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Wieder im Betrieb und im Heim

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Nach dem Schulungslager arbeitete ich noch einige Tage an dem Schraubstock, an dem ich seit dem ersten Arbeitstag stand und verschiedene Arbeitstechniken erlernte. Ende September erfolgte nun die Zuordnung zu den Berufen.

Ich war noch unter „Technischer Zeichner“ geführt worden und musste langsam alle Hebel in Bewegung setzen, dem nun neu von mir angepeilten Beruf zugeordnet zu werden. Als neuen Beruf hatte ich mir Büchsenmacher ausgewählt. Inzwischen gab es aber die Information, dass keine Büchsenmacher im Betrieb mehr in die Ausbildung kommen, sondern nur noch Systemmacher. Wer Büchsenmacher werden wolle, müsse daran anschließend zur neu gegründeten Reichsbüchsenmacherschule in Suhl gehen. Dort würde man ein halbes Jahr zusätzlich lernen müssen, wobei vormittags Schulunterricht sei und nachmittags in einer Büchsenmacherwerkstatt ein viertel Jahr das Schäften und dann ein viertel Jahr die Fernrohrmontage zu erlernen seien. Ich wurde also in die Systemmachergruppe eingereiht, die nun in einer Reihe an der Fensterfront in Richtung des Sportplatzes versetzt wurde. Ebenso auch die Werkzeugmacher und Maschinenbauer, die dann auf der Bahnhofseite zwei große Gruppen bildeten. Die anderen Lehrberufe kamen teilweise schon in den Betrieb oder in die Lehrwerkstatt II, die unter uns lag. Dort landeten auch die Frankenhainer, die „Anlerndreher“ in ihren Ausbildungsverträgen stehen hatten. Die Lehrwerkstatt II war voller Maschinen. Unter dem Speisesaal war die große Werkzeugausgabe, in die jeder eine Woche lang zum Kennenlernen eingesetzt wurde, so auch ich.

Mit dem Wechsel in die Systemmachergruppe wurde mir dringlichst geraten, die Unterschrift meines Vaters wegen des Berufswechsels beizubringen. Das hoffte ich im Weihnachtsurlaub zu erledigen. Aber bis dahin war noch etwas Zeit. Weihnachten würde mein Vater vom Kriegmachen Urlaub erhalten. Schließlich hatte er mit seiner Ehefrau bis dahin schon sechs Kinder.

Alle Gruppen mussten sich zunächst mit der Herstellung eines Hammers befassen. Als der fertig war, kam noch ein zweiter dran. War der erste nur 300 Gramm im Gewicht, wurde der zweite als 500 Gramm-Hammer hergestellt. Dazwischen wurde ich in der Werkzeugausgabe in der Lehrwerkstatt I eingesetzt.

Noch in der ersten Oktoberhälfte begannen wir, Hilfswerkzeuge für Systemmacher herzustellen, die wir später auch selbst benutzen sollten. Ein wichtiges Werkzeug für den Systemmacher/​Büchsenmacher ist der Schraubenzieher. Man sagt heute Schraubendreher dazu, was der Funktion dieses Werkzeugs näher kommt. Neben dem Schraubendreher wurde ein Meißel für bestimmte Arbeiten oder Formgebungen bei diesem Beruf benötigt. Man hielt es damals für erforderlich, das Herstellen dieser Werkzeuge in die Ausbildung einzubeziehen, was bei entsprechend eingerichteten Werkstätten relativ schnell geschehen konnte. Unsere Lehrwerkstatt war dazu bestens gerüstet. Ein sogenannter Muffelofen, ein Amboss und auch ein Bunsenbrenner waren vorhanden. In einem Gasofen brachte man den Stahl zum Glühen, sodass man ihn schmieden oder härten konnte. Wir erlernten auf diese Weise einige einfache Schmiede- und Härtearbeiten. Dabei erhielt ich meine erste Maulschelle vom Lehrausbilder.

Einen Schraubendreher oder Meißel zu schmieden und zu härten erfolgte bei uns in mehreren Schritten. Während ein Schmied nach dem Schmieden das Härten und Anlassen in einem Schritt erledigt, mussten wir das Werkstück vor dem Anlassen erst vollständig abkühlen lassen. Danach wurde das Werkstück an der anzulassenden Stelle mit Schmirgelleinwand blank gerieben und am Bunsenbrenner erwärmt, bis die Anlassfarbe erschien. Die Anlassfarben sind je nach Temperatur unterschiedlich. Sie beginnen mit gelb bei etwa 220 Grad Celsius und verfärben sich mit steigender Temperatur über strohgelb zu violett, wenn etwa 300 Grad erreicht werden bis blau, was bei 500 bis 550 Grad liegt. Ein Meißel wird auf strohgelb und ein Schraubendreher auf etwas mehr als violett angelassen. Den Schraubendreher soll man gerade wieder mit der Feile bearbeiten können, während ein Meißel dann nicht mehr stehen würde. Das Anlassen muss aber sein, weil sonst der Stahl zu spröde wird und wie Glas bricht.

