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Wie es weiter ging

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Der nächste Tag begann im Heim wie der erste Tag. Robert tutete vier mal und es ging raus aus den Betten. Beim Marschieren konnte ich mich wieder ärgern, weil die Lieder zu tief angestimmt wurden. Ich hatte noch keinen Stimmbruch.

Heute ging es gleich zu den im Keller liegenden Umkleide- und Waschräumen, wo wir unsere Tasche im zugeordneten Spind ablegen konnten. Wir gingen nur mit der Brotbüchse nach oben. Die musste ja in das Fach im Rollschrank, der kurz vor sieben Uhr verschlossen wurde. Im Keller kam man so ohne weiteres auch nicht an sein Spind. Dazu musste erst der Schlüsselkasten durch den Lehrausbilder vom Dienst geöffnet werden, der dann gleich wieder verschlossen wurde, wenn der letzte Schlüssel wieder im Kasten war. Für jede Gruppe gab es einen Schlüsselkasten. Die waren in der Nähe der betreffenden Spindreihen angebracht. Wer zu spät kam, hatte ein Spießrutenlaufen zu überstehen.

In der Werkstatt, genau Lehrwerkstatt I, abgekürzt LW I, warteten wir an unseren Plätzen der Dinge die da kommen sollten. Fünf vor sieben hupte es. Es war also der Piepston zu vernehmen, der von Lautsprechern ausgestrahlt wurde. Über diese Lautsprecher konnten auch Durchsagen erfolgen oder Rundfunksendungen übertragen werden. Es erfolgte wieder ein Trillerpfiff mit der Aufforderung, anzutreten. Das hatte im Marsch-Marsch-Tempo zu erfolgen. In einer knappen Minute standen wir. Nach der Meldung an den Meister gab der seine Anweisungen. So war das dann jeden Morgen. Noch vorm Signal zum Arbeitsbeginn wurde weggetreten und man stand um sieben vor seinem Schraubstock. Nun konnten wir uns weiter an unseren U-Stählen auslassen. Wir erlernten Ausdauer und dazu zu schweigen. Die Schruppfeilen, die wir benutzen sollten, waren am Blatt um die 400 Millimeter in der Länge. Scharf war keine von ihnen, aber darum ging es auch nicht am Anfang. Das Führen der Feile war wichtig.

Nebenbei wurden Wege erledigt. So kam ich an diesem Tag das erste Mal in das Büro. Es lag eine Treppe tiefer. Der Weg dort hin führte über den Speisesaal zur Werkberufsschule. In dem dortigen Gang die erste Tür links war das Büro. Gleich hinter der Tür befand sich eine Barriere, die nicht gestattete, weiter in diesen Raum zu treten. Der Raum war so groß wie ein Klassenraum der darüber liegenden Berufsschule. Als Büro galt nur ein kleiner Teil dieses Raumes. Der Rest war auf den dazugehörigen Schreibtischen mit Zeichengeräten voll gestellt. Dort arbeiteten die ersten Technischen Zeichner, die ich erblicken durfte. Ich wusste es nicht genau. Ich ahnte es nur.

Unsere Gruppe feilte bis Mittag. Nach dem Mittag gingen wir in die Schule. Wir erfuhren, in welchen Fächern wir unterrichtet werden. Darunter war auch Technisches Zeichnen. Ich hatte ab diesem Tag im ersten Lehrjahr jeden Dienstag Berufsschule. Der Marsch ins Heim begann an diesem Tag später, also erst nach der regulären Arbeitszeit für Lehrlinge unter 16 Jahren.

Die folgenden Tage wurden neben der Feilerei dazu benutzt, weitere Aufnahmebedingungen zu erledigen. So der Gang zu Betriebsarzt und zum Fotografen, von dem das Passbild für den Betriebsausweis aufgenommen wurde.

Ebenfalls wurden uns verschiedene Verhaltensregeln beigebracht. Wenn einer zur Toilette musste, die im Keller war, hatte er sich beim Lehrausbilder abzumelden. Dazu musste man sich in der Haltung „Stillgestanden“ in der Nähe des Lehrausbilders postieren und warten, bis er zum Ausdruck brachte, das er einem Anliegen Gehör schenken würde. Vor dem Sprechen hatte der Bittende einen ordentlichen „Deutschen Gruß“ zu leisten. Nach dem Gruß war zu sprechen. Der Lehrausbilder überprüfte dann, ob nicht andere der Gruppe schon unterwegs waren und gestattete dann oder nicht.

