Читать книгу Antiheld - I. Tame - Страница 9

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Aah! Ich bin sowas von geschafft. Luca hat sich nach einer schönen heißen Dusche eine alte Jogginghose und ein Shirt übergezogen. Seine langen Haare sind noch klamm, doch er hat keinen Bock, nach seinem Fön zu suchen oder sich einfach durch fremde Sachen im Bad zu wühlen. Die trocknen auch so. Sein gemarterter Körper sehnt sich nach Ruhe. Ausstrecken! Ja!! Das tut gut! Seit gestern Morgen ist er auf den Beinen. Er hatte den ganzen Tag gearbeitet, seine kleine Krise bekommen und war daraufhin so gegen 8:00 Uhr – nach einer durchwachten Nacht – abgehauen. Ein paar Klamotten in zwei Reisetaschen geschmissen, seine Papiere gegriffen und dann auf und davon. Zwei Stunden lang war Luca einfach drauf los gefahren. Nur weg! Weg von dem Stress! Weg von den ganzen Menschen, der Bedrängnis. Luca bekam irgendwann einfach keine Luft mehr. Und Joey interessiert es doch nicht wirklich, wie es ihm geht. Hauptsache, sein Goldesel schuftet klaglos und brav vor sich hin. Unermüdlich. Wie eine Maschine, ein Roboter.

Ich bin aber keine Maschine, denkt er traurig, während er einen Unterarm über seine brennenden Augen legt. Ich muss mich ausruhen. Mein Kopf tut weh und ich bekomme keinen klaren Gedanken zu fassen. Schlafen! Ich muss dringend schlafen.

Vorhin hatte sich Luca ein wenig in der fremden Wohnung umgesehen. Behutsam war er durch die Räume geschlichen. Als könnte jederzeit ein Alarm losgehen und sich eine bewaffnete Polizeibrigade auf den Eindringling stürzen. Er fühlt sich natürlich noch sehr fremd.

Das Wohnzimmer ist recht gemütlich. Zwei kleine Sofas, ein Sessel, ein alter riesiger Holzkoffer als Tisch. Einige Regale mit Büchern und das war’s. Kein Fernseher, eigenartig.

Das Bad mit seinen alten schwarz-weißen Bodenfliesen reicht gerade aus, um Dusche, Badewanne, WC und Waschbecken unterzubringen. Nicht zu groß und nicht zu klein.

Die Küche: ein großer Holztisch, zwei Stühle und an der Wand eine grobe lange Holzbank. Die Kücheneinrichtung ist ziemlich alt. Die Verkleidungen der Hängeschränke bestehen aus dunklerem Holz. Ansonsten sind keine Besonderheiten zu sehen. Bis auf den Boden, der aus kleinen schwarz-weißen Fliesen besteht, ähnlich wie im Bad. Luca hätte wetten können, dass die noch original aus der Gründerzeit sind. Die Küche ist definitiv der gemütlichste Ort der Wohnung.

Einen kurzen Blick wagte er natürlich auch in Jacksons Zimmer. Da kommt man auch kaum dran vorbei, da es keine Türe hat. Ob das gewollt ist? Auf jeden Fall ist es ähnlich eingerichtet wie Lucas. Keine großartigen Besonderheiten. Es wirkt clean, fast unpersönlich. Ein paar Klamotten lagen auf dem Bett. In einer Ecke des Raumes standen zwei Gitarren an die Wand gelehnt. Eine alte zerkratzte blau-schwarze E-Gitarre und eine ebenfalls in die Jahre gekommene zwölfsaitige Westerngitarre.

Kurz bevor Luca in eine ohnmachtsähnliche Bewusstlosigkeit fällt, schmunzelt er. Auf der E-Gitarre stand mit schwarzem Edding dick und fett ‚Lucy‘.


