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Reise nach Reikholt (Reikiadal) und der Grotte Surthellir.

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Inhaltsverzeichnis

Da die Witterung gut und schön war, wollte ich keine Zeit versäumen, meine Wanderungen nach und nach fortzusetzen. — Ich hatte nun eine Tour von ungefähr 130 deutschen Meilen zu machen, und mußte daher noch ein Pferd mehr mitnehmen, theils um demselben mein Bischen Gepäck, welches aus einem Kissen, Roggenbrod, Käse, Kaffee und Zucker bestand, aufzuladen, theils, und hauptsächlich, um täglich wechseln zu können, da ein Pferd die Mühen einer großen Reise nicht ausgehalten haben würde.

Mein erster Führer konnte mich auf dieser Reise nicht begleiten, weil er der meisten Wege unkundig war. Meine gütigen Beschützer Herr Knudson und Herr Bernhöft hatten übermal die Güte, für einen Andern zu sorgen; eine schwere Aufgabe, da man selten auf einen nüchternen Mann trifft, und zugleich auch auf einen solchen, der der dänischen Sprache mächtig ist. Endlich wurde ein tauglicher Bauer gefunden, dem waren aber 2 fl. C.M. täglich zu wenig, und ich mußte per Tag noch einen Zwanziger (1/3 Gulden) zulegen, dagegen wurde ausbedungen, daß auch er zwei Pferde haben müsse, um täglich wechseln zu können.

Der 16. Juni war zur Abreise bestimmt. Mein neuer Führer zeigte sich schon am ersten Tage nicht von der besten Seite. Er ließ seinen Pferdesattel erst an demselben Morgen unserer Abreise zusammenflicken und kam statt mit zwei Pferden, nur mit einem. Freilich versprach er, einige Meilen von hier ein zweites zukaufen, da er, entfernter von der Hauptstadt, billiger dazu käme. Doch vermuthete ich gleich, daß dieß nur eine Ausrede sei, und er dadurch blos der Mühe, auf vier Pferde zu sehen, entgehen wollte, — und richtig wurde nirgends ein zweites taugliches Pferd gefunden, und mein armes Thierchen mußte auch noch des Führers Bedarf tragen.

Das Bepacken der Pferde macht stets viel zu schaffen , es geschieht auf folgende Weise: Man legt über den Rücken des Thieres einige große ausgetrocknete Rasenstücke die nicht befestiget werden, und schnallt darüber ein etwas rund gebogenes Stück Holz, das oben mit 2-3 hölzernen Spitzen versehen ist. An diese Spitzen hängt man nun die Koffer oder Packe. Ist die Ladung auf beiden Seiten nicht gleich schwer, so muß alle Augenblicke angehalten und neuerdings gepackt werden, da das ganze Ding gleich schief sitzt.

Die Koffer, die man hier zu Lande hat, sind massiv aus Holz gemacht, mit einem rauhen Felle überzogen, und von allen Seiten mit Eisen beschlagen als ob sie für die Ewigkeit bestimmt wären. Schon an den leeren Koffern hat das arme Thier eine tüchtige Last zu tragen, und man kann ihm daher nur wenig eigentliches Gepäck aufbürden. Die gewöhnliche Last, die ein Pferd auf längeren Reisen zu tragen hat, darf höchstens 150 Pf. betragen.

Wie oft unser Gepäck während einer Tagreise neuerdings befestiget werden mußte, wüßte ich wirklich nicht zu sagen. — Die großen Rasenstücke blieben nie lange fest sitzen, und somit ging alle Augenblicke Alles schief. Einen Isländer aber von seiner gewohnten Weise abzubringen, gehörte zu einem Wunder; — so packten seine Voreltern, und so muß auch er packen.

Wir hatten den ersten Tag 10 M. zu machen, und dessenungeachtet konnten wir, des beschädigten Sattels wegen, vor acht Uhr Morgens nicht aufbrechen. —

Der Weg führte uns die ersten drei Meilen durch das große Thal, in welchen Reikjavik liegt, das von niedern Hügeln durchzogen ist, welche wir theilweise übersteigen mußten. Auch mehrere Flüsse, darunter Lachselv, der bedeutendste, traten uns als Hemmnisse entgegen; doch waren sie in dieser Jahreszeit gefahrlos zu durchreiten. — Fast alle Thäler, durch welche wir heute kamen, waren mit Lava überdeckt, boten aber manche schöne Stelle dem Auge dar. Mehrere unbedeutende Hügel, an denen wir vorüber kamen, schienen mir einstige Feuerspeier gewesen zu sein, da der ganze obere Theil derselben mit kolossalen Lavaplatten leicht bedeckt war, als sei der Krater damit geschlossen worden. Rings herum lag Lava von derselben Art und Farbe, nur in kleineren Stücken.

Während der ersten drei Meilen hat man von jedem Hügel, den man ersteigt, die Ansicht des Meeres. — Auch findet man die Gegend noch ziemlich bewohnt, später aber durchreiset man eine Strecke von mehr als 6 Meilen, ohne auf eine menschliche Wohnung zu treffen. Man kömmt von einem großen Thale in das andere, und findet in der Mitte all dieser von ziemlich hohen Bergen eingeschlossenen Einöden nur ein einziges Hüttchen, das für Reisende errichtet ist, die im Winter die lange Strecke in einem Tage nicht zurück legen können, und hier zu übernachten pflegen. Man darf sich aber nicht schmeicheln in ihr ein lebendes Wesen, etwa in Gestalt eines Wirthes, zu finden; das Häuschen ist ganz leer und besteht nur aus einem kleinen Gemache mit vier schmucklosen Wänden. Der Reisende ist nur an das gewiesen, was er selbst mitbringt.

Die Thäler, welche wir heute durchzogen, waren durchgängig von einer und derselben Gattung Lava bedeckt; sie kömmt in kleineren Steinen und als Gerölle vor, ist nicht sehr porös, von lichtgrauer Farbe und an vielen Stellen mit Sand oder Erde vermengt.

Einige Meilen von Thingvalla kömmt man in ein Thal, das schöne Erde hat, aber dennoch nur spärlich mit Gras bedeckt ist. Es ist voll kleiner Erhöhungen, die größtentheils mit zartem Moos bewachsen sind. Ich glaube, daß die Einwohner manch Stück Grund in einen viel besseren Zustand versetzen könnten, wenn sie nur nicht so träge wären. Um Reikjavik selbst ist der schlechteste Grund und Boden, und doch wurde ihm durch Müh und Arbeit manch Stück Garten, manche gute Wiese abgerungen. — — Warum sollte hier, wo die Natur bereits vorgearbeitet hat, nicht noch leichter etwas zu erzielen sein?

Thingvalla, unsere heutige Nachtstation, liegt an dem See gleichen Namens, wird aber erst sichtbar, wenn man schon davor steht. Der See ist ziemlich bedeutend, er ist mehr als ein und eine halbe Meile lang und an manchen Stellen gewiß eine halbe Meile breit, auch enthält er zwei Inselchen — kahle Hügel — Sandey und Resey.

Noch fesselte der See und dessen kahle, finstere Gebirgseinfassung meine ganze Aufmerksamkeit, als sich plötzlich zu meinen Füßen, wie hingezaubert, ein Schlund öffnete, in welchen hinab zu sehen wahrhaft Grausen erregend war; — unwillkührlich fiel mir Webers „Freischütz" und die Wolfsschlucht ein.

Um so mehr überrascht dieser Anblick, da man, von dieser Seite kommend, nur die fortlaufenden Thäler sieht, und gar keine Ahnung hat, daß eine solche Schlucht dazwischen liegen könne. — Es war eine Spalte kaum 4-5 Klafter breit, dafür aber mehrere hundert Fuß tief, und da mußten wir hinab, auf einem schmalen, schroffen, höchst gefährlichen Pfade, über große Lavatrümmer. Je tiefer man kommt, desto schauerlicher gestaltet sich die Bahn, desto ängstlicher wird Einem zu Muthe. — Auf hochaufgethürmten Lavawänden, die den ganzen langen Schlund, gleich einer Gallerie umschließen, stützen sich lose und schwebend, in Form von Pyramiden oder Säulentrümmern, einzelne Steinkolosse, die dem armen Wanderer mit Tod und Vernichtung drohen. Stumm, ängstlich und beklommen klettert man hinab, durchzieht einen Theil dieser Kluft, und wagt kaum aufzublicken, viel weniger auch nur den geringsten Laut von sich zu geben, um ja nicht diese Steinlawinen, von deren furchtbarer Gewalt umherliegende Felstrümmer zeugen, zu erschüttern und zum Sturze zu bringen. — Merkwürdig ist das Echo, das den schwächsten Hufschlag, den leisesten Ton wiedergibt.

