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Man sieht: hier wird verneint, dass es eine deutsche Intelligenz schon gab, ja geben konnte. Es gab Fragmente, Ansätze, Versuche, aber keine Durchdringung und Aufhellung der Nation. Auch Deutschland hatte seine großen Männer. Aber der Widerspruch, in dem sie zur Gesamtheit standen und jene mit sich selbst unzufriedene Selbstzufriedenheit, die das Volk charakterisiert, verwandelte in diesen Männern die Liebe zu Hass, die Freude in Verzweiflung. Von Banausentum, Intrigen und Pedanterie eingekreist, sahen sie ihre besten Entwürfe verkümmern. Von keiner begeisternden Welle getragen, wurde ihr Schaffen ihnen zur Qual, ihr Leben zum Leidensweg, und wenn sie die Aussichtslosigkeit erkannten, war es zu spät.

Thomas Münzer Archifanatikus: eine ganze Hierarchie des Leidens trug er in sich. Er ist verschollen in diesem Volk, sein Name ist kaum bekannt. Hölderlin klagt: „Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tief unfähig jeden göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gut geartete Seele, dumpf und harmonienlos wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes: – das, mein Bellarmin, waren meine Tröster.“6 Von Goethe kam jenes resignierte Wort: „Wir Deutschen sind von gestern. Wir haben zwar seit einem Jahrhundert ganz tüchtig kultiviert; allein es können noch ein paar Jahrhunderte hingehen, ehe bei unseren Landsleuten so viel Geist und höhere Kultur eindringe und allgemein werde, dass man von ihnen wird sagen können, es sei lange her, dass sie Barbaren gewesen.“7 Von Goethe jener verzweifelte Spruch, das sauve qui peut, das er achselzuckend der geistigen Partei seiner Zeit zurief:

„Eines schickt sich nicht für alle,

Jeder sehe, wie er's treibe,

Jeder sehe, wo er bleibe,

Und wer steht, dass er nicht falle.“ Behauptet hat er sich, verstellt in diesem Volk. Magister sezierten ihn, Philologen wie Blutegel setzten sich an. Popularität aber erlangte er noch heute nicht. In seinen wichtigsten und sublimsten Entscheidungen stieß er auf Harthörigkeit, blieb er ein Missverständnis und Wunder8. Heinrich Heine floh entsetzt nach Paris. Die Goncourts behaupteten, dass er mit zwei anderen Nichtparisern die Quintessenz des Pariser Geistes darstellte; in Deutschland aber wird er noch heute malträtiert9. Friedrich Nietzsche hat den Deutschen die schlimmsten Dinge nachgesagt, die man einer Nation nachsagen kann; er fand: „Die Deutschen sind in die Geschichte der Erkenntnis mit lauter zweideutigen Namen eingeschrieben, sie haben immer nur unbewusste Falschmünzer hervorgebracht.“10 „Psychologie“, fährt er fort, „ist beinahe der Maßstab der Reinlichkeit oder Unreinlichkeit einer Rasse. Und wenn man nicht einmal reinlich ist, wie sollte man Tiefe haben? Man kommt beim Deutschen, beinahe wie beim Weibe, niemals auf den Grund, er hat keinen; das ist alles. Aber damit ist man noch nicht einmal flach. Das, was in Deutschland 'tief' heißt, ist genau die Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich eben rede: man will über sich nicht im klaren sein.“ Und doch hatte auch er begonnen voller Hoffnung auf eine geistige Einheit, auf ein heroisch deutsches Ideal, das der Hort alles höheren Europäertums werden könne11. Die Nation zwang ihn zum Ressentiment, zur Germanophobie. Am Ende seiner Laufbahn bedauerte er, nicht französisch geschrieben zu haben und wollte als Pole gestorben sein. Man lese jene erschütternde, kurz vor seinem Zusammenbruch geschriebene Abrechnung mit der deutschen Mentalität, „Ecce homo“, um zu ermessen, wie hier ein deliziöser und hochgespannter Wille an der historischen Mesquinerie, der platten Denkwirtschaft und faulen Gemütlichkeit seiner Nation sich gescheitert fühlte. Man vernehme auch Schopenhauers Testament, das also lautet: „Sollte ich unvermutet sterben und man in Verlegenheit kommen, was mein politisches Testament sei, so sage ich, dass ich mich schäme, ein Deutscher zu sein, und mich darin auch mit all den wahrhaft Großen, die unter dies Volk verschlagen wurden, eins weiß.“

Ich habe die besten Namen der Nation genannt, und man kann nahezu an der Heftigkeit ihrer Verzweiflung die Höhe ihrer ursprünglichen Intention ermessen. Sie fühlten sich auf verlorenem Posten, und je später sie es einsahen, desto blutiger lehnten sie die Gemeinschaft ab. Man könnte versucht sein, Heinrich Mann zuzustimmen, der als Motto über seinen durch den Krieg abgebrochenen Roman „Der Untertan“ die tristen Worte schrieb: „Dies Volk ist hoffnungslos.“ Wenn sich die stärksten und menschlichsten Geister gegen ihr Volk erklärten: Was bleibt zu tun? In Böotien baut man Kartoffeln, Tragödien schreibt man in Athen.

