Читать книгу Antiheld - I. Tame - Страница 18
ОглавлениеJackson schiebt sich die qualmende Kippe zwischen die Lippen, hält in der linken Hand das Sixpack und klopft mit der Rechten kurz an, bevor er einfach die Türe öffnet.
„Hey, Mann!“, begrüßt er Absinth in lockerem Tonfall. Der sitzt auf seiner Matratze, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Auch er raucht und hört dabei Musik. Jetzt zieht er die Knöpfe aus den Ohren.
„Hey, welch‘ Ehre. Du besuchst mich in meiner bescheidenen Behausung?“
„Ja, ich will in Ruhe mit dir reden. Wie geht’s?“
Jackson lässt sich neben Abs nieder und reißt zwei Dosen Bier aus der Verpackung. Wortlos hält er seinem Freund eine davon hin. Es zischt zweimal und kurz darauf stößt Alu auf Alu.
„Wie soll’s mir schon geh’n!“, ranzt Absinth los. „Ich blas‘ dir einen, du schubst mich von dir runter und hechtest dem italienischen Zombie hinterher. Dann kommst du zurück und schickst mich weg mit der Bemerkung ‚Ich komm‘ gleich nach‘. Und schon bist du da! Ganze … lass‘ mal überlegen … ja, ganze acht Stunden später. Muss ja ein beschwerlicher Aufstieg gewesen sein!“
Schnaubend drückt Abs seine Kippe in einem alten mit Sand gefüllten Blumentopf aus, der neben der Matratze steht.
Jackson atmet tief durch. Er kann Abs‘ Ärger verstehen. Wenn er ehrlich ist, hatte er überhaupt keinen Gedanken mehr an seinen Freund verschwendet. Das Gespräch mit Luca, der Sex danach … das alles hatte ihn in eine andere Welt gezogen. In die Welt mit meinem Freund Luca, denkt er und schon nagt die Sehnsucht an ihm. Am liebsten würde er Absinth sein Bier in die Hand drücken, ‚Tschüss‘ murmeln und die beiden Treppen im Laufschritt nach unten zurücklegen.
Er zieht ein weiteres Mal an seiner Zigarette. Zeit schinden. Doch Abs kommt ihm zuvor.
Traurig starrt er auf seine Bierdose, während er einige Wassertropfen mit dem Daumen wegwischt.
„Lass‘ mal! Ich weiß, warum du dich extra zu mir bemühst, obwohl du das sonst nie tust. Du willst mir schonend beibringen, dass ich mich von dir fernzuhalten habe. Ich störe dich bei dem Techtelmechtel mit deiner …“ Er fuchtelt planlos mit seiner freien Hand. „… groooßen Liiebe“, beendet er süffisant seinen Satz.
Jackson fühlt sich scheiße. Schuldbewusst presst er die Lippen aufeinander.
„Ich kann doch nichts dafür, Abs. Du weißt doch, dass wir immer gesagt haben …“
„DU!“, fährt Absinth ihn sauer an. „DU hast immer gesagt. Das waren immer deine Regeln, nicht meine! Und du hast mich jedesmal benutzt, wenn du alleine warst; weil du ganz genau weißt, dass ich dich … ach … du bist ein Arschloch!!“, beendet er auffahrend sein Gestammel.
Er knallt die Dose neben sich auf den Boden und verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust. Schützend zieht er seine Beine zu sich heran. Abs fühlt sich so beschissen einsam, dass sich sein ganzer Körper instinktiv zusammenzieht.
„Hennes“, setzt Jackson tröstend an. Auch sein Bier landet auf dem Boden. Er beugt sich über Abs und drückt die Kippe im Sand aus. Danach streichelt er ihm vorsichtig über den Arm.
Angepisst zuckt Absinth einmal kurz weg, doch dann lässt er die Berührung zu.
