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Barba Zaverio
ОглавлениеZaverio Roncalli war die unantastbare Autorität innerhalb des vielköpfigen Familienclans und auch innerhalb der Gemeinde. Er war fromm und für einen Bauern überdurchschnittlich interessiert und gebildet, besaß sogar einige Bücher und hatte eine religiöse Zeitschrift abonniert, den Bollettino salesiano, der kirchliche Themen auch aus weltweiter Sicht behandelte, dann katholische Zeitungen aus der Region und Diözese Bergamo, wo bereits damals die Ideen und ersten Aktivitäten der Katholischen Aktion lebendig waren, ja in mancher Hinsicht sogar ihren Ausgang nahmen. Daher war Zaverio auch aufgeschlossen: Mit großer Aufmerksamkeit und Sympathie verfolgte er 1878 den Pontifikatswechsel von Pius IX. zu Leo XIII., dem Papst, der in wichtigen Ansätzen bereits begonnen hatte, die Kluft zwischen Kirche und moderner Welt zu überbrücken. Ein Bild von Leo XIII., das Onkel Zaverio aus einer Zeitschrift ausgeschnitten hatte, prägte dem kleinen Angelino sehr früh die charakteristischen Gesichtszüge des »Vaters der katholischen Soziallehre« ein.
Großonkel „Barba“ Zaverio Roncalli
Barba Zaverio nahm seine Patenpflicht sehr ernst: Als Angelino nach achtzehn Monaten im Ehebett der Eltern dem nächsten Bruder weichen musste, nahm er sein Taufkind in seine Kammer – und in seine geistliche Lehre. Man bedenke, wie besonders prägend die ersten drei Jahre im Leben eines Kindes für seine spätere Entwicklung sind. Der achtsame Umgang mit den frühen Bindungsgefühlen eines Kindes hat neben der Sorge um körperliche Unversehrtheit oberste Priorität. Zu einem großen Teil lag diese Obsorge für Seele und Leib des kleinen Angelo in den Händen des Großonkels Zaverio. Er las ihm aus dem Leben der Heiligen vor, erzählte ihm von Jesus und den Aposteln und betete mit ihm. Jeden Morgen beim Aufstehen war Barba Zaverios Morgengruß das gemeinsame Beten des Angelus: L’Angelo del Signore portò l’annuncio a Maria. Und Angelino – noch schlaftrunken – hatte zu antworten: Ed ella concepì per opera dello Spirito Santo. Dann war es für die beiden auch an den Wochentagen Zeit, in die Frühmesse nach Santa Maria Assunta zu gehen. Angelino zuerst noch am Arm oder auf den Schultern des Großonkels, doch bald schon auf eigenen Füßen und als fleißiger und gewissenhafter Ministrant des Pfarrers Don Francesco Rebuzzini.
Diese Erziehung war so prägend, dass sich – mehr als siebzig Jahre später – der Roncallipapst daran erinnern wird. In der fragmentarischen autobiographischen Skizze nennt er Großonkel Zaverio »ein so wirksames Vorbild, dass der Vorrat an Erbauung nicht nur für einen Priester, sondern auch für einen Bischof und Papst ausreichen konnte.« Als Zaverio Roncalli im Mai 1912 im Alter von achtundachtzig Jahren starb, war sein Patenkind längst Sekretär des Bischofs von Bergamo. In Dankbarkeit und Liebe schrieb Don Angelo, der »liebste Großneffe«, den Text für das Erinnerungsbildchen: »Das heilige Licht des Lächelns Gottes belebe im Himmel ewig seine gepriesene Seele […]. Er war der Gerechte der Heiligen Schrift. Ehrlich, gottesfürchtig, in der Niedrigkeit seiner Herkunft und im bescheidenen Leben auf den Feldern hatte er lebendig und eindringlich die Gesinnung Christi und die Weisheit der himmlischen Dinge gelernt im Gebet und in der unablässigen Lektüre bester geistlicher Bücher.«