Ich ging also mit meinem abgeriebenen Schraubendreher zum Bunsenbrenner und ehe ich mich versah, war er blau-grau, also um 600 Grad und so nicht verwendungsfähig. Erneutes Härten und Abschmirgeln war nötig. Beim zweiten Versuch ging es wieder daneben mit dem Anlassen. Beim dritten danebengegangenen Anlassversuch machte es dann klatsch und mir brannte die linke Wange. Der Lehrausbilder hatte mir eine gefeuert. Beim vierten Versuch brauchte ich lange, bis sich die Anlassfarbe erblicken ließ. Ich packte es aber. Endlich konnte ich das ins blaue gehende Violett vorzeigen.

Bei der Herstellung weiterer Hilfswerkzeuge für Systemmacher musste nun noch genauer gefeilt werden. Die Zehntel Millimeter bei einer Schieblehre waren für die Nachtreibkeile zum Schienen und den Verschlusskeilschlitz nicht mehr ausreichend genau. Wir mussten die 0,02 Millimeter Minustoleranz mit der Messschraube, auch Mikrometer genannt, feststellen. Darunter war es Ausschuss und darüber höchstens 0,0. Minus 0,005 Millimeter, ein halber Teilstrich, war das Ideale. Es machte aber Spaß, festzustellen, dass man das konnte.

Nach den Werkzeugen gingen wir dazu über Spannereiteile herzustellen, bestehend aus Hahn, Spannhebel und Stange. Nun wurde eine 130 mal 70 Millimeter große Platte hergerichtet, die von vier Millimeter Stärke auf 3,5 Millimeter blank gefeilt wurde. Dazu kam noch ein für uns damals eigenartiger Winkel und ein als Bock bezeichnetes Teil. Der Winkel wurde auf die Platte montiert, auf der gleichzeitig das Reiben mit einer Reibahle erlernt wurde. Der Bock erhielt auch seinen Platz auf der Platte und wir erkannten bald, dass der Winkel die zu einem Gewehrlauf sitzende Front eines Kastens darstellen sollte. Der Kasten ist der Teil bei einem Kipplaufgewehr, in dem die Spannerei, der Verschluss, die Abzugsvorrichtung mit Sicherung und der Schaft angebracht sind. Die Herstellung solcher Kipplaufgewehre, die man zur Jagd benutzt, sollten wir erlernen und ich wollte das. Endlich hatte ich ein Berufsziel, bei dem ich mir auch eine Perspektive ausmalte. Die Meisterprüfung war damit schon eine ausgemachte Sache für mich.

Im Heim mussten wir am Morgen keinen Stubendienst mehr machen, dazu hatte man inzwischen zwei Belgier angestellt, die man verpflichtet hatte, in Deutschland zu arbeiten. Kriegsgefangene waren es nicht, denn sie trugen keine Uniform. Nachdem man Westeuropa besetzt hatte, wurden im Betrieb auch Kriegsgefangene zur Arbeit eingesetzt. Gesehen habe ich zum Beispiel Franzosen.

Zur Heimleitung war ein neuer Mann gekommen, ein Österreicher, den wir Steffel nannten. Man merkte, dass er mehr durchgehen ließ als Haider. War Haider nicht anwesend, wurde es beim Essen im Speisesaal laut. Steffel schloss fast jeden Tag das obere Tor auf, sodass wir den kürzeren Weg zum Betrieb gehen konnten. Ich schätzte ihn auf 55 bis 60 Jahre. Er war nicht die einzige neue Person. In der Heimküche wurde ein Mädchen eingestellt. Sie hieß Käthe Schweigert und war aus Mäbendorf, einem Ort, der etwa einen halben Kilometer Richtung Dietzhausen lag. Sie war ein guter Kumpel für uns. Die dreijährigen buhlten um ihre Gunst. Sie kam mit dem Fahrrad und konnte gut nachfühlen, wie wir zu Fuß den Weg zurücklegen mussten, denn ab und zu ging ihr Fahrrad mal kaputt.

