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Zuhause wie im Ausland hat man nie gebührende Aufmerksamkeit der Tatsache geschenkt, dass es einmal eine deutsche Revolution gegeben hat. Die großen Bauernaufstände 1524/25, deren Niedermetzelung ein peinliches Kapitel für die offizielle Geschichtsschreibung im Allgemeinen und für die lutheranische im Besonderen ist, waren der Ausbruch einer zugleich religiösen und politischen Bewegung, die sich von der Normandie über Jütland, Thüringen, Franken, bis nach Ungarn erstreckte.

In deutschen Schulbüchern wird man wenig darüber finden, und doch waren diese Bauernaufstände eine der mächtigsten und blutigsten Rebellionen gegen Adel und Geistlichkeit, die Europa erlebte52. Die lutheranische Geschichtsschreibung hatte zwiefachen Grund, über dieses Kapitel weitgeistig wegzugehen. Die Stellung Luthers zu diesen universalen Volksaufständen war eine so despotisch reaktionäre, jeglichem Evangelium, jeglicher Bergpredigt widersprechend, dass das Ansehen des Reformators ernstlich gefährdet erscheinen musste, wenn die Bedeutung jener Ereignisse in ihr wahres Licht gerückt wurde. Sodann war nicht nur für den Stifter, sondern für den religiösen Wert des Protestantismus selbst zu fürchten, wenn sich ergab, dass jene Zeiten zwar die Freiheit eines Christenmenschen im kirchlichen Sinne gefordert, im politischen sie aber desto brutaler abgelehnt hatten. „Selbst diejenigen Bearbeiter der Einzelpartien“, schreibt der klassische Geschichtsschreiber der Bauernkriege, Zimmermann, „die eine freiere Gesinnung hinzubrachten, behandelten ihren Gegenstand fast zaghaft, ohne das Wesen desselben, die großen Sünden der Herrschenden und das aus tausend Wunden blutende Herz des zur Verzweiflung getriebenen Volkes nackt aufzudecken.“

So verfiel man auf den Kniff, immer nur von der Reformation, nie aber von der Revolution zu sprechen, die jener Zeit ihr Gepräge gab; und auf den weiteren Kniff, Luthers Stellungnahme in den Bauernkriegen, zwar als einen dunklen Punkt in seinem Leben, im Ganzen aber als eine untergeordnete Episode darzustellen, während seine ablehnende Haltung 1525 tatsächlich die Revolution zum Scheitern brachte und die von ihm selbst ermutigten politischen Rebellen im Stiche ließ53. Es kann nicht nachdrücklich genug betont werden, dass damals das ganze deutsche Volk, von Wut und Empörung gegen Pfaffen, Gelehrte und Junker gleicherweise getrieben, nicht nur den Klerus, sondern den Raubbau der Theokratie abzuschütteln gewillt war. Es kann nicht laut genug ausgesprochen werden, dass Luther es war, der verhinderte, dass Deutschland damals an die Spitze der freiheitlichen Zivilisation trat und als Land einer evangelischen Republik der Vorläufer Frankreichs wurde. Ein abergläubischer Mönch ohne Sinn für die tiefere Not seines Volkes, aufbrausend, dogmatisch und ein Despot, als die Zeit von ihm die Konsequenz seiner Lehre verlangte, dieser Mönch hat verhindert, dass Deutschland heute statt eines feudal zentralistischen Militärstaats eine freie Föderation evangelischer Stämme und Städte darstellt, im Sinne der christlichen Korporationsidee.

Die Bauernkriege erstreckten sich über fast ganz Europa. Nicht plötzlich, sondern wohl vorbereitet brachen sie aus. Ihre Geschichtsschreiber haben den furchtbaren Druck und die Ausbeutung aufgezeigt, mit denen das päpstlich-kaiserliche Doppelregime die Bauern nach einer Methode ruinierte, der nur das heutige Doppelregime Hohenzollern-Habsburg etwas gleich Schändliches und Raffiniertes an die Seite zu stellen hat. Astrologen und Propheten hatten den Sturz der weltlichen und geistlichen Obrigkeit in Aussicht gestellt und geweissagt. Die Renaissance gab den Anstoß.

Arnold von Brescia starb den Feuertod am Kreuze, weil er die innere Verwesung der Kirche und die Lehre von der Freiheit und Souveränität des Volkes verkündet hatte. In Frankreich lehrte Abälard: „Man kann nichts glauben, was man nicht zuvor vernünftig begriffen hat und es ist lächerlich, andern zu predigen, was man weder selbst, noch der, dem man predigt, vernünftig begreifen kann.“ In England der Franziskanermönch John Ball: „Jetzt oder nie muss etwas geschehen, wir müssen allesamt von dem jungen König Freiheit fordern. Gibt er sie nicht, uns selbst helfen.“ Es war die Zeit, da die flämischen Steuereinnehmer den heranwachsenden Mädchen die Röcke aufhoben, um zu sehen, ob sie nicht mannbar und steuerpflichtig wären. Räuberbanden von Juden und Junkern durchzogen das Land. Eine Schweizer Chronik schreibt: „Die Tyrannei ist so gewaltig, dass auch die Propheten und Prediger zustimmen oder schweigen.“ Eine Souveränität des Unsinns und des allmächtigen Elends herrschte. Das Volk war betäubt und ohnmächtig von Weihrauch wie heute vom Pulverdampf.

In Deutschland aber trat ein Genie des Gedankens und der Tat auf, das den Ruhm Luthers verdunkeln wird. Kein Mönch – ein Magister artium versuchte, die Kämpfe seiner Nation aus deren innerstem Wesen im Geiste der Mystik zu leiten. Und so sehr überragte dieser Mann seine furchtsame Zeit, dass er den Himmel zerbrach, Gott, Christentum, Bibel und Theologie neuartig zu deuten verstand und die Heiden und Türken brüderlich grüßte: er litt am Geiste und an der Nation.

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