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3.2 Zur Praxisorientierung der Friedensforschung

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Zu den konstitutiven Merkmalen der Friedensforschung zählt auch ihre Praxisorientierung. Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S.43) sprechen von einer handlungs- und lösungsorientierten Wissenschaft. In ähnlicher Weise konstatiert Harald Müller (2012, S.163):

„Es geht nicht lediglich darum, über den Frieden, seine Störungen und seine Ursachen zu räsonieren, sondern auch darum, den Praktikern und Praktikerinnen Praxeologien zur Verfügung zu stellen, die zum Schutz und Verwirklichung des Friedens nützlich sein könnten.“

Und auch Michael Brzoska (2012, S.134) betont die Praxisorientierung der Friedensforschung und sieht in ihr „eine wichtige Legitimation für die Förderung von Friedensforschung durch öffentliche Geldgeber, etwa die DSF (Deutsche Stiftung Friedensforschung, Anm. d. Verf.)“.

Die Realisierung dieses Anspruches erweist sich als durchaus herausfordernd, müssen wissenschaftliche Erkenntnisse „in handhabbare Praxeologien“ (Müller 2012, 163) umgesetzt werden. Seitens der Friedensforscher und -forscherinnen erfordert dies eine doppelte Transferleistung: zum einen eine Übersetzung von der Theorie in die Praxis, zum anderen eine „Übersetzung aus der Sprache des Wissenschaftssystems in die der Praktiker und Praktikerinnen“ (Müller 2012, S.163; vgl. auch Schwerdtfeger 2001, S.171). Mit dem jährlich herausgegebenen Friedensgutachten versuchen die führenden Friedensforschungsinstitute in Deutschland, genau diesem Anspruch gerecht zu werden.

Aber auch inhaltlich können sich konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik als schwierig erweisen. Ein Beispiel stellt die Stellungnahme der Herausgeber und Herausgeberinnen des Friedensgutachtens 2011 (Johannsen et al. 2011, S.20ff.) dar, in der die Friedensforscher und -forscherinnen zu keiner einheitlichen Einschätzung zur internationalen Schutzverantwortung im Falle Libyens gelangten und stattdessen mehrere Optionen nebeneinander stellten. Dies stellt ein durchaus legitimes wissenschaftliches Vorgehen dar und lässt sich ganz im Sinne des Wissenschaftsverständnisses Max Webers verorten (vgl. obigen Abschnitt 3.1). Angesichts der geforderten Orientierungsleistung bleibt dennoch ein Grundproblem bestehen:

„Eine Politikberatung mit dem Ziel, all die Maßnahmen und Strategien der Politik näher zu bringen, die den Frieden fördern bzw. ihn zu gefährden scheinen, verliert jedoch ihren scheinbar eindeutigen Fokus angesichts der Vielfalt von Friedensverständnissen. Weder über die Ausgestaltung des Friedens als Zustand noch über die Wege und Mittel, mit deren Hilfe dieser Zustand erreicht werden soll, herrscht Einigkeit“ (Nielebock 2017, S.933).

Neben der von Praktikern und Praktikerinnen eingeforderten „Bringschuld“ der Friedensforschung verweist Karlheinz Koppe (2006, S.61) auch auf die Defizite im Hinblick auf die „Holschuld der Politik“. Hier lassen sich zwei potenzielle Gefahren ausmachen: Politiker und Politikerinnen können erstens Wissenschaft für ihre Zwecke – zur Legitimationsbeschaffung – instrumentalisieren. Werden dagegen ihre Erwartungen durch abweichende friedenswissenschaftliche Positionen enttäuscht, können sie diese gegebenenfalls auch bewusst ignorieren. Diese Tendenz lässt sich beispielsweise bei der Vorstellung des Friedensgutachtens in der Berliner Politik erkennen. So zeigen sich die einzelnen Bundestagsfraktionen – je nach außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischer Ausrichtung – in durchaus unterschiedlicher Weise an den Ergebnissen der Friedensforschungsinstitute interessiert. Illustrativ vergleicht Michael Brzoska (2012, S.134) das Verhältnis der Politik zur Wissenschaft mit dem des Betrunkenen zum Laternenpfahl: „Sie suchen Halt und nicht Erleuchtung.“ Dahinter steht die für die Friedensforschung virulente Frage, inwieweit angesichts dieser Situation „eine gleichermaßen kritische wie handlungsrelevante Friedensforschung“ (Senghaas 1971b, S.313f.) überhaupt möglich und sinnvoll ist.

