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Die konsistorialrätliche deutsche Reichsgeschichtsschreibung hat verhindert, gerade über Luther nachzudenken, und das beweist, wie notwendig es ist. Damals, zu Luthers Zeit, fand jenes Bündnis der deutschen Bourgeoisie mit dem Feudalismus statt, das alle europäischen Revolutionen überdauerte und heute Europa zu knebeln und niederzuwerfen gewillt ist. Luther war dieses Bündnisses Prophet und Herold. Durch seine Stellungnahme im Ablassstreit hat er die Landstände, Fürsten und Magistrate brüderlich verbunden. Indem er das Gewissen in den Schutz weltlicher Fürsten stellte, half er jenen Staats-Pharisäismus schaffen, für den das Gottesgnadentum, die gottgewollte Abhängigkeit und die Phrase vom „praktischen Christentum“ gleicherweise Symbole sind. Durch sein despotisches Auftreten in den Bauernkriegen aber verriet er die Sache des Volkes an den Beamtenstaat.

Die Tat Luthers soll keineswegs verkleinert oder verunglimpft werden. Vom alldeutschen Standpunkt aus muss man sie vergöttern, gewiss. Vom Standpunkt der Demokratie aus muss man sie verwerfen. Wer gegen die heutige Tyrannei protestiert wie Luther vor 400 Jahren als Mönch protestierte, hat das Recht, sich auf ihn zu berufen. Auch soll den Evangelischen nicht ihr Heiliger genommen werden, obgleich dieser Heilige von Heiligen nichts wissen wollte. „Dem Doctor Luther zulieb“, sagt Naumann, „ist das Jesuskindlein geboren worden. Der Papst hatte nur einen Schatten davon.“22 Sei's drum. Solche Verehrung lassen wir gelten. Jener Luther, der herzinnige Brieflein an seinen Sohn Hänsigen schrieb; der die Bibel übersetzte und die Bannbulle verbrannte, bleibt ewiges Gedächtnis; dem protestantischen Handwerker und Bauern ein Vorbild des guten Familienvaters, wie Josef von Nazareth dem katholischen. Ein anderer Luther aber ist es, den das Wischi-Waschi alldeutschen Geredes und Geschreibes zu Demagogiezwecken ausspielt. Ein anderer Luther, der „aus der Polyphonie heraus den tönenden Weg gebahnt“ haben soll, „für ein Volk, das Genies gebären wird“23.

Nun stehen wir nicht gerade auf dem Standpunkt des Novalis, der da schrieb: „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Erdteil bewohnte.“24 Wir sind keine katholischen Romantiker, Lobredner der Vergangenheit auf Kosten der Zukunft und Gegenwart. Nicht deshalb sind wir Antilutheraner, weil wir mit Theodor Lessing glauben: „Nur solange die große Weltidee des Katholizismus eine gemeinsame Atemluft für Europa schuf, blühte einfältige Schönheit aus nüchternem Alltag.“25 Nicht einer katholischen Renaissance reden wir das Wort, deren obskure Propaganda „das schöne Werk des Mittelalters“ wieder herzustellen hofft oder verzweifelt „durch einen Sieg des geeinigten deutschen und christlich-europäischen Geistes über die abgefallene Welt ringsum“, wie Herr Scheler26. Wenn wir die Reformation, Luther und den Protestantismus bekämpfen, geschieht es, weil wir in ihnen die Hauptbollwerke einer nationalen Isolation erblicken, die fallen muss, soll die einige Menschheit erstehen. Wir glauben auch nicht, dass es notwendig ist, „der europäischen Entartung Heilmittel aus der Welt der Upanishads und des Buddha“27 zuzuführen. Das würde, wie die Dinge in Deutschland heute beschaffen sind, nur die Gelehrsamkeit mehren, die Energie aber schwächen. Gedacht und geschrieben ist längst genug. Wir brauchen nur die Essenz zu ziehen aus dem Vorhandenen; denn es gilt von den Deutschen noch heute, was Bakunin 1840 über sie aus Berlin an Herzen schrieb: „Wäre der zehnte Teil ihres reichen geistigen Bewusstseins ins Leben übergegangen, so wären sie herrliche Leute.“28

Graben wir unsere Bibliotheken aus! Verbrennen wir alles Überflüssige, statt neue „Heilmittel“ zu suchen! Ein neuer Gewissensstrom komme über Deutschland. Wiedererwägung nicht nur politischer Fragen, sondern auch der Leistungen und Entscheidungen deutscher Geistesheroen, gemessen an den Forderungen des heutigen Europa.

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