Читать книгу Antiheld - I. Tame - Страница 7
ОглавлениеLuca ist müde. Suchend schweift sein Blick über die Landschaft. Schön ist es hier. Sanfte grüne Hügel, hier und da ein Waldstück. Dazwischen die obligatorischen Rapsfelder. Da drüben lugt die Spitze eines kleinen Kirchturmes zwischen bunten Dächern hervor. Schwarze und rote Dachpfannen wechseln sich ab. Der noch sanfte Sonnenschein des Frühjahres taucht alles in unwirklichen Frieden. Ja, die Umgebung gefällt Luca. Hier könnte er sich eine Weile verkriechen.
Spontan hatte er die Ausfahrt auf der Autobahn angesteuert. Sein Bauchgefühl schien ihn mal wieder nicht getrogen zu haben. Jetzt nähert er sich einem Ortsschild: Loewenherz. Der Name gefällt ihm. Er lächelt, als er ein kleines Industriegebiet passiert und vor dem Ortskern einen großen Kreisverkehr überquert.
Hier seh‘ ich mich mal um, denkt er zufrieden. Ja, ein friedliches Städtchen. Hier findet mich Joey nicht. Der denkt doch, ich könnte ohne ihn keinen Schritt mehr tun. Wenn der wüsste, wie sehr ich die Arbeit mit ihm momentan hasse!
Mit leicht zitternden Händen streicht sich Luca einige lange Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er ist wirklich total erschöpft und unterzuckert. Ich muss dringend was essen, sonst klapp‘ ich zusammen. Wie auf Befehl parkt vor ihm ein Auto aus und Luca nimmt den Parkplatz für sich in Anspruch. Hier beginnt die übersichtliche Innenstadt von Loewenherz. Dreißig Meter weiter erspäht er das Werbeschild eines Cafés: Eine fliegende Kaffeebohne. Wunderbar. Sein Magen knurrt rebellisch, während er seinen komfortablen Volvo abschließt. Ein ‚Quiek-Quiek‘ ertönt, als er ihn per Funk verriegelt. Inzwischen ist ihm dieses Geräusch peinlich. Wie in einem billigen amerikanischen Actionfilm. Ist noch gar nicht lange her, da fand er sowas cool. Und er musste ja nur einen Piep von sich geben, dann rannte Joey los und kümmerte sich um alles.
Das hat vorerst ein Ende, denkt Luca entschlossen, als er mit einer automatischen Geste nach seinem Zopf im Nacken greift, um das Gummiband festzuziehen. Die dunklen dicken Haare verdankt er seinen italienischen Vorfahren. Meistens bändigt er sie als locker sitzenden Zopf im Nacken.
In der Familie seiner deutschen Mutter sind alle recht hochgewachsen. Gott sei Dank hat Luca daher die durchschnittliche Statur eines deutschen Mannes: Einsachtzig. Wäre er ausschließlich nach der Familie seines Vaters geraten, hätte das bedeutet: Einssiebzig und drunter. Doch das Schicksal hatte anderes mit ihm vor.
Seine italienische Verwandtschaft rief ihn als Kind oft ‚Angelo‘. Denn er war einfach ein Engel. Und das, obwohl er weder blonde Haare hat, geschweige denn blaue Augen. Im Gegenteil. Lucas Augenfarbe ist dermaßen dunkel, dass sie im richtigen Licht fast schwarz erscheint. Seine schmalen Gesichtszüge zeichnen sich durch hohe Wangenknochen und sanft geschwungene Lippen aus. Dazu die dichten dunklen Wimpern … und schon steht da ein kleiner Engel. Na ja, jetzt steht da natürlich ein großer Engel. Und momentan wohl eher ein müder Engel mit dunklen Ringen unter den Augen. Seine Gesamterscheinung zieht unter normalen Umständen sofort viele Blicke auf sich. Ein Begleitumstand, der Joey von Anfang an gefiel. Es war nicht das Wichtigste im Geschäft, aber natürlich sehr förderlich.