Stunden später erwacht Luca aus einem erholsamen Schlaf. Sofort ist er hellwach. Das war bei ihm schon immer so. Er benötigt keine Aufwachphase; keine Zeit, um sich verschlafen durch die im Weg stehenden Möbel zu rempeln. Luca schlägt die Augen auf und ist da. Er streckt sich genüsslich. Seine innere Batterie hat er durch den tiefen Schlaf bestimmt um achtzig Prozent aufgeladen. Er hört ein schmauchendes, leise knatterndes Geräusch und lächelt. Kaffeemaschine.

Während er sich mit beiden Händen durch die zerzausten Haare fährt, tappt er barfuß Richtung Küche. „Hallo“, begrüßt er Jackson ein wenig verlegen. „Entschuldige, dass ich einfach eingepennt bin, aber ich …“

Jackson sitzt am Küchentisch und beugt sich konzentriert über seine Hände. Jetzt blickt er Luca an. „Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen! Kaffee?“, unterbricht er einfach Lucas Rede.

„Ja, super gerne!“

„Kannst du den mal eben einschenken? Ich kann grad‘ schlecht.“, bittet ihn Jackson und beugt sich bereits wieder über seine Hände. Jetzt bemerkt Luca, was sein Gegenüber da gerade macht. Er lackiert sich die Fingernägel. Schwarz. Luca kann nicht anders. Er starrt. Dabei wollte er das doch auf jeden Fall vermeiden. Aber es geht nicht. Ein Typ wie Jackson und dann … lackiert er seine Nägel. Jackson wiederum bemerkt, dass sein neuer Untermieter sich nicht regt. Grinsend blickt er kurz in dessen Richtung.

„Das macht Nuno Bettencourt auch. Und das sieht einfach scharf aus, wenn ich mit den Fingern über Lucys Hals fahre.“

„Hals“, wiederholt Luca tonlos und starrt weiter fasziniert auf den pinselnden Kerl am Küchentisch.

„Ja!“, bestätigt Jackson und demonstriert kurz, was er meint, indem er mit der linken Hand eine Luftgitarre packt. Seine Finger greifen und verbiegen sich als würde er spielen. „Siehst du?! Das sieht total geil aus!“

Jetzt lächelt Luca. „Stimmt!“, murmelt er beifällig, löst sich aus seiner Starre und holt den Kaffee.

„Tassen sind immer da oben im Schrank und ein paar Becher baumeln an der Leiste da drüben.“, erklärt Jackson nebenbei.

„Mhm“, brummt Luca.

Als er sich an den Tisch setzt, fragt er nach. „Nuno …?“

Jacksons Miene erhellt sich erneut. „Nuno Bettencourt. Ein Wahnsinns-Gitarrist. Da bin ich Welten von entfernt, aber es kann ja auch nicht jeder perfekt sein. Der Typ ist echt der Hammer. Wenn du willst, zeig ich ihn dir mal auf YouTube.“

Luca nickt zustimmend. „Klar! Gerne!“

Mit geneigtem Kopf blickt der Blauschopf Luca abschätzend an.

„Der hat genauso ‘ne Mähne wie du. Deine Haare sind nur was kürzer. Aber auch geil! Steh‘ ich total drauf. Das macht Typen wie dich echt animalisch.“

Ein kleines ungläubiges Lachen entfährt Luca. Nicht, weil er nicht schon oft mit Schmeicheleien bedacht worden wäre. Seit seiner Kindheit bekommt er gesagt wie toll, wie hübsch, wie außerordentlich er aussieht. Aber ‚animalisch‘? Das ist mal neu. Und es gefällt ihm. Luca weiß selbst, dass er eigentlich immer viel zu ruhig, zu scheu und zu schüchtern ist. Daher nehmen ihn viele Leute oft nicht ernst; wie Joey zum Beispiel. Ja, Luca ist klar, dass er sich viel zu viel gefallen lässt. Seine Höflichkeit lässt ihn schwach erscheinen. Und dann sitzt da dieser … Exot und schmeißt mal eben den Begriff ‚animalisch‘ in den Raum.