Wenn man nun unterwegs war, hatte man Vorgesetzte ordentlich zu grüßen. Im Treppenhaus mit Kopfwenden und außerhalb mit „Deutschem Gruß“. Beides ohne zu sprechen. Traf man unterwegs zwei Vorgesetzte an, die im Gespräch waren und dazu den gesamten Weg nutzten, hatte man Haltung anzunehmen und zu warten. Wenn die Vorgesetzten aufmerksam würden, sei zu fragen, ob man vorbeigehen dürfe. Man hatte so zu fragen: „Lehrling sowieso bittet vorbeigehen zu dürfen.“ Erst wenn das gestattet wurde, durfte man weitergehen. So ähnlich war es auch, wenn man zur Toilette wollte. In diesem Fall musste man dann sagen: „Lehrling sowieso bittet austreten gehen zu dürfen.“

Im Lehrlingsheim wie im Betrieb wurde militärische Disziplin gefordert. Beim Heimleiter Erhard Haider empfand man das nicht so. Er pflegte mehr einen „kumpelhaften“ Umgang mit uns, war hilfsbereit aber bestimmt. Er machte keine Ausnahmen. Ich glaube, wir alle hatten volles Vertrauen zu ihm. Man konnte sich mit jedem Problem an ihn wenden. Nach meinem heutigen Wissen würde ich ihm hohes pädagogisches Geschick nachreden.

Mit meinem Geschick sah es da nicht so gut aus. Das betrifft nicht die fachliche Ausbildung im Betrieb, sondern das Leben außerhalb desselben. Im Frühjahr eines jeden Jahres fanden im deutschen Reich die Sportwettkämpfe der Jugend statt. Zum Sportabzeichen wurden in der Regel die Disziplinen 100-Meterlauf, Weitsprung und Schlagballweitwurf gefordert. Wer 150 Punkte erreichte, bekam das Sportabzeichen. Ich weiß nicht mehr, wo wir das im Heim gemacht haben. Jedenfalls war ich unter den besten Zehn von den 80 Lehrlingen im Heim, die man als Hitlerjugendgefolgschaft zählte. Diese zehn Besten mussten zum Ausscheid in der nächst höheren Klasse. Ich glaube, die nannte sich „Gebiet“. Dieser Wettkampf fand auf dem Suhler Sportplatz statt, wo ich nicht nur das erste mal eine Aschenbahn sah, sondern sie auch noch benutzen durfte.

Der dazu vorgesehene Tag war kalt und regnerisch. Vom Warmmachen oder Warmlaufen hatte ich keine Ahnung und verhielt mich vor dem 100-Meterlauf recht ruhig, um Kräfte zu sparen. Das war die erste Disziplin, die ich absolvieren sollte. Ich ging an den Start und bibberte vor Aufregung und Kälte. Neben mir hockten recht kräftige Kerle, die mindestens ein Jahr älter waren als ich. Die sah ich dann auch von hinten und ich strengte mich an, sie aufzuholen. Doch als ich glaubte heranzukommen, spürte ich in meinem linken Oberschenkel einen stechenden Schmerz und musste noch vor dem Ziel aufgeben. Ich humpelte danach zum Weitsprung. Dort hockte ich mich zur Seite und wartete, bis ich aufgerufen wurde. Ich lief an und der stechende Schmerz kam bald wieder. Ich verwechselte dazu noch mein Sprungbein und sprang links ab. Ich sackte aber nur noch in den Sand der Sprunggrube und da war erst einmal Schluss.

Erhard Haider war aber gleich da und man trug mich zu einem Auto, in dem er mit mir zum Docktor Schirmer in Suhl gefahren wurde. Der wollte einen Muskelriss festgestellt haben. Nun war für mich das Stehen am Schraubstock erst einmal zu Ende. Vier Wochen hatte ich Ausfall.

Im Heim angekommen, erwartete mich eine andere Überraschung. Mit der hätte ich aber rechnen können. Vor einiger Zeit hatte ich während des Schlafens einen Pubs gelassen, bei dem ein Teelöffel voll Nasses dabei war. Als ich es an dem betreffenden Morgen bemerkte, war die Sache schon relativ trocken. Um es zu verstecken, legte ich eine dünne Wolldecke darüber, die als Reserve immer am Fußende des Bettes auf der Decke lag. Während ich beim missglückten Sportwettkampf war, wurde von den im Heim Gebliebenen ein Wäschewechsel durchgeführt. Die hatten dann ihren Spaß und ich das Schämen. Sie meinten, und das war wohl Hüsings Idee, ich hätte einen Pfennig im Bett versteckt gehabt.

Haider kam dazu und meinte, dass das jedem einmal passieren kann, aber ich hätte mich doch gleich um ein frisches Laken bemühen sollen.

Es dauerte nicht lange, und ich musste erneut in das Krankenzimmer. Da war ein Lehrling aus dem Thüringer Wald, der wollte mir unbedingt „die Freß vollhaue“. Warum, das könnte nur er sagen. Er gehörte nicht in meine Gruppe im Betrieb, also auch nicht in meine Schulklasse. Er wohnte im Heim in einer der letzten Stuben der Neulinge und saß deshalb auch nicht in der Nähe meines Tisches beim Essen. Er war sogar einer von denen, die am Schraubstock eine Unterlage benötigten. Ich ging ihm so gut es ging aus dem Weg. Doch an einem Nachmittag, nach der Arbeit, gelang es ihm, mit mir eine Keilerei anzufangen. Als er mich nicht bezwingen konnte, begann er zu schlagen. Ich wehrte mich so gut ich es vermochte. Beim Abdrehen von meinem Gegner verpasste ich ihm einen Schlag, der ihm wohl reichte, doch mir am rechten Handballen, auf der kleinen Fingerseite, einen Bluterguss einbrachte. – Im Ergebnis musste ich meine rechte Hand einige Zeit in Lehm einpacken.

