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1.4 Friede als Weltfriede?

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Zunehmende Interdependenz und Globalisierung, unter anderem bedingt durch technische Innovationen, politische Entscheidungsprozesse und Maßnahmen zur Liberalisierung des Welthandels, prägen das internationale System. Auch die äußeren Beziehungen von Staaten werden immer enger miteinander verknüpft; ebenso steigt die Zahl der weltpolitischen Akteure dramatisch an. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich eine dritte Frage an den Friedensbegriff, die der räumlichen Dimension und geografischen Reichweite, oder anders formuliert: Ist Frieden teilbar oder nur als Weltfriede vorstellbar?

Prominent für die Sichtweisen zu Zeiten des Ost-West-Konflikts ist die Rede von Carl Friedrich von Weizsäcker anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober 1963. Seine dort formulierte erste These lautet:

„Der Weltfriede ist notwendig. Man darf fast sagen: der Weltfriede ist unvermeidlich. Er ist Lebensbedingung des technischen Zeitalters. Soweit unsere menschliche Voraussicht reicht, werden wir sagen müssen: Wir werden in einem Zustand leben, der den Namen Weltfriede verdient, oder wir werden nicht leben.“

Zentraler Bezugspunkt dieser These ist der wissenschaftlich-technische Fortschritt und die stetige Entwicklung der Waffentechnik, insbesondere die Existenz von Atomwaffen einschließlich ihres möglichen Gebrauchs. Angesichts dieser Gefahr werde der Frieden zwingend und der Weltfriede zur „Lebensbedingung des technischen Zeitalters“; denn die Alternative zum Frieden sei im Atomzeitalter nicht mehr der Krieg, sondern der „biologische Untergang der Menschheit“ (Picht 1971, S.24). Trifft diese Situationsbeschreibung aber auch auf die heutige weltpolitische Lage zu? Zwei Grundkonstanten haben sich radikal verändert: Zum einen gehört die „organisierte Friedlosigkeit“ des Ost-West-Konflikts mit der nuklearen Abschreckungspolitik der Vergangenheit an.1 Zum anderen sind mit dem Ende des Kalten Krieges aber auch neue Konflikte aufgebrochen, insbesondere sind Kriege – auch in Europa – wieder führbar geworden. Ist damit der Weltfriede noch zwingend?

Die Friedensforschung ist in dieser Frage gespalten. Für viele Vertreterinnen und Vertreter des weiten beziehungsweise positiven Friedensbegriffs ist Frieden unteilbar. Interdependenz und Globalisierung machen es unmöglich, Frieden räumlich zu begrenzen. So sei ein regionaler Friede ein Widerspruch in sich und nur der Weltfriede ein stabiler Frieden (Schwerdtfeger 2001, S.204; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S.131). Dieser Aspekt schwingt auch bei Weizsäckers Rede mit, wenn er von einer „allmählichen Verwandlung der bisherigen Außenpolitik in Welt-Innenpolitik“ spricht und damit den Übergang zu einer Weltgesellschaft im Blick hat.

Dagegen halten Friedensforscher wie Harald Müller (2003, S.216) einen regionalen Frieden für durchaus möglich. Müller bedient sich zum einen des semantischen Arguments: Wenn Frieden nur als Weltfrieden denkbar sei, warum unterscheide man dann beide Begriffe? Zum anderen sei es trotz globaler Interdependenzen nicht zwingend, dass beispielsweise Gewaltkonflikte in Sierra Leone Einfluss auf den Frieden in Skandinavien haben. Ebenso könne man einen Frieden zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union konstatieren, auch wenn bestimmte Regionen wie Nordirland oder das Baskenland davon ausgenommen seien oder in vielen EU-Ländern auch innergesellschaftliche Gewalt (zum Beispiel gegenüber Immigrantinnen und Immigranten) existiere. Notwendig sei es aber, die Akteure präzise zu benennen, denn Friede herrsche immer „zwischen bestimmten sozialen und politischen Kollektiven“ (Müller 2003, S.216). Mit Rückgriff auf Lothar Brock (2002, S.106) schlägt Müller vor, als Weltfriede „die Gesamtzahl der Räume, in denen Menschen friedlich zusammenleben“ zu bezeichnen. Damit verbleibe der Weltfriede nicht nur auf der internationalen Ebene, sondern schließe auch die innergesellschaftliche Dimension mit ein.

Friedens- und Konfliktforschung

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