„Waas!!“, hakt Jackson jetzt grinsend nach. „Jetzt behaupte nicht, das hätte dir noch keiner gesagt?!“

„Hör‘ auf!“, wiegelt Luca ab. „Ich bin vieles, aber bestimmt nicht ‚animalisch‘.“

Vorsichtig greift Jackson mit frisch lackierten Nägeln nach seinem Kaffeebecher. „Ich mein‘ ja auch nur, dass du so aussiehst. Mehr kann ich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sagen.“

Luca schmunzelt in sich hinein.

„Du musst mir noch sagen, was du für das Zimmer haben willst!“, lenkt er vom Thema ab.

„Aach“ Ratlos zuckt Jackson mit den Achseln. „Weiß auch nicht. Hab‘ das bisher noch nie gemacht. Eigentlich wohne ich hier recht billig. Das Haus gehört meiner Großmutter. Die ist super, meine Oma. Unterstützt mich, wo sie kann. Daher zahle ich keine Miete, nur die Nebenkosten. Auf die Idee mit dem Zimmer hat mich mein Kumpel Abs gebracht. Ich hab‘ ja keinen festen Job, so dass die Kohle immer nur sporadisch reinkommt.“

Er pustet über sein heißes Getränk, bevor er sich den nächsten Schluck genehmigt.

„Machst du mir mal ‘ne Kippe an?“, fragt er sehnsüchtig und deutet mit dem Kinn auf eine Packung Zigaretten.

Luca fummelt einen Glimmstengel aus der Packung, zündet ihn an und pustet mit spitzen Lippen ein wenig Rauch aus.

Jackson lacht. „Du rauchst wohl nicht.“

„Nee“, bestätigt Luca grinsend. „Das unterdrückt meine … also, dass bekommt mir nicht!“, ändert er schnell den Satz ab. Vorsichtig schiebt er Jackson die entzündete Zigarette zwischen die Lippen. Kaum merklich berühren seine Fingerspitzen die weiche Haut. Sein Vermieter zuckt kurz zusammen.

„Wow, ich glaub‘ ich hab‘ gerade einen kleinen Schlag gekriegt.“

Schnell zieht Luca seine Hand zurück. „Oh, sorry! Bin wohl etwas aufgeladen. Dabei hab‘ ich meine … hmm … Haare doch gar nicht … geföhnt.“, stottert er verlegen.

Jackson zieht genüsslich an seiner Kippe. „Du musst aufpassen, dass die Leute dich nicht auf den Arm nehmen!“, erklärt er mit zusammengekniffenen Augen. „Du entschuldigst dich andauernd. Und meistens für Dinge, für die du nichts kannst.“ Er zieht scherzend eine Augenbraue hoch. „Der erste Schritt auf dem Weg, animalisch zu werden: hör‘ auf dich zu entschuldigen.“

„Ja, sorry!“, erwidert Luca und beide lachen über seine Bemerkung.

„Ich geb‘ dir einfach erst mal vierhundert Euro, oder?“, setzt Luca das Gespräch über seine Miete fort.

„Vierhundert?!“, fährt Jackson entsetzt auf. „Für einen Monat? Bist du wahnsinnig, Mann? Das ist viel zu viel! Wenn, dann für zwei Monate.“

Luca kichert in sich hinein. „Du bist der erste Mensch, den ich kennenlerne, der weniger Kohle haben will als ich anbiete. Du weißt schon, dass du mich gerade runterhandelst, oder?“

Verliebt betrachtet Jackson seine inzwischen trockenen Fingernägel. „Kohle geht mir am Arsch vorbei. Ich will nur das, was ich zum Leben brauche. Mehr belastet mich nur.“

Beeindruckt verzieht Luca seinen Mund. „Ich hab‘ von Leuten wie dir gehört, aber in freier Wildbahn ist mir noch keiner begegnet.“

Und wieder erscheinen die Grübchen in Jacksons Gesicht. „Soll ich mich jetzt etwa entschuldigen?“, ärgert er Luca zurück.