Der Winter stand vor der Tür, der in dieser Gegend schon im Oktober recht heftig sein kann. Hüsing hatte inzwischen auch sein Fahrrad mitgebracht und musste nun nicht mehr laufen. Er besaß ohnehin Dinge, die sich viele von uns, besonders ich, nicht leisten konnten. Außer einem Luftgewehr besaß er eine Schmalfilmkamera, mit der er uns ab und zu filmte. Sein Vater führte in Göttingen ein gut gehendes Waffengeschäft. So hatte er auch eines Tages eine kleine Pistole, mit der man Leuchtmunition verschießen konnte und das taten wir dann auch ab und zu vom Holzturm aus, der als Mittelteil unserer Baracken für uns frei zugänglich war. Hüsing war damals schon 18 Jahre alt.

So Ende Oktober, es war früh, wenn wir zur Arbeit gingen, schon recht dunkel, bot mir Hüsing an, sein Fahrrad zu benutzen, weil er einige Tage nicht anwesend sei. Ich besorgte mir eine Fahrradmarke, damit ich an dem Tor, wo ich das Fahrrad einstellen wollte, auch Einlass erhielt. Es kam aber nicht soweit. Wegen der Dunkelheit war es notwendig, dass das Licht am Fahrrad eingeschaltet wurde. Das klappte auch. Wegen des Krieges und der Verdunkelungsauflagen war es Pflicht, das Licht des Scheinwerfers nur gemindert durch einen Schlitz nach außen dringen zu lassen. Dazu hatte Hüsing ein Stück dunkles Packpapier mit Heftpflaster auf dem Scheinwerferglas befestigt. Schon nach gut 100 Metern löste sich an einer Seite das Heftpflaster und das Packpapier klappte zur Seite. Ich drückte das wieder an und musste das oft wiederholen. Natürlich hielt ich nicht immer gleich an. So auch kurz vor der Einmündung unseres Weges auf die Hauptstraße. Meine Scheinwerferabdeckung hatte sich gerade gelöst, da schnappte ein Gendarmenarm nach mir und zog mich vom Fahrrad. Es gab einen Disput, bei dem ich letztlich beschuldigt wurde, das Fahrrad gestohlen zu haben. Zum Schluss, nach dem man meine Personalien aufgenommen hatte, legte man fest, dass der Besitzer des Fahrrades dieses selbst abholen sollte.

Der bösartige Verdacht war die eine Seite dieser missglückten Radtour. Schlimmer war, dass ich nun zu spät zur Arbeit kam. Ich stand etwa 20 Minuten nach Arbeitsbeginn vorn bei Meister Dietz, um mich zu entschuldigen. Doch der schiss mich zusammen und ließ keine Entschuldigung gelten. Dann begann das Spießrutenlaufen. Zuerst den Lehrausbilder vom Dienst suchen. Mit dem dann nach unten in den Keller zu den Umkleideräumen gehen und umziehen. Nun hatte gerade der dickste Lehrausbilder diese Aufgabe. Der schimpfte ausgiebig, musste er doch meinetwegen diesen zusätzlichen Weg zurücklegen. Dann musste ich beim Lehrausbilder bitten, dass der Rollschrank geöffnet wird, damit ich meine Brotbüchse ablegen konnte. Nun erst kam ich zur Arbeit.

Bald darauf bekam ich meine zweite Maulschelle. Es war im November, wir hatten die Eintragungen in unseren Werkstattheften fast auf dem aktuellen Stand, da stieß jemand im Heim an den Tisch, an dem ich schrieb und das Tintenfass kippte um. Ein Riesenklecks entstand in meinem Heft, der sich nicht nur auf die betreffende Seite bezog. An den nächsten Tagen sollte ich mein Heft vorlegen. Der Lehrausbilder übermittelte es sofort dem Meister Dietz. Der rief mich zu sich und kam mir gleichzeitig entgegen. Er schnauzte mich an, was das sein solle. Ohne meine Entschuldigung anzuhören bekam ich eine Ohrfeige, die nicht von schlechten Eltern war. Ich solle mich an einen anderen Tisch setzen, wenn ich derartige Schreibarbeiten zu erledigen hätte. Ich dachte, der macht Spaß. Doch davon war er weit entfernt. Eine Entschuldigung akzeptierte er nicht. Das Heft musste ich von vorn wieder neu beginnen. Alle Wochennotizen und die Skizzen dazu noch einmal ausführen. Ich ärgerte mich doppelt. Das neue Heft hatte nicht mehr so gutes Papier, es war schon Kriegswahre, wo die Schreibfeder oft in das Papier einhakte. Ich überstand das auch. Das Heft war zum gesetzten Termin fertig. Heute würde ich sagen, es ist sogar noch einigermaßen geworden.

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