Читать книгу Ein Heiliger kann jeder werden - Hubert Gaisbauer - Страница 19
ОглавлениеLiebe Mutter,
wieder stehen wir vor dem Annatag. Immer scheint es jedes Jahr der letzte zu sein, an dem wir uns die Glückwünsche senden. Doch der Herr gewährt Euch und mir, jeden Tag weiterzuleben. Preisen wir ihn miteinander und leben wir weiter, als wolle Er uns nicht nur eines, sondern viele Jahre gewähren. Und er wird sie uns gewähren. Wir sind nicht auf der Welt, um nichts zu tun. Ihr arbeitet für die Familie. Ich fahre fort, für die heilige Kirche zu wirken. Eine wertvolle Arbeit sowohl die Eure wie auch die meinige. Ich lege Euch zum Trost einen Hundert-Lire-Schein bei. Die Schwestern bitten mich, Euch zu sagen, dass Ihr ihn für Euch verwenden sollt, das heißt, um Euch in guter Gesundheit zu erhalten, und dass Ihr ihn nicht für die anderen ausgeben sollt.
Brief an die Mutter, Istanbul, 20. Juli 1935
Was Ihr mir über unsere Mutter sagt, gibt mir gewiss zu denken. […] Macht ihr Mut, heitert sie auf, erfüllt ihr alle Wünsche, sodass diese Jahre, die der Herr ihr noch schenkt, voll großen Trostes seien, weil sie sehen kann, wie ihre Kinder sie achten und lieben. Man darf gerne wissen, wie viel die Roncallis auf die Achtung vor ihren Eltern halten, dass sie wissen, dass die Alten im Hause ein großer Segen sind.
Brief an die Geschwister, Istanbul, 10. Juli 1938
Mein Opfer, gerade im letzten und heiligsten Augenblick fern zu sein, hat seinen vorweggenommenen Lohn darin gehabt, dass meine liebe Mutter fünfzehn Jahre lang, und zwar jedes Jahr einen ganzen Monat, sich der Gesellschaft ihres Bischof-Sohnes erfreuen durfte. Ein Glück, das sie hoch zu schätzen wusste. Wie sie denn am Ende der Ferien sich zu trösten pflegte: ›Was sollen denn wir hier auf dem Lande mit einem Bischof? Man müsste sagen, wenn er nicht abreist, dass da etwas dahintersteckt.‹ Während ich daran denke und das niederschreibe, kommen mir wieder die Tränen, aber in Gedanken an sie, an ihre Einfachheit und Güte und an ihren mütterlichen Schutz vom Himmel herab verleihen sie mir Kraft und Trost zu meiner Arbeit.
Brief Roncallis an einen Bekannten über seine Abwesenheit beim Sterben der Mutter, Istanbul, 6. März 1939