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Und es muss gesprochen werden von den Bauernkriegen selbst. Wenn der revolutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisieren, nach Friedrich Schlegel, „der elastische Punkt der progressiven Bildung und der Anfang der modernen Geschichte“ ist, Enthusiasmus aber „das lichte Chaos von göttlichen Gedanken und Gefühlen“65, so steht Thomas Münzer am Beginne einer Entwicklung, die heute keineswegs abgelaufen ist, sondern deren Faden wir verloren haben. Wem sind wir verantwortlich? Einem Willkür-Regiment oder der Menschheit? Einer mörderischen Obrigkeit oder der Verbrüderung, Solidarität, Größe und Würde des Daseins?

Abt Joachims revolutionäre Idee wurde in Thomas Münzer zur revolutionären Tat. Luthers Denunziation der Schwarm- und Sturmgeister war eine Ablehnung des Enthusiasmus. Er gestand ihnen Geist zu, aber er sah keine göttlichen, sondern satanische Kräfte in ihnen.

„Wir kranken daran, nicht von Grund aus krank sein zu können. Wir können zu wenig Leid empfinden.“ In diesem Ausspruch eines heutigen Deutschen66 hat man die ganze Ursache der deutschen Barbarei. Denn was ist barbarisch, wenn nicht die Unfähigkeit, leiden und mitleiden zu können? Und was ist satanisch, wenn nicht der Wille, die Qual zu vermehren, statt sie zu beheben? Satanische Kräfte sind dort am Werk, wo die natürlichen Fesseln des Menschen durch äußere Auflegung noch vervielfacht werden. Satanische Kräfte dort, wo die Qual, mit der jeder geboren wird, durch das Dasein verdoppelt wird, statt erleichtert zu werden. Die Pseudologie von Gesetz und von Dogma, Erfindung von Herrschern und Theologen, hat sich geeinigt, satanisch zu nennen, was ihrer Usurpation widerspricht. Das Leben hat keinen andern Sinn als die Freiheit. Die äußere Freiheit ist nur die logische Konsequenz der inneren; beide zusammen aber sind unerlässlich, weil sie allein jene nach Goethe wesentlichste Bedingung der Unsterblichkeit erfüllen, „dass der ganze Mensch aus sich heraustrete ans Licht“. Moral ist Libertinage, gefesselt durch Armut und Mitleid.

In einer finsteren Zeit die Vernunft einsam am Werke zu sehen, gewährt ein tröstliches Schauspiel. Von 1523 an trat Münzer systematisch hervor. Seit 1524 richtete er heftige Angriffe gegen Luther. Den „wittenbergischen Papst“, der seine politische Indulgenz religiös maskierte, hielt er für bei weitem gefährlicher als den römischen. Im Frühjahr 1524 richtete er einen Brief an Melanchthon des Inhalts, Melanchthon und Luther missverstünden die werdende neue Kirche durch ihren Buchstabendienst67: „Ihr zarten Schriftgelehrten, seid nicht unwillig, ich kann es nicht anders machen.“ Er erkauft sich von ihrem Hasse die Freiheit, handeln zu dürfen; er spricht von „den großen Hansen, die Gott also lächerlich zum gemalten Männlein gemacht haben“. Sein Stil wird agitatorisch und emotionell. Die hellen Posaunen will er „mit einem neuen Klang füllen“. „Die ganze Welt muss einen großen Stoß aushalten; es wird ein solch Spiel angehen, dass die Gottlosen vom Stuhl gestürzt, die Niedrigen aber erhöhet werden.“68 „Man muss gar mächtig Achtung haben auf die neue Bewegung der jetzigen Welt. Die alten Anschläge werden es ganz und gar nicht mehr tun, denn es ist eitel Schaum, wie der Prophet sagt. Der da nun wider den Türken fechten will, der darf nicht fern ziehen, er ist im Lande. Wer aber ein Stein der neuen Kirche sein will, der wage seinen Hals, sonst wird er durch die Bauleute verworfen werden.“

Er beruft sich auf Lukas 19,27: „Nehmet meine Feinde und würget sie vor meinen Augen.“ Er verwirft das Christuswort „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“, und hält sich an das alte Testament: Fürsten gemordet auf Prophetengeheiß, im Namen Gottes verworfen; Haus und Kind derselben erwürgt bis auf den letzten geflüchteten Sprössling.

Gebet dem Volke, was des Volkes ist, das ist die Losung. Denn Christus hat in der Hauptsache gelehrt: alle Menschen sind Kinder eines Vaters, Brüder, unter sich selbst gleich. Von der Rechtmäßigkeit der geistlichen Fürstengewalt stand nichts in der Bibel, von der weltlichen aber auch nicht. „Gott hat die Herren und Fürsten in seinem Grimm der Welt gegeben und er will sie in der Erbitterung wieder wegtun. Darum dass der Mensch zu der Kreatur gefallen ist, ist's über die Massen billig gewesen, dass er die Kreatur auch mehr denn Gott muss fürchten“. „Die Fürsten sind um der henkerischen Furcht willen. Sie sind nichts anderes denn Henker und Büttel, das ist ihr ganzes Handwerk“. „Wenn nun die Wüteriche (der Bürokratie) wollen vorgeben, ihr sollt euren Fürsten und Herren gehorsam sein, so habt ihr zu antworten: ein Fürst und Landesherr ist über zeitliche Güter gestellt zu regieren und seine Gewalt erstreckt sich auch nicht weiter.“ 69