Wo fand sich in Deutschland jene vergötternde Begeisterung, jene Zärtlichkeit, mit der französische Geister Frankreich Notre Dame und La douce France nannten12? Charles Maurras schlug vor, Frankreich als Göttin zu verehren und Léon Bloy, einer der heftigsten Pamphletisten, die Frankreich erlebte, noch er fühlte das Recht zu schreiben: „La France est tellement le premier des peuples que tous les autres, quels qu'ils soient, doivent s'estimer honorablement partagés quand ils sont admis à manger le pain de ses chiens.“13 In keinem andern Volk hat der esprit religieux solche Höhen und Tiefen erreicht wie im Frankreich der letzten fünfzig Jahre. Die Kirche der Intelligenz: hier wurde ihr Grundstein gelegt. Geister wie Renan, Baudelaire, Erneste Hello, Barbey d'Aurevilly, Léon Bloy, Charles Péguy haben wie in einer Vorahnung furchtbarer und verworrener Jahrhunderte den limbus patrum geschaffen, der den gott- und geistlosen Animalismus unserer Zeit richtet und die trostlose nationalistische Verflachung eines Journalisten- und Diplomatenzeitalters belächelt. Als Kirchenväter des kommenden Europa zogen sie die letzten, sublimsten, sakramentalen Konsequenzen aus Mittelalter und Christentum, wurden sie Angelpunkt und Maß einer neuen Welt. Das Gewissen nicht nur Frankreichs sprach in ihren Schriften, die eine Apologie immer wieder desselben Themas sind: pietas et paupertas sancta. „Unsere Gegner von damals“, schrieb Charles Péguy, „führten die Sprache der Staatsräson, die Sprache des zeitlichen Wohls eines Volkes und einer Rasse. Wir Franzosen, getragen von einer tief christlichen Bewegung, von einem revolutionären und in seiner Gesamtheit doch traditionellen Gedanken der Verchristlichung, erreichten die Höhe der Passion in der Sorge um das ewige Heil unseres Volkes. Wir wollten nicht, dass Frankreich im Zustande der Todsünde dastehe.“ Und Romain Rolland, der diesem Worte ein unerbittlicher Wächter hätte bleiben sollen, statt zwischen seiner Märtyrernation und einem infernalischen Deutschland samaritanische Vermittlungsversuche zu unternehmen, Romain Rolland fügt hinzu: „Vernehmet einen Heroen des französischen Gewissens, Schriftsteller, die ihr über dem Gewissen Deutschlands zu wachen habt.“14

Wo fand man in Deutschland jenen Geist der Freiheit, der das Gewissen des russischen Volkes seit 1825 in heftigen Wehen geschüttelt hat? Jenes kraftvolle Bewusstsein künftiger Größe, das in weniger als hundert Jahren ein durch seine Sprache und Einrichtungen tief vom europäischen Leben getrenntes Volk an die Spitze des verwirrt und erstaunt nach Osten aufschauenden Europa sehen will trotz Bolschewikentum und jüdischem Revancheterror? Wo fand sich in Deutschland jener phantastische Opfermut, der in der Geschichte der russischen Revolution seit hundert Jahren Großtaten wie Sterne aufblühen und in den Gefängnissen, Festungen und Füsiladen Sibiriens lautlos und glühend versinken ließ? Jener Mut zur Fronde, jener Fanatismus geistiger Interessen und Kommunionen, jener praktische Ernst und jene Versatilität der politischen Methode, die Russland zur Großmacht der Freiheit erheben? Von den Dekabristen Pestel, Muravjew und Rylejew angefangen bis zu europäischen Geistern wie Herzen, Bakunin und Ogarjow; von Konspiratoren wie Tschernischewskij, Serno-Solovjewitsch und Netschajew bis zu Krapotkin, Tolstoi und Lenin: welche Unsumme politischer Energie, nationalen Gewissens und bis zum Wahnsinn gehender Hingabe an die Idee der Geringsten und der Verlorensten unter den Menschen! Hat das deutsche Volk jede Besinnung verloren? Fühlt es sich wirklich nur noch berufen, alles Große zu vernichten und zu bekämpfen, statt in Scheu und Demut die Waffen wegzuwerfen und die Hände auszustrecken?

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