Einen ganz eigenthümlichen Anblick gewährt es, wenn man bereits in der Tiefe angelangt, erst die Pferde hinab klettern läßt; es sieht gerade so aus als hingen sie an den Wänden.

Diese Schlucht ist unter dem Namen Almanagiau bekannt. Ihre Länge beträgt ungefähr eine viertel Meile, doch kann man nur eine kurze Strecke durchwandeln; der größere Theil davon ist durch über einander geworfene Lavatrümmer gänzlich versperrt. — Auf der rechten Seite theilt sich die Felswand, und bildet den Ausweg, der ebenfalls wieder über schreckliche Lavamassen in das schöne, große Thal Thingvalla führt, — Mir kam es vor, als wandelte ich in den Tiefen eines Kraters, der vor undenklichen Zeiten in fessellosem Wüthen diese Wände um sich aufgestellt hatte.

Das Thal Thingvalla gilt für eines der schönsten in Island. Es enthält mehrere Wiesengründe, die dem Menschen eine genügende Zufluchtsstätte gewähren und ihn in den Stand setzen, selbst mehreres Vieh zu halten. — Der Isländer hält dieß kleine, grüne Thal für den schönsten Fleck der Erde. — Das Oertchen Thingvalla liegt unweit vom Ausgange der Schlucht, jenseits des Flusses Oxer, am See und besteht aus 3-4 Kothen und einem Kirchlein. — Man sieht einige einzelne Höfe und Kothen zerstreut liegen.

Einst war Thingvalla einer der wichtigsten Orte in Island, und noch zeigt man dem Fremdling die Wiese, die sich unweit des Oertchens befindet, auf welcher jährlich der Alldings (die Gerichtsversammlung) unter Gottes freiem Himmel gehalten wurde. — Hier versammelten sich das Volk und seine Führer, und schlugen gleich Nomaden ihre Zelte auf. — Hier war es auch, wo manche Meinung, manches Recht durch Gewalt der Waffen durchgesetzt wurde. Friedlich erschienen die Häuptlinge an der Spitze ihrer Anhänger, und doch kehrte gar Mancher von ihnen nicht wieder heim; er fand unter den Streichen seines Gegners die Ruhe, die Niemand sucht, und doch Jeder findet.

Eine Seite des Thales ist vom See begrenzt, die andere von schönen Bergen, deren einige ich noch ziemlich mit Schnee bedeckt fand. — Der Fluß Oxer bildet unweit des Ausganges der Schlucht einen schönen Fall über eine ziemlich hohe Felswand.

Es war noch der schönste Tag, als ich zu Thingvalla ankam, und der Himmel wölbte sich rein und klar über die ganze Landschaft. Um so wunderbarer kam es mir vor, einige Wolken an der Mitte der Berge schweben zu sehen, die bald einen Theil derselben einhüllten, bald sich, gleich Kränzen, um ihre Spitzen wanden, oder in ihr Nichts zerflossen, um an einer andern Stelle gleich wieder zu erscheinen. —

Es ist dieß eine Erscheinung, die man an den heitersten Tagen in Island sehr häufig wahrnimmt; ich beobachtete sie oft an den Gebirgen um Reikjavik. Der Himmel war rein, glänzend und wolkenlos, plötzlich zeigte sich ein Wölkchen am Rande eines Berges, das oft im Augenblicke zur Wolke wurde, und eine Zeitlang ruhig stehen blieb, dann wieder zerrann, oder auch wohl langsam weiter schwebte, — ein Spiel, das, wenn auch oft gesehen, doch immer lieblich bleibt.

Der Pastor zu Thingvalla, Herr Bech, bot mir zur Nachtherberge seine Hütte an, die aber eben nicht viel besser aussah, als jene der nachbarlichen Bauern, und so zog ich es vor, mich in der Kirche einzuquartiren, wozu man stets nur zu bereitwillig Erlaubniß erhält. Dieß Kirchlein ist nicht viel größer als jenes zu Krisuvik, und steht von den paar Kothen etwas entfernt. Dieß mag vielleicht Ursache gewesen sein, daß ich keine lästigen Besuche erhielt. Mit meinen stummen Nachbarn im kühlen Grabe war ich auch schon vertrauter geworden, und so verbrachte ich die Nacht recht ruhig auf einer der hölzernen Kisten, die ich da vorfand. Ueberall ist nur der Anfang schwer; hat man einige so düstere Nächte überwunden, so achtet man kaum mehr darauf.

17. Juni.

Unsere heutige Station war noch stärker als die gestrige. Wir hatten, wie man mir sagte, bis Reikholt (auch Reikiadal genannt) eilf volle Meilen zu machen. — Nach der Karte kann man die Entfernungen nicht immer genau bemessen; es thürmen sich oft unwegsame Gegenden dazwischen auf, die man nur in großen Umkreisen umgehen kann. So war es auch heute der Fall. Nach der Karte hätte man denken sollen, daß die Entfernung von Thingvalla nach Reikholt viel geringer sei, als jene von Reikiavik nach Thingvalla, und doch ritten wir über 14 Stunden. — um zwei Stunden länger als bei unserer gestrigen Tour.

So lange der Weg durch das Thal Thingvalla führt, hat man der Abwechslungen mehrere. Bald hat man einen Arm des Flußes Oxer zu übersetzen, bald sieht man eine artige Wiese und bald kömmt man sogar durch kleine Waldpartieen, d. h. nach der Isländer Meinung; — denn bei uns zu Lande würde man dergleichen reizende Partieen für unnützes Gestrüppe ansehen, und ausrotten. Es wuchert am Boden fort, und erhebt sich kaum 2 bis 3 Fuß hoch. Erreicht einmal ein Stämmchen bei 4 Fuß, so gehört es schon zu dem Riesengeschlechte der Bäume. Der größte Theil dieser eingebildeten Wälder gedeiht auf der Lava, die das Thal überdeckt.

Die Lavabildung ist hier wieder anderer Art. Bisher hatte ich sie meist nur als Gerölle, oder in größeren Steinmassen, oder als Ströme über einander geschichtet gesehen, hier aber überdeckte sie den größten Theil des Bodens in der Form von flachen ungeheuren Felsplatten oder Felspartieen, die sich oft in Tiefen spalteten. Ich sah lange Klüfte von 8-10 Fuß Breite und 10-15 Fuß Tiefe. In diesen Spalten blühten die Blumen etwas zeitlicher, und auch das Farnkraut wuchs höher und üppiger als auf der rauheren Oberwelt.

Nachdem man das Thal Thingvalla durchzogen hat, wird die Reise sehr einförmig. Die weitere Gegend ist gänzlich unbewohnt; wir legten viele Meilen zurück ohne auf eine einzige Kothe zu stoßen. Von einem öden Thale kamen wir in das andere; alle waren mit lichtgrauem, gelblichem Lava-Gerölle überdeckt , stellenweise auch mit schönem feinem Sande, in welchem die Pferde bei jedem Schritte bis über den Huf einsanken. Die Gebirge, welche die Thäler umgaben, gehörten nicht zu den höchsten; selten, daß ein Jokul (Gletscher) aus ihnen hervor leuchtete. Die Berge sahen wie polirt; die Seiten waren vollkommen glatt und glänzend. Nur an manchen Bergen bildeten Lavamassen herrliche Gruppen, welche Säulentrümmern und Resten antiker Bauten glichen und an den glatten Wänden ganz eigenthümlich schön hervorragten.

Die Berge haben verschiedene Farben, sie sind schwarz, braun, grau, lichtgelb u.s.w.; und wunderbar machen sich die Schattirungen und Abstufungen dieser Farben im hellen Glanze der Sonnenbeleuchtung.