„Hennes“, wiederholt Jackson leise. „Ich will dir doch nicht wehtun. Und du hast zugestimmt, dass bei uns keine Garantie auf ein Zusammensein für immer besteht.“
„Für immer“, äfft Absinth ihn nach. „Aber du wusstest ‚immer‘, dass ich mehr empfinde!“, faucht er weiter. „Und würde es sich um simples Rumvögeln handeln, könntest du sicher sein, dass ich nicht so ausrasten würde. Aber du musst ja gleich auf Liebe machen!“
„Ja, aber ich hab‘ auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass da von meiner Seite aus für dich nicht mehr als ein freundschaftliches Gefühl besteht“, beharrt Jackson unbeirrt auf seinem Hauptargument. „Sieh‘ mal, ich will doch auch nicht, dass wir uns jetzt streiten und gar nicht mehr sehen. Du bist mein bester Freund. Ich will dich nicht verlieren.“
Er streichelt immer weiter Absinths Arm … tröstend.
„Hmm? Hennes, … bitte!“, murmelt er hinterher.
Inzwischen laufen seinem Freund dicke Tränen über die Wangen. Mit belegter Stimme antwortet er.
„Weißt du, was das Schlimmste ist?“, presst er hervor und dreht endlich sein Gesicht in Jacksons Richtung. Der hält dem vorwurfsvollen Blick seines Freundes stand; auch wenn es ihm schwer fällt.
„Das Schlimmste ist, dass du mich ‚Hennes‘ nennst. Wenn du ‚Hennes‘ sagst, dann meinst du es ernst. Du nennst mich ‚Hennes‘ und ich weiß, ich hab‘ verloren. Das sagt mir alles, Jacks, wirklich alles. Du kannst jetzt gehen!“
Entsetzt starrt Jackson ihn an. „Nein“, keucht er widerspenstig. „Ich geh‘ jetzt nicht! Ich will, dass wir das vernünftig klären.“
„Klären?“, herrscht Abs ihn an. „Was willst du denn genau klären?! Dass alles nach deiner Pfeife zu tanzen hat, ja?! Das tut es doch IMMER“, schreit er ihm das letzte Wort entgegen. „Du entscheidest, wohin dein Weg dich führt, also bitte! Dann geh‘ einfach! Jeder nach seinem freien Willen, seinem Gutdünken! So siehst du es doch, oder? Und solange du dabei gut weg kommst, ist ja auch alles in Ordnung. MEIN freier Wille sagt mir gerade: Verpiss dich! Geh‘ zu deiner langhaarigen Beauty-Queen; zu Mister Über-Heiler. Los! Hau‘ schon ab! Aber untersteh‘ dich, bei mir angekrochen zu kommen, wenn er wieder weg ist.“
Jackson sitzt wie erstarrt neben seinem zitternden Freund. Dass es Abs dermaßen treffen würde, hätte er nicht erwartet. Ich bin so dumm, so egoistisch. Nie hab‘ ich darüber nachgedacht, wie sehr Hennes mich lieben könnte. Immer hab‘ ich seine Freundschaft als selbstverständlich hingenommen. Doch er wusste Bescheid. Das kann er mir nicht einfach so vorwerfen.
Erneut setzt er an. „Ich will dich nicht verlieren, Abs. Du bist mein bester Freund.“
„Ein Scheiß‘ bin ich“, knurrt Abs zurück, wischt sich die Tränen vom Gesicht und angelt nach seinem Tabak. Kurz zuckt er mit dem rechten Arm. „Nimm deine Finger weg!“
Er dreht sich eine Zigarette, zündet sie an und drückt anschließend seine Kopfhörer in die Ohrmuscheln. Jackson kann die laute Musik hören. ‚Forgotten Rebels‘, erkennt er sofort.
Zwecklos! Ich lass‘ ein bisschen Zeit vergehen und werd‘ dann nochmal mit ihm reden.
Mit diesem Gedanken rutscht Jackson von der Matratze und verlässt Absinths kleines Appartement.
Drei Dosen Bier später hat sich Abs genug Mut angesoffen. Immer wieder scrollt er auf seinem Pad rauf und runter. Er hat einen Namen und er hat eine Telefonnummer. Jetzt fehlt nur noch der letzte Kick. Soll er es tun? Soll er einfach dazwischenfunken; Jacksons Glück zerstören?