Zu den Trägerinnen und Trägern friedenspraktischen Handelns gehört neben der staatlichen Exekutive und den etablierten politischen Parteien auch die Öffentlichkeit, darunter insbesondere die Friedensbewegung (vgl. Schwerdtfeger 2001, S.181). Was lässt sich nun über die Beziehungen von Friedensforschung und Friedensbewegung konstatieren? Karlheinz Koppe (2009, S.78) fasst das Verhältnis beider unter dem Stichwort „ein Ziel, zwei Wege“ zusammen:

„Sie verfolgen das gleiche Ziel: Frieden schaffen, wenn’s geht ohne Waffen und ohne Gewalt. Aber ihre Wege sind verschieden: […] Die Friedensforschung beansprucht, durch möglichst sorgfältige Untersuchung von Kriegsursachen und Friedensbedingungen den Weg dahin zu bahnen. Die Friedensbewegung will sich aktiv in das politische Geschehen einmischen, um mit gewaltfreien Demonstrationen, Protestaktionen und öffentlichen Aufrufen die gesellschaftlichen Verhältnisse in Richtung Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit zu verändern“ (Koppe 2009, S.78).

Diese beiden Wege zeichnen sich im dialektischen Sinne durch „Nähe und Distanz“ (Koppe 1987, S.97) aus. Die Nähe ergibt sich durch die Verfolgung des gemeinsamen Ziels, Frieden zu befördern, jedenfalls dann, wenn Friedensforschung normativ verstanden wird. Für die Distanz spricht nach Karlheinz Koppe ein Aspekt, der an obiger Stelle bereits für den politischen Raum konstatiert wurde:

„Die Forschung liefert Analysen (auch hinsichtlich denkbarer Strategien zur Umsetzung von Schlüssen aufgrund eben solcher Analysen in politisches Handeln), während die Bewegung Rezepte anbietet und oft die Analysen der Forschung – wenn überhaupt – nur nutzt, wenn sie ihre in der Regel politisch begründeten Vorschläge stützen“ (Koppe 1987, S.97f.).

Diese „Unterwerfung der Friedensforschung“ (Koppe 1987, S.98) unter die eigenen Prämissen könne in der Friedensbewegung gegebenenfalls sogar noch „rigoroser, durch keine selbstkritische Toleranz gemäßigt“ (Koppe 1987, S.98) ausfallen als bei politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten. Auch schrecken Vertreterinnen und Vertreter der Friedensbewegung bisweilen nicht davor zurück, Forschungsergebnisse einseitig in ihrem Sinne zu interpretieren (vgl. hierzu auch Schmitt 1990, S.101).

Diese These von der Distanz wird von einer, wenn auch älteren empirischen Untersuchung in Finnland gestützt: Danach betrachte die Friedensbewegung die Friedensforschung (entgegen ihrem eigenen Selbstverständnis) als „einfache soziale Technologie“. Umgekehrt kritisiere die Friedensforschung Aktionen und alternative Wege der Friedensbewegung, die für diese einen hohen Stellenwert besitzen, als naive Utopie (vgl. Koppe 1987, S.99).

Welche Schlussfolgerungen sollten Friedensforscher und -forscherinnen aus dieser Konstellation und den mit der Politikberatung verbundenen Herausforderungen ziehen? Nach Johan Galtung (1985, S.149) könne dies nur bedeuten, im Sinne wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit sowohl zum Establishment als auch zum Anti-Establishment Distanz zu wahren. In diesem Sinne spricht sich auch Andrew Mack (1985) für eine öffentliche Bereitstellung von Informationen aus, ohne sich selbst in den Dienst dieser zu stellen (vgl. Koppe 1987, S.98). In der Praxis stellt dies für Friedensforscherinnen und -forschern ein nicht einfaches Unterfangen dar, gilt es, die wissenschaftliche Unabhängigkeit auch bei finanziellen Abhängigkeiten gegen potenziell entgegenstehende Akteursinteressen aufrechtzuerhalten.

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