Sie plaudern und plaudern. Lachen, ärgern sich gegenseitig, erzählen tausend Dinge aus ihrem Leben und merken dabei nicht, wie die Zeit vergeht.

Irgendwann musste natürlich die Frage kommen: „Was machst du eigentlich hier?“

Eine ganze Weile starrt Luca nachdenklich auf die Tischplatte; bis ein Ruck durch seinen Körper geht und er sich entschlossen aufsetzt. Er entscheidet sich, die Wahrheit zu sagen. Zumindest die halbe Wahrheit.

„Ich bin auf der Flucht; bin abgehauen. Ich hab‘ mein ganzes Leben momentan so satt. Und da ging’s auf einmal nicht mehr. Ich hab‘ ein paar Klamotten gepackt und bin weg. Einfach ins Auto und ab.“ Sein starrender Blick wird immer trauriger, seine Schultern sacken nach unten.

„Und was ist so schlimm an deinem Leben?“, fragt Jackson behutsam nach.

Luca presst die Lippen aufeinander und zuckt kurz mit den Achseln. Doch eine Antwort bleibt er schuldig.

„Schon okay!“, lenkt Jackson ein. Er stemmt sich von seinem Stuhl hoch und klopft Luca einmal tröstend auf die Schulter. „Du musst nichts sagen, wenn du nicht willst. Aber sobald dir danach ist, kannst du es mir gerne erzählen. Manchmal befreit das. So, jetzt muss ich aber dringend mal pinkeln.“ Beim Hinausgehen ergänzt er lapidar: „Und dann sollten wir überlegen, woher wir was zu essen organisieren. Hast du auch so’n Hunger?“

„Organisieren?“, hakt Luca nach. „Reicht doch, wenn wir uns ein Brot machen, oder so.“

„Hähä“, lautet die kurze abgehackte Antwort aus Richtung Bad.

Luca steht auf und öffnet den Kühlschrank: Wasser, Wasser, Wasser, ein Glas Senf, ein Rest Butter. Das war’s. Kopfschüttelnd schließt er die Türe.

Jetzt betritt Jackson den Raum. „Die Butter ist alt“, erklärt er bedauernd. „Die kann man nicht mehr essen.“

„Womit auch?“, fragt Luca ratlos. „Mit ein bisschen Senf?“

Sein Vermieter kichert. „Hab‘ ich schon gemacht. Glaub‘ es oder nicht!“

Dir traue ich das ohne weiteres zu, denkt Luca fasziniert.

„Hast du keine Vorräte? Was weiß ich, Nudeln, Reis oder so?“

Jackson schiebt die Unterlippe vor und schüttelt leicht den Kopf.

„Nö, Vorräte liegen bei mir immer so lange rum, bis sie keiner mehr essen kann. Dann muss ich sie wegwerfen und hab‘ die ganze Kohle umsonst ausgegeben.“

Luca reisst fassungslos die Augen auf. „Und wenn du Hunger hast?“

„Dann organisier ich mir was!“, erklärt der grinsende Blauschopf.

„Und wenn das nicht klappt?“ Luca kapiert es nicht.

Jackson zuckt mit den Achseln. „Dann hab‘ ich wohl mal Hunger. Doch eigentlich ist immer genug Wasser da. Zwei Gläser davon und der schlimmste Hunger ist vorbei.“

„Das ist …“ Luca ist fassungslos. „… ziemlich ungesund.“

„Findest du? Also, ich fände es ungesünder, immer irgendeinen Scheiß dazuhaben und in mich reinzustopfen. Außerdem müsste ich dann ständig was essen, worauf ich eigentlich gerade keinen Bock hab‘.“

„Und wie sieht’s mit Pizza aus … gerade?“, betont Luca herausfordernd.

