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Abreise von Wien.

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Inhaltsverzeichnis

Im Jahre 1845 trat ich also abermal eine bedeutende Reise an, und zwar nach dem hohen Norden. — Island war eine jener Gegenden, nach denen ich mich seit dem Anfange meines Denkens sehnte. — In diesem von der Natur ganz eigenthümlich ausgestatteten Lande, das wohl nirgends auf Erden seines Gleichen finden mag, da hoffte ich Dinge zu schauen, die mich mit neuem, unnennbarem Erstaunen erfüllen würden, O, mein gütiger Gott, wie bin ich Dir so dankbar, meine Lieblingsträume sich in Erfüllung verwandeln zu sehen! —

Von allen meinen Lieben nahm ich dießmal viel leichteren Abschied; ich hatte nun schon erprobt, daß eine Frau mit festem Willen in der Welt eben so gut fort kömmt, wie ein Mann, und daß man überall gute Menschen findet. — Dazu kam noch, daß die Beschwerden auf dieser Reise nur kurze Zeit währen dürften, und daß ich in fünf bis sechs Monaten wieder bei den Meinigen sein konnte.

Am 10. April, Morgens 5 Uhr, reiste ich von Wien ab. — Da die Donau kürzlich einige Verheerungen angerichtet hatte, bei denen auch die Eisenbahn nicht leer ausgegangen war, so legte ich die erste Meile bis Florisdorf in einem Omnibus eben nicht am angenehmsten zurück. — Unsere Omnibuse sind so enge und knapp, daß man denken sollte, sie seien nur für Schwindsüchtige, aber nicht für gesunde, und mitunter recht stattliche Reisende, die noch zum Ueberfluße mit Mänteln, Pelzen und Reiseröcken reichlich versehen sind, berechnet.

Kaum an der Linie angelangt, stellte sich uns ein neues Hinderniß entgegen. Wir gaben nach der Reihe unsere Passirscheine ab, nur der Letzte, ein junger Mann, war über dieses Begehren ganz erstaunt. Er hatte nichts bei sich als seinen Paß und seine Zeugnisse, und wußte nicht, daß ein Passirschein wichtiger sei als jene Beide. Er ging selbst in die Kanzlei, machte dem Beamten Vorstellungen; — doch vergebens — wir mußten ohne ihn die Reise fortsetzen.

Nun erfuhren wir erst, daß es ein Studierender sei, der soeben seine Rigorosen geendet, und sich einige Wochen bei seinen Eltern, in der Nähe Prags, erholen wollte. — Ach der Arme! Er hatte soviel studiert, und doch zu wenig! — Er wußte nicht, daß ein solches Dokument von so außerordentlicher Wichtigkeit sein konnte. — Wegen dieses kleinen Versehens büßte er die Reisespesen bis Prag, die in vorhinein bezahlt waren.

Doch weiter in meiner Reise.

In Florisdorf überraschte mich freudig die Gegenwart meines Bruders und meines Sohnes, die mir ungesehen vorgefahren waren. — Wir bestiegen nun zusammen die Eisenbahn, um nach Stockerau (drei Meilen) zu fahren; doch auf halbem Wege mußten wir aussteigen, und ein Stück zu Fuß wandern, Der Eisenbahn-Damm war hier eingesunken. — Zum Glück begünstigte uns das Wetter so weit, daß wir zwar einen furchtbaren Sturm, aber wenigstens keinen Regen hatten; sonst wären wir ganz durchnäßt geworden, und würden bis an die Knöchel in Koth gesunken sein. An Ort und Stelle angelangt, mußten wir unter freiem Himmel so lange warten, bis die Dampfwagen von Stockerau kamen, ihre Reisenden ausluden und uns dagegen einnahmen.

In Stockerau nahm ich von meinen Begleitern nochmal Abschied, und wurde in den Post-Stellwagen gehörig verpackt und weiter spedirt.

