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1.3 Frieden – eine Utopie?

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Zeichnet der Frieden – und das ist die zweite Frage, die sich an den Friedensbegriff stellt – politische und soziale Vorstellungen einer idealen Ordnung, die auf die Zukunft gerichtet sind, in der Realität aber nicht ihren Ort haben? Die chronischen, aber auch aktuellen Kriege und gewaltsam ausgetragenen Konflikte, nicht zuletzt das Ausbleiben des prognostizierten „Endes der Geschichte“ (Fukuyama 1992) scheinen diese Annahme zu stützen. Aber auch die These vom Krieg als eine Konstante der conditio humana lässt sich, und dafür spricht die europäische Geschichte, empirisch widerlegen.

Wie verhält es sich nun mit dem „unausweichlich Utopische[n] im Reden über den Frieden“ (Brock 2002, S.110)? Betrachten wir den positiven Frieden, lässt dieser eine gewisse Nähe zum eschatologischen Friedensbegriff1 erkennen: Frieden als das Werk der Gerechtigkeit (opus iustitiae pax).2 Das eschatologische Moment ist der Galtung’schen Definition eingeschrieben: Wenn strukturelle Gewalt zur „Standardbeschreibung gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (Müller 2003, S.212) wird, fällt ihr Abbau – und als Pendant dazu die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit – in den Bereich dessen, was als „handlungsleitende Utopie“ beschrieben werden kann (Czempiel 1971, S.126; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S.128).

Aber auch der enge Friedensbegriff kann diese Spannung nicht völlig auflösen. Selbst Frieden im Sinne einer (dauerhaften) Abwesenheit von Krieg scheint unmöglich, solange Gewaltakteure vom Krieg profitieren. Das sind heute nicht in erster Linie Staaten, sondern Akteure unterhalb dieser Ebene (die sogenannten „neuen Kriege“). Das Problem dahinter scheint von grundsätzlicher Natur: Wenn Krieg – so Herfried Münkler (2009, S.367f.) – zu einer Lebensform werde, weil diejenigen, die Gewalt anwenden, davon leben, gerate die historisch gewachsene Trennung von Krieg und Frieden in Gefahr.

Einen Ausweg aus dem „unausweichlich Utopischen“ bietet Czempiels Formel vom Frieden als dynamischer Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit (vgl. Schaubild 3). Czempiel nimmt die zeitliche Dimension des Friedens in den Begriff mit hinein. Frieden gilt nicht als (Ideal-)Ziel oder Zustand gesellschaftlichen und politischen Handelns, sondern wird als ein historischer Prozess der Zivilisierung von Konflikten, d.h. der Institutionalisierung dauerhafter und gewaltfreier Formen der Konfliktbearbeitung begriffen. Damit lässt sich die Realität im historischen Prozess verorten und in Relation zu diesem messen (u.a. Meyers 2011, S.41; Müller 2003, S.217).

Schaubild 3:

Phasenmodell des Friedens nach Ernst-Otto Czempiel (1998, S.65)

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