Im Betrieb ging der Grundlehrgang Metall weiter. Ich hatte die Fehlzeit so recht und schlecht aufgeholt. Nachdem wir die Schenkelenden des ersten U-Stahlstückes fast abgefeilt hatten, gab es ein neues U-Stück mit den gleichen Abmaßen wie das vorher bearbeitete. Wir hatten schon beim ersten U-Stück gelernt nach Anriss zu feilen, wobei der erste Anriss noch vom Lehrausbilder vorgenommen wurde. Die anderen Anrisse besorgten wir selbst. Beim Bearbeiten mit der Feile ging es nun darum, dass beide Anrisse an den Schenkeln des U-Stahles gleichmäßig noch zu sehen waren. Beim zweiten U-Stahl wurden in der Regel nur zweimal angerissen. Dann ging es an die Stegfläche. An dieser Fläche übten wir das „eben feilen“.

Zur Überprüfung der Ebenheit dieser Fläche benutzten wir ein Haarlineal. Bei diesen Arbeiten, dem eben und winklig feilen habe ich aufgeholt. Komplizierter wurde dann das Feilen der Stirnseiten, doch das gelang mir ebenfalls ganz gut. Beim winklig feilen wurde zum Überprüfen ein rechter Winkel benutzt. Die dafür verwendeten Winkel waren sehr genau und wurden, wie auch das Haarlineal sehr pfleglich behandelt. Wenn wir diese Messzeuge benutzten, wurde auf der linken Seite hinter dem Schraubstock ein dicker Lappen ausgelegt, auf dem diese Messzeuge abgelegt werden konnten. Nach der Nutzung oder zum Feierabend wurden die Messzeuge mit einem Lappen abgewischt und hauchdünn mit Vaseline eingerieben. So kamen sie dann in ihr Fach.

Nachdem das U-Stück fertig war, wurde ein Flachstahlstück bearbeitet. Das musste eben, winklig und maßhaltig gefeilt werden. Zum Messen benutzten wir eine Schieblehre, mit der man bis 0,1 Millimeter genau messen konnte. Die Sache wurde immer komplizierter, aber ich fand Gefallen daran und überlegte, ob ich nicht meinen Beruf wechseln könne. Nach den Informationen, die wir erhielten, war das im ersten Lehrjahr möglich, wenn es sich um einen Beruf handelt, der im Betrieb ausgebildet wird. Dazu müsste man die Unterschrift des Vaters erhalten. Meiner war aber zu diesem Zeitpunkt nicht greifbar. Er war zur Wehrmacht eingezogen und beteiligte sich gerade an der Besetzung Polens. Ich hatte also kaum Gelegenheit, meinem alten Herren meinen Wunsch beizubringen und dazu noch seine Unterschrift einzuholen. Die Feldpost war viel zu lange unterwegs.

Die Metallbearbeitung war nicht das einzige, was mich reizte, den Beruf zu wechseln. Vielmehr war es die Möglichkeit, Büchsenmacher zu werden. Dafür interessierte ich mich nun mehr, je länger ich in der Lehre war. Ich begann also recht bald, meine Berufswunschänderung zu verbreiten, sagte dazu gleich, dass es mit der Unterschrift des Vaters Probleme geben könnte. Zunächst wurde ich aber als Technischer Zeichner weitergeführt.

Unsere Tätigkeiten im Betrieb mussten wir in einem Merkheft niederschreiben, in dem der Lehrausbilder wöchentlich seinen Kontrollvermerk darunter setzte. Diese Tätigkeiten mit den dazu passenden Zeichnungen wurden dann in ein „Werkstattheft“ übernommen. Die Werkstatthefte wären aber noch nicht geliefert und das müsste alles nachgeholt werden.

Weiter erfuhren wir, das wir noch ein mehrwöchiges Ausbildungslager absolvieren sollten. Da es zur Zeit noch nicht möglich wäre, das Ausbildungslager durchzuführen, seien während der Arbeitszeit Ordnungsdienste geplant. Zu diesem Ordnungsdienst wurde jeweils ein Ausmarsch angesetzt. So ein Ausmarsch ging in der Regel zum Betriebstor hinaus hinter den Bahnhof Heinrichs. Da ging links am Bahnhof vorbei eine Unterführung zu einem Tal, durch das ein Feldweg führte. Auf diesem Feldweg übten wir die Grundstellung und das Wenden. Auch das Grüßen wurde geübt. Auf der sich nach links in den Grund anschließenden Wiese übten wir das Antreten.

Gleichzeitig war das eine Möglichkeit uns zu triezen. „Zwo mal links schwenk! – marsch, marsch!“ und so weiter, wo es auch einmal andersherum ging, wo das Hinlegen und das „Sprung auf, marsch marsch“ nicht fehlte. Wir hatten ja nun unsere Arbeitsanzüge und da durfte man uns eben so richtig scheuchen.

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