Auf dieser kurzen Strecke war dieß nun der vierte Wagen, den ich bestieg, — eine große Unannehmlichkeit schon, wenn man nichts bei sich hat, eine um so größere, wenn man noch für Reisegepäck sorgen muß; und dafür wüßte ich keine andere Entschädigung, als daß wir diese 4 Meilen um eine halbe Stunde schneller zurücklegten, und anstatt, wie früher, von Wien bis Prag 9 fl, 36 kr., jetzt von Stockerau bis Prag 10 fl. 10 kr. zahlt, Omnibus und Eisenbahn noch gar nicht eingerechnet. — Gewiß, eine theuer erkaufte halbe Stunde.

Das Städtchen Znaim mit einem Kloster in der Nähe, liegt in einer weiten Ebene, die sich von Wien bis gegen Budwitz, vier Meilen hinter Znaim, zieht, und deren Einförmigkeit nur hie und da durch niedere Hügel unterbrochen wird.

Bei Schelletau gewinnt die Gegend ein freundlicheres Ansehen. — Links fesselt das Auge ein Kranz von höhern Bergen, geschmückt mit einer Burgruine, bei deren Anblick man sich an eine jener tragischen Rittergeschichten aus den vorigen Jahrhunderten erinnern kann; um den Weg selbst ziehen sich Nadelgehölze, oder sie liegen in schönen Gruppen auf den Hügeln und in den Thälern zerstreut.

11. April.

Schon gestern begünstigte uns die Witterung nicht im Geringsten. — Bei Znaim fanden wir die Thäler noch theilweise mit Schnee bedeckt, und oft überfielen uns Nebel, daß man kaum 100 Schritte weit sehen konnte. — Doch heute ging es noch ganz anders.

Die Nebel lösten sich in einen sanften Regen auf, der aber von Station zu Station so viel von seiner Sanftheit verlor, daß bald Alles um uns her in Wasser stand. — Aber nicht genug , im Wasser fahren zu müssen, mußten wir auch im Wasser sitzen, denn das Dach unseres Wagens schien ein vollkommenes Sieb werden zu wollen, durch das der Regen seinen Eingang nahm. Wenn es der Raum erlaubt hätte, all unsere Regenschirme wären aufgespannt worden.

Bei solchen Gelegenheiten bewundere ich immer im Stillen die Geduld meiner guten Landsleute, die nehmen Alles höchst gelassen auf. — Wäre ich ein Mann, ich würde ganz anders sein, und gewiß keine Nachlässigkeit ungerügt lassen. So aber, als Frau schweige ich; man würde sich nur über mein Geschlecht erzürnen, und es launenhaft nennen. — Ueberdieß dankte ich meinem Schutzgeist für diese Widerwärtigkeiten, Ich nahm sie als Vorbereitungen dessen, was in dem hohen Norden über mich kommen sollte.

Wir berührten verschiedene Städtchen und Dörfer, und betraten endlich, gleich hinter Iglau, das böhmische Gebiet. — Das erste Kreis-Städtchen, das sich in diesem Königreiche unserm Blicke darbot, war Czaslau mit einem großen Platze und einigen netten Häusern, die mit sogenannten Lauben versehen sind , damit man bei dem schlechtesten Wetter trocknen Fußes um den Platz gehen könne.

Auf der ferneren Reise sieht man einen schönen Dom mit dem dazu gehörigen Orte Kuttenberg, einst berühmt durch Gold- und Silberminen; — weiter die große Tabakfabrik Sedlitz und zum erstenmale die Elbe, doch nur auf kurze Zeit, da sie bald wieder eine andere Richtung einschlägt. Und nun passirt man das Städtchen Collin, und fährt knapp an dem Schlachtfelde vorüber, auf dem der große König Friedrich im Jahre 1757 die Zeche an die Oesterreicher bezahlte. — Rechts auf einer kleinen Anhöhe steht ein Obelisk, der erst vor wenig Jahren dem Andenken des Generals Daun gesetzt wurde, — links breitet sich die Ebene Klephorcz aus, auf welcher die Oesterreicher aufgestellt waren.

Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke

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