Das bedeutete auch die Trennung von Staat und Kirche, aber jedenfalls die Unterordnung der Fürsten unter die geistige Macht. An seine Landesfürsten wandte er sich: „Ihr allerteuersten und liebsten Regenten, lernt euer Urteil recht aus dem Munde Gottes und lasst euch von euren heuchlerischen Pfaffen nicht verführen und mit gedichteter Geduld und Güte aufhalten.“70 An Luther aber folgendermaßen: „Warum heißt du sie durchlauchtige Fürsten? Ist doch ihr Titel nicht ihr, gebührt er doch Christus. Warum heißt du sie Hochgeborene? Ich meinte, du wärest ein Christ; so bist du ein Erzheide.“71 „Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Rauberei sind unsere Fürsten und Herren. Nehmen alle Kreaturen zu Eigentum: die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, muss alles ihr sein. Danach lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, du sollst nicht stehlen. Es dient aber ihnen nicht. So sie nun alle Menschen verursachen, den armen Ackersmann und Handwerksmann und alles, was da lebt, zu schinden und schaben. So er sich dann vergreift an dem Allergeringsten, so muss er henken.“72

1524 brach in Süddeutschland der Bauernkrieg aus. Münzer forderte zur Selbsthilfe auf. „Die Gewalt der Fürsten hat ein Ende, sie wird in kurzer Zeit dem gemeinen Volke gegeben werden!“ Wie anders klingen diese Worte, als Luthers Lehre von der Christlichkeit der Knechtschaft!

Münzer: „Es wird kein Bedenken oder Spiegelfechten helfen. Die Wahrheit muss hervor. Die Leute sind hungrig, sie müssen und wollen essen.“73

Luther: „Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muss.“74

Münzer: „Ach Gott, die Bauern sind arme Leute. Sie haben ihr Leben mit der Nahrung zugebracht, auf dass sie den Tyrannen den Hals gefüllt.“75

Und Luther, derselbe Luther, von dem seine Scheherazade Ricarda Huch sagt, dass er Poesie sprach, wenn er den Mund auftat76: „Cibus, onus et virga asino. Der gemeine Mann muss mit Bürden beladen sein, sonst wird er zu mutwillig.“77

Auf eine wiederholte Denunziation hin floh Münzer nach Nürnberg.

Der Nürnberger Magistrat konfiszierte sein Pamphlet „Wider das sanftlebende Fleisch zu Wittenberg“, in dem Münzer vor dem Jahrhundert und der Menschheit den Kampf aufnahm:

„Noch bist du verblendet und willst doch der Welt Blindenleiter sein? Du hast die Christenheit aus deinem Augustinus mit einem falschen Glauben verwirrt und kannst sie, da die Not angeht, nicht berichtigen. Darum heuchelst du den Fürsten. Du meinst aber, es sei gut geworden, da du einen großen Namen überkommen hast. Du hast gestärkt die Gewalt der gottlosen Bösewichter, auf dass sie auf ihrem alten Wege blieben. Darum wird dirs gehen wie einem gefangenen Fuchs. Das Volk wird frei werden und Gott allein wird Herr darüber sein.“78

Die Wiedertäufer und Schwärmer wurden seine Konspiratoren und Emissäre. Schon als fünfzehnjähriger Knabe hatte Münzer sich beteiligt an einer Verschwörung gegen den Erzbischof Ernst von Magdeburg. Jetzt gründete er den Altstedter Bund, den Mansfelder Bergarbeiterbund: Zinsverweigerung und Aufstand. Am 15. Juli 1525 berichtet er von „mehr als dreißig Anschlägen und Bündnissen der Auserwählten“. „In allen Ländern will ich das Spiel machen; kurzum, wir müssen ausbaden, wir sind eingesessen. lasst euch das Herz nicht entsinken, wie es den Tyrannen allen entfallen ist. Es ist das rechte Urteil Gottes, dass sie so ganz jämmerlich verstockt sind; denn Gott will sie mit der Wurzel ausraufen.“ „Thomas Münzer mit dem Hammer“ nennt er sich. Im Barfüßerkloster lässt er Geschütze schweren Kalibers gießen. Eine weiße Fahne führt er ins Feld, darin ein Regenbogen steht. Nach Luther aber warf man mit Steinen, als er in Orlamünde sich sehen ließ.

In wilden Blutbädern wurden die skorbutmäuligen ausgehungerten Bauern-Proletarier niedergemetzelt. Die Bergpredigt, das Evangelium der Armen, erfuhr eine blutige Abfuhr. „'Omnia sunt communia' ist ihr Artikel gewesen“, berichtet Melanchthon79. Auf der Folter gestand Münzer, die Empörung habe er gemacht, „damit die Christenheit solle alle gleich werden“.

1525 blutete das Volk, 1790 in Frankreich die Aristokratie. Wann wird sich Deutschland mit Frankreich verbünden? Siebenundzwanzigjährig starb

THOMAS MVNZER

STOLBERGENSIS PASTOR ALSTEDT

ARCHIFANATICVS PATRONVS ET CAPITANEVS

SEDITIOSORVM RVSTICORVM

DECOLLATVS

Wann wird ihm Deutschland, wann wird ihm Europa ein Denkmal setzen?

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