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Das Schulungslager
ОглавлениеAm 2. September 1940 ging es in das Schulungslager nach Dreißigacker bei Meiningen. Da waren alle Lehrjahre des Lehrlingsheimes dabei. Wir waren in einem großen Gebäude untergebracht, was wohl als Schloss galt. Dort war der Herr Janz unser oberster Chef. Die Lehrausbilder waren natürlich auch da.
Gleich am ersten Abend beim Essen gab es von Herrn Janz für alle einen Anpfiff. Es war kurze Zeit nach Beginn des Essens, da erhob sich Janz, vor dem ich große Achtung hatte, und sagte laut: „Herhören! Da gibt es doch tatsächlich unter euch welche, die machen beim Umdrehen der Speisen im Mund den Mund auf und erzeugen ein unappetitliches Geräusch. Ab sofort möchte ich das nicht mehr hören. – Weitermachen!“ Im Lehrlingsheim hatte man uns schon einige Tischsitten beigebracht, doch hier waren nun alle vertreten, die im ersten Lehrjahr waren. Ich kann mich noch an das laute Schmatzen erinnern, bevor Janz das Thema angesprochen hatte. Ab sofort war das Schmatzen dann vorbei.
Im Lager hatten wir Schulunterricht und meist anschließend militärische Grundausbildung. Das Wetter bescherte uns oft Nebel oder Nieselregen. Es war insgesamt unfreundlich. Herr Janz blieb nicht die gesamte Zeit bei uns, waren doch im Betrieb noch die zwei- und dreijährigen Lehrlinge. Ebenso etwa 20 bis 30 der Vierjährigen. Später wurde ihre Anzahl immer geringer, weil sie dann ins Alter zum Kriegmachen herangereift waren. Sogar dreijährige Lehrlinge mussten ihre Prüfung nach zweieinhalb Jahren ablegen, weil sie jahrgangsmäßig schon an die Einberufung zum Wehrdienst herankamen.
Hier im Schulungslager erhielten wir nun endlich die angekündigten Werkstatthefte und wurden über die Eintragungen darin belehrt. Nun kamen neben den gewöhnlichen Hausaufgaben für die Berufsschule noch die wöchentlichen Eintragungen in dieses Heft dazu, was man deshalb auch Berichtsheft nannte. Von dem Merkheft, in das wir täglich unsere Tätigkeiten eintragen und vom Lehrausbilder bestätigen lassen mussten, wurden die wöchentlichen Tätigkeiten auf ein Wochenblatt im Werkstattheft übernommen und im hinteren Teil dieses Buches eine Zeichnung dazu angefertigt, die mit den Tätigkeiten der betreffenden Woche im Zusammenhang stehen sollte. Im Kopf des Wochenblattes waren einige Zeilen angelegt, wo dann noch die Wochenlosung eingetragen wurde, die man jeden Montag beim Wochenanfangsappell bekannt gab.
Das Schulungslager sollte eigentlich drei oder vier Wochen lang stattfinden, es waren zu unserem Glück nur 14 Tage, denn im Lehrlingsheim wohnte es sich besser. Zum Abschluss hatte man einen „Kameradschaftsabend“ angeordnet, bei dem jeder, der etwas lustiges konnte, dies vortragen sollte.
Der Lehrausbilder Peschke, der von der dritten oder vierten Gruppe der zweite Ausbilder war, hatte sich einen Lehrling aus Sachsen vorgenommen, der uns die Sächsische Lorelei vorsingen sollte. Heinze, so hieß dieser Lehrling, war erst kurze Zeit bei uns. Er stammte aus Löbau, wo seine Familie ein Waffengeschäft führte. Lehrjahresmäßig gehörte er eigentlich ins zweite Lehrjahr, doch das hätte er nicht durchgestanden. Er war schon über eineinhalbe Jahre bei einem Büchsenmacher in Sachsen in der Lehre, bei dem er einen Schraubstock nur zum Putzen kennen gelernt hatte. Seine übrige Tätigkeit bestand aus Straße kehren, Wohnung säubern, Einkaufen für die Meisterin und alles was in einem Haushalt noch so zu erledigen war. Sogar beim Waschen der Wäsche musste er jedes Mal helfen. Heinze hatte nun viel nachzuholen, wenn er mit uns gleichziehen wollte. Er besaß den festen Willen dazu und erklärte uns, wie gut doch unsere Ausbildung sei.
Ehrhard, so hieß er mit Vornamen, musste nun einen Tag vor dem Kameradschaftsabend mit Peschke die Sächsische Lorelei lernen, obwohl er nicht singen konnte, wie er immer wieder betonte. Das stimmte nicht ganz. Er hatte nur eine dunkle und kratzige Stimme. So trug er dann auch das Lied vor. Auch ohne so einen Vortrag war Erhard Heinze schon sehr nervös. Wo er auch seinen Blick hinwendete, drehte sich sein Kopf alle drei bis vier Sekunden leicht hin und her. Doch Heinze stand das Lied durch und ich kann es heute noch.
Werkstattheft von Horst Riemenschneider aus dem 1. Lehrjahr 1940