Читать книгу Zur Kritik der deutschen Intelligenz - Hugo Ball - Страница 11
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ОглавлениеFreiheit und Heiligung: das sind die beiden Ideen, die heute die Welt bewegen. Nicht jenes Freiheitsbestreben preußischer Fürsten und ungarischer Magnaten, das darin besteht, jede Willkür für sich zu fordern und nicht kontrolliert zu sein. Nicht jene Heiligung, die durch Verschlucken von Hostien, Zitieren von Bibelsprüchen und Glaube an einen gestorbenen Gott der einfachsten Menschenpflicht sich enthoben glaubt; auch jene „Heiligung“ nicht, die da sagt: „Es ist die lichteste Eigenart unseres deutschen Denkens, dass wir die Vereinigung mit der Gottheit schon auf Erden vollziehen“, um dann hinzuzufügen: „Wir sind ein Volk von Kriegern. Militarismus ist der zum kriegerischen Geist hinaufgesteigerte heldische Geist. Es ist Potsdam und Weimar in höchster Vereinigung. Es ist 'Faust' und 'Zarathustra' und Beethoven-Partitur in den Schützengräben.“15 Oh diese Herren Sombart, wie wenig ahnen sie von der Vereinigung mit der Gottheit!
Freiheit und Heiligung: das heißt Opfer und noch einmal Opfer, Opfer an Gut, und wenn es sein muss, an Blut, aber in einer anderen Sphäre, auf einer anderen Bühne als auf dem wackelnden heutigen Kriegstheater! Als Michael Bakunin nach zehnjähriger Kerkerhaft und Verbannung mit krummem Rücken, ohne Zähne, herzkrank und grau, als Fünfzigjähriger auf dem Friedens- und Freiheitskongresse in Bern erschien, umringten ihn seine Freunde aus den achtundvierziger Jahren, und man bestürmte ihn, die Memoiren seiner Konspirationen und Straßenkämpfe, seiner Todesurteile, Verbannung und Flucht zu schreiben. „II faudrait parler de moi-même!“, sagte er. Er fand, es gäbe wichtigere Dinge zu tun, als von der eigenen Person zu sprechen. Und von Léon Bloy rührt das tief verlorene, vielleicht religiöseste Wort unserer Zeit her: „Qui sait, après tout, si la forme la plus active de l'adoration n'est pas le blasphème par amour, qui serait la prière de l'abandonné?“ Versteht man danach, was Freiheit und Heiligung ist?