Nachdem wir neun Stunden unausgesetzt geritten waren, kamen wir auf einen sehr großen Moorgrund, der höchst spärlich mit Gras bewachsen war. Und dennoch war dieß der einzige Weideplatz, der uns auf der langen Strecke zwischen Thingvalla und hier vorkam. Wir machten also da zwei Stunden Rast, um unsern armen Pferden ein kärgliches Mahl zu gönnen. — Ganze Schwärme von kleinen Mücken, die Einem beinah in Mund, Nase und Augen flogen, machten diesen Aufenthalt zu einer wahren Qual.

Auf diesem Moorgrunde befand sich auch ein kleiner See, und hier war es, wo ich zum ersten Mal eine kleine Schaar von Schwänen sich niederlassen sah. Leider sind diese Thiere aber so außerordentlich scheu, daß sie sich bei der leisesten Annäherung eines Menschen mit Blitzesschnelle in die Lüfte heben. Ich mußte mich also begnügen diese stolzen Vögel immer nur von der Ferne zu betrachten. — Sie halten sich immer paarweise zusammen, und der größte Schwarm, den ich sah, bestand aus vier Paaren.

Schon seit meiner Ankunft auf Island hatte ich dessen Einwohner für ein etwas träges Volk gehalten; heute ward ich in dieser Meinung bestärkt, und zwar durch eine Kleinigkeit. — Der Moorgrund, auf dem wir Rast hielten, war durch einen schmalen Wassergraben von dem daran stossenden Lavafelde getrennt. Ueber diesen Graben lagen einige Steine und Platten, die eine kleine Brücke bildeten Nun war aber diese Brücke so voll Löcher, daß die Pferde nicht wußten, wohin sie den Fuß setzen sollten, und sich hartnäckig weigerten darüber zu schreiten, so daß wir absteigen und sie hinüber führen mußten. Kaum hatten wir diese Stelle passirt und uns gelagert, kam eine Caravane von 15 Pferden, die mit Brettern, trocknen Fischen, u.s.w. beladen waren. Die armen Thiere bemerkten natürlich auch die gefährlichen Stellen, und konnten nur durch derbe Peitschenhiebe gezwungen werden darüber zu setzen. Kaum zwanzig Schritte entfernt lagen Steine in Menge. Ehe aber diese trägen Menschen einige Minuten darauf verwendet hätten, die Löcher damit auszufüllen, prügelten sie lieber die Pferde durch, und setzten sie der Gefahr aus, den Fuß zu brechen. — Mich dauerten die armen Thiere, die künftig noch über diese Brücke ziehen werden, so sehr, daß ich, als die Leute schon weit entfernt waren, einige Zeit meiner Rast dazu verwendete, Steine zu holen, und die Löcher damit auszufüllen, — eine Arbeit, die kaum fünfzehn Minuten währte.

Interessant ist es zu beobachten , wie die Pferde jede gefährliche Stelle im Steingerölle, im Moore und in Sümpfen durch den Instinkt errathen. Kommen sie an dergleichen Stellen, so senken sie den Kopf zur Erde und spüren nach allen Seiten umher. Finden sie keinen sichern Halt für den Fuß, bleiben sie gleich stehen, und sind dann nur mittelst vieler Schläge vorwärts zu bringen.

Nach einer Rast von zwei Stunden setzten wir die Reise fort, und zwar abermals über lauter Lavafelder. Nach neun Uhr Abends kamen wir auf eine Hochebene und nachdem wir sie in einer halben Stunde durchritten hatten, sahen wir in das große zu unsern Füssen liegende Thal Reikholt oder Reikiadal, Es ist drei, vier Meilen lang, ziemlich breit und von einer Reihe Gebirge umfaßt, worunter auch mehrere Jokuls in ihrem eisigen Gewande prangen.

Ein ganz eigener, bezaubernd schöner Anblick ist in der wilderhabenen Natur Islands der Sonnenuntergang. — Ueber diese großen Thäler, ohne Baum und Strauch, die mit dunkler Lava überdeckt und mit beinahe schwarzen Bergen umgeben sind, verbreitet die scheidende Sonne eine wahrhaft magische Beleuchtung. Die Spitzen der Berge erglänzen in ihrem letzten hellschimmernden Lichte, die Jokuls sind mit dem zartesten Rosaschleier umhüllt, während die untern Theile der Berge im tiefen Schatten stehen und düster in die Thäler blicken, die einem weiten dunkelblauen Wasserspiegel gleichen, über welchem eine bläulich-röthliche Atmosphäre schwebt. Am ergreifendsten aber ist die Stille, die Einsamkeit, da hört man keinen Laut, da sieht man kein lebendes Wesen. Alles ist todt. — —

In den weiten Thälern sieht man kein Städtchen, kein Dörfchen, ja nicht einmal ein Häuschen, oder einen Baum, oder einen Strauch. Das Auge verliert sich in der unermeßlichen Einförmigkeit, und findet nicht den geringsten Gegenstand, an dem es haften könnte.

Heute Nacht, als wir nach eilf Uhr an den Rand der Hochebene gelangten, sah ich solch einen unvergeßlichen Sonnenuntergang. Die Sonne entschwand hinter den Bergen und an ihre Stelle trat eine glänzende Abendröthe, die Berg und Thal und Gletscher wundervoll beleuchtete. — Lange konnte ich mein Auge nicht ablenken von den herrlichen mit Glanz erfüllten Höhen und doch bot auch das Thal recht viel des Schönen und Merkwürdigen.

Das ganze lange Thal war beinah nur eine Wiese, an deren beiden äußersten Endpunkten Rauchsäulen aus kochenden Quellen empor qualmten. — Die Dünste waren so ziemlich verflogen und die Atmosphäre war so rein und klar, ja viel reiner und durchsichtiger, als sie mir noch irgend in einem andern Lande vorgekommen war; — da bemerkte ich erst, daß die Helle in dem Thale dem Tageslichte nicht viel nachgab, und daß man die kleinsten Gegenstände vollkommen unterscheiden konnte. — Dieß war aber auch sehr nothwendig, denn schreckliche Wege leiten über Gestein und Gerölle schroff in das Thal hinab. Und zur Seite strömte ein kleiner Fluß, der mehrere hübsche Fälle bildete, unter welchen mancher über 30 Fuß hoch sein mochte.

Vergebens strengte ich mein Auge an, um in diesem großen Thale ein Kirchlein zu erspähen, das mir zur Nachtruhe, wenn auch nur eine harte Bank, doch wenigstens Schutz gegen den scharfen Nachtwind verleihen würde; denn es ist wahrhaftig kein Spaß 15 Stunden zu reiten, außer Brod und Käs den ganzen Tag nichts genossen zu haben, und dann nicht einmal die frohe Aussicht auf ein Hotel a Ia ville de Londre oder de Paris. — Ach meine Wünsche waren ja viel bescheidener; ich erwartete weder einen Portier, der bei meiner Ankunft das Zeichen gäbe, noch einen Oberkellner oder eine Kammerjungfer; — ich wünschte nur ein kleines Fleckchen in der Nähe meiner lieben verstorbenen Isländer. — Aus diesen seligen Betrachtungen wurde ich plötzlich durch die Stimme meines Führers aufgeschreckt, der da rief: „Nun sind wir für heute am Ziele!" — Freudig sah ich umher, — ach — ich erblickte nur einige jener Kothen, die man nicht früher bemerken kann, als bis man mit der Nase daran stößt, weil sich ihre grasbedeckten Mauern und Dächer kaum von der Wiese unterscheiden. Es war bereits Mitternacht. — Wir hielten an, und ließen die Pferde auf der nächsten Wiese Nahrung und Ruhe suchen. Uns fiel das Loos nicht so gut. Die Einwohner lagen bereits im tiefen Schlummer, und wurden selbst durch der Hunde Gebell, das uns bei der Ankunft empfing, nicht zur Auferstehung gebracht. — Freilich würde mir ein Schälchen Kaffee recht gut gethan haben, doch ich mochte deßhalb Niemanden wecken lassen. Ein Stückchen Brod stillte ja auch meinen Hunger, und ein Trunk Wasser aus der nahen Quelle schmeckte trefflich dazu. Nach diesem einfachen Mahle suchte ich mir ein Lager an der Seite einer Kothe, die mich vor der gar zu argen Zudringlichkeit des Windes ein bischen schützte, hüllte mich in meinen Mantel, streckte mich auf den Boden, und wünschte mir von ganzem Herzen, einmal auch im Freien, und bei hellem Tage [Man vergesse nicht, daß zu dieser Zeit gar keine Dämmerung, viel weniger Nacht ist.] tüchtig schlafen und traumen zu können. Ich fing gerade an einzuschlummern, da überraschte mich ein sanfter Regen, der natürlich jede Spur des Schlafes vertilgte. Nun mußte ich doch Jemanden wecken lassen, um unter Dach und Fach zu kommen.

