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3.3 Zur disziplinären Verortung der Friedensforschung

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Umstritten ist zudem der disziplinäre Status der Friedensforschung: Zu klären ist zuvorderst, wie sich die Friedensforschung zu den Internationalen Beziehungen positioniert, beschäftigen auch diese sich mit dem Thementableau von Krieg und Frieden. Stellt sie eine Subdisziplin der Internationalen Beziehungen dar, kann sie als eigenständige Disziplin gelten oder fungiert sie eher als Forschungsverbund? Und was bedeutet die in diesem Kontext häufig konstatierte Interdisziplinarität – jüngst auch Transdisziplinarität – der Friedensforschung?

Das Verhältnis zwischen der Friedensforschung und den Internationalen Beziehungen war von Beginn an weitgehend unbestimmt und ihre Forschungsfelder nicht klar voneinander abgegrenzt (vgl. Czempiel 1986, S.254). In den Anfangsjahren der Friedensforschung haben viele ihrer Vertreterinnen und Vertreter diese als Gegenentwurf zum neorealistischen Paradigma der Internationalen Beziehungen verstanden. Damit sollte explizit eine Alternative zur neorealistischen Annahme, Gewalt lasse sich nur durch Gegengewalt begrenzen, aufgezeigt werden (vgl. Bonacker 2011, S.66; Brühl 2012, S.174). Mit der seit den 1990er Jahren zu beobachtenden Verengung des Friedensbegriffs auf die Dimension des Schutzes vor Gewalt (vgl. Kapitel 1 dieses Lehrbuchs) sowie gegenwärtigen Forschungen zu militärischen Interventionen oder zur internationalen Schutzverantwortung scheint diese Form der Abgrenzung von den Internationalen Beziehungen immer weniger zuzutreffen. Im Gegenteil: Friedensforscherinnen wie Tanja Brühl (2012, S.172) konstatieren eine Annäherung der beiden Disziplinen: „Die Schnittmenge wird tendenziell eher größer als kleiner“.

Was bedeutet nun dieser Befund für die Friedensforschung? Kann sie – auf Forschungen zum Frieden fokussiert – als eine Subdisziplin der Internationalen Beziehungen gelten? Die personellen und inhaltlichen Überschneidungen könnten symptomatisch dafür sprechen. So lässt sich zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Internationalen Beziehungen und der Friedensforschung häufig nicht trennen. In diesem Sinne ist es kennzeichnend, dass sich unter den Autoren und Autorinnen von Lehrbüchern zu den Internationalen Beziehungen (vgl. Deitelhoff und Zürn 2016; Krell und Schlotter 2018) oder unter den Herausgebern und Herausgeberinnen von Zeitschriften der Internationalen Beziehungen (wie z.B. die Zeitschrift Internationale Beziehungen, ZIB) dezidiert auch Friedensforscher und -forscherinnen finden.

Ein anderer Faktor spricht aber eher gegen die Annahme einer Subdisziplin: die Multidisziplinarität der Friedensforschung. Während sich die Internationalen Beziehungen als Teildisziplin der Politikwissenschaft etabliert haben und weitgehend mit einem politikwissenschaftlichen Theorien- und Methodenset arbeiten, verbindet sich mit der Friedensforschung eine Vielzahl von Disziplinen: Neben Vertreterinnen und Vertretern der Politikwissenschaft sind es Soziologinnen, Völkerrechtler, Historikerinnen, Philosophen, Theologinnen, Psychologen, Ethnologinnen, Ökonomen oder auch Naturwissenschaftlerinnen wie Physiker (vgl. Jahn 2012, S.7; auch Schneider et al. 2017), die ihre je eigenen theoretischen Ansätze und methodischen Zugänge in die friedenswissenschaftliche Forschung einbringen. So sind auch wegweisende Friedensforscherinnen und -forscher wie beispielsweise Johan Galtung nicht der Politikwissenschaft zuzurechnen.

Wenn vieles dagegen spricht, die Friedensforschung als Subdisziplin der Internationalen Beziehungen zu verorten, kann sie dann als eigenständige Disziplin gelten? In den letzten Jahrzehnten ist zumindest eine deutliche Professionalisierung der Friedensforschung zu verzeichnen: In Deutschland – wie auch in Europa insgesamt – etablierten sich außeruniversitäre Friedensforschungsinstitute, universitäre Institute und Zentren, Masterstudiengänge zur Friedens- und Konfliktforschung, friedenswissenschaftliche Vereinigungen und Netzwerke sowie Stiftungen.1 Von der Institutionalisierung lässt sich aber noch nicht ohne Weiteres auf eine eigenständige Disziplin schließen. Dazu bedarf es bestimmter Kriterien: Eine Disziplin ist durch (1) den Gegenstand, (2) ein spezifisches Erkenntnisinteresse, (3) Theorien und deren systematische und historische Zusammenhänge sowie (4) (Kern-)Methoden gekennzeichnet und grenzt sich durch diese von anderen Disziplinen ab (vgl. Dubielzig und Schaltegger 2004, S.8; Sukopp 2013, S.19f.). Diesbezüglich verfüge die Friedensforschung zwar – so Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S.45) – über „einen (wenn auch diffusen) Gegenstand, über den sie sich definiert: Frieden“, auch gebe es „ein Repertoire an (kontroversen) Theorien, um den Gegenstand zu erklären“. Es fehle ihr aber ein verbindliches „Set an Methoden“. Die Bandbreite der methodischen Zugänge erweise sich – entsprechend der mit der Friedensforschung in Verbindung zu bringenden Disziplinen – als derart groß, dass von einer eigenständigen Disziplin nicht gesprochen werden könne, beziehungsweise positiv formuliert:

„Die Offenheit zu vielen Fächern überwiegt die Nachteile, die ein Verzicht auf Disziplinierung mit sich bringt, wie etwa den Verzicht auf einen eigenen methodischen Zugang.“ (Brzoska 2012, S.135)

Stattdessen wird Friedensforschung als „disziplintheoretisches Patchwork“ (Jaberg 2011, S.55), als „inhaltlich variables Forschungsprogramm, das unterschiedliche disziplinäre Aggregatzustände annehmen kann“ (Jaberg 2011, S.64), als „interdisziplinärer Forschungskomplex“ (Jahn 2012, S.7) beziehungsweise als „multi-, inter- und transdisziplinäres Forschungsfeld“ (Ide 2017, S.8) beschrieben. Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S.79) sprechen von einer „Inter-Disziplin“,

„die sich den Standards, Fragestellungen und Herausforderungen, wie sie sich in jeder für sie relevanten Einzelwissenschaft ergeben, stellen muss, die aber durch ihren integrativen und inter- und transdisziplinären Ansatz unverbundene Theoriestränge zusammenführt und damit zu neuen Erkenntnissen gelangt, die über eine Einzelwissenschaft nicht zu erlangen wären“.

Multidisziplinarität – Interdisziplinarität – Transdisziplinarität

Multidisziplinarität liegt vor, „wenn sich mehrere Disziplinen eines vorgegebenen Problems annehmen und dieses unabhängig voneinander mit ihren eigenen Methoden und Theorien untersuchen. Die Ergebnisse der von den Disziplinen analysierten Teilprobleme werden in der Regel am Ende nur additiv zusammengefügt“ (Dubielzig und Schaltegger 2004, S.8).

Interdisziplinarität ist „eine Form wissenschaftlicher Kooperation in Bezug auf gemeinsam zu erarbeitende Inhalte und Methoden, welche darauf ausgerichtet ist, durch Zusammenwirken geeigneter Wissenschafter/innen unterschiedlicher fachlicher Herkunft das jeweils angemessenste Problemlösungspotenzial für gemeinsam bestimmte Zielsetzungen bereitzustellen“ (zit. nach Dubielzig und Schaltegger 2004, S.9).

Transdisziplinarität stellt eine weitere, häufig als höherwertig angesehene Stufe der Kooperation dar. Sie unterscheidet sich von der Interdisziplinarität (1) durch die Dauerhaftigkeit der Kooperation, (2) durch die Transformation disziplinärer Orientierungen und (3) durch die Beschäftigung mit lebensweltlichen, gesellschaftlich relevanten Problemen (vgl. Mittelstraß 2003, S.9f; Jungert 2013, S.6f.). Als weiteres Merkmal gilt häufig auch die Einbeziehung von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis in die Kooperation (vgl. Dubielzig und Schaltegger 2004, S.10f.).2

Die Inter- und Transdisziplinarität der Friedensforschung scheint so elementar wie ambitioniert. Sie erfordert gemeinsame, disziplinenübergreifende Verständigungen und Forschungspraktiken. Damit einher geht die Notwendigkeit von Übersetzungsprozessen, rekursiven Lernprozessen, einer komplexen Problemsicht und einer Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit und endet bei einem neuen Wissenschaftsverständnis. Fraglos ist ein solcher Zugang angesichts der zu verhandelnden Probleme durchaus erstrebenswert, gehen mit disziplinärer Arbeit stets auch Erkenntnisgrenzen einher (vgl. Dubielzig und Schaltegger 2004, S.7). Dennoch wird dieser Anspruch – und zwar nicht nur in der Friedensforschung – häufig nicht eingelöst (vgl. Jahn 2012, S.27; Brühl 2012, S.178; Sukopp 2013, S.14ff.)). Bestenfalls lassen sich, wenn überhaupt, multidisziplinäre Ansätze erkennen. So konstatiert auch Jürgen Kocka (1987, S.8): „Der Glanz des Begriffs ist ein wenig verblaßt. […] einstmals hochgespannte Erwartungen [sind] angesichts zäher Schwierigkeiten reduziert worden“. Zu den Schwierigkeiten inter- und transdisziplinärer Arbeit zählen unter anderem die unterschiedlichen disziplinären Codes und Sprachen, die mangelnde „Kopulationsfähigkeit“ grundsätzlich verschiedener Theorieentwürfe aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, die jeweils in den einzelnen Fachdisziplinen vorherrschenden spezifischen Methoden oder auch die in den einzelnen Disziplinen etablierten Denkweisen und Anschauungen, die häufig als unhintergehbar gelten (vgl. Kocka 1987, S.8f.; Sukopp 2013, S.14f.).

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