Pah! Glück! Ich verwette mein Sax, dass der Heiler nicht länger als eine weitere Woche da ist … zumindest nicht, wenn …
Vor seinem geistigen Auge sieht er all‘ die für ihn schrecklichen Szenen: Als sie ihm nicht geöffnet hatten. Als Jacks ihn bei seinem Streit mit Luca weggeschickt hatte. „Hennes, du gehst jetzt besser!“ Natürlich! Wenn einer weggeschickt wird, dann der allzeit bereite treue doofe Abs.
Das Gift der Eifersucht zerfrisst ihn. Und wie schlimm war es erst bei ‚Resi‘. Als hätte er nicht bemerkt, dass Jackson den ganzen Abend mit den Gedanken woanders war. Bloß, weil der andere Typ nicht kam. Von wegen wütend, denkt er sauer. Da hab‘ ich mich schwer verrechnet. Statt wütend zu sein, triefte Jacks die Trauer aus allen Poren, weil der langhaarige Blödmann nicht rechtzeitig da war. Und dann hat er doch tatsächlich nochmal das Lied gespielt … bloß wegen dem Heiler.
„Allein für ihn“, murmelt Abs und diese Erkenntnis trifft ihn mitten in sein blutendes Herz. Erneut greift er nach seinem Pad. „Josef Kaufmann.“ Er lallt bereits ein wenig. Doch jetzt steht seine Entscheidung fest. Er tippt die neben dem Namen aufgeführte Handynummer, räuspert sich und wartet. Es klingelt zwei-dreimal und dann wird abgenommen.
„Kaufmann“, meldet sich eine sonore Männerstimme.
„Ja, hallo. Sind Sie der Manager von Luca Denero?“
„Ja“ Ein halbes Fragezeichen begleitet die Bestätigung. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
Absinth schnaubt leise. „Ist wohl eher so, dass ich Ihnen helfen kann. Sie suchen doch nach Luca, oder?“
„Woher wissen Sie …“ Innerhalb des Bruchteiles einer Sekunde steht die Stimme am anderen Ende der Leitung unter Strom. „Wissen Sie, wo er ist? Sie müssen mir helfen, wenn Sie seinen Aufenthaltsort kennen. Bitte!“
„Eine Bedingung“, erwidert Abs.
„Ja, was denn? Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.“
„Kein Wort darüber, von wem Sie die Information erhalten haben.“
„Ja, aber ich kenne Sie doch überhaupt nicht.“
„Sie sehen meine Handynummer und Sie werden es vielleicht schnell erraten, wenn Sie vor Ort sind.“
Joey atmet erleichtert auf.
„Selbstverständlich werde ich nichts erwähnen. Weder auf welchem Wege, noch von wem ich informiert wurde. Das versichere ich Ihnen.“ Gespannt hält er den Atem an. Ein leises Klicken im Hintergrund weist darauf hin, dass er wohl nervös auf einem Kugelschreiber herumdrückt.
Absinth seufzt tief. „Also gut! Er hält sich in Loewenherz auf. Und er wohnt zur Untermiete in der Tulpengasse 10, bei einem Jackson Green. Wenn Sie mich verraten, mach‘ ich Ihnen das Leben zur Hölle. Das schwöre ich!“
Und damit unterbricht er die Leitung. So bekommt er den Jubelschrei von Joey nicht mehr mit. Abs lässt eine neue Dose aufzischen. Jeder nach seinem freien Willen, Jacks, denkt er verbittert und nimmt einen tiefen Schluck.
Als Jackson mit einem schiefen Grinsen und der Ankündigung „Ich bin mal oben bei Abs“, die Wohnung verlässt, ahnt Luca, dass die zwei Freunde sich gleich mächtig in die Haare kriegen. Ein vernünftiges Gespräch bringen die beiden niemals zustande. Ohne Streit? Pah!! Da hilft ihm auch das Bier nicht. Absinth ist dermaßen eifersüchtig. Luca atmet tief durch. Einerseits freut er sich über Jacksons unerwartete Bereitschaft, Abs klare Grenzen aufzuzeigen. Sie hatten nicht explizit darüber gesprochen, doch dass weder er selbst noch Jackson es toll finden würden, wenn sich der jeweils andere mit einem fremden Kerl vergnügt, versteht sich von selbst.
