken, z. B. Fresssucht bzw. Sauferei. Sie zählt im Christentum zu den 7 Todsünden und ist ein Laster, das den Menschen zu einem ausschweifenden Leben verführt. Die Vergehen der Völlerei bzw. der Trunksucht stellten nicht nur im Altertum und in der ganzen Geschichte194 ein Problem dar, sondern sind auch heute noch ein großes Gesellschaftsproblem.195 Nicht wenige von uns können den Verführungen des unmäßigen Essens und Trinkens nicht widerstehen und verhalten sich in ihrer Genusssucht hemmungslos: Die Folgen sind Fettleibigkeit und totales Übergewicht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass vor allem im Alter mangelnde Bewegung das Ganze noch verstärkt. Mögliche Folgen davon sind z. B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Herzinfarkt und Schlaganfall.196 Das Gegenteil von Völlerei als Maßlosigkeit ist die Mäßigung. Pseudonym-Schriftsteller B. Traven meint zu dem Thema: „Leicht wird es den Menschen auf Erden nicht gemacht, sie würden sonst zu rasch in Völlerei und Unzucht ausarten.“ Außer der Ess- und Trinkvöllerei sind – etwas locker interpretiert – Wissensvöllerei und Kapitalvöllerei unterscheidbar: „Mehr wissen zu wollen, als man braucht, ist eine Art Völlerei“ (Seneca). Zur Gier nach Geld halten wir fest: „Kapitalistische Völlerei ist unchristlich.“*
► Pro: „Das ganze Gerede von der Völlerei ist übertrieben“ (unbekannt). Es heißt doch immer: „Wer gut arbeitet, der soll auch gut essen“ (aus Russland). Wir alle wissen: „Der Appetit kommt beim Essen“ (F. Rabelais). Schon der kluge Konfuzius erkannte: „Essen und Beischlaf sind die beiden größten Begierden des Mannes.“ Manche Männer schwören darauf: „Viel Bier ist gut gegen Schlaflosigkeit“ (unbekannt). Auch: „Eine Flasche Wein pro Tag hilft gegen niedrigen Blutdruck“ (unbekannt). So hat jeder seine Rechtfertigungen. Aber leider gilt: „Der Bauch hat keine Ohren“ (M. Luther). Wenn der Mensch vom vielen Trinken einen Kater hat: „Der Kater hat nicht immer Völlerei, er hat auch Fastenzeiten“ (Sprichwort).
► Contra: Der französische Schriftsteller J.A. Brillat-Savarin drückt es sachlich und treffend aus: „Fresser und Säufer verstehen nichts vom Essen und Trinken.“ Man sollte das Essen und Trinken genießen, aber nicht übertreiben. Vielfach wird auch Weihnachten, eigentlich das Fest der Liebe, missbraucht. „Weihnachten: ein besonderer Tag der Völlerei, Trunksucht, Gefühlsduselei, Annahme von Geschenken, öffentlichem Stumpfsinn und häuslichem Protzen gewidmet“ (A.G. Bierce). Da verhalten sich Tiere besser: „Während das Tier die Lust sucht, um sich zu erhalten, erhalten wir Hedonisten das Leben um der Lust und Völlerei willen und gefährden so nicht selten unsere Selbsterhaltung“ (A. Vogt). Deshalb gelten die folgenden, wohlgemeinten Ratschläge: „Lass dich durch kein Beispiel zu den verbreiteten Ausschweifungen der Völlerei und der Trunkenheit verleiten – die erste bewirkt unvermeidlichen Stumpfsinn und die andere Tollheit“ (P.D. Stanhope). Und zum Schluss: „Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung und komme dieser Tag schnell über euch.“ (Lukas 21,34).
► Conclusio: Manche Menschen fürchten überhaupt nichts und leben ganz einfach in den Tag hinein. Der deutsche Politiker Walther Rathenau nennt sie Furchtmenschen: „Was den Furchtmenschen unrettbar verrät ist, dass er sich amüsieren kann. Der Furchtfreie kennt die Freude, die Begeisterung, den Rausch, die Völlerei – aber er ist nicht amüsabel.“ Der italienische Regisseur Marco Ferreri geht erheblich weiter: Er schockierte in 1973 mit seinem Film „Das große Fressen“ die Welt, denn er zeigte den Schock des Suizid durch übermäßiges Fressen und erzeugte große Abscheu, u. a. durch unappetitliche Gelage. Auch die Kirche war hier nicht immer ein Vorbild: Der italienische Kirchenlehrer Thomas von Aquin war so beleibt, dass eine Rundung in sein Pult gesägt werden musste, damit er arbeiten konnte. Und im Kloster Sankt Gallen tranken Mönche im Mittelalter nachweislich täglich fünf Maß Bier.197
Die Verführungen des Alkohols und des fetten Essens sind auch heute nicht zu unterschätzen. Deshalb sage ich: „Wenn du lebst im Überfluss, kommt sehr bald ein kalter Guss.“* Denn die Gesundheit spielt irgendwann nicht mehr mit: „Übermäßiges Essen und Trinken tötet mehr Menschen als das Schwert“ (Sir W. Osler). Deshalb ist zu raten: „Wenn das Essen am besten schmeckt, soll man aufhören“ (Sprichwort). Vor allem für manche Jugendliche gilt: „Komasaufen kann keiner brauchen!“* Und auch: „Gelegentliches Fasten ist die beste Heilnahrung“ (E. Rau). Zum Schluss: „Saufen, Fressen und dergleichen, von welchem ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, dass, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.“ (Galater 5,21).