Man sperrte mir das beste Gemach, die Vorrathskammer auf, und stellte da eine kleine hölzerne Truhe zu meiner beliebigen Verfügung, Dergleichen Kammern finden sich glücklicher Weise überall, wo einige Kothen beisammen stehen; doch sind sie nichts weniger als einladend, da die getrockneten Fische, Thran, Talg, und weiß der Himmel was noch für andere Artikel eine schreckliche Atmosphäre verursachen, — und dennoch ziehe ich sie bei weitem den Wohngemächern der Bauern vor, die, nebenbei gesagt, das Ekelhafteste sind, was man sich denken kann. Nebst allen denkbaren üblen Gerüchen herrscht da ein Schmutz, und in Folge dessen ein Ueberfluß an Ungeziefer, daß es höchstens bei den Grön- und Lappländern noch ärger sein kann.

Ich bezog also mit stoischer Ergebung die Vorrathskammer, und harrte geduldig aus bis zur Weiterreise.

18. Juni.

Gestern waren wir gezwungen gewesen, unsern armen Pferden eine übergroße Station von eilf Meilen aufzubürden, da die letzten neun Meilen über ganz wüste und unbewohnte Strecken gingen, und wir auf keine einzige Kothe trafen. Dafür hatten sie es aber heute desto leichter, denn wir ritten nur anderthalb Meilen nach dem Oertchen Reikiadal, wo ich diesen Tag zubrachte, um die berühmten Springquellen zu besuchen.

Das Oertchen Reikiadal besteht aus einer Kirche und einigen Kothen, und liegt mitten zwischen schönen Wiesen. Ueberhaupt ist dieses Thal reich an herrlichen Wiesengründen, man sieht daher auch viel einzeln stehende Höfe und Kothen, schöne Heerden von Schafen, und ziemlich viele Pferde; Kühe weniger.

Die Kirche zu Reikiadal ist eine der nettesten und geräumigsten, die mir bisher vorgekommen ist. Auch das Häuschen des Priesters, obwohl auch von allen Seiten mit Rasen bedeckt, ist doch groß genug, um behaglich darin wohnen zu können. — Der Bezirk dieser Pfründe ist groß, und ziemlich bevölkert.

Meine erste Sorge gleich nach der Ankunft war, den Priester, Herrn Jonas Jonason, zu ersuchen, mir so schnell als möglich frische Pferde zu besorgen, nebst einem Führer, der mich nach den heißen Quellen geleitete. — Er versprach, in einer halben Stunde mir Beides zu verschaffen, doch sah ich erst nach drei Stunden, und auch da noch mit vieler Mühe, meine Bitte erfüllt. — Nichts ärgerte mich stets mehr in Island, als die Langsamkeit und Gleichgiltigkeit seiner Bewohner in all ihrem Thun und Treiben. Auf Alles, was man begehrt oder wünscht, muß man die längste Zeit warten. — Wäre ich dem guten Pastor nicht unausgesetzt zur Seite gewesen, ich glaube schwerlich, daß ich diesen Tag mein Ziel erreicht haben würde. — Endlich war Alles bereit, und der Pastor selbst war so gütig mein Führer zu sein.

Wir ritten bei ¾ Meilen in diesem schönen Thale den Dampfsäulen zu, und mußten auf diesem Wege gewiß mehr als ein halb Dutzend Mal über den Fluß Sidumule setzen, der in unendlichen Krümmungen das ganze Thal durchströmt. Endlich gelangten wir an die erste heiße Springquelle; sie entspringt einem ungefähr sechs Fuß hohen Fels, der in der Mitte eines Moores steht. Der Durchmesser der obern Oeffnung des Kessels, in welchem das Wasser beständig heftig kocht und braust, mag zwischen zwei und drei Fuß betragen. — Diese Quelle springt beständig; der Strahl erhebt sich zwei, ja manchmal bei vier Fuß hoch, und ist ungefähr anderthalb Fuß dick. Man kann ihn auch auf Augenblicke verstärken, wenn man große Steine oder Erdklumpen hinein wirft, und die Quelle dadurch aufreizt. Sie schleudert dann die Steine mit Gewalt heraus, während sie die Erdklumpen auflöst, und das Wasser dadurch gefärbt und beschmutzt erscheint.

Wer den Sprudel zu Karlsbad in Böhmen gesehen hat, kann sich eine getreue Vorstellung von dieser Springquelle machen; sie gleichen sich vollkommen.

Gleich neben dieser Springquelle ist ein Schlund, in welchem Wasser heftig kocht, aber nie in die Höhe steigt. Weitere Springquellen sind etwas entfernter, auf einem höhern Fels, der im Fluße Sidumule ganz nahe am Ufer steht. Es sind deren dreie darauf, deren jede nur einige Schritte von der andern entfernt liegt, und nehmen beinahe die ganze obere Fläche des Felsens ein. Etwas tiefer unten befindet sich ebenfalls ein Kessel mit stark kochendem Wasser; auch sind am Fuße des Felsens und am Ufer viele heiße Quellen, die meisten jedoch nur unbedeutend. Manche dieser Quellen entspringen beinah in dem kalten Fluße.

Die eigentliche Hauptgruppe liegt aber noch etwas entfernter auf einem Fels, der bei zwanzig Fuß hoch und bei fünfzig Fuß lang sein mag, Tunga-Huer heißt, und aus der Mitte eines Moorgrundes empor ragt. — Auf diesem Fels entspringen 16 solcher Quellen, und zwar, theils in der Tiefe desselben, theils in und ober der Mitte; ganz oben entspringt keine.

Die Kessel, so wie der Durchmesser und die Höhe der Strahlen sind ganz so beschaffen, wie bei jenen, die ich bereits beschrieben habe. — Alle diese 16 Quellen sind so nahe beisammen, daß sie nicht einmal zwei Wände des Felsens einnehmen. — Man kann sich durchaus keine Vorstellung von der Pracht und Außerordentlichkeit dieses Schauspieles machen; wahrhaft feenartig wird es aber, wenn man den Muth hat, den Fels selbst zu erklimmen, was zwar nicht beschwerlich, aber doch etwas gefährlich ist. — Die obere Schichte des Felsens ist nämlich weich und warm, und gleicht mehr einem verdichteten mit Sand und Steinchen vermischten Brodem. Jeder Fußtritt läßt die Spur zurück, und man schwebt immer in der größten Angst einzubrechen und in eine nur leicht überdeckte kochende Quelle zu sinken. Der gute Priester ging mit einem Stocke voran, und sondirte so viel möglich die gefährliche Decke, ich — blieb nicht zurück, und so standen wir plötzlich oben am Rande des Felsens. — Da konnten wir mit einem Blicke die an den beiden Seiten des Felsens befindlichen 16 Springquellen übersehen. — War der Anblick von unten aus einer der interessantesten und merkwürdigsten, — wie soll ich erst diesen nennen? — Sechzehn Wasserspeier mit einem Blicke überschauen, sechzehn Kessel, in den verschiedensten Gestalten und Formen, so ganz nahe unter den Füßen aufgedeckt zu sehen das war des Wundervollen zu viel. — Ich vergaß aller kleinlichen Furcht, und bewunderte und verehrte Gott in diesen erhabenen Schöpfungen.

Lange stand ich da oben, und ward nicht müde in die Schlünde zu sehen, und in die weißschäumenden Wassermassen, wie sie zischend und brausend der finstern Nacht entstiegen, und dann ruhig und vereint dem nahen Fluße zueilten. — Wohl mehrmalen mußte mich der gute Priester mahnen, daß unser Standpunkt hier eben nicht zu den sichersten und bequemsten gehöre, und daß es bereits Zeit sein dürfte ihn zu verlassen. — Ich hatte ganz vergessen auf die Unsicherheit des Bodens, der uns trug, und bemerkte kaum die mächtigen, heißen Dampfwolken, die uns oft umhüllten, und beinah zu ersticken drohten, so daß wir auch öfters mit ganz benäßtem Gesichte mehrere Schritte zurück weichen mußten. Ein Glück, daß die Wässer äußerst wenig Schwefel enthalten, sonst hätten wir wohl schwerlich so lange da oben verweilen können.