Andererseits … Absinth ist gleichzeitig Jacksons bester Freund; seit … schon immer. Und dass Jacks in Kauf nimmt, dass diese Freundschaft nun wegen Luca zerbrechen könnte. Wow! Das ist ganz schön hart. Schließlich kennen sie sich erst einige Tage. Sie sind furchtbar verknallt, doch ob daraus wirklich eine längere Beziehung werden kann? Luca seufzt. Vielleicht haut das ja tatsächlich hin! Gegen alle Widerstände. Dann wäre ich nicht mehr so furchtbar allein. Denn das ist das Schlimmste an meiner ganzen Situation. Ich würde alles viel leichter wegstecken, wenn da abends jemand wäre, der mich in den Arm nimmt … und mehr! Und schon lächelt er wieder. Der geniale Sex der letzten Tage hat ihn Blut lecken lassen. Endlich fühlt er sich nicht mehr wie die groteske Version eines Mannes.
Gerade als Luca beschließt, sich endlich mal wieder bei seiner Familie zu melden, klingelt es an der Türe. Er öffnet und steht einem riesigen Kerl gegenüber. Riesig, breit, grobschlächtig. In seinen Bauarbeiterhänden hält er einen Geschenkekorb; edel in Folie verpackt.
„Bist du Luca?“, dröhnt es zum Angesprochenen hinab, als dieser sicherheitshalber einen kleinen Schritt zurück tritt.
„Ja“, erwidert Luca unsicher.
Jetzt grinst der Riese, was nicht bedeutet, dass sein Gesicht dadurch ungefährlicher wirkt.
„Du hast Magdalena geholfen. Sie ist meine Frau und hatte große Probleme mit Schwangerschaft“, erklärt er mit russischem Dialekt. „Jetzt geht es ihr viel besser. Du bist großer Heiler hat sie gesagt und ich habe nicht geglaubt. Aber du hast kein Geld genommen, also bist du ehrlicher Mann. Danke!“
Fast gleicht die Übergabe des Präsentkorbes einem tätlichen Angriff. Das Korbgeflecht quietscht und die Folie knistert, als das schwere Geschenk gegen Lucas Brustkorb trifft. Instinktiv packt er zu.
„Oh … danke sehr. Das wäre nicht nötig gewesen …“
„Pavel“, wirft sein Gegenüber ein.
„… Pavel. Das hab‘ ich gern gemacht. Und eigentlich wollte ich Magdalena noch einmal besuchen. Oft ist es sicherer, wenn ich mehrmals … helfe.“
„Ja, komm vorbei, wann immer du Zeit hast.“ Jetzt sieht er Luca tief in die Augen. „In unserer Heimat glauben wir an Leute wie dich; dass du helfen kannst. Und wir erweisen Respekt dafür. Wenn du einmal meine Hilfe brauchst, dann sagst du Bescheid.“
Ein letztes ernstes Nicken, der Riese dreht sich um und stapft die Treppe hinauf.
Luca nickt ebenfalls, obwohl Pavel das schon nicht mehr mitbekommt. Er schließt die Türe und wuchtet ächzend den schweren Korb auf den Küchentisch. Den hat er sich wirklich was kosten lassen, stellt er anerkennend fest. Luca erhält immer wieder Präsente; die unterschiedlichsten Dinge lassen sich die Leute einfallen, um ihre Dankbarkeit zu zeigen. Angefangen vom selbstgehäkelten Schal bis zur Armbanduhr von Maurice Lacroix war schon alles dabei. Joey kümmert sich um diese Geschenke, wenn Luca nicht darauf besteht etwas davon für sich zu behalten. Die teure Uhr hatte er beispielsweise für einen guten Preis verkauft. Das Geld floss auf ihr Sparkonto für das gemeinsame Haus-Projekt.