„Hmm.“ Gespielt grübelnd kratzt Jackson über sein Kinn. „Könnte gehen!“

Luca lacht zustimmend. „Bei mir auch. Los! Ich geb‘ einen aus. Hast du ‘ne Karte?“

„Du hältst mich wohl für total unvorbereitet, was? Die wichtigsten Dinge hab‘ ich natürlich da.“

Er zieht eine Küchenschublade auf und wühlt in einem Packen Faltblätter herum.

„Der hier ist super!“


Der Lieferservice ist schnell und die Pizzas riechen super appetitlich. Gerade haben sich die beiden hungrigen Wölfe im Wohnzimmer niedergelassen als es klingelt.

Jackson steht mit einem „Faszinierend“ auf und öffnet die Haustüre.

Im Hintergrund hört Luca ihn jemanden begrüßen.

„Jetzt sag‘ bloß, du hast die Pizza bis unters Dach gerochen?“

„Klar, Mann!“, erwidert eine etwas hellere Stimme. „Danke, dass du aufmachst. Ich hab‘ so einen Wahnsinnshunger. Ich glaub‘ ich könnte die Autos sämtlicher Pizzalieferanten am Geräusch erkennen. DAS und dieser super leckere Duft … die ist von ‚Salvatore‘, oder?“

„Abs, mir graut vor dir!“, lacht Jackson, während er mit dem unerwarteten Besuch das Wohnzimmer betritt.

„Abs, das ist Luca, mein neuer Untermieter. Luca, das ist Absinth, Freund und Nachbar von oben unterm Dach.“

„Absinth?“, murmelt Luca ungläubig, während er eine Hand zur Begrüßung hebt.

„Hey!“ Der Besucher beachtet Luca kaum und hebt ebenfalls lediglich kurz seine Hand. Stattdessen himmelt er Jackson an.

„Hast du’s geschafft und dein Zimmer vermietet? Jetzt sag‘ noch einmal, dass das keine geniale Idee von mir war! Wieviel gibt er dir?“

„Zweihundert für einen Monat.“

„WOW, JACKS! Party, Mann!!“, grölt Absinth begeistert.

Während er sich ganz selbstverständlich eine Pizzaecke nimmt … zufällig aus Lucas Schachtel …, wuselt er begeistert um Jackson herum. Seine aufgedrehte Art hinterlässt Spuren. Auch Jackson steht mitten im Raum und greift sich im Stehen ein Pizzastück. Sie zappeln wie zwei nervöse Hunde, während sie den Teig in sich hineinstopfen.

Langsam kauend lehnt sich Luca zurück und mustert Jacksons Nachbarn.

Er ist ein Stück kleiner als Jackson und hat dunkle abstehende Haare. Sein Teint ist ziemlich blass, wodurch die dunklen Augenringe noch deutlicher hervortreten. Zu viel Feiern, zu viel Saufen, zu wenig Schlaf, urteilt Luca automatisch. ‘Ne Bordsteinratte.

Doch gleichzeitig ist sich Luca bewusst, dass es eigentlich ungerecht ist, was er denkt. Liegt das daran, dass er sich gestört fühlt? Jacksons Freund sieht nämlich gar nicht so schlecht aus. Ja, eigentlich sieht er richtig gut aus. Zwar ist er zu blass und die schwarzen punkigen Stacheln auf dem Kopf verschönern nicht gerade sein Gesamtbild. Doch er hat feine schmale Gesichtszüge und lange dunkle Wimpern, die seine mandelförmigen – ständig fragenden – Augen fast obszön betonen. Andere würden seine kleine Nase frech oder vorwitzig finden. Und sein Mund lädt eindeutig zum Knutschen ein. Absinths schlanke Figur lässt ihn im ersten Moment zierlicher erscheinen als er tatsächlich ist. Das liegt vielleicht auch an seinen eng anliegenden Klamotten.