Der Fels, auf welchem diese Quellen entspringen, besteht aus einer röthlichen Masse, und auch das Flußbett, in welches das Wasser abläuft, ist ganz mit röthlichen Steinchen bedeckt.

Auf dem Rückwege sahen wir in der Nähe einer Kothe abermals eine merkwürdige Naturerscheinung. — Es ist da nämlich ein Kessel, in dessen Tiefe das Wasser heftig kocht und siedet, und neben dem Kessel sind zwei unförmliche Löcher, aus welchen periodenmäßig Dampfsäulen mit großem Getöse empor wirbeln. Während dieß geschieht, füllt sich der Kessel immer mehr und mehr mit Wasser, doch nie so hoch, daß er überläuft, oder daß die Quelle in die Höhe springt; dann läßt Dampf und Getöse in jenen beiden Oeffnungen nach, und das Wasser im Kessel sinkt wieder mehrere Fuß tief zurück.

Dieß seltsame Spiel währt gewöhnlich eine Minute , und es erneuert sich so periodisch, daß man beinah eine Wette eingehen könnte, das Steigen und Fallen des Wassers, so wie das stärkere und mindere Brausen des Dampfes während einer Stunde 60-65 Mal zu sehen und zu hören.

In Verbindung mit diesem Kessel steht ein anderer , der ungefähr hundert Schritte entfernt in einer kleinen Niederung liegt, und ebenfalls mit kochendem Wasser angefüllt ist. —Wie nun das Wasser im obern Kessel nach und nach versiegt, fängt es hier unten an zu brausen und zu lärmen, steigt im Kessel empor, und springt endlich zwei bis drei Fuß hoch in die Luft; dann sinkt es wieder zurück und erneuert so fortwährend sein Spiel, stets wechselnd mit dem im obern Kessel.

Bei der obern Quelle befindet sich auch ein Dunstbad. Es besteht aus einem Kämmerchen, das knapp an dem Kessel liegt, aus Steinen gebaut, mit Rasen überlegt und mit einer niedrigen schmalen Oeffnung versehen ist, durch die man halb kriechend hinein gelangt. Der Boden besteht aus Steinplatten, die vermuthlich über einer heißen Quelle liegen, denn sie sind sehr erhitzt. — Wer nun dieses Bad gebrauchen will, begibt sich in dieß Kämmerchen, und verschließt sorgfältig jede Oeffnung, wodurch sich bald eine erstickende Hitze erzeugt, die den ganzen Körper in heftigen Schweiß bringt. Dieß Bad wird jedoch höchst selten von dem Volke benützt.

Bei der Rückkehr hatte ich noch den Kessel mit der Springquelle zu besuchen, die ganz nahe an der Kirche in einer schönen Wiese sich befindet, und um die eine kleine Steinwand gezogen ist, damit das Vieh im Eifer des Grasens nicht zu nahe kömmt, und abgebrüht wird. — Ungefähr 80 Schritte von dieser Quelle entfernt ist noch das Vollbad zu sehen, welches Snorri Sturluson errichtet hatte. —Es besteht aus einem steinernen Becken von 3-4 Fuß Tiefe und bei 18-20 Fuß im Durchmesser. Einige Stufen führen da hinab, und im Innern ist eine niedere steinerne Bank, welche rund herum läuft. Das Wasser ist von der nahen Springquelle hergeleitet, hat aber noch eine solche Hitze, daß es unmöglich ist, sich darin zu baden, ohne es abzukühlen. — Es steht unter freiem Himmel, und man sieht nirgends eine Spur einer einstmaligen Ueberdeckung. — —

Jetzt dient es als Waschplatz für die Schafwolle und Wäsche.

Ich hatte nun alle merkwürdigen Quellen auf dieser Seite des Thales gesehen. — Jene Dampfsäulen, welche man am entgegengesetzten Ende des Thales aufsteigen sieht, kommen von heißen Quellen, die außer ihrer Hitze nichts Interessantes bieten sollen.

Als wir zurückkehrten, führte mich der Priester auch auf den Friedhof, der etwas abseits von seiner Wohnung lag, und wies mir da die vorzüglichsten Gräber. Ich fand diesen Anblick zwar recht schön, aber eben nicht sehr erquicklich, wenn ich an die herannahende Nacht dachte, die ich in ihrer Mitte, in der Kirche zuzubringen hatte.

Die Grabeshügel sind sehr hoch, und auf den meisten steht eine Art hölzernen Sarges, so, daß es aussieht, als wäre der Verstorbene hier ausgesetzt. — Ich konnte mich kaum eines unheimlichen Gefühles erwehren, und — so weit geht die Macht des Vorurtheils — ich gestehe meine Schwäche — wurde sogar verleitet, den Priester zu ersuchen, einen der Deckel zu öffnen. — Obwohl ich wußte, daß der Todte tief in der Erde und nicht im Sarge ruhe, stand ich dennoch während der Zeit als der Deckel geöffnet wurde, mit großer Beklommenheit daneben, glaubte den Todten zu erblicken, und sah nur, — was mir der Priester schon vorher gesagt hatte, — einen Grabstein mit den üblichen Inschriften, der durch diese sargähnliche Bedeckung gegen die Winterstürme der rauhen Natur geschützt wird.

Unmittelbar vor dem Eingange der Kirche ist der Grabeshügel, unter welchem die Gebeine des berühmten Dichters Snorri Sturluson [Die Geschichte sagt von diesem großen isländischen Dichter, daß durch seinen Verrath die freie Insel Island unter den norwegischen Scepter gekommen sei. Er durfte sich deßhalb in Island nirgends ohne große Bedeckung zeigen, und besuchte den Althing zu Thingvalla stets in Begleitung eines kleinen Heeres von 5 bis 600 Mann, In Reikiadal wurde er endlich in seinem Hause von seinen Feinden überfallen, deren Streichen er nach kurzer Vertheidigung erlag.] ruhen; sein Grab ist mit einem schmalen Runensteine bedeckt, der so lange ist, wie das Grab. Er soll einst ganz mit Runenzeichen bedeckt gewesen sein; nun gingen aber über ihn durch mehr als 500 Jahre alle Stürme und Gewitter, und diese verlöschten, da er in keinem Sarg lag, jede Spur davon. — Auch der Stein selbst ist der Länge nach in zwei Stücke zersprungen. — Der Grabeshügel wird oft erneuert, so daß man glauben konnte, ein frisches Grab vor sich zu haben. — Ich pflückte alle Schmalzblümchen, die diesem Hügel entsprossen, und legte sie sorgfältig in ein Buch. — Vielleicht kann ich manchem meiner Landsleute eine Freude machen, mit solch einem Blümchen von dem Grabe des größten isländischen Gelehrten.

19. Juni.

Um meine Reise ungehindert fortsetzen zu können, miethete ich frische Pferde, und ließ die meinigen, die noch etwas ermüdet waren, leer mitgehen. — Der Zweck dieses ferneren Ausfluges war, die höchst merkwürdige Höhle Surthellir zu besuchen, welche von hier gute sieben Meilen entfernt ist. Der Priester war abermal so gütig für Alles zu sorgen, und selbst meinen Mentor dahin zu machen.

Wir zogen, zwar nur drei Köpfe stark, doch mit sieben Pferden von dannen, und ritten bei zwei Meilen denselben Weg zurück, den ich gestern früh von Reikholt gekommen war; dann aber wendeten wir uns links und gelangten über Hügel und Höhen in andere Thäler, die theils von den schönsten Lavaströmen durchzogen, theils mit herrlichen Waldpartieen — natürlich, wie bereits gesagt, nur nach Isländer Meinung — bedeckt waren. — Ja, die einzelnen Stämmchen dieser magern Gestrüppe waren sogar noch etwas höher als jene im Thale Thingvalla.