Na, da können wir heute Abend ja wie die russische Mafia speisen. Luca erspäht eine dicke Flasche Wodka, Krimsekt, zwei Sorten Kaviar, Gebäck, Konfekt und etliche Konservendosen mit exotischem Inhalt. Zwischen der Folie steckt ein kleiner Briefumschlag. Luca zupft ihn heraus und liest:
Lieber Luca,
es geht mir schon viel besser! Ich weiß nicht wie du es gemacht hast, doch ich blute nicht mehr. Ich bin noch recht schwach und schone mich, doch ich spüre irgendwie, dass du etwas verändert hast. Ich danke dir so sehr. Vor allem auch dafür, dass du mich nicht einfach weggeschickt hast. Du bist ein guter Mensch! Meine Gebete werden dich immer begleiten.
Magdalena
Gerührt von diesen ehrlichen Worten legt Luca das Briefchen auf den Tisch und genießt das Gefühl, geholfen zu haben. Das sind die Momente, die ihn in seinem Tun bestärken. Die Dankbarkeit der Menschen trifft immer wieder sein Innerstes. Menschen wie Magdalena sind der Grund, warum ich weiter mache.
Schließlich dreht er sich um und schlendert ins Wohnzimmer. Auf dem flachen Tisch liegt sein Handy. Luca schaltet es an und setzt sich im Schneidersitz aufs Sofa. Er tippt auf die Kurzwahl ‚Famiglia‘ und wartet.
„Denero“ Seine Mutter ist am Apparat.
„Mama, hier ist Luca.“
„Luca! Mein Schatz, wie geht es dir? Wir haben so lange nichts von dir gehört. Dein Telefon war ausgeschaltet. Ich habe die letzten Tage versucht, dich zu erreichen.“ Seine Mutter klingt ganz aufgeregt.
Ich hätte mich direkt nach meiner Ankunft melden sollen! So ein Mist! Nur, weil ich das Scheißding wegen Joey ganz abschalte!
„Das tut mir leid, Mama! Ich konnte … ich wollte … ach, Mama!“
Wie immer, wenn Luca mit seiner Mutter spricht, wird aus dem Wort ‚Mama‘ eine typisch italienisch gesungene Vokabel mit der Betonung auf dem ersten ‚A‘. Und das, obwohl seine Mutter Deutsche ist und Luca die italienische Sprache auch nicht hundertprozentig beherrscht. Doch seine Mutter hat in ihrer langjährigen Ehe natürlich ebenfalls ein wenig die italienische Redensart angenommen.
„Ist doch gut, mio angelo“, redet sie sanft weiter. „Was ist denn los? Geht es dir gut? Du weißt, dass wir sofort kommen, wenn irgendetwas sein sollte.“
„Ja, Mama, ich weiß! Mach‘ dir keine Sorgen. Ich musste einfach mal weg, mal abschalten. Darum hab‘ ich auch das Handy ausgemacht … damit Joey mich nicht dauernd anruft.“
„Du machst Urlaub, Schatz? Das ist doch toll! Wenn du frei hast, könntest du uns doch besuchen kommen! Lina ist fürchterlich sauer, weil du immer noch nicht definitiv zugesagt hast. Deshalb hatte ich auch versucht, dich zu erreichen.“
Lina ist Lucas kleine Schwester. Der Nachzügler, das Nesthäkchen, Papas Liebling und Mamas ‚Herausforderung auf meine alten Tage‘ – wie sie gerne lächelnd anführt. Doch das sagt sie nicht umsonst, denn Lina ist ganze zehn Jahre jünger als ihr großer Bruder.
„Zugesagt?“ Lucas Kopf schwirrt. Seine Synapsen im Gehirn schalten nicht schnell genug.
