Читать книгу Ein Heiliger kann jeder werden - Hubert Gaisbauer - Страница 20
Mamma Marianna
ОглавлениеAngelo Roncallis Mutter Marianna Giulia hat dreizehn Kinder geboren. Sie war zweiundzwanzig, als eine Tochter namens Maria zur Welt kam, die keine sechs Jahre alt wurde. Mit einundvierzig gebar sie ihr letztes Kind, den Sohn Luigi, der mit zwei Jahren starb. Dazwischen einen Domenico, der nur einen Monat alt wurde, und Enrica, die mit fünfundzwanzig Jahren sterben sollte. Neun Geschwister, vier Mädchen und fünf Buben, haben die Eltern überlebt, davon lebten noch fünf, als eines von ihnen, der älteste Sohn, in Rom zum Papst gekrönt wurde.
Die wenigen Fotos, die von Marianna existieren, zeigen sie meist im Kreise von Mitgliedern der Großfamilie. Beten, arbeiten und Kinder kriegen, das waren die Lebenskoordinaten der Frauen bei den lombardischen Halbpächtern um die Jahrhundertwende. Marianna hat früh gealtert ausgesehen, sie ist auch in späteren Jahren immer schweigsamer geworden, das enge Zusammenleben mit drei Schwiegertöchtern dürfte nicht immer reibungslos verlaufen sein.
Als sie wenig älter als sechzig war, wurde sie von dem Porträtmaler Giuseppe Gaudenzi aus Bergamo gemalt. Natürlich ging dieser für eine arme Bauernfamilie doch recht erstaunliche Entschluss, sich malen zu lassen, auf eine Initiative des geistlichen Sohns Don Angelo zurück, der damals, 1917, als Feldkaplan die Patienten der Lazarette von Bergamo betreute. Ein Brief von Don Angelo an den Vater, von dem bereits ein Porträt existierte, gibt Aufschluss darüber: »Mein lieber Vater! Ich habe heute zuhause Euer Bild des Malers Gaudenzi gesehen. Es hat mir sehr gut gefallen, und ich bitte die Mutter herzlich, sich gleichfalls malen zu lassen. Sie soll mir ja nicht nein sagen! Und Ihr empfehlt ihr, mir den Gefallen zu tun. Sie soll sich angemessen kleiden, jedoch mit der gewohnten Einfachheit, und versuchen fertigzubekommen, wie immer zu sein: mit ihrem gütigen, heiteren und zufriedenen Gesicht. Ihren eigenen Verdruss und den der anderen braucht der Maler nicht. Ich habe ihm geschrieben und ihn gebeten, auch dieses Bild in den Tagen zu malen, da er sich noch in Sotto il Monte aufhält. An die Bezahlung werde ich denken. […] Der Herr gewähre Euch und der ganzen Familie alles Gute. Euer Sohn d. Angelo«
Giuseppe Gaudenzi war in den besseren Kreisen Bergamos recht angesehen als Landschafts- und Porträtmaler.
Porträts der Eltern, gemalt von Giuseppe Gaudenzi, Bergamo um 1917
Marianna war gehorsam, ließ sich malen und blickt aus dem Bild ganz so, wie es der geistliche Sohn gewünscht hatte: hochgeschlossen gekleidet, mit einem verhaltenen Lächeln auf den Lippen. Das runde Gesicht Don Angelos findet sich allerdings eher im Porträt des Vaters. Der ist ganz Bergamasker mit Schnauzbart und Fliege, kein Vielredner, sondern con stretta di mano – ein Mann von Handschlagqualität.