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AUF DEM PLATZ

Es sind die unumstößlichen, selbstverständlichen Dinge, die uns am meisten beeindrucken, die wir am ehesten erinnern. Dinge, die einfach so sind, wie sie sind, die jeder kennt und erinnert, weil sie jeder selbst erlebt hat. Da sind die kleinen Dinge des Lebens. Als Kind: in Pfützen springen, die Einschulung, der Führerschein. Da sind die langweiligen Dinge des Lebens. Als Erwachsener: das Studium, der erste Job, der Renteneintritt. Und da sind die großen Dinge des Lebens: der erste Kuss, das erste Kind, der erste Ball.

Und wie zu allem, was das Leben, was den Menschen anbelangt, hat der Mensch sich unendlich schlaue Gedanken gemacht. Dann erklärt der Mensch dem Menschen, warum, weshalb, wieso die Dinge so sind, wie sie sind. Und erklärt zugleich auch, warum alle früheren Erklärungen nun nicht mehr stimmen und niemals stimmen konnten.

Wie langweilig. Wen interessiert schon, warum wir vom Ball so fasziniert sind? Wen interessiert schon, warum wir ganz instinktiv gegen ihn treten müssen? Nehmen wir es einfach hin und folgen den Geschichten, die daraus entstehen.

Da ist der Garten des Elternhauses, der Hinterhof der Mietwohnung oder der Spielplatz der Nachbarschaft. Da sind die zahllosen, die epischen Duelle gegen die Freunde, Klassenkameraden, die Jungs von der anderen Straßenseite und die älteren Brüder. Wenn mit einem körperlichen Einsatz gespielt wird, als wären das nicht die letzten Minuten, bis die Eltern zum Abendessen rufen, sondern die letzten Minuten eines Lebens. Als wäre dies eben nicht der Garten, der Hinterhof oder der Spielplatz, sondern das Kolosseum in Rom. Gladiatoren unter sich.

Und wenn mal niemand da ist, mit dem man sich messen kann, greift die unendliche Weite der eigenen Fantasie. Dann wird die Hollywoodschaukel, wird das Garagentor oder der zwischen Rucksack und Jacke abgesteckte Platz auf der nächstbesten Wiese zum Tor von Wembley, des Maracanãs oder im Olympiastadion. Dann werden in der letzten Minute der Nachspielzeit fantastische Freistöße in den Winkel gezaubert. Und wenn der erste Versuch nicht sitzt, ist jemand aus der fiktiven Mauer des Gegners zu früh herausgelaufen, klar.

Tag für Tag werden so Welt- und Europameister, Champions-League-Sieger und Weltfußballer geboren. Immer und immer wieder. Weiter und immer weiter. Millionenfach und zeitgleich, rund um den Erdball. Und wenn die Eltern dann aber mit wirklich letztem Nachdruck ermahnen, dass es jetzt endgültig genug sei, und wenn das Licht auch wirklich nicht mehr reicht, auch nur irgendwas zu erkennen, träumen sie sich weg, die Helden ihrer Tage, die vermeintlichen Volkshelden der Zukunft. Morgen ist ein neues Spiel, ein neues Finale, eine neue, letzte Minute der Nachspielzeit, in der der Zauber von Neuem die Welt erblickt.

So geht es weiter, immer weiter, über jede kindliche Begeisterung hinaus. Das mit dem Heldentum relativiert sich irgendwann von selbst. Helden werden trotzdem weiterhin geboren, ohne Unterlass, Wochenende für Wochenende. Dem Amateurfußball sei Dank.

Alles eine Frage der Perspektive. Das entscheidende Tor in der Nachspielzeit bleibt das entscheidende Tor in der Nachspielzeit. Ob nun im Kreisklassen-Derby gegen das so verhasste Nachbardorf oder im WM-Finale. Das Glück des Moments, das Glück des Helden ist dasselbe. Ob nun 700 Zuschauer live dabei sind, oder 700 Millionen – egal.

Es ist die Leidenschaft, die die Größe einer Geschichte bestimmt, nicht die Größe ihres Rahmens. Und während die, deren Kindheitstraum vom Profi tatsächlich in Erfüllung gegangen ist, ihre Leidenschaft immer mal wieder gekonnt kaschieren und von Zeit zu Zeit den faden Eindruck hinterlassen, das Spiel nur deshalb zu spielen, weil sie dafür bezahlt werden, ist sie bei denen, die dafür verdammt noch mal im Zweifel sogar noch draufzahlen, umso größer.

Und so sind auch ihre Geschichten ebenfalls umso größer, da sie die Dinge tun, weil sie sie für selbstverständlich halten. Weil sie nicht hinterfragen, warum sie etwas tun. Weil sie das Spiel aus den besten Gründen spielen – einfach nur so.

Schick mich, ich bin schnell!

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