Zu Kalmannstunga ließen wir die leeren Pferde zurück, und nahmen einen Mann, der uns als Führer in der Höhle dienen sollte, zu welcher wir nun noch anderthalb Meilen zu reiten hatten. Das große Thal, in welchem diese Höhle liegt, gehört zu den merkwürdigsten von Island. — Es ist ein vorzügliches Bild vulkanischer Zerstörung. — Die schönsten Lavamassen, in den pittoreskesten Formen und in allen Farben, füllen das ganze unübersehbare Thal aus. Da sieht man die Lava in glasigem krausen Zustande, und die herrlichsten Zeichnungen und Arabesken bildend, oder in ungeheuern Platten, die theils einzeln liegen, theils wie aufgeschwemmt übereinander geschichtet sind, und dazwischen thürmen sich große mächtige Ströme, die mitten im Laufe erstarrt sein mußten. — Man kann aus den verschiedenen Farben der Lava, aus ihren Uebergängen vom lichtgrauen bis zum schwarzen, die zu verschiedener Zeit stattgehabten Ausbrüche erkennen. — Die das Thal umgebenden Berge sind größtentheils von dunkler Farbe, manche sogar schwarz, was gar mächtig absticht gegen die nachbarlichen Jokul's, die in ihrer weiten Ausdehnung beinahe das Bild eines Eismeeres darstellen. — Einen dieser Jokuls fand ich gar besonders groß; seine glänzende Decke zog sich tief gegen das Thal hinab, und seine obere Fläche war kaum übersehbar. — Was die Form der andern Berge betrifft, so sind sie auch glatt, ordentlich wie gemeißelt, und ich sah im Vordergrund nur einen, mit den wunderlichsten Gruppen und Auswüchsen erstarrter Lava bedeckt. — Auf der ganzen Umgebung , auf Thal und Bergen lastete Todtenstille; Alles war ausgestorben, Alles öde und kahl, und somit ächt isländisch. — Den größten Theil von Island könnte man füglich die nordische Wüste nennen.

Die Höhle Surthellir liegt auf einer etwas erhöhten ausgedehnten Ebene, wo man sie wahrlich nicht suchen würde, da man gewohnt ist, dergleichen Naturerscheinungen in den Eingeweiden der Berge zu finden. Man ist daher sehr überrascht plötzlich vor einem weiten, rundlichen Becken zu stehen, das ungefähr 15 Klafter im Durchmesser und 4 Klafter in der Tiefe haben mag, und aufgedeckt zu den Füßen liegt. Grausig war's, da hinab zu schauen auf die zahllosen übereinander gethürmten Felsblöcke, die von einer Seite bis an den Rand des Beckens reichten, und über welche der Weg hinab in die weiter fortlaufenden finstern Schluchten leitete.

Auf Händen und Füßen mußten wir da hinunterkettern, bis wir in einen breiten langen Gang kamen, der sich anfangs unmerklich abwärts neigte, und dann fortlief unter der Ebene, die sich als Felsdecke über unsern Häuptern wölbte. Ich schätze die verschiedenen Höhen der Decke von mindestens 3 bis zu 10 Klafter, zu welcher letztern Höhe sie sich jedoch selten empor hebt. Decke und Wände sind theilweise sehr spitzig und rauh, eine Folge des Tropfsteines, der sich an sie ansetzt, jedoch, ohne Figuren oder lange Spitzen und Zacken zu bilden.

Von diesem Hauptgange führen verschiedene Nebenwege weit und breit in die Eingeweide dieser Steinregion; sie stehen aber unter einander nicht in Verbindung, und man muß von jedem Seitenpfade wieder zum Hauptgange zurückkehren. Manche dieser Nebengänge sind kurz, schmal und niedrig, doch gibt es auch lange, breite und hohe.

In einem der entlegensten dieser Nebengänge zeigte man mir eine große Menge Gebeine, die von geschlachteten Schafen und andern Thieren sein sollten. So viel ich der Erzählung des Priesters entnehmen konnte, sagt die Sage, daß da einst vor langen Jahren der Aufenthalt einer mächtigen Räuberhorde gewesen sei. — Es müssen wohl lange, lange Zeiträume seither verflossen sein, da man sich nur Fabeln und Sagen davon erzählt.

Ich wüßte nicht, was Räuber in Island gethan hätten; Piraten kamen wohl öfters dahin; für diese war aber diese Gegend zu weit von der See entfernt. — Ich könnte mir nicht einmal denken, daß es Raubthiere gewesen seien; denn weit und breit ist ja die Gegend öde und unbewohnt, wie gesagt — eine Wüste — da hätten sie nicht einmal etwas zu rauben gefunden. — Kurz, ich überdachte alles Mögliche, und kann nur sagen, daß mir dieß eine höchst sonderbare Erscheinung dünkte, in dieser Einöde, so weit von allem Leben entfernt, eine solche Menge Beine gesehen zu haben, die noch dazu so frisch aussahen, als wären die armen Thiere erst kürzlich verspeiset worden. Leider konnte ich das Wahre der Sache nicht ergründen.

Es kann nicht leicht etwas Beschwerlicheres geben, als in dieser Höhle herum zu wandeln. So, wie sie sich uns beim ersten Anblick zeigte, so ging es im Hauptgange fort und fort. Die ganze Bahn bestand aus losen, über einander geworfenen großen Lavatrümmern, über welche wir höchst mühsam klettern mußten. Keiner konnte dem Andern helfen; Jeder hatte mit sich selbst genug zu thun. Da war nicht ein Fleckchen zu finden, wohin man den Fuß hätte setzen können , ohne sich mit den Händen anzuklammern. Oft mußten wir uns auf die Steine setzen, und so auf die Füße hinab lassen, oft uns zusammenhalten, um uns gegenseitig auf die gar zu hohen Steine hinauf zu ziehen, u.s.w.

Wir kamen noch zu einigen ungeheuren Becken oder Kratern, die sich über uns öffneten, jedoch nicht zu ersteigen waren, da die Wände zu schroff hinauf gingen. Das Licht, das durch diese Becken herein fiel, war nicht einmal für den Haupteingang hinreichend, viel weniger für die vielen Nebengänge.

Ich hatte zu Kalmannstunga Fackeln anschaffen wollen, mußte aber froh sein, einige Kerzen erhalten zu können, mit Fackeln muß man sich gleich in Reikjavik versehen.

An den Stellen, über die sich die Becken öffneten lag noch ziemlich viel Schnee, der das Gehen sehr gefährlich machte. Wir sanken oft ein, und kamen mit den Füßen zwischen die Steine, so, daß wir uns kaum zu erhalten vermochten. — In den Nebengängen, die sich unweit solcher Becken befanden , hatten sich Eisrinden gebildet, die mit Wasser überdeckt waren, tiefer hinein hörte das Eis zwar auf, dagegen war es aber meist sehr schmutzig, da statt der Steine eine Schichte Sand lag, die sich mit dem Wasser vermischt hatte.

Mit Lavablöcken war nur der Hauptgang bedeckt, in den übrigen gab es nur Sandschichten oder Lava-Gerölle.

Einen schönen Anblick gewährte die magische Sonnenbeleuchtung, die durch eines dieser Becken in die Höhle strahlte. Die Sonne schien senkrecht durch die Oeffnung, verbreitete einen wundervoll blendenden Schimmer über den Schnee, und bildete einen zarten, färbigen Schein um unsere Köpfe.

Von besonderer Wirkung war dieser helle Lichtpunkt, als Gegensatz zu den beiden finstern Schlünden, aus deren einem wir gekommen waren, um in dem Dunkel des andern unsere Wanderung wieder fortzusetzen.

Dieses unterirdische Labirinth soll sich mehrere Meilen weit in verschiedenen Richtungen erstrecken. Wir durchzogen nur einen Theil des Hauptganges und mehrere Nebengänge, und kehrten nach zwei Stunden, recht ermüdet, in die Oberwelt zurück. Da machten wir eine halbe Stunde Rast, und ritten dann im scharfen Trapp die anderthalb Meilen nach Kalmannstunga zurück.

