Читать книгу Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi - Ингер Фриманссон - Страница 19
1. KAPITEL
ОглавлениеSchon als sie auf den Hof vor ihrem Haus bogen, wussten sie, dass sich in den wenigen Stunden, die sie fort gewesen waren, etwas ereignet hatte. Es war nichts Greifbares, nichts Sichtbares, nur eine Ahnung, etwas Dumpfes und Lauerndes. Beth kratzte sich mit den Fingernägeln über den Oberschenkel, am ganzen Körper brach ihr der Schweiß aus.
»Ulf . . .«, sagte sie, als ob er, nur weil er ein Mann und zwei Jahre älter war als sie, augenblicklich wissen müsste, was los war und was sie zu tun hatten.
Er antwortete nicht. Sie sah seine leicht nach oben geschwungenen Mundwinkel, die Andeutung eines Lächelns, was allerdings nicht bedeutete, dass er wirklich lächelte. Sein Mund verriet nichts über seine Gemütsverfassung, er war einfach schon so geboren, mit leicht nach oben geschwungenen Mundwinkeln. Anfangs hatte sie sich dadurch täuschen lassen, als sie sich noch beschnupperten und in sich hineinhorchten. Mittlerweile wusste sie Bescheid.
Sie wiederholte seinen Namen.
»Ulf, da ist was. Was ist das? Ich habe Angst.«
Der Mann an ihrer Seite schaltete den Motor aus. Gemeinsam starrten sie das Haus an, das vor ihnen im Grünen stand, idyllisch gelegen und rot wie der Prototyp eines wahren Sommerparadieses. Es sah alles aus wie immer. Die Tür war noch verschlossen wie bei ihrer Abfahrt, die Gardinen hingen glatt herab. Beth hatte Gräser gepflückt, hohe schaukelnde Rispen, und auf der verglasten Veranda in eine Vase gestellt. Die Trockenheit hatte alle Wiesenblumen verdorren lassen, nur ein paar kümmerliche Glockenblumen und die zähe, weiße Schafgarbe waren geblieben. Man musste ein ganzes Stück in Richtung Kahlschlag gehen, um sie zu finden.
Gräser gab es überall. Und Gräser waren schön.
Ulf räusperte sich und fuhr sich durch die Haare.
»Das bildest du dir nur ein«, murmelte er, aber ohne Nachdruck.
Sie hatten einen Ausflug nach Tidaholm gemacht. Am frühen Nachmittag waren sie losgefahren und obwohl sie die dortigen Geschäfte und ihr Angebot bereits kannten, nahmen sie sich dennoch die Zeit, erneut in ihnen zu stöbern. In einer Boutique am Marktplatz fand Beth ein türkisgrünes schulterfreies Sommerkleid. Alle Preise waren reduziert, außer bei den Kleidern, die ganz hinten im Geschäft unter einem handgemalten Schild mit der Aufschrift »Die neue Herbstmode« hingen. Das Kleid war um dreißig Prozent heruntergesetzt gewesen.
Es war ein heißer Sommer mit beißenden Gerüchen und verbrannter Erde. Im Radio wurden Reportagen über Waldbrände gesendet, die jedoch nicht in ihrer Gegend ausgebrochen waren, sondern in den Wäldern um Kalmar und Växjö. Beth in ihren Shorts, er hatte über ihre Shorts gelacht, nicht hart, sondern liebevoll, darin siehst du aus wie ein Kind, ein ganz kleines Mädchen.
Doch. Sie deutete es so.
Aus Liebe.
Das Gras war strohig und braun, regelrecht zermalmt, schoss es ihr beim Anblick des Grases auf dem gewölbten Dach des Vorratskellers durch den Kopf. Am Vormittag waren sie dort hochgeklettert, hatten sich an den Grassoden hochgezogen, im Gras gestanden und die hochstrebenden Zweige heruntergezogen. Kleine schwarze Kirschen, manche ein wenig verschrumpelt, aber süß, mit einem etwas faden Beigeschmack, weil der Baum schon so alt war. Man bekam Blähungen von ihnen und musste aufstoßen.
Sie rutschte auf dem Po herunter und begutachtete ihre Shorts. Ulf stand noch oben.
»Das gibt Flecken«, hörte sie ihn sagen und obwohl seine Stimme nun eine Spur gereizt klang, wollte sie nicht hören.
Sie ging zur Scheune. Das Gras piekste unter ihren Füßen. Sie hatte dort nichts zu erledigen, wurde nur plötzlich von dem Bedürfnis getrieben, sich zu bewegen, so als könnte sie ihm einfach nicht mehr so nahe sein.
Keinem Menschen.
Die Katze, eine kleine grauweiße Löwin, kam ihr entgegen. Miauend, auffordernd. Jeden Tag kam sie zu ihnen, jeden Morgen, wenn sie auf die Eingangstreppe hinaustraten, lief sie durch das taufeuchte Gras zu ihnen. Es sah lustig aus, wenn sie heftig die Pfoten schüttelte, um die Nässe loszuwerden. Beth taufte sie Lioness, worüber Ulf sich köstlich amüsierte. Lioness, das ist doch eine gewöhnliche Hauskatze, siehst du das nicht. Sie heißt ganz anders, man hat sie bestimmt Stina oder Maja getauft, wenn überhaupt . . . auf dem Land haben sie ihre eigenen Namen und Traditionen. Kein Mensch gibt einer Katze den Namen Lioness.
Als ob er das so genau wüsste.
Es war keine streunende Katze, das sah man ihr an. Sie war bestimmt auf einem Bauernhof in der näheren Umgebung zu Hause, aber offensichtlich gefiel es ihr bei ihnen besser. Beth verstand nicht ganz, warum, denn sie ließen die Katze nie ins Haus. Jetzt schmiegte sie sich an ihr Bein und Beth fühlte das kühle, weiche Fell. Vorgestern hatte sie sich die Waden rasiert, aber die Haarstoppel sprossen schon wieder und es kratzte.
»Ich darf dich leider nicht streicheln«, flüsterte sie. »Ich wünschte, ich könnte dich streicheln, das würde ich gern, am liebsten würde ich dich auf den Arm nehmen und dir die ganzen blöden Zecken aus dem Fell zupfen. Du würdest auf meinem Schoß liegen und weich sein und dein kleiner Motor würde anspringen, und ich würde deinem Motor lauschen und so ruhig und stark werden wie du.«
Wenn sie mit Katzenhaaren in Kontakt kam, schwoll ihr Gesicht an und ihre Nase begann zu laufen.
»Lioness«, flüsterte sie. Die Katze betrachtete Beth stumm und regungslos, ihre gelben Augen waren wie Gläser mit schwarzen Furchen. Sie sahen die Katze oft mit einer Maus oder Wühlmaus aus dem Wald kommen. Die Maus war dann immer schon tot, das abstoßende Spiel mit den ausgefahrenen Krallen war ihnen bislang erspart geblieben. Sie schlich mit ihrer Beute stets hinter die Scheune. Wenn Beth Brennholz holte, hörte sie die Katze dort knirschen und schmatzen.
Eines Vormittags Anfang des Sommers hatte Lioness etwas dabeigehabt, das sie auf den Steinplatten vor der Treppe ablegte. Es bewegte sich und piepste. Dann bemerkten sie, dass ihre Körperform sich verändert hatte. Ihr Bauch war eingefallen und das Fell dünn und stumpf geworden.
In der Nacht hatte sie zwei Junge geboren.