Читать книгу Zur Kritik der deutschen Intelligenz - Hugo Ball - Страница 7
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ОглавлениеWas man die deutsche Mentalität nennt, hat sich berüchtigt gemacht und ist trauriges Zeugnis der Prinzipien- und Herzlosigkeit, des Mangels an Logik und Präzision, vor allem aber an instinktiver Moral. 1914: kaum eine offizielle Persönlichkeit, die sich nicht kompromittierte. Pastoren und Dichter, Staatsleute und Gelehrte wetteiferten, einen möglichst niedrigen Begriff von der Nation zu verbreiten. Eine Vermengung von Interesse und Wert, von Befehl und Idee trat zutage, die Potsdam mit Weimar und Weimar mit Potsdam in rührender Hysterie zu entschuldigen suchte. Das ewig Papierene wurde Ereignis. Dreiundneunzig Intellektuelle bewiesen durch ein bombastisches Manifest, dass sie als Intellektuelle nicht mehr zu zählen sind. Die „Hannele“-Dichter kamen an den Tag und in die Hetzpresse. „So wie des Deutschen Vogel, der Aar, hoch über allem Getier dieser Erde schwebt, so soll der Deutsche sich erhaben fühlen über alles Gevölk, das ihn umgibt und das er unter sich in grenzenloser Tiefe erblickt.“1 Mentalitätler aller Gaue bemühten sich, der Weltlage gerecht zu werden. Leider, die Weltlage bekam ihnen schlecht. Nur mit verrenkten Knochen und verdrehten Augen standen sie auf vom Prokrustesbett. Philistin- und Papierexistenzen gingen zu Dutzenden auf in Rauch und grotesker Spirale. Ich will hier nicht mit Zitaten aufwarten, die jedermann im Notizbuch trägt. Es ist nicht die Zeit mehr, die Zeit auszuschneiden. Wir wissen Bescheid. Es ist an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen. Wen überrascht es noch, dass die Pastoren dem Blutrausch verfielen? Tanzten sie nicht von je um die Golgathastätten, auf denen die Menschheit geopfert wurde? Wen überrascht es noch, dass der deutsche Gelehrte in seinem Dünkel und Größenwahn sich gedrungen fühlte, auch dort zu votieren, wo er nichts mehr verstand? Wenn man über die Balkanvölker zu sagen weiß, dass dort vor Zeiten Poseidon als Hengst und Bacchus als Bock spazierten2: löst man damit die serbische Frage?
Dies Buch handelt von der deutschen Intelligenz, nicht von der deutschen Schildbürgerei. Es kann mir nicht daran gelegen sein, alle Entgleisungen, Überhebungen und Lächerlichkeiten meiner Landsleute aufzuzählen. Gewiss, deren Charakterologie wäre ein dankbares Thema. Auch die All- und Eintäglichkeit hat ihren geistigen Kontrapunkt. Karl Kraus, der apokalyptische Feind der „Journaille“ hat ihn bewältigt3. Man lese, ist man Österreicher oder Deutscher, seine Werke, lache, weine oder schäme sich. Ich fühle in meinem Thema keinerlei Anlass, mich lustig zu machen. Die Ironie der Ereignisse erfordert dringlichere und produktivere Methoden als das Pamphlet. Uns ist die Aufgabe gestellt, zu untersuchen, ob der deutsche Geist auf Befreiung oder aufs Gegenteil drang. Die Methoden zu zeigen, die er befolgte, und die Resultate, die zu verzeichnen sind.