„Luca!“, wirft seine Mutter ihm sanft vor. „Jetzt sag‘ bitte nicht, dass du ihren Geburtstag vergessen hast. Du hast ihr doch versprochen, zu kommen und mit der Familie zu feiern. Tante Sofia, Onkel Bruno, Tante Raffaela, Onkel Giovanni, Tante …“
„Ja, ja, um Gottes Willen, Mama! Jetzt zähl‘ bloß nicht unsere ganze Verwandtschaft auf.“
Doch gleichzeitig zieht ein breites Grinsen über Lucas Gesicht. Sie können ohne Ende nerven. Doch andererseits hab‘ ich noch nie so viel gelacht wie auf unseren Familienfeiern.
Auch seine Mutter lacht herzlich auf. „Und? Kommst du jetzt? Und bevor es peinlich wird: Ihr Geburtstag ist in vier Tagen; am Samstag. Sie darf eine ‚Fete schmeißen‘; und wehe du sagst ‚Party‘ dazu. Dann bringt sie dich um.“ Erneut ertönt das erfrischende Lachen seiner Mutter. Doch Luca wird ein wenig unwohl.
„Ich weiß das wirklich noch nicht genau. Ich bin schon seit einigen Tagen weg und Joey … den muss ich gleich auch noch anrufen. Ich bin einfach abgehauen. Zuhause soll angeblich der Teufel los sein. Eigentlich müsste ich zurück, aber ich will … ich kann einfach noch nicht.“
Einige Momente herrscht Stille am anderen Ende der Leitung.
„Luca“, spricht seine Mutter schließlich in ernstem Tonfall weiter. „Du arbeitest zu viel. Das ist das erste Mal seit … wieviel … seit drei Jahren, … dass du Urlaub machst. Und dann willst du nach einigen Tagen schon wieder zurück? Das ist nicht gut, Schatz. Das solltest du nicht tun. Wenn Joey das angeblich so toll managt, dann muss er auch Freizeit für dich einplanen. Jeder muss mal Urlaub machen. Und deine kleine Schwester liebt dich abgöttisch. Wenn du ihren achtzehnten Geburtstag verpasst, wird sie dir das nie verzeihen … und du dir irgendwann erst recht nicht.“
Luca kann nicht mehr ruhig sitzen bleiben. Er steht auf und blickt aus dem Fenster, während er versucht, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
„Ja, ich weiß“, stimmt er schuldbewusst zu.
„Oh! Da kommt sie! Warte! Ich geb‘ sie dir mal!“
„Nein, Mama! Ich kann jetzt nicht … Hey Schwesterchen“, ergibt Luca sich in sein Schicksal.
Lina ignoriert seine gesäuselte Begrüßung.
„Luca! Wenn du nicht kommst, dann bist du für mich gestorben. Morto! Hast du verstanden?!“
„Lina, ich … ich will’s auf jeden Fall versuchen! Das versprech‘ ich dir!“
„Du Arschloch!“, ist alles, was seine Schwester empört in den Hörer blökt.
„Lina!“, mahnt ihre Mutter aus dem Hintergrund. Einen Augenblickt später hat sie den Hörer wieder am Ohr. Aus dem Hintergrund kreischt seine Schwester noch ein bitterböses „Vaffanculo!!“ Dann schlägt eine Türe und es herrscht Ruhe.
„Wow! Sie hat wirklich Papas Temperament geerbt!“, bemerkt Luca trocken, während er zwei Jungs vor dem Haus beobachtet, die Kunststücke auf ihren Skateboards üben.
„Das kannst du wohl sagen“, stimmt seine Mutter ihm zu. „Außerdem scheint sie gerade eine Punker-Phase zu durchleben. Ich musste lange Gespräche mit ihr führen, warum sie sich keinen Irokesenschnitt zulegen darf, Piercings in Gesicht, Brust und Genitalbereich nicht in Frage kommen und Neonpink in meinen Augen unkleidsam für ihren Teint ist.“
Jetzt muss Luca doch lachen.
„Die müsste mal Jacks kennen…“ Er verschluckt den Rest des Satzes. Seine ganze Familie weiß, dass er schwul ist. Und sie akzeptieren es achselzuckend, wie sie seine Heilerfähigkeiten akzeptieren.
