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1.1 Gewalt und Frieden bei Johan Galtung

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Als zentral kann die auf Johan Galtung zurückgehende Unterscheidung zwischen negativem und positivem Frieden gelten. Er leitet den Friedensbegriff vom Gewaltbegriff ab (vgl. Schaubild 1). Ausgangspunkt ist der „Doppelaspekt“ der Gewalt (Galtung 1975, S.32), bei dem Galtung zwischen personaler (direkter) und struktureller (indirekter) Gewalt differenziert. Die direkte Gewalt zielt unmittelbar auf die Schädigung, Verletzung und in extremster Form auf die Tötung von Personen. Sie ist personal und direkt, insofern es „einen Sender gibt, einen Akteur, der die Folgen der Gewalt beabsichtigt“ (Galtung 2007, S.17; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S.86). Strukturelle Gewalt umfasst dagegen all jene Arten von Gewalt, die aus systemischen Strukturen resultieren. Zu den Hauptformen zählen Repression und Ausbeutung. Beide sind nicht notwendigerweise beabsichtigt, auch nicht mehr individuell zurechenbar (sie basieren auf der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Verfasstheit der Welt), können aber ebenso töten – durch Verelendung, Hunger und Krankheit (Galtung 2007, S.17; vgl. auch Bonacker und Imbusch 2006, S.86).

Schaubild 1:

Die erweiterten Begriffe von Gewalt und Frieden nach Johan Galtung (1975, S.33)

Nach Galtung greift der eng gefasste – personale beziehungsweise direkte – Gewaltbegriff deutlich zu kurz, denn auf diese Weise bleibe die Gewalt, die von „[v]öllig inakzeptable[n] Gesellschaftsordnungen“ (Galtung 1975, S.9) ausgehe, weitgehend außen vor. Vor diesem normativen Hintergrund plädiert er für den erweiterten Gewaltbegriff. Danach liege Gewalt immer dann vor, „wenn Menschen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“; sie wird damit zur „Ursache für den Unterschied zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen, zwischen dem, was hätte sein können, und dem, was ist“ (Galtung 1975, S.9).

Frieden fasst Johan Galtung als Negation von Gewalt. Der Doppelaspekt der Gewalt findet sich somit auch in seinem Friedensbegriff wieder:

„Ein erweiterter Begriff von Gewalt führt zu einem erweiterten Begriff von Frieden: Frieden definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt und Abwesenheit struktureller Gewalt. Wir bezeichnen diese beiden Formen als negativen Frieden bzw. positiven Frieden.“ (Galtung 1975, S.32)1

Damit scheint der Begriff des negativen Friedens dem alltäglichen Verständnis von Frieden als Abwesenheit von Krieg beziehungsweise friedenswissenschaftlich formuliert als Abwesenheit organisierter militärischer Gewaltanwendung zu entsprechen. Primäre Friedensaufgabe im Sinne dieses eng gefassten Friedensbegriffes stellt dann die Kontrolle und Verminderung offener Gewaltanwendung dar.

Anders beim positiven Frieden: Definiert als Abwesenheit struktureller Gewalt hat er seine Entgegensetzung nicht im Krieg, eher im Unfrieden. Positiver Frieden gilt – in Anlehnung an die obige Gewaltdefinition – als ein Zustand, in dem die Verwirklichung des Menschen möglich wird. Auch wenn sich der Begriff des positiven Friedens mit der Entwicklung ändere – so wie auch der der Gesundheit in der Medizin – werden mit ihm vor allem Aspekte wie Kooperation und Integration, das Fehlen von Repression und Ausbeutung, wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie Gerechtigkeit und Freiheit verbunden. Insbesondere stehe der positive Frieden für soziale Gerechtigkeit2, bezeichne diese eine positiv definierte Bedingung, und zwar die nach gleicher Verteilung von Macht und Ressourcen (Galtung 1975, S.32, insb. auch FN 30).

Ende der 1990er Jahre ergänzte Johan Galtung seine Unterscheidung zwischen direkter und struktureller Gewalt um eine dritte Komponente: die kulturelle Gewalt.3 So wird auch vom Galtung’schen Gewaltdreieck gesprochen. Unter kultureller Gewalt werden all jene Aspekte einer Kultur verstanden, die dazu dienen, direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen beziehungsweise zu legitimieren (Galtung 2007, S.341). Galtung führt in seiner Definition sechs Kulturbereiche auf: Religion (beispielsweise in Form eines rigiden Monotheismus), Ideologie (wie Nationalismus), Sprache (etwa Sprachsexismus), Kunst (beispielsweise durch den Transport von stereotypen Vorurteilen), empirische Wissenschaft (zum Beispiel in Form des neoklassischen Wirtschaftslebens) sowie formale Wissenschaft (wie der Entweder-Oder-Charakter der Mathematik, wonach Aussagen nur wahr oder unwahr sein können) (Galtung 2007, S.341ff.). Zudem verweist er auf Bereiche wie Recht, Medien und Erziehung (Galtung 2007, S.18). Diese Ausweitung des Gewaltbegriffs führte vom Doppelaspekt der Gewalt zum Gewaltdreieck (vgl. Schaubild 2).

Schaubild 2:

Das Gewaltdreieck nach Johan Galtung (2007)

Mit der Einführung der kulturellen Gewalt hat sich auch der Friedensbegriff noch einmal erweitert: „Friede = direkter Friede + struktureller Friede + kultureller Friede“ (Galtung 2007, S.458), wobei unter kulturellem Frieden die Abwesenheit kultureller Gewalt verstanden wird. Das beinhaltet die Überwindung von Einstellungen und Verhaltensmustern, die die Anwendung von Gewalt rechtfertigen beziehungsweise legitimieren – von den Akteuren selbst häufig gar nicht mehr als solche wahrgenommen. Aufgabe sei es daher, „aus der harten Kruste des Kollektivs Sub-Kollektive und Individuen herauszubrechen und aus Unterbewußtem Bewußtes zu machen“ (Galtung 2007, S.415). Die Bedeutung eines kulturellen Friedens zeigen gerade religiös konnotierte Konflikte auf, die nicht selten mit einer Nichtanerkennung religiöser Minderheiten einhergehen.

Friedens- und Konfliktforschung

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