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Ein bemerkenswertes Testament

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Marianna Roncalli starb am 20. Februar 1939 mit vierundachtzig Jahren in Abwesenheit ihres bischöflichen Sohnes und wurde auf dem Friedhof in Sotto il Monte begraben. Die Trauerfeierlichkeiten für den wenige Tage zuvor verstorbenen Papst Pius XI. und die offiziellen Kondolenzbesuche in der Delegatur in Istanbul verhinderten, dass Roncalli nach Sotto il Monte reisen konnte. In seiner Aufbewahrung befand sich ein Schriftstück aus der Hand der Mutter, das er umgehend den Geschwistern zur Kenntnis bringen wollte. Es war das Testament der Mamma Marianna; sehr viel hatte sie ja nicht ihr Eigentum nennen können. Im Brief an die Geschwister schrieb er die, wie ihm schien, wichtigste Passage ab: »Da ich meinem Sohn Alfredo, der ledig geblieben ist, nicht die Vergünstigungen gewähren konnte, wie sie hingegen seinen Brüdern Zaverio, Giovanni, Giuseppino zuteil geworden sind, bestimme ich, dass bei meinem Tode Alfredo mein ganzes Bett, das heißt Bettgestell, Federmatratze, Matratze, 8 (acht) Betttücher und Decken und die Möbel, die in meinem Schlafzimmer sind, gegeben werden. Ich bitte meinen Sohn Mons. Angelo, diesen meinen Willen ausführen zu lassen. Roncalli Mazzola Marianna.«

Alfredo war das neunte Kind der Roncallis und nahm aufgrund seiner hochgradigen Kurzsichtigkeit einen Sonderstatus in der Familie ein. Sein Bruder Angelo schätzte ihn wegen des trockenen Humors, mit dem er manche gespannte Situation innerhalb der Großfamilie zu entschärfen vermochte. Immer wieder wirkte er auf die anderen Geschwister ein, dass sie sich seiner besonders annehmen sollten. Don Angelo war selber mit gutem Beispiel vorangegangen und hatte dafür gesorgt, dass Alfredo endlich eine Brille bekam, die seine Seh-, Schreib- und Lesebehinderung etwas milderte. »Alfredo sieht jetzt aus wie ein Professor.« Von seinen ersten Ostern, die der junge Erzbischof an seinem Dienstort Sofia feiern musste, schrieb er ausnahmsweise auch einmal an Alfredo: »Ich erwidere Deine Ostergrüße herzlich. Der heilige Joseph trug keine Brille, das kannte man damals noch nicht. Doch hat er uns die Kunst gelehrt, nur das Gute zu sehen und alles beiseite zulassen, was uns nicht nach oben führt. […] Denk in Deinen Gebeten immer besonders an mich, damit mir der Herr helfe, den Blinden die Augen zu öffnen; es gibt ihrer viele auch in diesem Land, wo die Wahrheit ebenso wie anderswo leuchtet, wenngleich sie sie nicht sehen wollen.

In inniger Zuneigung, Dein Bruder

Angelo Giuseppe Archivesc.«

Apropos

»La Sposalizio della Vergine«

Die »Vermählung Mariens« hat keine biblische Grundlage, trotzdem erfreute sie sich in der Volksfrömmgkeit und in der bildenden Kunst großer Beliebtheit. Von Giottos Fresko in der Scrovegni-Kapelle in Padua bis zu den frommen Nazarenern im 19. Jahrhundert wurde das Motiv unzählige Male variiert. Das wohl berühmteste Bild der »Sposalizio« befindet sich in der Pinacoteca di Brera in Mailand. Raffael Santi hat es als Einundzwanzigjähriger im Jahr 1504 gemalt. Alles an dem Bild ist »ideal« und erscheint durch den schwebenden Sakralbau bestimmt von der Harmonie gottgewollter, kosmischer Gesetze. Es ist ein Bild des Vertrauens, der Verheißung und der Vollkommenheit.

Wie das vergessene Fest der »Vermählung Mariens« beziehen sich auch die bildlichen Darstellungen auf das apokryphe Jakobus-Evangelium, dem zufolge der Zimmermann Joseph durch das Stabwunder als Bräutigam für die Tempeljungfrau Maria erwählt worden war. Unter den brautwerbenden Witwern des Landes sollte nämlich jener Maria als Frau heimführen, an dessen Stab ein Zeichen Gottes sichtbar würde. Nach einem Gebet des Hohenpriesters habe sich auf dem Stab Josephs eine Taube niedergelassen – in anderen Varianten hätte der Stab zu blühen begonnen – und Joseph nahm Maria »in seine Obhut« und wurde ihr vom Priester angetraut.

Die »Sposalizio« von Raffael ist eines der »capolavori«, der Meisterwerke, der Brera-Pinakothek und Roncalli hat es sicher bei einem seiner zahlreichen Mailand-Besuche bewundert. Dass es genau vierhundert Jahre vor seiner Priesterweihe gemalt wurde, wird er wohl vermerkthaben. Im Vergleich zu den meisten der zahllosen anderen Künstler, die das beliebte Motiv umgesetzt haben, malte Raffael keinen »alten« Joseph, sondern einen im besten Mannesalter.

Von stets lieblicher Art sind die beliebten Darstellungen der Vermählung Mariens auf den kirchlichen Trauungsurkunden, wie sie im Geist und im Eheverständnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts üblich waren und – so darf man annehmen – in der einen oder anderen Variante vom Traupriester Mons. Angelo Giuseppe Roncalli unterschrieben wurden.

1 Näher beschrieben in: Hubert Gaisbauer, »Ruhig und froh lebe ich weiter. Älter werden mit Johannes XXIII.«, Wien, 2011; S. 170ff

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