Leider besitze ich keine geognostischen Kenntnisse, um behaupten zu können, daß diese Höhle ein ausgebrannter Vulkan sei. Wenn man sich aber in einem Lande befndet, wo jeder Hügel und Berg, Alles was man sieht, aus nichts als Lava besteht, so wird auch der Laie die Oeffnungen zu entdecken suchen, aus welchen sich diese ungeheure Massen ergoßen. Da betrachtet man neugierig jede Spitze der Berge, und glaubt überall einen Krater sehen zu müssen, findet aber Berg und Thal glatt und geschlossen. Wie froh ist man daher nicht, in dieser Höhle dem Dinge doch ein bischen auf die Spur zu kommen! Ich wenigstens träumte, hier in der einstigen Feuerstädte eines nun ausgebrannten Vulkans zu wandeln, denn Alles was ich sah, die aufgehäuften Steinmassen unter meinen Füßen, so wie die gewaltige Decke und die Becken oder Krater über mir — Alles war Lava. — Ob ich recht habe, weiß ich nicht; ich spreche nur nach meinen Begriffen und nach meinen Ansichten.

Diese Nacht mußte ich in einer Kothe zubringen; das Oertchen Kalmannstunga zählt deren drei, aber keine Kirche. — Zum Glück war eine der Kothen etwas größer und reinlicher, als die gewöhnlichen; es war schon eine Art sogenannter Hof. Auch waren die Leute so aufmerksam, während der Zeit, als ich nach der Höhe ritt, das beste Gemach zu säubern, und zu meinem Empfange mit möglichster Sorgfalt herzurichten. — Dieses Kämmerchen hatte 11 Fuß in der Länge und 7 in der Breite; das Fenster war so klein und verschmutzt, daß ich, obwohl die Sonne noch in voller Pracht erglänzte, kaum zum Schreiben sah. — Die Wände, ja selbst der Fußboden waren mit Holz getäfelt, der höchste Luxus in diesem von Holz so entblößten Lande. Die Einrichtung bestand aus einem breiten Bette, zwei Truhen und einem kleinen Tischchen. Stühle oder Bänke sind den isländischen Bauern eine terra incognita; sie sitzen auf den Betten oder Truhen; auch wüßte ich wirklich nicht, wo in einer solchen Kammer ein derlei Möbel Platz fände.

Meine Hausfrau, die Wittwe eines wohlhabenden Bauern, stellte mir ihre vier Kinder vor, die recht hübsch und sehr nett gekleidet waren. Ich bat die Mutter mir die Namen der Kleinen zu sagen, damit ich doch auch einige isländische Namen in meinem Vaterlande zu nennen wüßte. Sie war über diese meine Bitte sehr erfreut, und nannte sie mir, wie folgt: Sigridur, Gudrun, Ingebör und Lars.

Ich würde mich da recht behaglich gefunden haben, indem ich gewohnt bin, Entbehrungen jeder Art mit Gleichmuth zu ertragen, hätte man mich nur allein gelassen. Aber man stelle sich mein Entsetzen vor, als nach und nach alle Inwohner, sowohl dieser, als auch der andern Kothen zu mir herein drangen, und sich theils im Gemache, theils vor demselben an der Thüre aufpflanzten und mich da noch viel enger umlagert hielten, als zu Krisuvik. — Ich war diesen guten Leuten eine gar zu neue Erscheinung, und da kamen sie und gafften mich an; — und erst die Frauen und Kinder, die waren gar sehr zutraulich, sie betasteten meinen ganzen Anzug, und die Kleinen legten sogar ihre beschmutzten Gesichtchen auf meinen Schooß. Dazu die Ausdünstung dieser Menschen, ihre schreckliche Unreinlichkeit, ihr beständiges Schnauben ohne Sacktuch, ihr immerwährendes Umsichspucken — — ach, es war wirklich furchtbar! -— Ich that und erlitt durch diese Besuche mehr Buße, als durch das längste Fasten, — und doch blieb auch dieses nur selten aus, indem ich die meisten ihrer Gerichte nicht genießen konnte. — Die Kochkunst der isländischen Bauern umfaßt aber auch nichts als — trockene Fische; dazu genießen sie gegohrne Milch, die oft Monate alt ist, — höchst selten gekochte Grütze und dazu Flachbrod, gebacken aus fein geriebenem isländischen Moos.

Merkwürdig kam es mir vor, daß die meisten dieser Leute bei mir eine Menge Kenntnisse voraussetzten, die sonst nur den Männern eigen sind; wahrscheinlich glaubten sie, im Auslande seien die Frauen so gelehrt wie die Herren.— Die Priester fragten mich z. B. stets, ob ich lateinisch spräche, und schienen sehr verwundert, diese Kenntniß nicht bei mir zu finden. — Die gemeinen Leute baten mich um Rath für dieß oder jenes Uebel; — ja einmal, als ich auf meinen einsamen Wanderungen um Reikjavik in eine Kothe trat, führte man mir sogar ein Wesen vor, das ich kaum für ein Geschöpf meines Gleichen gehalten hätte; — so war es durch den Ausschlag Lepra entstellt. Nicht nur das Gesicht, sondern auch der ganze Körper war damit behaftet; Letzterer war ganz abgezehrt, und an manchen Stellen mit Beulen bedeckt. — Für einen Arzt wäre dieß sicherlich ein höchst interessantes Exemplar gewesen; jedoch ich wandte mit Entsetzen meinen Blick davon ab.

Doch hinweg von diesem Bilde! — da will ich lieber mit dem Engelsköpfchen kosen, das ich in Kalmanstunga sah. Es war ein Mädchen von 10-12 Jahren, so über alle Beschreibung anmuthig, lieb und schön, daß ich gewünscht hätte eine Malerin zu sein. Das zarte Gesichtchen mit dem schelmischen Grübchen, und den sprechenden Augen, würde ich gar zu gerne, wenigstens auf der Leinwand, mit in mein Vaterland gebracht haben. Vielleicht ist es aber so besser; das Bild könnte durch einen malitiösen Zufall in die Hände eines gar zu gefühlvollen Jünglings gerathen, und der würde dann gleich — wie Don Sylvio de Rosalva, in Wielands ”komischem Romane” — die halbe Welt durchziehen, um dieß bezaubernde Köpfchen auch in Wirklichkeit zu finden. Nach Island aber würde ihn sein Forschungsgeist wahrscheinlich doch nicht führen, indem man da eine solche Erscheinung gar nicht vermuthen könnte, und da wäre denn der arme Unglückliche zu einer ewigen Wanderung verurtheilt.

20. Juni.

Die Reise von Kalmannstunga nach Thingvalla beträgt 11 Meilen und ist gewiß eine der schrecklichsten und beschwerlichsten, die man in Island machen kann. Von einem öden Thale kömmt man in das andere; stets ist man von hohen Bergen und noch höhern Jokuln umschlossen, und wo man den Blick hinwendet, begegnet man einer todten erstarrten Natur. — Aengstliches Unbehagen bemächtiget sich des Wanderers, er durchirrt mit doppelter Hast die ausgebreiteten Wüsteneien, und ersteigt begierig die vor ihm aufgethürmten Berge, — da hofft er Besseres zu sehen; — vergebens; — dieselbe Oede, — dieselben Wüsten, — dieselben Berge.

Auf den Hochebenen waren noch viele Stellen mit Schnee bedeckt; da mußten wir hinüber, obwohl wir oft unter dem Schnee das Rauschen des Wassers hörten. Auch über Eisrinden mußten wir, die zart und dünn über Flüsse gespannt waren, und jene lichtblaue Farbe hatten, die das Zeichen der Gefahr ist.

Unsere armen Pferde sträubten sich wohl oft dagegen; aber das half nichts, sie wurden solange durch Schläge angetrieben, bis sie uns hinüber trugen. Das Packpferd wurde immer voran geprügelt, es mußte die Bahn versuchen, und uns als Führer dienen. Ihm folgte mein Führer, und zum Schluße kam ich. — häufig sanken die armen Thiere bis über die Kniee in den Schnee, ja zweimal sanken sie bis über den Bauch ein. — Es war dieß einer der gefährlichsten Wege, die ich noch je gemacht habe. — Mein steter Gedanke dabei war, was ich wohl thun würde, wenn mein Führer so tief einsinke, daß er sich nicht mehr heraus helfen könnte. — Meine Kräfte würden schwerlich hingereicht haben ihn zu retten, und wohin hätte ich mich wenden sollen, um Hilfe zu suchen? — Rings umher war nichts als Wüste und Schnee. Mir wäre dann vielleicht der Hungertod als Loos zugefallen. Ich wäre herum geirrt, hätte Wohnungen und Menschen gesucht, und mich dabei so in das Innere der Wüsteneien verloren, daß ich wohl nie wieder heraus gefunden hätte. —

Wenn ich so ein Schneefeld schon von weitem entdeckte, was leider nur zu oft geschah, ward mir gar wunderlich zu Muthe; nur der kann meine Angst ermessen, der sich je selbst in einer ähnlichen Lage befand. —

Wäre ich in einer größern Gesellschaft gewesen, würde ich diese Furcht nicht gekannt haben; da kann man sich doch gegenseitig helfen, und durch dieß Bewußtsein erscheint die Gefahr viel geringer.