„So ist er nun mal. Da machst du nichts. Er ist eben anders; das war er schon als Kind. Er liebt Männer?! Va bene! Na gut! Das Leben geht weiter. Aber hast du Rosalias Finger gesehen?! Er hat ihre Gicht gelindert. Das soll ihm erst mal einer nachmachen!“
So gesehen musste Luca seiner Familie und deren Freunden nichts vormachen. Doch ‚en détail‘ wollte wohl keiner von ihnen über sein Liebesleben Bescheid wissen.
„Wer ist Jacks?“, fragt seine Mutter arglos.
„Jackson? Niemand, Mama! Nur ein Kumpel, aber du kennst ihn nicht.“
„Bring‘ ihn doch mit! Ist zwar etwas eng in deinem alten Zimmer, doch das stört euch doch bestimmt nicht.“
„Ja, mal sehen!“, geht Luca den Weg des geringsten Widerstandes. „Ich muss ihn erst mal fragen.“
„Ja, mach‘ das! Und Luca … bitte … komm‘ am Samstag, ja?! Papa vermisst dich so sehr. Er würde es niemals zugeben, aber du kennst ihn. Und mir fehlst du auch!“
„Ja, Mama! Ihr fehlt mir auch. Ich rufe vorher nochmal durch, okay? Mach’s gut!“
„Jackson? Nur ein Kumpel, ein Niemand!“, knurrt eine angepisste Stimme direkt in Lucas Rücken. Vor Schreck fährt er herum und schlägt sich die Hand vor den Mund.
„Mein Gott, Jacks! Verdammt!“ Sein Herz scheint gleich aus der Brust zu springen. Er hatte wirklich nichts davon mitbekommen, dass Jackson hinter ihm steht. Seine Gedanken waren so weit weg; nicht einmal die alte knarzende Eingangstüre hatte er gehört.
„Bin ich dir peinlich?“, bohrt Jackson weiter.
Luca schiebt ihn ein Stück von sich weg, tritt an Jacks vorbei und schmeißt sein Handy auf den Tisch.
„Quatsch! Aber du weißt doch wie das ist mit der Familie.“
„Bist du nicht geoutet?“
„Doch, bin ich! Aber so lange … alles …“
„Ja?“, fragt sein Gegenüber beängstigend ruhig. Dabei verschränkt er die Arme vor der Brust.
Genervt atmet Luca laut aus. „Solange alles noch so … ungeregelt ist, müssen sie von uns nicht unbedingt wissen, oder?“
„Vielleicht gehst du ja sowieso davon aus, dass die Sache mit uns keine Zukunft hat. Das möchte ich nur genau wissen, damit ich weiß, warum ich gerade meinen besten Freund verprellt hab‘?!“
Luca tritt auf ihn zu. „Jacks“, setzt er versöhnlich an. Seine Hände fahren zärtlich durch Jacksons eh‘ schon zerzauste Haarpracht. „Sei nicht so, okay? Ich würde dich niemals verleugnen. Aber am Telefon ist das einfach … scheiße! Ich will vielleicht am Samstag zu ihnen. Meine Schwester wird Achtzehn.“
„Achtzehn? Wow!“, bemerkt Jackson anerkennend. Dabei schließt er genießerisch die Augen. Mhmm, diese kraulenden Finger. Einfach der Wahnsinn.
„Deine Mutter ist also eine Spätgebärende“, fährt er mit belegter Stimme fort. „Vielleicht ist sie inzwischen wieder schwanger?!“
Luca kichert bei dem Gedanken. „Wer weiß …“, erwidert er lächelnd. „Sie hat dich eingeladen. Wenn du möchtest … Schwiegersohn …“, frotzelt er, „… dann könntest du bei der Gelegenheit den ganzen Denero-Clan kennenlernen. Aber beschwer‘ dich hinterher nicht, falls dir von dem Geschwafel die Ohren bluten, capito?!“
„Mhmm … ja, rede in fremden Zungen mit mir! Das ist sowas von sexy“, haucht Jackson, bevor er seinen Mund mit Lucas sinnlichen Lippen verschmelzen lässt.