Seine Jacke schmeißt Luca gähnend auf die Rückbank. Es ist angenehm, lediglich in Jeans und Shirt herumzuspazieren. Ein kontrollierender Griff an seine Gesäßtasche. Portemonnaie dabei; alles klar.
‚Café Bohne‘. Luca lächelt. Nett!
Jetzt dürfte es ungefähr 10:00 Uhr sein. Das Café ist gut besucht, doch Luca ergattert einen gemütlichen Platz an der vorderen Fensterfront. Der Korbstuhl knirscht als er sich ziemlich fertig fallen lässt. Helle fröhliche Farben und gemütliche Sitzgruppen machen den Charme des Cafés aus. Die Wände verzieren Original-Zeichnungen aus Buntstift, Aquarell und Öl. Das Thema Kaffee steht natürlich immer im Mittelpunkt. Ein strubbeliger Blondschopf nähert sich freundlich lächelnd.
„Hallo und herzlich willkommen. Gefallen dir die Bilder? Die hat ein Freund gemalt. Sind alle zu verkaufen.“
Luca lächelt. „Sie gefallen mir wirklich sehr gut, doch eigentlich möchte ich lieber ein Frühstück.“
„Na klar! Was darf’s denn sein?“
Luca sieht zu ihm empor. „Tja, ich weiß nicht … Kaffee und … viel … von allem!“
Der junge Typ lacht. Sein fröhliches Wesen scheint die Stimmung der Gäste automatisch anzustecken.
„Verstehe!“, grinst er schließlich. „Wir stellen was Schönes für dich zusammen.“
In diesem Moment antwortet Lucas Magen für ihn. Ein langgezogenes tiefes Knurren ertönt. Beide Männer lachen.
„Ich geh‘ ja schon“, flachst der Blonde, während er sich bereits abwendet. „Uschi!“, ruft er in den hinteren Bereich des Cafés. „Ein großes Frühstück, bitte! Und beeil dich! Hier sitzt ein knurrendes Raubtier am Fenster.“
Lachend lehnt sich Luca zurück und schließt die Augen. Schön, vormittags einfach mal irgendwo in einem Café zu sitzen. Keine Termine, kein Leid anderer, kein Joey, der ihn vor sich her schubst. Inzwischen verbindet Luca allein Joeys Stimme mit Hetzerei, Gedrängel und Stress. Wahrscheinlich ist das ein wenig ungerecht. Doch der sich im Sonnenschein entspannende Mann am Fenster dieses kleinen gemütlichen Cafés bringt seinen Manager momentan nur noch mit unangenehmen Dingen in Verbindung.
„So, hier ist schon mal dein Kaffee. Du siehst echt fertig aus.“ Ganz selbstverständlich duzt ihn der Kellner. Das fällt Luca erst jetzt auf; doch es gefällt ihm. Dadurch fühlt er sich ein wenig zu Hause. Leise klimpernd wird eine kleine Kanne, die Tasse sowie Milch und Zucker vor Luca aufgebaut.
„Ich bin ziemlich lange gefahren.“ Das stimmt zwar nicht ganz, aber Luca hat nicht vor, seine Lebensgeschichte zu erzählen.
„Hast du noch eine weite Fahrt vor dir? Dann kann ich dir was für unterwegs vorbereiten lassen. Uschi macht tolle Baguettes.“
Luca lächelt. „Nein, danke. Eigentlich überlege ich, eine Weile zu bleiben. Gibt’s hier ein nettes kleines Hotel oder eine Pension?“
Der Kellner nickt. „Klar, gibt’s hier auch. Aber wenn du etwas länger bleiben möchtest hätte ich eine andere Idee, die für dich viel preiswerter wäre. Ein Kumpel hat gerade ein Zimmer zur Untermiete frei. Schöne Wohnung in einem Altbau. Da hättest du dein eigenes Zimmer; zwar nicht riesig, aber für eine kurze Zeit ideal. Soll ich mal nachfragen, ob das noch frei ist?“
Luca nickt glücklich. „Super Idee.“
„Mika! Raubtierfutter ist fertig!“, ruft eine Frauenstimme aus dem Hintergrund.
