Читать книгу Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie - Ingo Pies - Страница 56

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|168|Oliver E. Williamson (1932)

„Transaction cost economics maintains that the economic institutions of capitalism have the main purpose and effect of economizing on transaction costs.“ Oliver Williamson (1990, 1995; S. 189)

„[O]rganize transactions so as to economize on bounded rationality while simultaneously safeguarding them against the hazards of opportunism.“ Oliver Williamson (1993, 1996; S. 254)

Oliver Williamsons Organisationsökonomik

(1) Die moderne Gesellschaft ist eine Wettbewerbsgesellschaft. Ihr Kennzeichen ist es, dass nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik, in der Wissenschaft, im Recht, im Sport und in der Kunst sowie in ausnahmslos allen anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen auf wettbewerbliche Strukturen gesetzt wird, um die Leistung der Akteure anzuregen und sie mit Anreizen zu versorgen, ihre Leistung mittelbar in den Dienst anderer Menschen zu stellen: Die marktliche Konkurrenz der Produzenten kommt den Konsumenten zugute; der Wettstreit zwischen Regierung und Opposition fördert die Souveränität der Bürger; und der Wettkampf im Sport erfreut die Zuschauer.

Zugleich lässt sich die moderne Gesellschaft als Organisationsgesellschaft kennzeichnen. Neben die traditionellen ‚natürlichen‘ Gemeinschaften wie die Familie und die Dorf- oder Kirchengemeinde, für die eine verwandtschaftliche oder lokale Beziehung konstitutiv ist, treten zunehmend und mittlerweile dominierend Zweckverbände, in die man nicht einfach hineingeboren wird, sondern durch freien Entschluss eintreten (und auch wieder austreten) kann. In der Wirtschaft dominiert die Organisation der Unternehmung, in der Politik die Organisation des Parlaments und die Organisation der Parteien, die um Parlamentssitze konkurrieren; in der Wissenschaft dominiert die Organisation der Universität, im Sport die Organisation des Vereins.

|169|Die beiden Kennzeichnungen der modernen Gesellschaft widersprechen sich nicht; sie ergänzen einander. Die moderne Gesellschaft ist beides zugleich: Sie ist Wettbewerbs- und Organisationsgesellschaft. Hierbei markiert das „und“ nicht einfach ein additives Nebeneinander, sondern ein wechselseitiges Steigerungsverhältnis: Zum einen gibt es sowohl zwischen Organisationen als auch innerhalb von Organisationen Wettbewerb. Ohne solchen Wettbewerb wären Organisationen oft gar nicht funktional und könnten folglich ihren sozialen Sinn als Zweckverband kaum erfüllen. Zum anderen bedarf es in vielen Fällen des Einsatzes von Organisationen, damit der Wettbewerb seinen sozialen Sinn als Leistungsanreiz nicht verfehlt. Man denke nur an die Organisation des Staates, die die formalen, rechtlichen Rahmenbedingungen für Wettbewerbsprozesse bereitstellt, oder an die Organisation der Unternehmung, die ihre organisationsinternen Wettbewerbsprozesse – z.B. die Abteilungskonkurrenz um Ressourcen oder die Mitarbeiterkonkurrenz um Einkommen und Karrieren – durch informale, kulturelle Rahmenbedingungen in geordneten Bahnen hält.

Angesichts dieser doppelten Bestimmung der modernen Gesellschaft als Wettbewerbs- und Organisationsgesellschaft – als Gesellschaft des organisierten Wettbewerbs und des Organisationswettbewerbs – besteht auf Seiten der Ökonomik als Wissenschaftsdisziplin ein deutlicher Nachholbedarf. Aufgrund ihrer historischen Genese ist die Ökonomik primär als Wettbewerbsökonomik, als Ökonomik wettbewerblicher Märkte, entwickelt worden, nicht jedoch als Organisationsökonomik. Dieser Zweig ist – bis heute – noch deutlich unterentwickelt, trotz großer Fortschritte in den letzten Jahren. Diese Fortschritte sind in erster Linie dem Forschungsprogramm Oliver Williamsons zu verdanken. Durch seine Pionierarbeiten eröffnet sich die Option, eine moderne Ökonomik – als Ökonomik der Moderne – zu entwickeln, d.h. eine Ökonomik, die – nicht als Wirtschaftswissenschaft, sondern – als ‚economic approach‘ gesellschaftstheoretisch ausgelegt wird und deren Kennzeichen als Wissenschaftsdisziplin darin besteht, sowohl wettbewerbliche als auch organisatorische Sozialstrukturen einer modellgestützten Anreizanalyse zu unterziehen.[271]