Dieser Weg wird aber auch in der Zeit, wo der Schnee schon keine sichere Decke mehr bildet, nur sehr wenig benützt. Wir sahen nirgends eine Spur von Fußtritten, weder von Menschen noch von Thieren; wir waren die einzigen lebenden Wesen, die diese wahrhaft gräuliche Gegend durchzogen. Freilich zankte ich meinen Führer tüchtig aus, mich einen solchen Weg geführt zu haben; aber was half es? — Das Umkehren wäre so gefährlich gewesen, als das Weiterziehen. —

Noch beschwerlicher wurde diese Tour durch den Wechsel der Witterung, die mich bisher so ziemlich begünstiget hatte. Schon als wir Kalmannstunga verließen , fing der Himmel an, sich zu trüben, und die Sonne beglückte uns nur auf Augenblicke mit einigen Strahlen. Noch schlechter war es, als wir auf die höhern Bergen gelangten; da zogen uns Wolken und Nebel entgegen, ließen ihre Wuth über uns ergehen, und zogen nur weiter um wieder andern Platz zu machen. Ein eisiger Sturm von den nahen Gletschern war ihr steter Begleiter, der mich dermaßen durchschüttelte, daß ich mich kaum auf dem Pferde erhalten konnte. — Wir waren schon über 13 Stunden geritten. Der Regen strömte unaufhörlich, und Nässe und Kälte hatten uns halb erstarrt gemacht; da beschloß ich an der ersten Kothe zu halten, — die fanden wir endlich eine halbe Meile von Thingvalla. Nun war ich zwar unter einem Dache, aber weiter war auch nichts gewonnen. Die Kothe bestand aus einem einzigen Gemache, und das war von vier breiten Betten beinah ganz eingenommen. Ich zählte sieben Erwachsene und drei Kinder, die Alle in diesen vier Betten untergebracht werden mußten. — Zudem herrschte in diesem Frühjahre die Kvef, eine Art Grippe, welcher fast Niemand entging. Ich fand beinah überall, also auch hier, die meisten Menschen damit befallen; das war von allen Seiten ein Husten und Aechzen zum Erbarmen. Der Fußboden war vom Auswurfe aus Mund und Nase so überdeckt, daß man ordentlich ausglitt.

Diese armen Leute waren so gut, mir gleich eines ihrer Betten überlassen zu wollen, aber lieber hätte ich die ganze Nacht an der Schwelle des Hauses gesessen, als sie in diesem ekelhaften Loche zugebracht. Ich wählte zu meinem Nachtquartiere den engen Gang, welcher die Küche vom Zimmer trennte; da fand ich ein paar Pflöcke, über welche einige Bretter lagen, die die Milchkammer bildeten, — eigentlich war es aber eine Rauchkammer, denn in der Höhe befanden sich einige Luftlöcher, durch welche der Rauch seinen Auszug hielt. — In dieser Milch- oder Rauchkammer, wie man sie nennen will, richtete ich mich ein, um die Nacht zu verkümmern. Meinen durchnäßten Mantel hatte ich auf eine Stange hängen müssen, und so war ich gezwungen, von diesen halb kranken Leuten einen Kotzen zu borgen. Getrost legte ich mich darauf, und stellte mich schläfrig, um mich von der Gegenwart meiner neugierigen Wirthe zu befreien. — Sie zogen sich in ihr Zimmer zurück, und ich war nun allein und ungestört. Aber schlafen konnte ich doch nicht; — Kälte und Wind, welche durch die Zuglöcher auf mich, die ohnehin noch ganz Erfrorne und Durchnäßte, eindrangen, hielten mich wider Willen wach. — Dazu gesellte sich noch ein anderes Unglück. — So oft ich mich auf meinem stattlichen Lager aufsetzen wollte, bekam mein armer Kopf einen derben Stoß.

Ich vergaß nämlich die Stangen, die auf jedem Vorplatze gezogen sind, um die Fische zu räuchern u.s.w. Leider merkte ich mir diese Einrichtung erst, nachdem ich schon ein halb Dutzend Kopfstücke erhalten hatte.

21. Juni.

Endlich erschien die lang erseufzte Morgenstunde; — es regnete zwar nicht mehr, allein die Wolken hingen noch an den Bergen, und verhießen einen baldigen Herabsturz; ich beschloß jedoch mich lieber ihrer Wuth Preis zu geben, als noch länger in dieser Kothe zu verweilen, und ließ die Pferde satteln.

Vor der Abreise setzte man mir noch Lammsbraten und Butter auf. Ich dankte dafür und nahm nichts, indem ich mich mit Mangel an Eßlust entschuldigte, was auch wirklich der Fall war, denn wenn ich diese schmutzigen Menschen nur ansah, war mir schon aller Appetit vergangen. — So lange ich noch Käs und Brod hatte, hielt ich mich daran, und genoß nichts anderes.

Wir nahmen also von den guten Leuten Abschied, und machten unsere Reise nach Reikjavik auf demselben Wege zurück, den ich schon auf der Herreise gemacht hatte. — Es war dieß bei der Abreise von Reikjavik nicht in meinem Plane gelegen; ich wollte gleich von Thingvalla den Weg nach dem Gaiser, Hekla u.s.w. einschlagen; allein die Pferde waren schon erschöpft, die Witterung war so furchtbar schlecht, und ließ so gar keine baldige Aenderung hoffen, daß ich es vorzog, nach Reikjavik zurück zu kehren und da in meinem freundlichen Stübchen bei meiner guten Bäckerfamilie auf bessere Tage zu warten.

Wir ritten, so gut es ging, unter beständigen Regengüssen und Stürmen. Das Unangenehmste war, daß wir die Raststunden unter Gottes freiem, heute wie gestern, sehr unfreundlichem Himmel, ausharren mußten , da es auf dem ganzen Wege keine andere Hütte gab, als jene in der Lavawüste, die den Reisenden im Winter zur Station dient. Wir zogen also fort, bis wir eine magere Wiese erreichten. Hier konnte ich nun zwei Stunden entweder spazieren gehen, oder mich in das nasse Gras setzen. Ich wußte nichte Besseres zu thun, als Sturm und Regen den Rücken zu kehren, auf demselben Flecke stehen zu bleiben, mich in Geduld zu fassen, und zum Zeitvertreib den Gang der Wolken zu studieren. Mehr aus Langweile als aus Hunger verzehrte ich dabei mein frugales Mahl; — fühlte ich Durst, durfte ich mich nur umwenden, und den Mund öffnen.

Wenn es Naturen gibt, die zum Reisen geboren sind, so ist eine davon, glücklicher Weise, die meine. — Keine Nässe, keine Erkältung war vermögend, mir auch nur einen Schnupfen zuzuziehen. — Ich hatte während der ganzen Tour keine warme, oder überhaupt kräftige Nahrung genossen, ich hatte alle Nächte auf Bänken oder Kisten geschlafen, hatte in sechs Tagen bei 55 Meilen gemacht, und war noch dazu in der Höhle Surthellir tüchtig herum geklettert, — und trotz all diesen Entbehrungen und Strapatzen kam ich munter und gesund in Reikjavik an.

Kurze Uebersicht dieser Reise:

Meilen.
Erster Tag Von Reikjavlk bis Thingvalla 10
Zweiter Tag: Von Thingvalla bis Reikholt 11
Dritter Tag: Von Reikholt an die verschiedenen Springquellen und wieder zurück in den Ort 4
Vierter Tag: Von Reikholt bis Surthellir und zurück nach Kalmannstunga
Fünfter Tag: Von Kalmannstunga nach Thingvalla 11
Sechster Tag: Von Thingvalla nach Reikjavik 10
Meilen: 54½
Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke

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