„Komme!“, lacht er.
Eine halbe Stunde später hat Luca alles verputzt was an Essbarem vor ihm aufgebaut wurde. So üppig hat er schon lange nicht mehr gefrühstückt. Üblicherweise isst er morgens lediglich eine Banane oder einen Apfel. Na ja, oft fehlt ihm einfach die Zeit; außerdem verputzt er Obst mit Leidenschaft. Egal! Das Frühstück gerade war echt super.
Befriedigt lässt er sich in die Polster seines Stuhles zurücksinken, während er genüsslich immer mal wieder an seinem Kaffee nippt.
„Wie ich sehe, hat es dir geschmeckt“, wird er von der Seite angesprochen. Mika steht grinsend neben ihm, ein Handy in der Hand.
„Darf ich?“, fragt er höflich, während er auf den gegenüberliegenden Stuhl deutet.
„Natürlich“, antwortet Luca schnell und setzt sich gerade hin.
Während er sich niederlässt, wählt der Kellner bereits. Einen Moment lang lauscht er. Dann zieht ein breites Grinsen über sein Gesicht.
„Ich bin’s … Mika. Hi, Jackson. Hab‘ ich dich geweckt?“
Gemurmel auf der anderen Seite. Mika verzieht feixend das Gesicht.
„Du fauler Sack. Wir haben fast Mittag und du liegst immer noch in den Federn … ach so … die Muse hat dich gestern Nacht geküsst. So so, besagte Muse würde ich gerne mal kennenlernen. War wahrscheinlich wohl eher Abs, der dich geküsst hat.“, ärgert er die Stimme am anderen Ende und lacht fröhlich.
„Hör‘ mal“, unterbricht der den lautstarken Protest, der auch für Luca gut zu hören ist. „Ist dein Zimmer noch frei? Ich hab‘ hier jemanden, der Interesse hätte, es zu mieten … Ja? … Super!“
Er zeigt Luca einen erhobenen Daumen.
„Wieviel willst du dafür? … Wie, ist mir egal?! Du musst doch eine Vorstellung davon haben, was du an Miete haben willst.“
Jetzt nickt Mika ergeben und verzieht dabei den Mund. „Ja, ja, ist ja schon gut. Ich weiß, du MUSST überhaupt nichts. Dann solltest du vielleicht besser direkt mit …“
Jetzt blickt er fragend über den Tisch.
„Luca“, souffliert dieser leise.
„… ihm reden; Luca heißt er. Er kommt gleich mal vorbei, okay? Gut. Nichts zu danken. Ciao.“
Immer noch lachend drückt der Blonde das Gespräch weg. „Ich schreibe dir die Adresse auf. Ist aber leicht zu finden. Zwei Querstraßen weiter. Das Haus liegt in einer ruhigen Seitenstraße. Wenn du ein paar Meter an der Hausnummer vorbei fährst, siehst du einen kleinen Parkplatz. Da ist meistens was frei.“
Zufrieden lehnt sich Luca zurück. „Das hört sich toll an, Mika. Und entschuldige, dass ich mich bei dir noch nicht richtig vorgestellt habe. Luca Denero.“ Er hält Mika seine rechte Hand entgegen.
„Mika Sundberg“, erwidert dieser, während er sie ihm lächelnd schüttelt.
Nachdem er gezahlt hat, verlässt Luca leise summend das Café. Er hat ein wirklich gutes Gefühl bei der Sache. Loewenherz wird vorerst sein neuer Unterschlupf. Gemächlich schlendert er zu seinem Auto.
Mika blickt ihm eine Weile hinterher, während er gedankenverloren mit dem Daumen seiner linken Hand über die rechte Handinnenfläche reibt. Es kribbelt ihn da irgendwie.