(2) Oliver Williamsons Organisationsökonomik ist ein Forschungsprogramm im Lakatosschen Sinn des Wortes: Es handelt sich um einen theoretischen Ansatz mit einem harten Kern und einer Heuristik. Der harte Kern besteht aus einem Ensemble zusammengehöriger Leitideen, die dem Ansatz Identität und Kontinuität verleihen. Die Heuristik liefert die Forschungsstrategie. Deren Qualität ist daran abzulesen, dass in den letzten dreißig Jahren mehrere progressive Problemverschiebungen zu verzeichnen waren. Es ist eine Konsequenz dieser Problemverschiebungen, |170|d.h. eine Konsequenz sowohl theoretischen als auch empirischen Erkenntnisfortschritts, dass Williamsons Organisationsökonomik, die zunächst als eine thematisch eng gefasste Theorie der Firma antritt, mittlerweile zu einer allgemeinen Theorie institutioneller ‚Governance‘ ausgearbeitet ist, die sich im Prinzip auf alle Organisationen anwenden lässt, also auf Familien ebenso wie auf Unternehmen oder Non-Profit-Organisationen einschließlich staatlicher Bürokratien.

Es handelt sich um einen wichtigen Spezialfall dessen, was üblicherweise – mit einer durchaus missverständlichen und folglich erläuterungsbedürftigen Formel – als ‚ökonomischer Imperialismus‘ bezeichnet wird: Hier liegt die Ausbildung einer Methode vor, die es einem Ansatz erlaubt, sich von seinem ursprünglichen Gegenstandsbereich zu emanzipieren. Jedoch wird dadurch, anders als es die Bereichsmetapher eines etwaigen ‚Imperialismus‘ nahelegt, ‚benachbarten‘ Wissenschaftsdisziplinen kein ‚Territorium‘ streitig gemacht. Ein solcher Eindruck kann nur dort aufkommen, wo die Wissenschafts-‚Landschaft‘ mit einer Schrebergartenkolonie verwechselt wird, in der jeder ein ‚Gebiet‘ zur exklusiven Bearbeitung zugewiesen bekommt, was dann die Vorstellung nahelegt, eine Überschreitung der tradierten Gebiets-‚Grenzen‘ führe notwendig zu Grenzstreitigkeiten, weil sich die Nachbarn in ihren legitimen Interessen beeinträchtigt fühlen müssen. Dass eine solche Vorstellung als grundsätzlich verfehlt zurückgewiesen werden muss, lehrt freilich nicht erst die neuere – insbesondere konstruktivistische – Wissenschaftstheorie nach Lakatos, sondern bereits die ältere Wissenschaftstheorie vor Lakatos. Bereits bei Karl Popper und sogar schon bei Max Weber kann man nachlesen, dass wissenschaftliche Disziplinen nicht thematisch, sondern systematisch konstituiert werden. In dieser Bestimmung liegt eine Pointe, die dem Bereichsdenken verborgen bleibt: Erst dann, wenn man Disziplinen nicht über ihren Gegenstandsbereich, sondern über ihre Methode definiert, wird das Bemühen um Inter-Disziplinarität zu einem sinnvollen Unterfangen, das für alle Beteiligten wechselseitig vorteilhaft zu sein verspricht. In genau diesem Sinn ist Williamsons Organisationsökonomik, gerade weil sie ein imperialistisches Forschungsprogramm geworden ist, für verschiedene Disziplinen interessant. Sie hat nicht nur institutionenökonomisch ausgerichteten Betriebs- und Volkswirten etwas zu bieten, sondern z.B. auch solchen Soziologen, Psychologen, Juristen und Politologen, die sich – unter ihrem je spezifischen Blickwinkel – mit dem Thema ‚Organisation‘ beschäftigen.

Inter-Disziplinarität heißt nicht, die eigene Disziplin aufzugeben, sondern ganz im Gegenteil: die eigene Disziplin durch wissenschaftlichen Austausch profitieren zu lassen. Fruchtbare Inter-Disziplinarität im Sinne einer disziplin(grenzen)übergreifenden Zusammenarbeit basiert auf einem wechselseitigen Verständnis für unterschiedliche Fragestellungen und Beantwortungsstrategien. Einem solchen Verständnis kann es förderlich sein, auf die jeweilige Problemorientierung zu fokussieren. Aus diesem Grund versuchen die folgenden Ausführungen, einen Überblick über den Ausgangspunkt und die Entwicklung des Williamson-Ansatzes zu geben, über seine Anwendungsbreite und die zugrunde liegende Methode: Sie zielen darauf ab, die Problemorientierung des organisationsökonomischen Forschungsprogramms transparent werden zu lassen.

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