Endlich legt sich der Begeisterungssturm und Jackson lässt sich stöhnend neben Luca auf die Couch fallen. Absinth schiebt seinen schmalen Hintern neben Jacksons andere Seite. Eigentlich ist da nicht mehr viel Platz, lediglich die dicke gewölbte Armlehne. Doch Abs scheint auch jetzt wie ein Hund auf Jacksons Nähe zu reagieren. Er will so dicht wie möglich bei ihm sein. Nervös wippt sein auf dem Polster abgelegtes Bein.

„Hey, Lutter! Wie lange bleibst du?“

Jackson kichert in sich hinein. „Er heißt Luca, du taube Nuss.“

„Oh, sorry!“ Absinth zuckt betroffen zusammen. Verlegen lächelt er, während ein kurzer Seitenblick Luca streift. „Bin tatsächlich manchmal ein wenig taub. Kommt davon, wenn man jahrelang den Kopf bei lauter schreiender Punk-Musik vor die Boxen hält. Nicht sauer sein, wenn ich mal was falsch verstehe!“

„Keiner ist sauer auf dich, mein Süßer!“, ärgert Jackson ihn, während er seine Armbeuge um Absinths Nacken legt und ihn zu sich zieht. Ein lauter schmatzender Kuss folgt. Jacks‘ Freund kichert, während er versucht, sich wieder halbwegs gerade hinzusetzen. Auch Luca lächelt. Die beiden scheinen sich schon eine ganze Weile zu kennen; sind sehr vertraut miteinander. Sind die etwa zusammen?

„Ich weiß noch nicht genau“, antwortet er nachdenklich auf Abs‘ ursprüngliche Frage und fixiert dabei die Pizzareste auf dem Tisch. „Bin ja gerade erst angekommen. Ich brauche ein wenig Zeit für mich … will in Ruhe nachdenken, ohne dass mir sämtliche Leute …“

Jetzt spürt er Jacksons Hand, wie sie vorsichtig reibend über seinen oberen Rücken fährt. Erstaunt blickt Luca zur Seite. Niemand hört ihm zu. Abs hatte es wohl nicht lange auf der Couchlehne gehalten. Er war unmerklich auf Jacksons Schoß gerutscht. Seine Hände streichen liebevoll über die Brust seines Gastgebers, während ihre Lippen sich in einem tiefen Kuss verlieren.

Jacksons rechte Hand vergräbt sich gerade in Lucas Mähne. Jetzt löst er sich von dem Kleineren und blickt Luca mit leicht glasigen Augen an. Hellblau, dunkelblau. Luca kann sich nicht entscheiden wie er Jacks Augenausdruck erwidern soll. Er kann diesem Blick einfach nicht standhalten. Zumal er jetzt auch noch einen sanften Druck auf seinem Hinterkopf spürt.

„Komm her!“, flüstert Jackson, bevor er Lucas Lippen geradezu verschlingt. Dieser lässt sich kurz gehen, doch wirklich nur sehr kurz. Er versteift sich, drückt Jacks‘ Oberkörper von sich und steht abrupt auf.

„Sorry, ich … das kann ich nicht!“, murmelt er entschuldigend, dreht sich um und verlässt das Wohnzimmer. Jacksons bedauernden Blick bekommt Luca nicht mehr mit. Schnell betritt er sein Zimmer und schließt sorgfältig die Türe.

Sein Herz rast. Oh, mein Gott. Warum bringt mich das dermaßen aus der Fassung? Das war doch nur ein Kuss! Ein ziemlich überraschender … klar … aber, mein Gott. Dass Jackson auch schwul ist, hab‘ ich doch vom ersten Moment an quasi gerochen. Also darf mich so ein kleines Intermezzo eigentlich nicht überraschen.

Luca lässt sich ratlos auf die Bettkante sinken. Er beugt tief ausatmend den Kopf auf die Brust. Seine langen Haare bilden einen schützenden Vorhang. Verlegen knetet er seine kalten Finger. Er weiß genau, warum er sich so überrumpelt fühlt. Der Grund ist ganz einfach. Seit gefühlten Ewigkeiten hat Luca keine Beziehung mehr gehabt und zwar im allumfassendsten Sinne. Keine One-Night-Stands, keine Freundschaften und schon mal gar keinen erfüllenden Sex mit jemandem, den er wenigstens mag. Da war nichts in den letzten paar Jahren, gar nichts. Er war immer nur mit seiner Arbeit beschäftigt, jeden Tag. Und nach zwölf Stunden, in denen er unzählige fremde Körper anfassen musste, war ihm noch nicht einmal mehr danach, sich unter der Dusche einen runterzuholen.

Seufzend streicht sich Luca seine Mähne aus dem Gesicht. Er denkt an Joey. Wie erniedrigend, wie unglaublich ekelhaft empfindet er im Nachhinein die Momente, in denen ihm Joey einen runtergeholt hatte. Joey, der Heteromann aus dem Bilderbuch. Aber auch Joey, der Manager, der für sein goldenes Kalb alles tut. Dafür holte er Luca – ganz unpersönlich – auch mal einen runter. Das gehört eben zum Geschäft. Kein großes Ding. Wenn seine Quelle dann wieder erfolgreich sprudelt … dann immer her mit den unbefriedigten Schwänzen.

Luca schnaubt genervt. Im Nachhinein kann er selbst nicht glauben, dass er so tief gesunken ist. Er greift nach seinem Handy und schaltet es ein. Seit gestern tummeln sich dreißig Nachrichten auf der Mailbox und fünfzig SMSe. Bis auf eines stammen sämtliche Lebenszeichen von Joey. Während Luca mit hart zusammengepressten Lippen Joeys immer verzweifelter klingende Kurzmitteilungen durchblättert, wird ihm bewusst, wie lange er sich nicht mehr bei seinen Eltern gemeldet hat. Beschämend! So was passt überhaupt nicht zu ihm. Er ist ein Familienmensch, schon immer gewesen. Er ist halber Italiener – porco dio – da kann man gar nicht anders … eigentlich. Wie gerne hört er die Stimme seiner Mutter auf der Mailbox, doch er hat noch keine Energie, sie zurückzurufen.

Ich bin innerlich tot. Keine Emotionen, kein Verlangen, keine Freude. Mann, bin ich ausgebrannt. Joey kann mich mal am Arsch lecken. Er und seine nervige Art. Ich kann einfach nicht mehr.

Eine unbedeutende – aus Geilheit geborene – Berührung hat Luca aus der Fassung gebracht. Immer noch spürt er Jacksons flache Hand, wie sie tastend, leise streichelnd zu seinem Nacken hochgekrochen kam. Und erst sein Mund, seine vollen Lippen. Wenn er an die forsche Zunge denkt, die sich kurz in seinen Mund gedrängt hatte … Phhh … Tief atmet er aus. Ich bin 28, verdammt. Und mein Gefühlsleben schwankt zwischen mausetot und unerfahrenem Teenager. Das ist so erbärmlich.

Mit einem genervten Stöhnen sinkt Luca auf sein Bett. Leises Lachen aus dem Nachbarzimmer scheint ihn zu verhöhnen. „Na, komm schon! Beug‘ dich vor!“ Das war Jacksons vor Geilheit belegte Stimme. Nicht lange und rhythmisches Stoßen – gepaart mit halblauten Schreien – lässt Jacksons Bett gegen die Trennwand rumpeln.

Das hätte er vielleicht auch mit mir gemacht …, denkt Luca traurig. Sehnsüchtig streicht er über seinen halbharten Schwanz und stellt sich dabei vor, an Absinths Stelle zu sein.

Antiheld

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